Vierzehntes Kapitel.

Das Jahr 1806. Wiederholung des Fidelio. Reise nach Schlesien. Korrespondenz mit Thomson.

Wir beginnen die Geschichte dieses Jahres mit einem brieflichen Berichte Stephans von Breuning über den Fidelio (Ries, Not. S. 62). Der Brief selbst gehört zwar der Mitte des Jahres 1806 an, sein Inhalt aber betrifft die Zeit zwischen den ersten Aufführungen Ende 1805 und den Wiederholungen im Frühjahre 1806. Von Beethovens eigener Hand fehlen aber gerade aus dieser Zeit Briefe usw. gänzlich. Er war offenbar damals so stark beschäftigt und erregt, daß er zum Korrespondieren keine Zeit fand.


»Wien den 22ten Juni 1806.


Liebe Schwester und lieber Wegeler!

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Ueber Beethovens Oper habe ich Euch in meinem letzten Briefe, so viel ich mich erinnere, zu schreiben versprochen. Da es Euch gewiß interessirt, so will ich dieses Versprechen erfüllen. Die Musik ist eine der schönsten und vollkommensten, die man hören kann; das Sujet ist interessant; denn es stellt die Befreiung eines Gefangenen durch die Treue und den Muth sei ner Gattinn vor; aber bei dem Allen hat nichts wohl Beethoven so viel Verdruß gemacht, als dieses Werk, dessen Werth man in der Zukunft erst vollkommen schätzen wird. Zuerst wurde sie sieben Tage nach dem Einmarsche der französischen Truppen, also im allerungünstigsten Zeitpunkte, gegeben. Natürlich waren die Theater leer und Beethoven, der zugleich einige Unvollkommenheiten in der Behandlung des Textes bemerkte, zog die Oper nach dreimaliger Aufführung zurück. Nach der Rückkehr der Ordnung nahmen er und ich sie wieder vor. Ich arbeitete ihm das ganze Buch um, wodurch die Handlung lebhafter und schneller wurde: er verkürzte viele Stücke und sie ward hierauf dreimal1 mit dem größten Beifall aufgeführt. Nun standen aber seine Feinde bei dem Theater auf und da er mehrere, besonders bei der zweiten Vorstellung beleidigte, so haben diese es dahin gebracht, daß sie seitdem nicht mehr gegeben worden ist. Schon vorher hatte man ihm viele Schwierigkeiten in den Weg gelegt und der einzige Umstand mag Euch zum Beweise der Uebrigen dienen, daß er bei der zweiten Aufführung nicht einmal erhalten konnte, daß [501] die Ankündigung der Oper unter dem veränderten Titel: ›Fidello‹, wie sie auch in dem französischen Original heißt und unter dem sie nach den gemachten Aenderungen gedruckt worden ist, geschah. Gegen Wort und Versprechen fand sich bei den Vorstellungen der erste Titel: ›Leonore‹ auf dem Anschlagezettel2. Die Kabale ist für Beethoven um so unangenehmer, da er durch die Nichtaufführung der Oper, auf deren Ertrag nach Procenten er mit seiner Bezahlung angewiesen war, in seinen ökonomischen Verhältnissen ziemlich zurück geworfen ist und sich um so langsamer wieder erholen wird, da er einen großen Theil seiner Luft und Liebe zur Arbeit durch die erlittene Behandlung verloren hat. – –«


Dieser Brief enthält eine Reflexion über Beethovens Unzufriedenheit und Unwillen über eingebildete Beleidigungen; er wurde in Unkenntnis verschiedener positiven Tatsachen geschrieben und enthält Ungenauigkeiten, welche seit seiner Veröffentlichung durch Wegeler im Jahre 1838 sämtliche Versuche, die frühere Geschichte der Oper zu schreiben, beeinflußt haben.

Ein bemerkenswerter und nicht leicht zu erklärender Umstand ist es, daß Breuning, und nicht Sonnleithner, den Text umarbeitete und die neue Verteilung der Szenen ausführte. Bezüglich der Auslassung ganzer Nummern, Streichungen usw. vgl. die Ausführungen S. 477.

Bei der Aufführung im November war der Eindruck der Ouvertüre durch eine Stelle im Allegro, welche für die Holz-Blasinstrumente zu schwer war, zerstört worden. »Anstatt dieses Hinderniß (31 Takte) zu guter Ausführung einfach zu entfernen«, sagt Schindler, »fand Beethoven für rathsam, eine Umarbeitung des Ganzen vorzunehmen, war er ja doch schon mit Umarbeiten andrer Theile des Werkes beschäftigt. Er behält die Motive sowohl zur Introduction wie auch zum Allegro-Satz, läßt letzteres Motiv, größerer Klangfülle wegen, zugleich vom Violoncell und der ersten Violine vortragen, und führt auf der Grundlage des bereits Vorhandenen einen Neubau auf – mit Einschaltung mehrerer neuen Gedanken.«

Während Beethoven unter diesen Beschäftigungen den Winter zubrachte, war Schikaneder in derselben Zeit nicht müßig gewesen. Außer [502] einer Operette »Palma« und der Wiederaufnahme seiner eigenen »Eisenkönigin« (Musik von Henneberg) – beide ohne Erfolg – gelangte Paers »Sargino«, welcher 1803 in Dresden auf die Bühne kam und im Laufe der nächsten 30 Jahre von Straßburg bis Warschau, von Triest bis Stockholm mit Beifall aufgeführt wurde, im Januar zur Darstellung; am 25. Februar folgte »Faniska« von Cherubini, und im März die »Samniterinnen« mit großem Erfolge. Die letztere Oper war auf Méhuls »Marriages Samnites« begründet, der Text von Sonnleithner, die Musik beinahe ganz von Seyfried3.

Es war keine leichte Sache, mit drei neuen Werken von solcher Art vor dem Wiener Publikum von 1806 in Konkurrenz zu treten, und man kann sich leicht vorstellen, daß Beethoven dies fühlte und daher beschloß, unter allen Umständen auf dem ihm eigentümlichen Felde der Instrumentalkomposition keinen Zweifel zu lassen, wer der Meister war. So entstand die große (3.) Ouvertüre zur Leonore. Wie gewöhnlich, war er nicht eilig in der Erfüllung seiner Verpflichtungen. Januar und Februar waren vorbei, der März ging zu Ende, und er war noch nicht fertig. Das war zuviel für Baron Brauns Geduld. Er wählte daher den besten Abend der Saison, Samstag den 29. März, den letzten, ehe die Bühne vor der heiligen Woche und dem Osterfeste geschlossen wurde, und gab Beethoven bestimmt zu verstehen, daß, wenn die Oper an diesem Abende nicht zur Aufführung gelange, sie überhaupt nicht werde aufgeführt werden. Dies übte seine Wirkung, und die neue Partitur wurde abgeliefert; doch so spät (wie Röckel sich wohl erinnerte), daß nur zwei oder drei Proben am Klavier und eine einzige mit Orchester stattfinden konnten. Dieselben wurden von Seyfried geleitet; der Komponist erschien bei keiner derselben.

Beethoven und Breuning setzten voraus, daß eine Änderung des Titels Fidelio in »Leonore« von den Direktoren zugestanden worden sei, und wirklich wurde das neue Textbuch und Breunings Gedicht zu dieser Gelegenheit mit dem geänderten Titel gedruckt; doch wurde es anders beschlossen. Infolge der neuen Anordnung der Szenen wurde die Zahl der Akte auf zwei reduziert. Der neue Theaterzettel sagt demnach: »Oper in zwei Akten« statt »drei«; abgesehen hiervon, sowie von der Änderung [503] des Datums und dem Namen Röckels an Stelle von Demmer in der Rolle des Florestan, ist er nur eine Wiederholung des früheren und enthält demnach auch als Titel: »Fidelio oder Die eheliche Liebe.« Zu diesem Entschlusse waren die Direktoren vermutlich nicht allein durch eine gebührende Rücksicht auf den Komponisten des Sargino und seiner italienischen »Leonore« veranlaßt, sondern auch durch die offenbare Unschicklichkeit, das Publikum durch einen neuen Titel eines im wesentlichen unverändert gebliebenen Werkes irrezuführen.

Breunings Gedicht4, welches mit dem Theaterzettel verteilt wurde, lautete so:

»An Herrn Ludwig van Beethoven, als die von ihm in Musik gesetzte und am 20. Nov. 1805 das erstemal gegebene Oper jetzt unter der veränderten Benennung Leonore wieder aufgeführt wurde.


Noch einmal sei gegrüßt auf dieser Bahn,

Die Du betrat'st in bangen Schreckenstagen,

Wo trübe Wirklichkeit von süßem Wahn

Die Zauberbinde riß und furchtbar Zagen

Nun All' ergriff, wie wann den schwachen Kahn

Des wilden Sturm's gewalt'ge Wellen schlagen;

Die Kunst floh scheu vor rohen Krieges-Scenen;

Der Rührung nicht, aus Jammer flossen Thränen.


Dein Gang voll eigner Kraft muß hoch uns freu'n,

Dein Blick, der sich auf's höchste Ziel nur wendet,

Wo Kunst sich und Empfindung innig reih'n.

Ja, schaue hin! Der Musen schönste spendet

Dort Kränze Dir, indeß vom Lorbeerhain

Apollo selbst den Strahl der Weihung sendet.

Die ruh' noch spät auf Dir! in Deinen Tönen

Zeig' immer sich die Macht des wahren Schönen!«


Der Korrespondent der Allg. Musik. Zeitung schreibt unter dem Datum des 2. April: »Beethoven hatte seine Oper: Fidelio, mit vielen Veränderungen und Abkürzungen wieder auf die Bühne gebracht. Ein ganzer Akt ist dabei eingegangen, aber das Stück hat gewonnen und nun auch besser gefallen.«

Montag den 7. April wurde das Theater wieder eröffnet; das Programm für die Woche war: Montag: »Dienst gegen Dienst«, Drama; Dienstag: »Vestas Feuer«, Oper von Schikaneder und Weigl; Mittwoch:[504] »Sargino« von Paer; Donnerstag (den 10.) »Fidelio«; Freitag: »Das Schloß Montenero«, Oper von d'Alayrac; Samstag: eine andere Oper.

Der Wiener Korrespondent der Zeitung für die elegante Welt sagte unterm 20. Mai 1806 folgendes über Fidelio:

»Beethoven's Oper Fidelio erschien neu umgearbeitet im Theater an der Wien. Die Umarbeitung besteht in der Zusammenziehung dreier in zwei Acte. Es ist unbegreiflich, wie sich der Compositeur entschließen konnte, dieses gehaltlose Machwerk Sonnleithners mit der schönen Musik beleben zu wollen, und daher konnte – die niedrigen Kabalen des ehrenvesten – – – nicht mitgerechnet – der Effect des Ganzen unmöglich von der Art sein, als sich der Tonkünstler wohl versprochen haben mochte, da die Sinnlosigkeit der rezitirenden Stellen den schönen Eindruck der abgesungenen ganz oder doch größtentheils verwischte. Es fehlt Hrn. B. gewiß nicht an hoher ästhetischer Einsicht in seine Kunst, da er die in den zu behandelnden Worten liegende Empfindung vortrefflich auszudrücken versteht, aber die Fähigkeit zur Uebersicht und Beurtheilung des Textes in Hinsicht auf den Totaleffect scheint ihm ganz zu fehlen. Die Musik ist jedoch meisterhaft, und B. zeigte, was er auf dieser neu betretenen Bahn in der Zukunft wird leisten können. Vorzüglich gefallen das erste Duett und die zwei Quartetten. Die Ouvertüre hingegen mißfällt wegen der unaufhörlichen Dissonanzen und des überladenen Geschwirres der Geigen fast durchgehends, und ist mehr eine Künstelei als wahre Kunst. Mlle. Milder als verkleideter Fidelio singt die für ihre liebliche, obwohl wenig gebildete Stimme genau berechnete Partie recht brav; nur kann sie zuletzt aus den Umarmungen ihres geretteten Gemahls sich gar nicht loswinden. Auch Mlle. Müller that ihr Möglichstes. – –«

Dieser Artikel wurde mit Ausnahme einzelner Stellen in der Wiener Theaterzeitung vom 22. Oktober als »Gedanken über die Oper Fidelio« wiederholt.

Eine sehr ergötzliche Probe des Tadels bietet ein Brief in Kotzebues »Freimüthigem« vom 11. September (Nr. 152) über die Ouvertüre:

»Sie sehen, daß noch immer französische Neuigkeiten unsere Theater füllen, indeß unsere Dichter und Componisten ruhen. Aber fürwahr, wenn einige unserer neuesten Musiktalente, besonders Beethoven, ihren Weg fortgehen, so werden sie wohl nie auf der Bühne glänzen. Vor Kurzem wurde die Ouvertüre zu seiner Oper Fidelio, die man nur einige Male aufgeführt hatte, im Augarten gegeben, und alle parteylosen Musikkenner [505] und Freunde waren darüber vollkommen einig, daß so etwas Unzusammenhängendes, Grelles, Verworrenes, das Ohr Empörendes schlechterdings noch nie in der Musik geschrieben worden sey. Die schneidendsten Modulationen folgen aufeinander in wirklich gräßlicher Harmonie, und einige kleinliche Ideen, welche auch jeden Schein von Erhabenheit daraus entfernen, worunter z.B. ein Posthornsolo gehört, das vermuthlich die Ankunft des Gouverneurs ankündigen soll!!! vollenden den unangenehmen, betäubenden Eindruck. Es sind nicht Hrn. v. Beethovens nahe Freunde, die solche Dinge bewundern, vergöttern, ihre Ansicht Anderen gleichsam im Sturme aufdringen, mit neidischem Hasse jedes andere Talent verfolgen und auf den Trümmern aller anderen Componisten nur B-n einen Altar errichten möchten. Alles, was gerade in den B.'schen Kunstschöpfungen offenbar nicht schön genannt werden kann, weil es dem gebildeten Schönheitssinne durchaus widersteht, wollen sie unter die weitere Sphäre des Großen und Erhabenen bringen, als wenn nicht eben das wahre Große und Erhabene einfach und anspruchslos wäre. Ref. hat schon oft genug seine Achtung gegen B'ns Genie und seine Liebe für einzelne sehr schöne B.'sche Instrumental-Compositionen zu erkennen gegeben, und er bedauert um so mehr, daß B-n so eigensinnig gerade diesen Weg des Schwierigen, Grellen und Sonderbaren wandelt, der von der wahren Schönheit am sichersten entfernt. Diese klare Schönheit ohne Weichlichkeit, diese kräftige und doch nicht überladene Anwendung aller Instrumente, ein volles inneres Leben ohne erkünstelte Spannung und Ueberspannung ward in einer herrlichen Ouvertüre von Andreas Romberg sichtbar, die der Beethoven'schen zum vollen Gegenstücke dienen kann. Und doch ward ihr nicht der ganze Beifall, den sie verdiente und sonst überall erhalten wird!«

Heute ist man anderer Meinung.

Folgende Briefe Beethovens an Sebastian Meyer, die hier nach Otto Jahns Abschriften mitgeteilt werden, beziehen sich auf die Wiederaufnahme des Fidelio.

»Lieber Mayer.

(ohne Datum)


Baron Braun läßt mir sagen, daß meine Oper Donnerstags soll gegeben werden; die Ursache warum werde ich Dir mündlich sagen – ich bitte Dich nun recht sehr, Sorge zu tragen, daß die Chöre noch besser probirt werden, denn es ist das letztemal tüchtig gefehlt worden, auch müssen wir Donnerstags noch eine Probe mit dem ganzen Orchester auf dem Theater haben, es war zwar vom Orchester nicht gefehlt worden, aber – auf dem Theater mehrmal; doch das war nicht zu fordern, da die Zeit zu kurz war. Ich mußte es aber [506] darauf ankommen lassen, denn B. Braun hatte mir gedroht, wenn die Oper Sonnabends nicht gegeben würde, sie gar nicht mehr zu geben. Ich erwarte von Deiner Anhänglichkeit und Freundschaft, die Du mir sonst bewiesen, daß Du auch jetzt für diese Oper sorgen wirst; nach dem braucht die Oper dann auch keine solche Proben mehr und ihr könnt sie aufführen wann ihr wollt. Hier zwei Bücher, ich bitte Dich eines davon – zu geben. Leb wohl, lieber Mayer, und laß Dir meine Sache angelegen sein.

Dein Freund

Beethoven.«


»Lieber Mayer! Ich bitte Dich Hrn. v. Seyfried zu ersuchen, daß er heute meine Oper dirigirt, ich will sie heute selbst in der Ferne ansehen und. hören, wenigstens wird dadurch meine Geduld nicht so auf die Probe gesetzt, als so nahe bei meine Musik verhunzen zu hören! – Ich kann nicht anders glauben, als daß es mir zu Fleiß geschieht. Von den blasenden Instrumen ten will ich nichts sagen, aber – daß alle pp, crescendo, alle decres. und alle forte, ff aus meiner Oper ausgestrichen; sie werden doch alle nicht gemacht. Es vergeht alle Lust weiter etwas zu schreiben, wenn mans so hören soll! Morgen oder übermorgen hole ich Dich ab zum Essen. Ich bin heute wieder übel auf.


Dein Freund

Beethoven.


P. S. Wenn die Oper übermorgen sollte gemacht

werden, so muß Morgen wieder Probe im Zimmer

davon sein, sonst geht es alle Tage schlechter!«


Seyfrieds eigenhändiges Verzeichnis sämtlicher Aufführungen im Theater an der Wien während einer langen Reihe von Jahren nennt »Sargino« statt Fidelio für den von Beethoven bei dem Worte »übermorgen« gemeinten Samstag, und »Agnes Bernauer« für den folgenden Sonntag und Montag. Daß dieses alte, sehr bekannte Schauspiel in dieser Weise wiederholt wurde, läßt uns mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten, daß eine Oper, und zwar wie wir glauben Fidelio, »wegen plötzlich eingetretener Hindernisse« zurückgezogen wurde, als es bereits zu spät war, eine andere an deren Stelle zu setzen. Jedenfalls war die Aufführung des Fidelio, welche Donnerstag den 10. April stattfand, die letzte. Für diesen Umstand liegen uns zwei Erklärungen vor, die eine in dem oben mitgeteilten Briefe Breunings, und die andere in Röckels Brief an den Verfasser. Breuning schreibt es den Feinden des Komponisten zu, einer Kabale, veranlaßt durch Mitwirkende, die von Beethoven »besonders bei der zweiten Vorstellung« beleidigt waren; Röckel gibt Beethovens eigene Torheit und Unvorsichtigkeit als den Grund an.

[507] Breuning, als Hofkriegssekretär, konnte in jenen traurigen Tagen während der französischen Okkupation und unmittelbar nachher wenig Muße für Theaterangelegenheiten haben; wir sind überrascht, zu erfahren, daß er für die Revision des Fidelio-Textes Zeit fand; er kann seinen Bericht kaum auf etwas anderes hin, als auf Grund der Darstellung seines Freundes geschrieben haben, und dieser war, wie wir ihn kennen, der letzte, um einzugestehen, daß er im Unrechte sei. Röckel hingegen blickte in doppeltem Sinne hinter die Kulissen; er sang die Partie des Florestan; und während, wie er uns schreibt, Beethovens Freunde »zum größten Theil verheirathete Männer waren, die nicht in der Lage waren mit ihm spazieren zu gehen und auswärts zu diniren, konnte ich, gleich ihm ein Junggeselle, den er liebgewonnen hatte, ihn schon morgens besuchen und bei gutem Wetter auf dem Lande mit ihm umherstreifen und zu Mittag essen«. Breuning und Röckel waren in gleicher Weise Männer von der lautersten Wahrheitsliebe; der letztere aber spricht in diesem Falle auf Grund genauerer persönlichen Kenntnis und Beobachtung.

Breunings Angabe ist aber auch durchaus unwahrscheinlich. Wer waren denn Beethovens Feinde? wer bildete die Kabale? Baron Braun, Schikaneder, Seyfried, der Regisseur Meyer, Direktor Clement, die Solisten Mlle. Milder, Weinkopf, Röckel waren sämtlich seine Freunde; und nach allem bisher Bekannten gilt das gleiche von Mlle. Müller, Rothe und Caché. Was das Orchester und den Chor betrifft, so konnten sie sich wohl weigern, unter Beethovens Leitung zu spielen oder zu singen, mehr aber nicht; und da er schon vier-, wenn nicht fünfmal dirigiert hatte, so konnte dies keine große Schwierigkeit machen, da der Dirigentenstab bei der ersten oder zweiten folgenden Aufführung notwendig in die Hände Seyfrieds übergehen mußte. Überdies lag es im gegenwärtigen Momente, wo die Oper glücklich ins Repertoire aufgenommen war und ihren Erfolg hatte, im Interesse aller Beteiligten, von Baron Braun bis abwärts zu den Maschinisten, dieselbe so lange aufzuführen, als sie ein Auditorium herbeizog. Daß die Oper aber Erfolg hatte, wird nicht allein durch alle gleichzeitigen Berichte bestätigt, sondern auch durch den Umstand, daß trotz der notwendigerweise leeren Häuser im November 1805 Beethovens Anteil am Gewinn schließlich bis auf 200 Gulden sich belief.

In dem zweiten der oben mitgeteilten Briefe an Meyer macht sich Beethoven einer unerhörten Ungerechtigkeit schuldig. Eine kurze Betrachtung wird dies zeigen. Orchester und Chor hatten den Fidelio in seiner [508] ersten Gestalt sorgfältig eingeübt und ihn dreimal öffentlich aufgeführt. Seitdem waren, wie man aus unseren Nachweisen (S. 477 ff.) sehen kann, die meisten, ja vielleicht sämtliche Nummern mehr oder weniger verändert worden. Nun weiß jeder Musiker, daß es leichter ist, ein neues Musikstück richtig vom Blatt zu spielen, als eine bereits wohlbekannte Komposition, mit welcher wesentliche Veränderungen vorgenommen worden sind. Und während also etwa 40 Männer, welche die verschiedensten Instrumente spielten, nach einer einzigen Probe, bei welcher der Komponist nicht zugegen war, um seine Intentionen mitzuteilen, noch nicht die Unmöglichkeit erklärten, die Musik richtig zu lesen und zu gleicher Zeit alle die Andeutungen über den Ausdruck zu berücksichtigen, schreibt Beethoven: »Ich kann nicht anders glauben, als daß es mir zu Fleiß geschieht!«

In Anbetracht aller dieser Umstände kann man nicht zweifeln, daß das Zeugnis des Sängers des Florestan hier vor dem des Hofkriegssekretärs den Vorzug verdient.

»Als die Oper im Anfange des folgenden Jahres aufgeführt wurde«, schreibt Röckel, »wurde sie in hohem Grade wohl aufgenommen von einem ausgewählten Publicum, welches mit jeder Wiederholung zahlreicher und enthusiastischer wurde, und sie würde ohne Zweifel eine Lieblingsoper geworden sein, wenn nicht der böse Geist des Componisten dies verhindert hätte; und da er (Beethoven) für sein Werk, anstatt mit einem bloßen Honorar, mit einem Antheil am Gewinne bezahlt wurde, ein Vortheil, dessen noch keiner vor ihm theilhaft geworden war, so würde sie seinen pecuniären Verhältnissen erheblich zu Statten gekommen sein. Da er noch keine Erfahrung in Bühnenangelegenheiten besaß, so schätzte er die Einnahmen des Hauses weit höher, wie sie in Wirklichkeit waren; er glaubte sich bei seinem Antheile betrogen, und ohne über einen so delicaten Punct seine wirklichen Freunde zu Rathe zu ziehen, eilte er zu Baron Braun, jenem hochherzigen und ehrenwerthen Edelmann, und legte ihm seine Klage vor. Da der Baron Beethoven aufgeregt sah und seine argwöhnische Natur kannte, so that er, was er konnte, um ihn von seinem Verdachte gegen seine Beamten abzubringen, von deren Ehrenhaftigkeit er überzeugt war. Wäre irgend ein Betrug vorhanden, sagte der Baron, so würde sein eigener Verlust ohne Vergleich beträchtlicher sein als der Beethovens. Er hoffe, daß die Einnahmen mit jeder Aufführung sich vermehren würden; bis jetzt wären nur die ersten Ränge, die Sperrsitze und das Parterre besetzt gewesen; nach und nach würden die oberen Ränge in gleicher Weise ihren Beitrag liefern. Ich schreibe [509] nicht für die Gallerien, rief Beethoven aus. Nicht? erwiederte der Baron; selbst Mozart verschmähte es nicht, für die Gallerien zu schreiben. Damit war es aus. Ich werde die Oper nicht mehr geben, sagte Beethoven; ich verlange meine Partitur zurück. Nach diesen Worten zog Baron Braun die Klingel, gab den Befehl, dem Componisten die Partitur herauszugeben, und die Oper wurde für eine lange Zeit der Vergessenheit übergeben.

Nach diesem Auftritt Beethovens mit Baron Braun könnte man schließen, er habe sich durch den Vergleich mit Mozart beleidigt gefunden; da er aber Mozart hoch verehrte, so stieß er sich vielleicht mehr an die Art, wie ihm dies gesagt wurde, als an den Inhalt der Worte selbst. Er sah nun sehr wohl ein, daß er in der Hitze sehr unüberlegt und gegen sein eigenes Interesse gehandelt habe, und aller Wahrscheinlichkeit nach würden beide Theile durch die Vermittlung seiner Freunde sich wieder genähert haben, wäre Baron Braun nicht gleich darauf von der Direction der vereinigten Theater ganz zurückgetreten, was eine totale Veränderung der Verhältnisse herbeiführte.«

In der Tat hatte Beethoven über das Ziel geschossen. Schon die Ouvertüre war zu neu in ihrer Form, zu gewaltig in ihrem Inhalte, um unmittelbar verstanden zu werden; und im Jahre 1806 gab es wohl in ganz Europa kein Publikum, welches imstande gewesen wäre, in dem Feuer und dem tiefen Ausdrucke der hauptsächlichsten Vokalnummern einen entsprechenden Ersatz für die oberflächliche Anmut und die melodischen Reize der beliebten Tagesopern zu finden, Eigenschaften, welche den meisten im Fidelio zu fehlen schienen.

Selbst Cherubini, der während dieser ganzen Zeit sich in Wien befand, war nicht imstande, vollständig ein Werk zu begreifen, welches, obgleich es ein erstes und nur ein Versuch war, doch zu einer immer wachsenden Popularität zu gelangen bestimmt war, während beinahe alle seine eigenen, damals allgemein bewunderten Opern von der Bühne verschwunden sind. Schindler berichtet, Cherubini habe den Pariser Musikern von der Ouvertüre gesagt, »daß er wegen Bunterlei an Modulationen darin die Haupttonart nicht zu erkennen vermocht«. Daß ferner Cherubini bei Anhörung des Fidelio zu dem sicheren Schluß gelangt sein wollte, dessen Autor habe sich bis dahin noch viel zu wenig mit dem Studium der Gesangskunst befaßt, woran Salieri, der einstige Führer in dieser Abteilung, nicht schuld gewesen sei, haben wir bereits früher (S. 485) mitgeteilt.

[510] Im Jahre 1836 hatte Schindler jene Unterredung über diesen Gegenstand mit der Sängerin des Fidelio von 1805–6, Frau Milder-Hauptmann, wo nach dieselbe nach wiederholten vergeblichen Kämpfen wegen der E-Dur-Arie erst durch entschiedene Weigerung, dieselbe in der vorliegenden Gestalt zu singen, den Komponisten zu Änderungen vermochte5.

Der verstorbene Anselm Hüttenbrenner, welcher ein Dutzend Jahre später Salieris Schüler wurde, schreibt in einem Briefe an Ferdinand Luib vom 21. Februar 1858: »Von Beethoven erzählte mir Salieri, daß er ihm den Fidelio zur Begutachtung vorgelegt habe: er hätte daran manche Ausstellungen gemacht und dem Beethoven gerathen, dies und jenes zu ändern; aber Beethoven ließ den Fidelio gerade so aufführen, wie er ihn geschrieben hatte, und – besuchte Salieri nicht mehr.« Diese letzten Worte sind übertrieben; Beethovens Groll gegen seinen alten Lehrer war bald vergessen. Moscheles schreibt am 28. Februar 1858, ebenfalls in einem Briefe an Luib: »Ich erinnere mich nicht, Schubert bei Salieri gesehen zu haben, während ich mich des interessanten Umstandes entsinne, einmal bei Salieri ein Blatt liegen gesehen zu haben, auf welchem von Beethovens Hand mit kolossalen Lettern geschrieben war: ›Der Schüler Beethoven war da!‹«

Nachstehender Brief an Baron von Braun6 bezieht sich noch auf die vorher geschilderten Verhältnisse.

»A Monsieur le Baron de Braun.

Hochwohlgebohrner

Herr Baron!


Ich bitte Sie, mir die Gefälligkeit zu erweisen und mir nur ein paar Worte von Ihrer Schrift zukommen zu lassen, worin Sie mir die Erlaubniß ertheilen, daß ich folgende Stimmen: nemlich:Flauto primo, die 3 Posaunen, und die vier Hornstimmen, von meiner Oper, aus der Theater-Kanzley von der Wieden, kann holen lassen – ich brauche diese Stimmen nur auf einen einzigen Tag, um diejenigen Kleinigkeiten für mich abschreiben zu lassen, welche sich des Raumes wegen nicht in die Partitur eintragen ließen, zum Theil auch, weil Fürst Lobkowitz einmal gedenkt die Oper bei sich zu geben, und mich darum ersucht hat – ich bin eben nicht ganz wohl auf, sonst wäre ich selbst gekommen, ihnen meine Aufwartung zu machen –

mit der größten

Hochachtung

Ludwig van Beethoven.


[511] Flauto primo | die drey Trombonen

die vier Horn-Stimmen –«


Von außen in anderer Schrift:


»den 5ten May 1806 verabfolgt.

Fidelio.«


Es waren aber noch andere Gründe, welche Beethoven veranlaßten, seine Partitur zu vervollständigen. Ob die Oper in dem Lobkowitzschen Palaste überhaupt aufgeführt wurde, wird nicht berichtet; Breuning aber schließt seinen Brief vom 2. Juni mit den Worten: »Ich will Euch nur die Nachricht schreiben, daß Lichnowsky die Oper jetzt an die Königin von Preußen geschickt hat, und daß ich hoffe, die Vorstellungen in Berlin werden den Wienern erst zeigen, was sie hier haben.« Breunings Hoffnung war eine vergebliche; die Oper wurde nicht in Berlin gegeben.

Die chronologische Folge der Tatsachen verlangt eine vorübergehende Erwähnung eines Familienereignisses, welches sich schließlich als eine Veranlassung unendlicher Verwirrungen und Verdrießlichkeiten für Beethoven und alle, welche durch die Bande der Verwandtschaft und Freundschaft an ihn gefesselt waren, erwies. Ob der Gehalt seines Bruders Karl die Summe von 250 Gulden überschritten hatte, ehe er im Jahre 1809 als Liquidationsadjunkt mit 1000 Gulden und 160 Gulden Quartiergeld angestellt wurde, ist nicht bestimmt zu erweisen; wahrscheinlich aber war es geschehen. Mag dem jedoch sein wie ihm wolle, er fand sich nunmehr in der Lage, sich verheiraten zu können, und am 25. Mai »wurde beschlossen der Ehevertrag zwischen Carl Caspar v. Beethoven, K. K. Kassenbeamter, und Johanna Reiß, Tochter des Anton Reiß, bürgl. Tapezierer, allhier [Wien] und der Theresia Reiß; Zeugen Joseph Wirsch und Joseph Gänzer, K. K. Kassaofficier«. Ihr einziges Kind, ein Sohn, wurde nach Ausweis des Taufscheins, welchen Thayer »nach ungeduldigem Warten« endlich am 30. Oktober 1880 durch Joseph Labor erhielt, am 4. September 1806 geboren. Die Jahrzahl 1807 der ersten Auflage mit Berufung auf F. Luib ist falsch, obgleich sie das Fischhoffsche Manuskript in folgender Weise bestätigt: »Karl van Beethoven geboren den 4. September 1807.« Übrigens gab schon Karls Witwe dem Verfasser als das richtige Datum den 4. September 1806 an, und dieses Datum wird auch weiter bestätigt durch ein Konversationsbuch aus dem September 1823, worin Karl selbst schreibt: »Heute ist mein 17ter Geburtstag.« [512] Die Anzeige von seinem Tode, am 13. April 1858, gibt sein Alter auf 51 Jahre an7.

Reiß war ein Mann von einem für seine Lebenssphäre beträchtlichen Vermögen und, wie es heißt, imstande, seiner Tochter ein Heiratsgut von 2000 Gulden mitzugeben; es scheint auch, daß das wertvolle Haus in der Alservorstadt, welches Karl zur Zeit seines Todes gehörte, ein Erbstück seiner Frau aus dem Vermögen ihres Vaters war; in der Tat war ihr die Hälfte des Eigentumsrechts an demselben gesetzlich gesichert. Über diese Heirat und ihre Folgen ist so viel Leichtfertiges und Verkehrtes geschrieben worden, daß es passend erscheint, hier folgendes hinzuzufügen. Karl van Beethovens Charakter und Gemütsart war nicht von der Beschaffenheit, eine Frau dauernd glücklich zu machen; andererseits entehrte ihn seine Frau noch vor dem Tode ihres Gatten durch ein Verhältnis zu einem Studenten der Medizin. Doch ist auch nicht der geringste Grund zu der Annahme vorhanden, daß die Heirat nicht zu der Zeit, wo sie geschlossen wurde, für alle und von allen, die dabei interessiert waren, als eine gute angesehen wurde. Gewisse von Ludwig van Beethoven geschriebene Worte, welche man zum Beweise des Gegenteils angeführt hat, beziehen sich nicht auf Karl und sind daher ohne Gewicht.

Die Nachrichten über Beethovens eigene Erlebnisse während dieses Jahres sind spärlich. Fidelio und Studien zu Instrumentalkompositionen beschäftigten ihn während des Winters 1805 – 6, doch nicht so ausschließlich, daß er den Ansprüchen des geselligen Verkehrs nicht hätte entsprechen können.

Breunings Mitteilung (2. Juni), Beethoven habe einen großen Teil seiner Luft und Liebe zur Arbeit verloren, hatte gerade damals aufgehört, der Wahrheit zu entsprechen. Am 26. Mai war das erste der Rasumowskyschen Quartette angefangen worden, und mit diesem begann eine Reihe von Werken, welche das Jahr 1806 als eine Zeit von erstaunlicher Produktivität kennzeichnen.

Die erste Auflage dieses Bandes mußte eine Lücke in den Briefen und Aufzeichnungen Beethovens konstatieren vom Mai, wo er (in den ersten Tagen) an Baron Braun schrieb bis zum 1. November, wo er[513] Thomson schrieb (s. unten). Wenn auch schon letzterer Brief und ein Brief Breunings an Wegeler aus dem Oktober bestimmt erweisen, daß Beethoven im Sommer in Schlesien war, so informieren uns doch zwei inzwischen bekannt gewordene Briefe an die Firma Breitkopf und Härtel noch genauer über den Zeitpunkt. Der erste datiert Wien, 5. Juli 1806, erweist zugleich bestimmt, daß Beethoven nicht am 5. Juli 1806 morgens 4 Uhr nach beschwerlicher Reise in einem ungarischen oder auch böhmischen Badeorte angekommen sein kann, also der Liebesbrief (S. 300) nicht 1806 geschrieben ist.


»Wien am 5ten Juli 1806.


P. P.


Ich benachrichtige sie, daß mein Bruder in Geschäften seiner Kanzley nach Leipzig reist und ich habe ihm die overtur von meiner oper im Klavierauszug, meinoratorium und ein neues Klavierkonzert8 mitgegeben – auch können sie sich mit demselben auf neue Violinquartette9 einlassen, wovon ich eins schon vollendet und jetzt fast meistens mich gedenke mit dieser Arbeit zu beschäftigen. – Sobald sie einig mit meinem Bruder werden, schicke ich ihnen den ganzen Klavierauszug der oper – auch können sie die Partitur haben –

ich höre daß man in der Musikal. Zeitung so über die Sinfonie, die ich ihnen vorigs Jahr geschickt, und die sie mir wieder zurückgeschickt10 so loßgezogen hat, gelesen habe ichs nicht, wenn sie glauben daß sie mir damit schaden, so irren sie sich, vielmehr bringen sie ihre Zeitung durch so etwas in Mißkredit – um so mehr, da ich auch gar kein Geheimniß daraus gemacht habe, daß sie mir dieseSinfonie mit andern Kompositionen zurück. geschickt hätten – Empfehlen sie mich gütigst Hrn. v. Rochlitz, ich hoffe sein böses Blut gegen mich wird sich etwas verdünnt haben, sagen sie ihm, daß ich gar nicht so unwissend in der ausländischen Litteratur wäre, daß ich nicht wüßte Hr. v. Rochlitz habe recht sehr schöne Sachen geschrieben, und sollte ich noch einmal nach Leipzig kommen, so bin ich überzeugt, daß wir gewiß recht gute Freunde, seiner Kritik unbeschadet und ohne Eintrag zu thun, werden – auch Herrn Kantor Müller11, für den ich viel Achtung habe – bitte ich mich zu empfehlen – leben sie wohl.


mit Achtung ihr ergebenster

Ludwig van Beethoven.


(obendrein: wenn aus dem Handel mit meinem Bruder etwas richtig wird, so mögte ich die gedruckten Haydnischen und Mozartischen Partituren von ihnen.)«


[514] Der zweite Brief bringt uns zwar ein neues Beispiel Beethovenscher Falschdatierung, sofern er unmöglich am 3. Heu-Monath (Juli) geschrieben sein kann, da er inhaltlich an den vom 5. Juli anknüpft – es muß natürlich statt »Heu-Monath« heißen »Herbst-Monath« (September)12 – ist aus dem Fürstlich Lichnowskyschen Schlosse Grätz bei Troppau geschrieben, bestimmt also genauer die Zeit für die gleich zu berichtende Brouillierung mit Lichnowsky. Er lautet:


»Grätz am 3ten Heu-Monath 1806.


P. P.


Etwas viel zu thun und die kleine Reise hierher13 konnte ich ihren Brief nicht gleich beantworten – obschon ich auf der Stelle entschlossen war, ihre Anerbietungen einzugehen, indem selbst meine Gemächlichkeit bei einem solchen Vorschlage gewinnt, und manche unvermeidliche Unordnung hinwegfällt – ich verpflichte mich gern in Deutschland niemand anderem mehr meine Werke als ihnen zu geben, auch selbst auswärts nicht anders als in diesen hier jetzt ihnen angezeigten Fällen: nemlich: indem mir vortheilhafte Anerbietungen von auswärts von Verlegern gemacht werden, werde ich es ihnen zu wissen machen; und sind sie anders gesinnt dafür, so werde ich gleich ausmachen, daß sie dasselbe Werk in Deutschland für ein geringeres honorar von mir ebenfalls erhalten können – Der zweite Fall ist: falls ich von Deutschland auswandere, welches wohl geschehen kann, daß sie ebenfalls wieder wie oben auch wieder, wenn sie Luft dazu haben, daran Theil nehmen können – Sind ihnen diese Bedingungen recht, so schreiben sie mir – ich glaube daß es so ganz zweckmäßig für sie und mich wäre – sobald ich ihre Meinung hierüber weiß – können sie also gleich von mir 3 Violinquartette, ein neues Klavierkonzert, eine neue Sinfonie14, die Partitur meiner Oper und mein oratorium haben –

in Ansehung H. v. Rochlitz haben sie mich mißverstanden, ich habe ihn wirklich von Herzen ohne alle Nebenabsichten oder Mißdeutungen grüßen lassen – ebenso H. Müller, für den ich viel Künstler-Achtung hege – Sollten sie mir sonst etwas Interessantes mittheilen können, so werden sie mir ein großes Vergnügen gewähren –


mit wahrer Hochachtung

ihr

Ludwig van Beethoven.


[515] NB. Mein jetziger Aufenthalt ist hier in Schlesien, so lange der Herbst dauert – bey Fürst Lichnowsky – der sie grüßen lässt15 – Meine adresse ist an L. v. Beethoven in Troppau –.«


Auffallend ist hier, daß die im vorigen Briefe angekündigte Reise Karls nach Leipzig mit keinem Worte wieder erwähnt wird. Möglicherweise ist dies der Moment der ernstlichen Entfremdung der Brüder, vielleicht mit infolge von Karls am 25. Mai erfolgter Verheiratung. Der Manuskriptdruck der Breitkopf und Härtelschen Tonkünstler-Briefe bestätigt ausdrücklich (S. 103): »Bis zum Jahre 1805 hat sich Carl van Beethoven – der sich als ›Kassenbeamter‹, wie er sich unterzeichnet, augenscheinlich besser auf Geschäfte verstand als sein großer Bruder – mehrfach am Briefwechsel mit der Leipziger Firma betheiligt.«

Ein dritter Brief an dieselbe Firma vom 18. November 1806 füllt zwar nicht mehr die erwähnte Lücke aus, steht aber in enger Beziehung zu den beiden vorigen und leitet zugleich zu den Verhandlungen mit Thomson über. Auch er mag darum hier vollständig folgen:


»

P. P.


Theils meine Zerstreuungen in Schlesien, theils die Begebenheiten ihres Landes16 waren die Schuld, daß ich ihnen noch nicht auf ihren letzten Brief antwortete – ist es, daß die Umstände sie verhindern etwas mit mir einzugehen, so sind sie zu nichts gezwungen – nur bitte ich sie gleich mit der nächsten Post zu antworten, damit, falls sie sich nicht mit mir einlassen wollen – ich meine Werke nicht brauche liegen zu lassen – in Rücksicht eines Kontraktes auf 3 Jahre wollte ich diesen wohl gleich mit ihnen eingehen, wenn sie sich gefallen lassen wollten, daß ich mehrere Werke nach England oder Schottland oder Frankreich verkaufte. Es versteht sich, daß die Werke, die sie von mir erhalten oder die ich ihnen verkaufte, auch bloß ihnen allein gehörten, nemlich: durchaus ganz ihr Eigenthum und nichts mit denen von Frankreich oder England oder Schottland gemein hätten – nur müßte mir Freiheit bleiben, auch andere Werke in die genannten Länder zu veräußern – Doch in Deutschland wären sie der Eigenthümer meiner Werke und kein einziger anderer Verleger – Gerne würde ich den Verkauf meiner Werke in jenen Ländern versagen, allein ich habe z.B. von Schottland aus so wichtige Anträge und ein solches honorar, wie ich von ihnen doch nie fordern könnte, dabey ist eine Verbindung mit dem Auslande für den Ruhm eines Künstlers, und im Fall er eine Reise macht, immer wichtig – Da ich z.B. bey den Anträgen von Schottland noch die Freiheit habe, dieselben Werke in Deutschland und Frankreich zu verkaufen, so könnten sie z.B. diese für Deutschland [516] und Frankreich gern von mir erhalten – so daß ihnen für ihren Absatz alsdann nur London und vielleicht Edinburgh (in Schottland) abgingen – Auf diese Art wollte ich recht gern den Kontrakt auf 3 Jahre mit ihnen eingehen, sie würden noch immer genug von mir bekommen – da die Bestellungen jener Länder doch manchmal mehr in einem individuelleren Geschmack gefordert werden, welches wir in Deutschland nicht nöthig haben – übrigens aber glaube ich, daß das Kontraktschließen gar nicht nöthig wäre und daß sie sich ganz auf mein Ehrenwort, was ich ihnen hiermit gebe, verlassen sollten, daß ich ihnen in Deutschland vor allen den Vorzug gebe; versteht sich daß an diesen Werken weder Frankreich noch Holland Theil nehmen können – und sie der alleinige Eigenthümer sind – Halten sie es nun wie sie wollen hierin – nur macht das Kontraktschließen eine Menge Umstände, das Honorar würde ich ihnen für jedes Werk anzeigen – und so billig als möglich – Für jetzt trage ich ihnen 3 Quartette und ein Klavierkonzert an – die versprochene Sinfonie kann ich ihnen noch nicht geben, weil ein vornehmer Herr sie von mir genommen, wo ich aber die Freiheit habe, sie in einem halben Jahr herauszugeben – Ich verlange von ihnen 600 fl. für die drey Quartette und 300 fl. für das Konzert beyde Summen in Konvenzions-Gulden nach dem zwanzig Gulden-Fuß – Das liebste wäre, wenn sie Aviso gäben, daß das Geld bei ihnen oder einem sonst bekannten Wechsler erliege, worauf ich alsdann einen Wechsel von hier nach Leipzig ausstellen würde – Sollte ihnen dieser Weg nicht recht seyn, so kann ich auch geschehen lassen, daß sie mir für die Summe im 20 K.-Gulden einen nach dem Kurse richtig berechneten Wechsel zuschicken.

Vielleicht ist es möglich daß ich die Sinfonie vielleicht darf bälder stechen lassen als ich hoffen durfte bisher, und dann können sie solche bald haben – Antworten sie mir nur bald – damit ich nicht aufgehalten werde – übrigens seyn sie überzeugt, daß ich immer ihre Handlung allen andern gern vorziehe und ferner vorziehen werde –


mit Achtung ihr ergebenster Diener

L. v. Beethoven.

Wien am 18ten November

1806.«


Es erfolgte keine Einigung, und die Werke gingen in den Verlag des Industriekontors über.

Die bestimmte Behauptung der ersten Auflage (S. 311), daß Beethoven 1806 keine Sommerwohnung bezogen habe, bedarf doch übrigens der Revision. Leider war Ries 1806–8 nicht in Wien; es fehlen also hier seine ergiebigen Auskünfte. Auch Breunings Brief an Wegeler vom 2. Juni 1806 bringt keine Aufklärung, da er nur lakonisch bemerkt, daß Beethoven einen Teil seiner Luft und Liebe zur Arbeit durch den vielen Ärger mit der Oper und ihre geringen pekuniären Erfolge verloren habe; der unten angezogene Brief Breunings an Wegeler aus dem Oktober 1806, wo Beethoven noch in Schlesien war, sagt zwar, »nach seinem [517] Briefe zu urtheilen, hat der Aufenthalt auf dem Lande ihn nicht erheitert«, aber dieser »Landaufenthalt« ist vielleicht der in Grätz. Da aber die letzte Aufführung der Leonore am 10. April stattfand, so ist doch der Beweis erst noch zu erbringen, daß er nicht noch im April sich seiner Gewohnheit gemäß in einen der Vororte Wiens geflüchtet hat. Ob er Karls Hochzeit beigewohnt hat, wissen wir nicht; der Brief an Breitkopf und Härtel vom 5. Juli beweist aber, daß zu der Zeit die Beziehungen zu ihm noch nicht abgebrochen waren. Die Datierung des Briefes aus Wien ist wohl kein strenger Beweis, daß er nicht eine Sommerwohnung bezogen. Schindlers erster Bericht (1840, S. 63) von einer Reise 1806 nach einem ungarischen Bade wegen des immer mehr zunehmenden Ohrenübels ist diskreditiert durch die unhaltbare Angabe, daß er dort den Liebesbrief geschrieben und zwar an Giulietta Guicciardi; in der dritten Auflage (1806, S. 138) hat er zwar den Liebesbrief ausgeschaltet, hält aber die Reise nach Ungarn aufrecht, die sich nun in eine kurze Rast nach den Strapazen der Oper bei seinem Freunde Brunswik verwandelt hat. Das sieht wohl so aus, als ob er von Beethoven selbst eine Angabe über eine Reise nach Ungarn 1806 erhalten habe. Dieselbe müßte dann vor dem Juli erfolgt sein, oder aber direkt vor der Reise nach Grätz, die er aber wohl mit Lichnowsky machte. Dazu kommt, daß der Brief an Breitkopf und Härtel vom 3. September 1806 nichts von Ungarn sagt, wohl aber von »etwas viel zu thun« (vor der Abreise) spricht. Auch hier gibt also Schindlers Angabe, »Von dort reiste er nach Schlesien auf das Gut des Fürsten Lichnowsky in der Nähe von Troppau«, zu Zweifeln Anlaß. Hätte Beethoven, als er zum Anfang des Quintetts Op. 59, I schrieb: »angefangen 26. May 1806« eine Ortsangabe hinzugefügt, so würden wir wohl wissen, wo er vor dem Juli seine Sommerwohnung genommen hatte (am 25. Mai war Karls Hochzeit).

Im Oktober schrieb Breuning an Wegeler: »Beethoven ist gegenwärtig beim Fürsten Lichnowsky in Schlesien und wird erst gegen Ende dieses Monats zurückkommen. Seine Verhältnisse sind jetzt nicht die besten, da seine Oper durch die Kabalen der Gegner selten aufgeführt worden ist, und ihm also nichts eingetragen hat. Seine Gemüthsstimmung ist meistens sehr melancholisch, und nach seinen Briefen zu urtheilen, hat der Aufenthalt auf dem Lande ihn nicht erheitert.«

Der Besuch beim Fürsten fand ein plötzliches Ende durch eine Szene, welche der gedankenlosen Sippschaft musikalischer Novellisten ein fruchtbares Thema abgegeben hat. Die schlichte Wahrheit berichtet Seyfried [518] im Anhange der »Studien« (S. 23), dessen Erzählung hier wörtlich folgt mit Einschaltung weniger zusätzlichen Notizen, welche der Verfasser einer Unterhaltung mit der Tochter des Grafen Moritz Lichnowsky verdankt.

»Wenn er [Beethoven] nicht eigentliche Lust fühlte, bedurfte es vielfältiger, und wiederhohlter Aufforderungen, um ihn nur erst ans Clavier zu bringen. Ehe er zu spielen begann, pflegte er mit der flachen Hand auf die Tasten zu schlagen, mit einem Finger darüber zu fahren, überhaupt allerley Kurzweil zu treiben, und solche, gewohnterweise, recht herzhaft zu belachen.«

»Während seines Sommeraufenthaltes auf den Gütern eines Mäcen ward ihm so arg zugesetzt, vor den anwesenden fremden Gästen [französischen Offizieren] sich hören zu lassen, daß er nun erst recht erboßt wurde, und das, was er eine knechtische Arbeit schalt, standhaft beharrlich verweigerte. Die gewiß nicht ernstlich gemeinte Drohung mit Hausarrest hatte zur Folge, daß Beethoven bei Nacht und Nebel über eine Stunde weit zur nächsten Stadt [Troppau] davonlief, und von dort wie auf Windesflügeln mit Extrapost nach Wien eilte17. Zur Genugthuung für erlittene Schmach mußte des Gönners Büste ein Sühnopfer werden. Sie fiel, in Trümmern zerschlagen, vom Schranke herab zur Erde.« Von derselben Szene erzählt Fräulein Giannattasio del Rio18 nach Beethovens eigenem Berichte: »In heiterer gesprächiger Stimmung erzählte uns Beethoven einmal [um 1816] von der Zeit, welche er bei Fürst Lichnowsky zubrachte. Von der Fürstin sprach er mit vieler Achtung. Er erzählte, wie einst der Fürst, bei dem während der Invasion der Franzosen mehre dieser Gäste sich befanden, ihn wiederholt nöthigen wollte, ihnen auf dem Clavier etwas vorzuspielen, er sich fest geweigert habe, was eine Scene zwischen ihm und dem Fürsten veranlaßte, worauf [519] B. rücksichtslos und plötzlich das Haus verließ. – Er äußerte einmal: mit dem Adel ist gut umzugehen, aber man muß etwas haben, worin man ihm imponire19

Ein Brief Beethovens vom 1. November dieses Jahres führt uns zu einem neuen Punkte. Bereits an einer früheren Stelle (S. 405 ff.) war von den Bestrebungen des Schotten Georg Thomson gesprochen worden, die alten schottischen Melodien wieder zum Leben zu erwecken. Sein Plan war eine möglichst vollständige Sammlung schottischer Musik. Mehrere Sammlungen, nach ihrer Ausdehnung und ihrem Verdienste verschieden, waren bereits früher veröffentlicht worden, doch alle, wie Thomson mit Recht bemerkt, mehr oder weniger unvollständig und mangelhaft.

Die Vorreden zu den verschiedenen Teilen von Thomsons Werk, wie sie nacheinander zwischen 1790 und 1800 erschienen, enthalten viele an sich sehr interessante Dinge, die jedoch nicht in eine Biographie Beethovens gehören. Einige Mitteilungen aus der Vorrede zu einer »Neuen Ausgabe« der beiden ersten Bände, datiert vom September 1803, genügen für unsern gegenwärtigen Zweck. Thomson sagt über frühere Sammlungen folgendes: »Mit sehr geringer Sorgfalt und Nachforschung angestellt, bestehen sie im Allgemeinen aus dem, was nur immer auf leichte Weise herbeizuschaffen war. In keiner der Sammlungen treffen wir eine Anzahl schöner Melodien ohne eine stärkere Beimischung unbedeutender und trivialer Stücke, und ebenso finden wir in keiner derselben Begleitungen zu den Gesängen, welche sowohl ge schickt gemacht als zu allgemeiner Verbreitung geeignet genannt werden könnten. Und, unter den Versen, welche den Melodien untergelegt sind, finden sich in allen Sammlungen gar viele, welche der Musik unwürdig sind. Eine Sammlung von sämmtlichen schönen Melodien sowohl klagenden als heiteren Charakters zu liefern, unvermischt mit trivialen und unbedeutenden, sowie die angemessenste und vollkommenste Begleitung mit Hinzufügung [520] charakteristischer Vor-und Nachspiele zu jeder Melodie, sowie den Melodien Texte von gleichem Werthe und wirklichem Interesse unterzulegen, welche in der That der Musik würdig wären, an Stelle der ungenießbaren oder tadelnswerthen Verse: das waren die Hauptabsichten bei der gegenwärtigen Veröffentlichung.«

Er beschreibt hierauf seine Bemühungen bei Ausführung seines Planes, sowohl alle möglichen Melodien zusammenzubringen als auch die einzelnen in ihren verschiedenen Gestalten, seine Beratungen mit Kennern, und die schließliche Auswahl derjenigen Gestalt, welche die einfachste, schönste und am meisten charakteristische zu sein schien20. Hierauf fährt er fort: »Die Symphonien und Begleitungen verlangten demnächst seine Sorgfalt. Zur Composition derselben trat er in Verhandlungen mit Herrn Pleyel welcher einen Theil seiner übernommenen Verpflichtung zur Zufriedenheit erfüllte; da er aber dann die Arbeit einstellte, fand es der Herausgeber nöthig, seine Blicke anderswohin zu wenden. Er war jedoch so glücklich, Herrn Koželuch und später Dr. Haydn zur Fortsetzung der Arbeit zu gewinnen, welche dieselbe in einer solchen Weise zu Ende führten, daß ihm kein Grund blieb, den Bruch des Engagements seitens des Herrn Pleyel zu bedauern.«

Ohne Zweifel würde sich Thomson noch früher an Haydn gewendet haben, wenn er voraus gewußt hätte, daß der große Meister sich zu einer solchen Arbeit herbeilassen würde. Das Erscheinen der beiden Bände von William Napier: »Original Scots songs, in three parts, the Harmony by Haydn« entfernte jeden Zweifel über diesen Punkt. Für Napier schrieb Haydn nur eine Violinstimme und einen bezifferten Baß, für Thomson hingegen eine vollständige Pianofortestimme, sowie solche für Violine und Violoncello, sodann Instrumentaleinleitungen und Nachspiele zu den einzelnen Gesängen.

Eine sehr eigentümliche Erscheinung bei diesem Unternehmen war die, daß die Komponisten der Begleitungen keine Kenntnis der Texte, und die Verfasser der Texte keine Kenntnis der Begleitungen hatten. In mehreren Fällen hatten die Dichter eine Strophe des ursprünglichen Textes als Muster für Metrum und Rhythmus; in allen anderen erhielten sie und die Komponisten übereinstimmend die bloße Melodie, und zur Unterstützung bei ihrer Arbeit nichts weiter als die italienischen Ausdrücke [521] Allegro, Moderato, Andante usw., sowie affettuoso, espressivo, scherzando und ähnliche. Dies gilt in gleicher Weise von den wallisischen und irischen Melodien. Beethoven begann seine Arbeiten für Thomson mit den letztgenannten. Die Vorrede zum ersten Bande, datiert »Edinburgh, 1814«, beginnt so:

»Viele Jahre sind vergangen, seitdem der Verfasser begann, irische Melodieen zu sammeln, von denen ungefähr 20, welche den Musikliebhabern in Schottland am meisten vertraut sind, in die Sammlung der schottischen Melodieen eingemischt sind. Er hatte nicht daran gedacht, eine getrennte oder eine ausgedehnte Sammlung irischer Melodieen zu veranstalten, bis der große schottische Barde im Verlaufe seiner Correspondenz mit ihm den Gedanken aussprach, und sich erbot, Texte für dieselben zu schreiben. Durch ein solches Anerbieten von Burns aufgemuntert, schickte er sich mit Eifer an, die Melodieen zu sammeln; und durch die Güte seiner musikalischen Freunde, ganz besonders durch die höchst dankenswerthen Bemühungen seines Freundes Dr. J. Latham zu Cork erhielt er eine große Mannigfaltigkeit der schönsten alten Melodieen, die in Irland theils gedruckt, theils handschriftlich existiren; und von Jahr zu Jahr vermehrte er die Zahl durch jedes ihm zu Gebote stehende Mittel. Dieselben wären schon viel früher der Oeffentlichkeit übergeben worden, wären nicht unvorhergesehene Umstände eingetreten, die ihr Erscheinen verspäteten. Sie wurden an Haydn geschickt, damit er sie zugleich mit den schottischen und wallisischen Melodieen mit harmonischer Begleitung versehe; doch nachdem jener hochgefeierte Componist den größeren Theil dieser beiden Arbeiten vollendet hatte, gestattete ihm seine geschwächte Gesundheit nur noch wenige der irischen Melodieen zu bearbeiten; und nach seinem Tode wurde es nöthig, einen anderen Componisten zu finden, welchem die Aufgabe, dieselben harmonisch zu bearbeiten, übertragen werden könne21.

Unter allen jetzt lebenden Componisten ist, wie von jedem einsichtigen und vorurtheilslosen Musiker anerkannt wird, der einzige, welcher denselben ausgezeichneten Rang einnimmt wie der verstorbene Haydn, Beethoven. Mit dem originellsten Genie und einer im höchsten Grade erfinderischen Phantasie vereinigt er tiefe Kenntnis, geläuterten Geschmack und enthusiastische Liebe zu seiner Kunst; so daß seine Compositionen, [522] gleich denen seines ruhmvollen Vorgängers, immer wieder gehört werden und jedesmal neues Vergnügen bereiten. An diesen Componisten also wendete sich der Herausgeber dringend um Ritornelle und Begleitungen zu den irischen Melodieen; und zu seiner unaussprechlichen Genugthuung unterzog Beethoven sich der Composition. Nach Jahren ängstlicher Erwartung und quälender Täuschungen, in Folge schlechter Beförderung von Briefen und Manuscripten, deren Grund in der unerhörten Schwierigkeit der Verbindung zwischen England und Wien lag, gelangten endlich die lang erwarteten Ritornelle und Begleitungen in die Hände des Herausgebers, nachdem vorher drei andere Exemplare auf dem Wege verloren gegangen waren.«

Gegen den Schluß der Vorrede sagt Thomson: »Nachdem der Band bereits gedruckt und einige Exemplare desselben versandt worden waren, bot sich eine Gelegenheit, denselben an Beethoven zu schicken, welcher die wenigen Ungenauigkeiten, die der Aufmerksamkeit des Herausgebers und seiner Freunde entgangen waren, verbesserte; er ist überzeugt, daß man auch nicht einen Irrthum darin finden wird.«

Auf diese Angelegenheit beziehen sich verschiedene Briefe Beethovens an Thomson, die wir an ihrer geeigneten Stelle mitteilen. Der erste derselben trägt das Datum:


»Wien, den 1. November22 1806.


Mein Herr!


Ein kleiner Ausflug, den ich nach Schlesien gemacht habe, ist die Ursache, daß ich es bis jetzt verschoben habe, auf Ihren Brief vom 1. Juli zu antworten. Endlich nach Wien zurückgekehrt, beeile ich mich Ihnen meine Bemerkungen und Entschlüsse über das, was Sie so gütig waren mir vorzuschlagen, zukommen zu lassen. Ich werde dabei alle die Offenheit und Genauigkeit anwenden, die ich in Geschäftsangelegenheiten liebe, und die allein jeder Klage von der einen oder der anderen Seite vorbeugen kann. Sie erhalten also, geehrter Herr, nachstehend meine Erklärungen:

1. Ich bin nicht abgeneigt, im Allgemeinen auf Ihre Vorschläge einzugehen.

2. Ich werde mich bemühen, die Compositionen leicht und angenehm zu machen, soweit ich es vermag und soweit es sich mit jener Erhabenheit und Originalität des Styles, welche nach ihrer eigenen Angabe meine Werke vortheilhaft characterisirt, und von welcher ich niemals hinabsteigen werde, vereinigen läßt.

[523] 3. Ich kann mich nicht entschließen für die Flöte zu arbeiten, da dieses Instrument zu beschränkt und unvollkommen ist.

4. Um den Compositionen, welche Sie veröffentlichen werden, mehr Mannigfaltigkeit zu geben und für mich selbst ein freieres Feld in diesen Compositionen zu haben, wo die Aufgabe, sie leicht zu machen, mich immer geniren würde, werde ich Ihnen nur drei Trios für eine Violine, Viola und Violoncell, sowie 3 Quintette für 2 Violinen, 2 Violen und ein Violoncell versprechen. Statt der übrigen drei Trios und drei Quintette werde ich Ihnen drei Quartette, und endlich zwei Sonaten für Clavier mit Begleitung und ein Quintett für 2 Violinen und Flöte liefern. Mit einem Worte, ich würde Sie bitten mit Rücksicht auf die zweite Lieferung der von Ihnen verlangten Compositionen sich völlig auf meinen Geschmack und meine Loyalität zu verlassen, und ich versichere Ihnen, daß Sie völlig zufrieden sein werden.

Wenn Ihnen schließlich diese Aenderung in keiner Weise convenirt, so will ich nicht mit Eigensinn auf derselben beharren.

5. Ich würde es gern sehen, wenn die zweite Lieferung der Compositionen sechs Monate nach der ersten veröffentlicht würde.

6. Ich bedarf einer deutlicheren Erklärung über den Ausdruck, den ich in Ihrem Briefe finde, daß kein unter meinem Namen gedrucktes Exemplar nach Großbritannien eingeführt werden solle; denn wenn Sie damit einverstanden sind, daß diese Compositionen auch in Deutschland und sogar in Frankreich veröffentlicht werden sollen, so sehe ich nicht ein, wie ich es werde verhindern können, daß Exemplare in Ihr Land eingeführt werden.

7. Was endlich das Honorar anbetrifft, so erwarte ich, daß Sie mir 100 Pfund Sterling oder 200 Wiener Ducaten in Gold anbieten werden, und nicht in Wiener Bankbillets, welche unter den gegenwärtigen Umständen zu viel verlieren; denn die Summe würde, wenn sie in diesen Billets bezahlt würde, ebenso wenig dem Werke angemessen sein, welches ich Ihnen liefern würde, wie dem Honorare, welches ich für alle meine anderen Compositionen erhalte. Selbst das Honorar für 200 Ducaten in Gold ist keineswegs eine übermäßige Bezahlung für alles, was erforderlich ist, um ihren Wünschen Genüge zu leisten.

Am besten wird sich schließlich die Bezahlung ein richten lassen, wenn Sie zu der Zeit, wo ich Ihnen die erste und zweite Lieferung der Compositionen schicke, mir jedesmal mit der Post einen Wechsel im Werthe von 100 Ducaten in Gold schicken, gezogen auf ein Handlungshaus zu Hamburg, oder wenn Sie eine Person in Wien beauftragen, mir jedesmal einen solchen Wechsel zuzustellen, sobald dieselbe von mir die erste und zweite Lieferung erhielte.

Zugleich wollen Sie mir den Tag angeben, an welchem jede Lieferung von Ihnen der Oeffentlichkeit übergeben wird, damit ich die Herausgeber, welche dieselben Compositionen in Deutschland und Frankreich veröffentlichen, verpflichten kann, sich nach denselben zu richten.

Ich hoffe, daß Sie meine Erklärungen gerecht und der Art finden werden, daß wir uns wohl definitiv werden verständigen können. In diesem Falle wird es gut sein, einen förmlichen Contract abzuschließen, welchen Sie die Güte hätten in duplo anzufertigen und von dem ich Ihnen ein Exemplar mit meiner Unterschrift zurücksenden würde.

[524] Ich erwarte nun Ihre Antwort, um mich an die Arbeit zu begeben, und ich bin mit ausgezeichneter Hochachtung,

Mein Herr,

Ihr unterthäniger Diener

Louis van Beethoven.


P. S. Ich werde Ihnen auch gern Ihren Wunsch

erfüllen, kleine schottische Lieder mit harmonischer

Begleitung zu versehen, und ich erwarte in dieser Hin-

sicht einen genaueren Vorschlag, da mir wohl bekannt,

das man Herrn Haydn ein Pfund Sterling für jedes Lied

bezahlt hat.«


Das Original dieses Briefes, im Besitze der Erben Thomsons, ist in französischer Sprache geschrieben; nur die Unterschrift ist von Beethovens Hand. Von seinen verschiedenen Vorschlägen führte nur der in dem Postskript enthaltene zu einem positiven Resultate. –

Wir wenden uns nunmehr zu den


Kompositionen dieses Jahres.

Ein Lied, dessen Text Breuning aus Solies Oper »Le secret« übersetzte, war vermutlich (»im Mai 1806«) die erste Frucht der neu erwachten Lust und Liebe zur Arbeit, die sich während des Sommers des Jahres 1806 so erstaunlich ergiebig erwies; es ist jenes zu verschiedenen Zeiten unter der Aufschrift »Empfindungen bei Lydiens Untreue« und »Als die Geliebte sich trennen wollte« veröffentlichte Lied. Es erschien bei Simrock und ist dem Nachtrag (1845) von Ries und Wegelers Notizen beigegeben. Das Lied ist ein kleines Zeichen der Dankbarkeit für die jüngst bewiesene eifrige Freundschaft Breunings in der Angelegenheit der Oper; Beethoven wird seinen Dank nicht lange aufgeschoben haben. Aber ob dies der Fall war oder nicht, jedenfalls war dies die erste Komposition nach der Zurückziehung des Fidelio; es ist aber sicher, daß Beethoven gerade eine Woche vor dem Datum von Breunings Brief sich entschlossen an die Bearbeitung größerer Vorwürfe gemacht hatte, als die Empfindungen bei Lydiens oder irgend eines andern Mädchens Untreue. Am 26. Mai begann er die Quartette Op. 59.

Gewisse Studien zu Fidelio, die vorher nicht erwähnt wurden, sind in einem Skizzenbuche der Landsbergschen23 Autographensammlung [525] enthalten, dessen hauptsächlichster Inhalt Skizzen zur zweiten, vierten, fünften, sechsten und neunten Symphonie und zum Fidelio sind. Dies scheint beim ersten Anblicke eine Behauptung Czernys zu bestätigen, die von Schindler, in diesem Falle dem besseren Gewährsmanne, nicht angenommen worden ist, daß nämlich die neunte Symphonie mit Ausnahme des Chorfinales viele Jahre vor ihrer wirklichen Komposition projektiert gewesen sei; jedoch gibt das Buch selbst ein entschiedenes Argument gegen jene Annahme; denn es ist, wenigstens nach des Verfassers Überzeugung, nicht ein Manuskript in seiner ursprünglichen Gestalt, sondern besteht aus mehreren verschiedenen Büchern, welche später zusammengeheftet wurden zur besseren Aufbewahrung dieser verschiedenen Zeiten angehörigen symphonischen Skizzen. Jedoch stehen die Skizzen zur vierten Symphonie in demselben in unmittelbarer Verbindung mit denen zum Fidelio.

Hiernach ist die Reihe der wichtigen, gleichzeitig mit dem Fortschreiten der Oper skizzierten Werke folgende: 1. Das Tripelkonzert Op. 56; 2. die Sonate in F-Moll Op. 57; 3. das Klavierkonzert in G Op. 58; 4. die Rasumowsky-Quartette Op. 59; 5. die 4. Symphonie in B Op. 60; 6. die 5. Symphonie (C-Moll) Op. 67; 7. die Pastoralsymphonie (Nr. 6) Op. 68. Mit Ausnahme des ersten, welches ins Jahr 1805, und der beiden letzten, welche in die Jahre 1807–8 gehören, werden die vier anderen, wie wir annehmen, ins Jahr 1806 zu setzen sein. Dieselben gewähren ein überraschendes Beispiel von Beethovens Gewohnheit, zu gleicher Zeit an verschiedenen Kompositionen zu arbeiten, und überdies, wie uns scheint, von seiner Sitte, in solchen Fällen die Opusnummern der Werke nach der Reihenfolge ihrer Vollendung festzustellen. Die Besprechung der B-Dur-Symphonie versparen wir uns für das Jahr 1807, im welchem dieselbe zur Aufführung kam. In eigentümlichem Kontraste mit den in dieselbe Zeit gehörigen großen Werken und gleichsam wie zur Erheiterung und Erholung nach der Anstrengung ernsterer Studien geschrieben, stehen die 32 Variationen in C-Moll für Pianoforte. Sie gehören dem Herbste 1806 an und befinden sich unter den Kompositionen, welche ihr Verfasser wohl gern in Vergessenheit hätte bringen mögen; wenigstens enthalten die Notizen O. Jahns eine darauf bezügliche Anekdote. Beethoven fand einmal Streichers Tochter an seinen 32 Variationen übend; nachdem er eine Zeitlang zugehört, [526] fragte er sie: »Von wem ist denn das?« – »Von Ihnen.« – »Von mir ist die Dummheit! O Beethoven, was bist Du für ein Esel gewesen!« Die Erzählung ist, obgleich gut verbürgt, doch verwunderlich. Denn die Variationen sind durch Skizzen zwischen den Arbeiten an den Rasumowsky-Quartetten als 1806 geschrieben festgestellt. Zn den »fatalen alten Sachen« zählen sie keinesfalls. Doch ist ihnen ja freilich eine gewisse Trockenheit und äußerlich technisches Gebahren nicht abzustreiten. Das an die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts (Händel) gemahnende Thema ist ein durch eine mit altertümlichen Schleifern verbrämte reizlose Melodie verdeckterBasso ostinato von 8 Takten:


14. Kapitel. Das Jahr 1806

und das ganze Werk daher eine Chaconne und zwar eine ganz streng durchgeführte. Es ist nur ein paar Mal das as des 5. Taktes ignoriert oder hat mit dem a seinen Platz gewechselt (Variationen 5, 7, 8, 9, 10, 17, 18, 19, 20, 22, 24, 26, 27, 28, 31) und einige Male ist durch Wiederaufnehmen der Oberstimme des Themas der Schein geweckt, daß es sich um Variation einer Melodie handelt, so vor allem in dem Maggiore (12–16), das den Ostinato stärker verleugnet. Daß wir es aber mit einem sehr ernstgemeinten reisen Werke Beethovens zu tun haben, steht doch außer allem Zweifel.

Das Klavierkonzert Op. 58 in G setzt Schindler ins Jahr 1804, »nach einer von F. Ries gegebenen Notiz«; die neue Ausgabe des Breitkopf-Härtelschen Verzeichnisses (S. 197) sagt: »Das Concert war fertig i. J. 1805«, ohne eine Autorität zu nennen. Wenn sie zum Beweise nicht etwa auf eine bessere als auf Ries sich stützen sollte, dann werden wir ziemlich zuversichtlich die Meinung festhalten dürfen, daß dieses Werk bis zum Herannahen der Konzertsaison gegen Ende des Jahres 1806 unvollendet blieb. Doch korrespondierte Beethoven schon im Frühjahr 1806 durch Karl mit Hoffmeister wegen des Verlages (er verlangt in dem Briefe vom 27. März 1806 600 fl. für »Christus am Ölberg« und das Konzert zusammen); ein Beweis, daß es fertig war, ist das freilich nicht, aber daß es in Arbeit war, geht doch wohl daraus hervor. Jedenfalls ist durch die Zeitungsberichte festgestellt, daß im März 1807 zwei Subskriptionskonzerte ausschließlich mit Beethovenschen Werken veranstaltet wurden »in einer sehr gewählten Gesellschaft, welche zum Besten des [527] Verfassers sehr ansehnliche Beträge subskribiert hat« (Allg. Mus. Ztg. 27. Febr. 1807). Die Konzerte fanden in der Wohnung des Fürsten L. (wahrscheinlich Lobkowitz) statt (Journal des Luxus und der Moden, Anfang April 1807). In einem dieser Konzerte spielte Beethoven erstmalig das G-Dur-Konzert, ein zweites Mal spielte er es in seinem Konzert am 22. Dezember 1808. Weitere Aufführungen desselben in Wien sind bei Lebzeiten Beethovens nicht erfolgt; 1809 sollte es Friedrich Stein spielen, wurde aber damit nicht fertig (Ries, Not. S. 114). Das ist sehr wohl glaubhaft. Ries, der 1809 nach Wien zurückkehrte, erzählt weiter, daß eigentlich er binnen 5 Tagen das Konzert studieren und spielen sollte, aber ablehnte. Reichardt hörte es 1808 von Beethoven selbst, »ein neues Pianofortekonzert von ungeheurer Schwierigkeit, welches Beethoven zum Erstaunen brav in den allerschnellsten Tempis ausführte«. In der Tat ist selbst von dem C-Moll-Konzert zum G-Dur-Konzert ein gewaltiger Schritt, aber nicht nur in technischer Beziehung. Bei einem Manne wie Reichardt darf man auch voraussetzen, daß er bei seinem Urteile nicht nur die technischen Schwierigkeiten im Auge hatte. Das C-Moll-Konzert ist doch im ganzen viel kompakter, derber geartet als das duftige, die Ineinanderarbeitung von Klavier und Orchester auf eine wahrhaft ideale Höhe führende G-Dur-Konzert. Die alten Begriffe von Solo und Tutti wollen da gar nicht mehr passen, in dem wehmutgetränkten Andante sind sie tatsächlich ganz aufgehoben und ist – wohl zum ersten Male überhaupt, – das Klavier im Wechselspiel mit dem Orchester (allerdings nur den Streichinstrumenten) als Träger des eigentlichen Ausdrucks zum Siege geführt. Keine Kombination von Bläsern wäre imstande, seine Rolle zu ersetzen bei dem Vortrag der schlichten Harmonien, die so intensiv zum Herzen sprechen, wie vielleicht nichts, was vordem geschrieben ist. Aber auch in dem ersten Satze ist alles in Gesang aufgelöst, so daß es als Blasphemie erscheint, überhaupt irgendwo von Passagen zu reden – der Abstand von der Cembalo-Musik des 18. Jahrhunderts ist ein ungeheuerer geworden, das Klavier hat sich zum Herrscher über alle anderen Instrumente ausgewachsen. Zum Siege hatte es zwar schon Mozart gebracht; aber daß es auch erschüttern kann, und daß es aller Nüancen des Ausdrucks mächtig ist, vom zarten Flüsterton bis zum donnernden Tosen, daß es imstande ist, einen ganz erstaunlichen Glanz zu entfalten, das hat der Welt doch erst Beethoven gezeigt. Dabei hat es von der Durchschlagskraft und dem prickelnden Reize des Cembalo nichts verloren – es wurde schon darauf hingewiesen, wie gerade Beethoven das Stacato des Klaviers [528] als besondere Farbe wieder in den Vordergrund gezogen hat. Wenn auch gerade das G-Dur-Konzert weniger die Erhaltung des Cembalo auch im Pianoforte als vielmehr die Umbildung desselben zum Pianoforte belegt und als Ganzes mehr weich lyrisch als dramatisch gehalten ist, so steht es doch neben dem Es-Dur-Konzert als Gipfelpunkt der Klavier-Konzertmusik bis heute unerreicht da. Was die Nachfolger haben hinzubringen können, beschränkt sich auf Äußerlichkeiten und einzelnes Detail, das für die Wertung im Ganzen nicht genügend in die Wage fällt, um Beethoven die Palme streitig machen zu können.

Marx leitet seine Besprechung der QuartetteOp. 59 mit einer seltsamen Reflexion über die Begleitgeräusche der Streichinstrumente ein, aus der ein paar Zeilen ausgezogen seien (II. 39): »Mag man die Streichinstrumente noch so zart behandeln, immer lassen sie den Beiklang des reibenden Bogen hören, der bei rauherem Hervortreten als ›Kratzen‹ bezeichnet wird, der bisweilen charakteristisch, öfter störend ist. Dieser Beiklang schwindet aber, vermindert sich bei vielfacher Besetzung ... das Instrument reinigt und verklärt sich gleichsam ... jener Beiklang des reibenden Bogens verleiht (im einfach besetzten Quartett) den Instrumenten einen eigentümlichen Charakter ... jeder dieser mechanischen Rucke trifft das Gehör, sie nagen ... am Nerven und affizieren damit die Seele des Hörenden, ganz abgesehen vom geistigen Inhalt der Komposition ... der Komponist durchlebt dieselbe Wirkung im Momente des Schaffens, da seine Phantasie ihm den Klang, wie er hervortreten wird, vorspiegelt. Er ist von Anfang an nervös affiziert – und das wirkt bestimmend auf die Komposition.« Man wird wohl mit Recht Bedenken tragen, Marx auf diesem bedenklichen Pfade der pathologischen Wertung der Klangfarbe der Streichinstrumente zu folgen; immerhin ist aber sein Versuch interessant, die starken Eindrücke zu erklären, welche die so beschränkte Klangfülle des Streichquartettes hervorzubringen vermag. Sein Raisonnement enthält aber einen Trugschluß, nämlich in der Annahme einer »Reinigung« des Streicherklanges bei mehrfacher Besetzung; von einer solchen könnte doch nur die Rede sein, wenn alle Mitspielenden absolut gleich intonierten, was natürlich leider unmöglich ist. Wir stehen da vor dem die Musikpsychologie angehenden Problem, daß unser Ohr imstande ist, Tongebungen von annähernd gleicher Höhe für solche gleicher Tonhöhe zu nehmen, worauf allein die Möglichkeit beruht, sich mit den unvermeidlichen Mängeln der Intonation besonders bei größeren Massen zusammen Musizierender abzufinden. An die Stelle des mathematischen [529] Punktes der richtigen Intonation tritt ein materieller Punkt, ein Linienstück, die einzelne Tongebung greift nach Höhe und Tiefe über die exakte Bestimmung hinaus. Im Orchester wird daher der Ton viel stärker materialisiert als in der Kammermusik, die Linien vergröbern sich und die mechanische Wirkung des Klanges auf das Gehörorgan kommt in weit höherem Maße zur Geltung als in der einfach besetzten Kammermusik und ganz besonders in dem auf möglichst gleiche Klangfarbe beschränkten Streichquartett. Bei der solistischen Besetzung (im Quartett) tritt der Klangreiz in ganz eminentem Maße zurück hinter die Auffassung der logischen Beziehungen der Töne, die Farbe ist von durchaus untergeordneter Bedeutung gegenüber der Zeichnung. Ein geschickt instrumentiertes Orchesterwerk kann noch gefallen trotz Armut an Ideen; ein inhaltloses Quartett wird als schal und gemein ohne weiteres abgelehnt. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß die Klangfarbe im Quartett keinen Anteil mehr an der Wirkung hätte, wohl aber wird daraus verständlich, warum das Quartett ängstlich meiden muß, orchestral zu werden: unfehlbar macht sich sonst seine Beschränktheit fühlbar. Was Marx vorgeschwebt hat, ist eben doch nur die für den Geist des Quartetts unabweisliche Verinnerlichung, Vergeistigung, der Verzicht auf die starken äußerlichen Effekte. Wirkungen, wie sie ein einzelner, langhallender Hornton hervorbringt oder der Schmetterklang der Trompete, die Wucht der Posaune, sind eben dem Quartett gänzlich versagt. Aber man mache sich auch klar, daß im Quartett schon das Flageolet der Violine durch seine Erinnerung an den Pfeifenklang als Inkonsequenz auffällt, weil es eine vereinzelte Farbenwirkung hervorruft, die als Fleck empfunden wird. Es fällt aus dem Stil, zeigt ein Mittel, dessen reichlichere Verwendung durch die Gattung ausgeschlossen ist. Also nicht irgendwie krankhaft nervös gereizt, sondern im Gegenteil dem Gebiete der physischen Reizungen möglichst entrückt, vergeistigt, immateriell ist die Quartettmusik. Wirst man von diesem Standpunkte aus einen Blick auf die Beethovenschen Quartette in ihrer chronologischen Ordnung, so wird man erkennen, daß für die ersten derselben allenfalls noch eine Bearbeitung für Orchester oder eine Mischung von Streich- und Blasinstrumenten denkbar wäre, daß aber ein solcher Gedanke immer absurder erscheint, je weiter man in der Reihe der Quartette vorwärtsschreitet.

Die Komposition der drei Quartette Op. 59 ist wahrscheinlich ganz in das Jahr 1806 zu setzen. Graf Rasumowsky wird Ende 1805 Beethoven um die Komposition derselben gebeten haben; wenigstens beruft sich Lenz auf einen Brief von Karl Holz vom 16. Juli 1857 »der die Composition derselben [530] positiv ins Jahr 1805 setzt und dem das bekannt sein muß«. Beweiskräftiger ist die Aufschrift auf dem Autograph des 1. Quartetts (im Besitz von P. Mendelssohn): »Angefangen 26. May 1806.« Skizzen zum 2.–4. Satze des ersten Quartetts stehen zwar im ›Leonoren-Skizzenbuch‹ (von 1804 bis Anfang 1805) aber auf zwei Blättern, die eigentlich nicht in dasselbe gehören »und durch Zufall oder aus Versehen in dasselbe hineingerathen sind« (Nottebohm, II. Beeth. S. 79); weitere Skizzen zu denselben Sätzen und zum 2. und 3. Quartett stehen auf 21 Blättern im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde (Thayer, Verz. Nachtr. S. 31; vgl. S. 571).

Daß die drei Quartette wahrscheinlich noch im Laufe des Jahres 1806 fertig geworden sind, geht daraus hervor, daß schon am 27. Februar 1807 der Wiener Korrespondent der Allg. Mus. Ztg. (IX. 400) dieselben gehört hat (s. unten S. 536).

In Druck erschienen dieselben Anfang 1808 (angezeigt vom Industriekontor in der Wiener Zeitung am 9. Januar). Da wahrscheinlich Graf Rasumowsky sie für ein Jahr als ausschließliches Eigentum erhielt, so wird die Annahme stimmen, daß sie Ende 1806 fertig wurden.

Lenz schreibt über das Werk (IV. 20), »Die Quartette beruhen auf russischen Nationalmelodien, ihrem größeren und wichtigeren Theile nach auf einer dem Charakter dieser Motive assimilirten freien Erfindung, zu welcher in den russischen Motiven und der Dedication des Werkes die Veranlassung gegeben war. Der Gedanke, im Quartett, das selbstständige Erfindung voraussetzt, fremdländische Themas zu behandeln, war Beethoven gewiß vom Grafen Rasoumowsky gekommen. Man erklärt sich so am besten, wie dem Künstler zu einer Zeit, wo man in Deutschland von russischen Themas kaum mehr als die ›Schöne Minka‹ kannte, diese Themas zugänglich geworden waren.« Dazu mag bemerkt werden, daß der Gedanke, Volksmelodien als Themen zu verwenden, bei Beethoven keineswegs neu war; ohne uns auf die von Haydn, Pleyel, Koželuch gegebenen Beispiele zu beziehen, war er ihm ja selbst von Thomson proponiert worden, und was russische Melodien anbetrifft, so hätte er die Allgemeine Musik. Zeitung sehr nachlässig lesen müssen, um nicht seine Neugierde durch die Aufsätze über russische Musik, welche in jener Zeitung im Jahre 1802 erschienen, erweckt zu sehen; und diese Neugierde zu befriedigen, konnte bei dem beständigen Verkehre zwischen Wien, Moskau und St. Petersburg keine Schwierigkeit haben. Czerny schreibt: »Er machte sich damals anheischig, in jedes Quartett eine Russische Volksmelodie einzuflechten.« Lenz jedoch, [531] selbst Russe und Musiker, sagt: »Die russischen Themas beschränken sich auf das Finale des 1. und den 3. Satz des 2. Quartetts.« Czernys Autorität kann in diesem Falle kaum bestritten werden; doch darf man in diesem Falle wohl annehmen, daß der Komponist aus eigenem Antriebe diese beiden Themen aufgenommen habe, um Rasumowsky eine Höflichkeit zu erzeigen. »Das Adagio, E dur im 2ten Rasoumowskyschen Quartett«, sagt Czerny in O. Jahns Notizen, »fiel ihm ein, als er einst den gestirnten Himmel betrachtete und an die Harmonie der Sphären dachte.«

Nottebohm (II. Beeth. 90) teilt die beiden von Beethoven benutzten russischen Volksmelodien mit aus einer von Iwan Pratsch herausgegebenen Sammlung, die Beethoven vorgelegen hat:


14. Kapitel. Das Jahr 1806

14. Kapitel. Das Jahr 1806

Die erste bildet, ganz getreu nach F-Dur transponiert, das Hauptthema des Finale des ersten Quartetts, die zweite, ebenso getreu nach E-Dur transponiert, das des Trio (Maggiore) des dritten Satzes des zweiten Quartetts (nur im 3/4-Takt notiert und mit Pausen, die den Staccatovortrag bedingen [eine hübsche kleine Fuge]).

Nicht mit Unrecht zieht Lenz (a. a. O. S. 19) Lessings Ausspruch an: »Kein Maler kann einen edleren Kopf zeichnen als seinen eignen« als »Ausdruck des jedem Menschen innewohnenden Rechts an der eigenen Persönlichkeit. Mit diesem Rechte an sich giebt uns Beethoven seinen Kopf in Op. 59, ohne sich darum zu bekümmern, wie derselbe sich gegen den Kopf von Haydn und Mozart dabei ausnehme!«

In der Tat, der eckige, knorrige, halsstarrige Niederländer Beethoven steht gleich im ersten Satze leibhaftig vor uns. Da ist ein Spiel mit durchgehaltenen Tönen getrieben, das sowohl den berühmten Takt [532] am Ende der Durchführung der Eroica, als das durchgehaltene es der Holzbläser im Andante der fünften Symphonie in Schatten stellt. Sechs und einen halben Takt werden zunächst a c' in Bratsche und zweiter Violine fortgesetzt in Achteln angegeben, während die vom Cello vorgetragene Hauptmelodie ganz offenbar mehrmals die Harmonie beugt, und in einem Moment, wo man es am wenigsten erwartet, tritt dann für weitere elf Takte b an die Stelle des a, und der Dominantakkord wird allmählich voller, während die erste Violine die Melodie weiterspinnt, die eigentlichen Harmonien wären etwa: Takt 1–4 Tonika, 5–6 Subdominante, 7–8 Dominante, 9–10 Subdominante, 11–14 Dominante, 15–16 Tonika, 17 Subdominante, 18 Dominante, 19 Tonika). Und doch – wer möchte heute statt dieser halsstarrigen Versteifung auf 61/2 Takte a c und 111/2 Takte b c etwas Anderes, Glattes, Normales hören? Beim Übergange zum zweiten Thema ist dem Schluß auf dem C-Dur-Akkord ein Halbschluß auf G angehängt, der in einem abwechselnd durchgehaltenen und mit fis verzierten g der zweiten Violine endet, zu welchem die Sequenzbildung erklingt:


14. Kapitel. Das Jahr 1806

Aber das sind nicht die einzigen Dornen des Satzes (beide kehren wieder). Der zweite Kernsatz des ersten Themas ist gleichfalls eine harte Nuß:


14. Kapitel. Das Jahr 1806

[533] desgleichen die wie ins Leere tappenden Harmonien vor den Epilogen:


14. Kapitel. Das Jahr 1806

(in der Durchführung noch komplizierter) usw. Und doch, wer diesen eigenartigen, diffusen Stil erst einmal kennen gelernt hat, wird ihn mit immer steigendem Interesse genießen.

Der zweite Satz mit seinen sukzessiven viertaktigen Soli der vier Instrumente (Vc., 2. V., Vla., 1. V.)pp staccato, könnte wohl als der Volksmusik abgelauscht gelten:


14. Kapitel. Das Jahr 1806

Nebenbei bemerkt ist dies ein weiteres Beispiel der Transposition der Anfangskadenz in die große Untersekunde (wie in Op. 31 I und Op. 53 zu Anfang). Vgl. die Bemerkungen S. 450 ff.

Entzückend ist das kleine Kernsätzchen bei p dolce. Und ob nicht hie und da doch noch ein von Lenz und anderen nicht identifiziertes russisches Thema verborgen ist? Z.B. könnte man in dem:


14. Kapitel. Das Jahr 1806

gewiß ein solches vermuten.

Daß Beethoven auf die Miniatur-Ideen dieses Satzes große Stücke hielt, beweist die lange Ausdehnung desselben. Von hoher Schönheit ist das Adagio, das ganz prächtig durchgearbeitet ist mit breiter Auseinanderlegung der vier Stimmen über das gesamte Tongebiet von C bis c4.

Eine nähere Darlegung des Aufbaues kann leider hier nicht gegeben werden. Was von dem Schlußsatze nicht von Beethoven selbst ist (das Thème russe), vergißt man nach wenigen Takten über seiner Kunst der Verarbeitung.

Die Perle des E-Moll-Quartetts ist das Allegretto (vivace) mit seiner durchgeführten komplementären Rhythmik:


14. Kapitel. Das Jahr 1806

[534] das Duftigste, was vielleicht überhaupt in der Art geschrieben worden ist. Die Fuge über das russische Thema (Trio) führt gleich ein Triolenkontrapunkt zu demselben ein, der streng durchgeführt wird. Der Rückgang zum Hauptteile ist durch allmähliche Verlangsamung der Gegenstimme (Triolen, Achtel, Viertel) meisterhaft vermittelt. Den Leitstern des Finale bildet der frappante C-Dur-Anfang des Kopfthemas (Parallele der Subdominante) mit seinem zwingenden Übertritt in den Quartsextakkord auf H, der allemal die Haupttonart wieder feststellt.

Die schon im D-Dur-Quartett Op. 18 III im ersten Satze auffällig hervortretende Arbeit mit einem zwar dem Kopfthema angehörigen, aber bald außerhalb desselben selbständig auftretenden und fortgesetzt eine bedeutsame Rolle gegenüber der sonstigen Thematik spielenden Motiv begegnet uns wieder im ersten Satze des dritten Quartetts von Op. 59. Wie dort das


14. Kapitel. Das Jahr 1806

so ist hier das


14. Kapitel. Das Jahr 1806

der Angelpunkt des Ganzen. Natürlich treten hier wie dort eine Reihe selbständiger thematischen Bildungen auf, die damit nichts zu tun haben, aber immer wieder greift dieses abgestoßene Auftaktviertel mit folgenden langen Noten ein, eine Spannung mit nachfolgender Lösung bringend. Sehr intim geartet ist das Andante con moto quasi Allegretto (A-Moll). Seine Wirkung hängt durchaus vom Treffen des richtigen Tempo ab; Verschleppen zerstört dieselbe ebenso unfehlbar wie zu schnelles Tempo. Man empfinde die 14. Kapitel. Das Jahr 1806 als Zählzeiten normaler Mittelgeltung (75 M. M.). Vor allem ist aber eine gedeckte Tongebung (mezzavoce) als Grundfarbe unerläßlich, innerhalb deren die, f und sf nur aufleuchten, ohne sie zu erhellen. Man beachte wohl, daß in dem ganzen Satze kein f vorkommt, daß für mehr als eine Note gilt. Die gewaltige Fuge, welche das Werk abschließt, sprengt ein wenig den Quartettstil, wie leicht an den mehrfachen andauernden f-und ff-Stellen mit Doppelgriffen, aber auch an den zahlreichen Führungen beider Violinen in Oktaven zu sehen ist. Daß der Satz orchestral besetzt (womöglich mit verstärkenden Bläsern für die Akzente) oder aber für Orgel in ganz anderem Maße zur Geltung kommen würde, [535] als mit den beschränkten dynamischen Mitteln des Quartetts, ist sicher. Eine gewisse Verwandtschaft der Schlußfuge von Brahms' Variationen über ein Thema von Händel mit dieser Fuge wird man leicht erkennen.

Kein Werk von Beethoven hat vielleicht eine mehr entmutigende Aufnahme bei den Musikern gefunden, als diese jetzt so berühmten Quartette. Wir wollen eine freundlich gesinnte gleichzeitige Stimme hören. Der Korrespondent der Allg. Mus. Ztg. schreibt am 27. Februar 1807: »Auch ziehen drei neue, sehr lange und schwierige Beethovensche Violinquartetten, dem Russischen Botschafter, Grafen Rasoumowsky zugeeignet, die Aufmerksamkeit aller Kenner an sich. Sie sind tief gedacht und trefflich gearbeitet, aber nicht allgemeinfaßlich – das 3te aus C dur etwa ausgenommen, welches durch Eigenthümlichkeit, Melodie und harmonische Kraft jeden gebildeten Musikfreund gewinnen muß«; und eine auf die Herausgabe bezügliche Notiz vom 5. Mai spricht im gleichen Tone: »In Wien gefallen Beethovens neueste, schwere, aber gediegene Quartetten immer mehr; die Liebhaber hoffen sie bald gestochen zu sehen.«

Aber die Musiker! Czerny erzählte Jahn folgendes: »Als Schuppanzigh das Quartett Rasoumowsky in F zuerst spielte, lachten sie und waren überzeugt, daß B. sich einen Spaß machen wollte, und es gar nicht das versprochene Quartett sei.« Und Doležalek erzählt, daß, als er sich diese Quartette kaufte, Gyrowetz gesagt habe: »Schade um das Geld!« Besonders das Allegretto vivace des ersten dieser Quartette war lange ein Stein des Anstoßes. »Als zu Anfang des Jahres 1812«, sagt Lenz »im musikalischen Zirkel des Feldmarschalls Grafen Soltikoff in Moskau der Satz zum ersten Male versucht wurde, ergriff Bernhard Romberg, der größte Violoncellist seiner Zeit, die von ihm gespielte Baßstimme und trat sie, als eine unwürdige Mystifikation, mit Füßen. Das Quartett wurde bei Seite gelegt. Als dasselbe einige Jahre später im Hause des Geheimraths Lwoff, Vaters des berühmten Violinspielers, in St. Petersburg ausgeführt wurde, wollte sich die Gesellschaft vor Lachen ausschütten, als der Baß sein Solo auf einer Note hören ließ. Das Quartett wurde wieder bei Seite gelegt.«

Thomas Appleby, der Vater des an mehreren früheren Stellen genannten Herrn, war eine Hauptautorität in der musikalischen Gesellschaft zu Manchester in England und erster Direktor der Konzerte daselbst. Clementi schickte ihm in der Regel die ersten Exemplare seiner neu herausgegebenen Werke. Sein Sohn lernte als Knabe die Violine und wurde in früher Jugend ein leidenschaftlicher Bewunderer Beethovens. [536] Als diese Quartette in London bekannt wurden, schickte Clementi Herrn Appleby ein Exemplar; sie wurden geöffnet und aufs Klavier gelegt. Am folgenden Tage besuchten ihn Felix Radicati und seine Gattin, Mad. Bertinotti24, und brachten Briefe; sie waren auf einer Konzertreise. Während der Unterhaltung ging der Italiener ans Klavier, nahm die Quartette, und als er dieselben angesehen hatte, rief er ungefähr folgendes aus: »Haben Sie diese hier auch bekommen? Beethoven, wie die Welt sagt und ich glaube, ist musiktoll; das hier ist keine Musik. Er zeigte sie mir im Manuskript, und auf seine Bitte schrieb ich einige Fingersätze hinein. Ich sagte ihm, daß er sicherlich diese Werke nicht für Musik ansehen könne, worauf er mir antwortete: ›O, sie sind auch nicht für Sie, sondern für eine spätere Zeit!‹« Der junge Appleby glaubte trotz Radicati an dieselben, und er hatte seine Partie schon oft vollständig durchgespielt, als sein Vater Spieler für die anderen Instrumente in sein Haus einlud. Man versuchte das erste in F. Das erste Allegro wurde von allen mit Ausnahme von Appleby für eine »verrückte Musik« erklärt. Beim Schlusse des Violoncellsolos auf einer Note brachen alle in Lachen aus; die folgenden vier Takte fanden sie übereinstimmend schön. Der Organist Sudlow, welcher den Baß spielte, fand in der Hälfte dieses zweiten Satzes, welchen sie zu spielen fortfuhren, soviel zu bewundern und zugleich zu verurteilen, daß er ihn als »Flickwerk eines Wahnsinnigen« bezeichnete. Sie gaben den Versuch auf, weiter zu spielen, und erst 1813 hörte der junge Appleby die Quartette in London ganz und fand sie, wie er von Anfang geglaubt hatte, ihres Meisters würdig.

Wenn auch schon die beiden Violinromanzen Beethoven als berufenen Komponisten für die Violine als Soloinstrument dokumentiert hatten, so war er doch durch die Symphonie und die Quartette mit deren reicher Ausdrucksfähigkeit immer mehr vertraut geworden, so daß er Ende 1806 mit einem Werke großen Stiles hervortreten konnte, welches die Violine in ähnlicher Weise zur Aussprache des Hauptinhaltes in den Vordergrund stellt, wie die Klavierkonzerte das Klavier, nämlich Op. 61 (wie die Aufschrift auf dem im Besitz der Wiener Hofbibliothek befindlichen Autograph lautet), »Concerto par Clemenza pour Clement, primo Violino e Direttore al Theatro a Vienne, dal L. v. Bthvn. 1806«, oder, wie es in dem [537] Programm zu Franz Clements Konzert vom 23. Dezember (im Theater an der Wien, heißt: »Ein neues Violinconcert von Hrn. Ludwig van Beethoven, gespielt von Hrn. Clement25.« Als Dr. Bartolini Jahn erzählte, daß Beethoven mit bestellten Arbeiten in der Regel erst ganz zuletzt fertig wurde, führte er das Konzert als Beispiel an, und ein anderer gleichzeitiger Zeuge teilt mit, daß Clement sein Solo ohne vorherige Probe a vista spielte.

Joh. Nep. Möser, beim Obristhofmarschallamt angestellt, nahm in jenen Jahren eine Stellung in der Gesellschaft und literarischen Welt von Wien ein, welche einen offenen Bericht aus seiner Feder über die allgemeine Stimmung sehr wertvoll und glaubwürdig macht. Dies gilt besonders von seiner Anzeige von Clements Konzert in der damals neu gegründeten Theaterzeitung. Wir geben hier einen Teil derselben.

»Der vortreffliche Violinspieler Klement spielte unter anderen vorzüglichen Stücken, auch ein Violinconcert von Beethhofen, das seiner Originalität und mannigfaltigen schönen Stellen wegen mit ausnehmendem Beifall aufgenommen wurde. Man empfing besonders Klements bewährte Kunst und Anmuth, seine Stärke und Sicherheit auf der Violin, die sein Sclave ist, mit lärmendem Bravo. – – Ueber Beethhofens Concert ist das Urtheil von Kennern ungetheilt; es gesteht demselben manche Schönheit zu, bekennt aber, daß der Zusammenhang oft ganz zerrissen scheine, und daß die unendlichen Wiederholungen einiger gemeinen Stellen leicht ermüden könnten. Es sagt, daß Beethhoven seine anerkannten großen Talente gehöriger verwenden und uns Werke schenken möge, die seinen ersten Symphonieen aus C und D gleichen, seinem anmuthigen Septette aus Es, dem geistreichen Quintette aus D dur26 und mehreren seiner frühern Compositionen, die ihn immer in die Reihe der ersten Componisten stellen werden. Man fürchtet aber zugleich, wenn Beethhofen auf diesem Weg fortwandelt, so werde er und das Publicum übel dabei fahren. Die Musik könnte so bald dahin kommen, daß jeder, der nicht genau mit den Regeln und Schwierigkeiten der Kunst vertraut ist, schlechterdings gar keinen Genuß bei ihr finde, sondern durch eine Menge unzusammenhängender [538] und überhäufter Ideen und einen fortwährenden Tumult einiger Instrumente, die den Eingang charakterisiren sollten, zu Boden gedrückt, nur mit einem unangenehmen Gefühl der Ermattung das Concert verlasse. Dem Publicum gefiel im Allgemeinen dieses Concert und Clements Phantasieen außerordentlich. – –«

So weit übertraf also damals das Publikum die Kenner in der richtigen Schätzung Beethovens. Tempora mutantur.

Obgleich Beethoven Clement als Spieler hochschätzte, zeigte doch das Konzert, als es 1808 in Druck erschien, die Widmung an Stephan von Breuning, und die von Beethoven selbst besorgte Bearbeitung als Klavierkonzert wurde dessen Frau zugeeignet (à Madame de Breuning, née Noble de Wering), ein Beweis, wie eng sich Beethoven dem alten Freunde wieder dauernd angeschlossen hatte. Beide erschienen im Industriekontor (angezeigt 10. Aug. 1808).

Angesichts des hohen Ranges, den Beethovens einziges Violinkonzert in der Solo-Violinliteratur einnimmt – es steht tatsächlich bis heute unbestritten an erster Stelle – erübrigt es, sich über seine Schönheiten zu verbreiten; jedermann kennt es und liebt es wegen seines hohen musikalischen Gehaltes, der auch alles virtuose Beiwerk ebenso wie in den Klavierkonzerten vollständig durchdringt. Wenn Wasielewski sagt (Beethoven II. 41), daß das Violinkonzert bezüglich des Gehaltes nicht ganz die Höhe der beiden letzten Klavierkonzerte erreiche, so wird man diese Schätzungsweise ablehnen müssen. Wasielewski übersieht dabei die ungleich beschränkteren Mittel der Violine gegenüber dem Klavier; ein Rivalisieren der Violine mit dem Orchester ist ja für die Violine durch ihre Verweisung auf die obere Hälfte des Tongebietes ausgeschlossen. Durch die fast absolute Unmöglichkeit, bei den Soli selbst die Harmonie zu fundamentieren, ist die Violine gezwungen, auch wenn sie solistisch hervortritt, doch ein oder das andere Orchesterinstrument zu Hilfe zu bitten, und es ist bewundernswürdig, wie diskret Beethoven diese Aufgabe gelöst hat. Niemals kann aber die Violine so vom Orchester losgelöst werden, wie das Klavier, unter allen Umständen bleibt das Schlußergebnis beim Violinkonzert die solistische Herausstellung der überlegensten und vollkommensten Orchesterstimme; die Zugehörigkeit des Instruments zum Orchester selbst wird niemals ganz aus den Augen verloren. Erstaunlich bleibt aber die Leistung, daß es Beethoven gelungen ist, diese Rolle der Violine durchzuführen, ohne daß der symphonische Charakter auch nur einen Moment durch virtuosenhaftes Gebahren in Frage gestellt wird. Wenn [539] schon lange vor ihm die Violine als die eigentliche Seele, die berufene Hauptstimme des Orchesters erkannt war, der gegenüber hohe Bläserstimmen nur in zweiter Linie und vorübergehend in Frage kommen können, so ist die Solovioline des Beethovenschen Konzerts wiederum die beredte Sprecherin im Namen des Tutti der Violinen. Mag sie in den höchsten Lagen wie eine Engelstimme den Gesang aller Instrumente übertönen, wie in verschiedenen Stellen des ersten Satzes, oder mit dem sonoren Altklange der G-Saite überraschen, wie zu Anfang des Schlußsatzes, immer wird sie als die höchste Blüte des Orchesters selbst bewundert werden, nicht aber demselben als Rival gegenüberstehen.

Skizzen, die Anlaß gäben, Elemente des Konzerts in frühere Zeit als 1806 zurückzuverweisen, sind nicht nachweisbar. Die Arbeit scheint vielmehr ganz in das Jahr 1806 zu gehören und parallel mit Arbeiten an der C-Moll-Symphonie und der VioloncellsonateOp. 69 gegangen zu sein (Nottebohm, II. Beeth. 532 ff.). Interessante Nachweise, daß die Bearbeitung für Klavier Beethoven zur Wiederherstellung einiger Fassungen der Violinstimme geführt hat, welche (vielleicht unter Einwirkung Clements) für die Drucklegung des Violinkonzertes vereinfacht (erleichtert) wurden, gibt Nottebohm unter LXVI der II. Beethoveniana (S. 586 ff.).

Die Reihe der in diesem Jahre veröffentlichten Werke Beethovens ist nicht groß. Es sind:

»LIme Sonate pour le Pianoforte« F-Dur (Op. 54), angezeigt am 9. April in der Wiener Zeitung durch das Kunst- und Industriekontor (vgl. S. 452 ff.).

Grand Trio pour deux Hautbois et un Cor Anglais, C-Dur, angezeigt von Artaria u. Co. am 12. April, ohne Opuszahl (vgl. S. 42 f.).

Andante favori für Klavier, F-Dur (vgl. S. 449), die III. Symphonie (Eroica) Op. 55, dem Fürsten Lobkowitz gewidmet, angezeigt vom Kunst- und Industriekontor am 29. October.

Außer diesen Werken zeigte Johann Traeg am 18. Juni noch an: 6 grandes Sonates pour le Pianoforte, Violon obligé et Violoncello ad lib., Op. 60 No. 1–2 (Arrangements der Quartette Op. 18) sowie 3 grands Trios p. le Pianoforte, Violon et Violoncello, Op. 61No. 1 (Arrangements der Trios Op. 9). Über den Urheber dieser Arrangements belehrt uns ein Brief Simrocks an Beethoven vom 21. Mai 1806, um welche Zeit, wie sein Inhalt ergibt, auch die übrigen Nummern bereits fertiggestellt waren. Simrock schreibt: »Ferdinand Ries hatte zur Probe eines Ihrer Violin Quartetten Op. 18 mit Violin und Violoncello arrangirt, [540] daß es mich bestimmte solche alle 6 unter Op. 60 No. 1, 2, 3, 4, 5, 6, herauszugeben. Von den 2 erstenOp. 60 habe ich, um Sie damit angenehm zu überraschen, C. Träg bereits aufgetragen, Ihnen ein Exemp. zuzustellen, welches Sie wahrscheinlich werden erhalten haben; die übrigen sind auch schon für Sie abgegangen, ich hoffe, Sie werden Ihren vollkommenen Beifall erhalten. Daß ich Op. 60 und 61 angegeben habe, bitte ich Sie mir zu Gute zu erhalten, ich wußte nicht, wie weit Ihre Originalien vorgerückt waren, und da bereits mehrere Ihrer Originale für's Clavier arrangirt, z.B. die Serenaden, mit einer fortschreitenden No. bezeichnet worden, ohne zu bemerken, daß es Uebersetzungen sind, so glaubte ich nicht gegen Ihren Willen zu sündigen, wenn ich es ebenso machte, um so mehr da dieses wahrscheinlich schon geschehen war, um das Vorurtheil vieler Liebhaber zu verscheuchen, die, sobald sie das Wort Arrangé auf dem Titel sehen, glauben, es könne nicht gut sein! Wenn die Werke eines Pleyels so vieler Veränderungen werth gefunden worden, so verdienten es wahrhaftig die Ihrigen hundertmal mehr, dies war nicht blos Vorliebe zu Ihren Compositionen, auch innere Ueberzeugung, den guten Geschmack Ihrer vortrefflichen Compositionen allgemeiner zu machen, und unter ein weit ausgedehnteres Publicum zu bringen, bestimmte mich Ihre vortreffliche Quartette und Trio, die so selten als solche gut gespielt werden, in einem anderen Gewand unter das Publicum zu bringen, um diese Werke am Clavier auch zu bewundern, und schätzen zu lernen.«

Ob Beethoven durch dieses Verfahren von Ries und Simrock wirklich angenehm überrascht war, darf billig bezweifelt werden. –

Die Opuszahlen 60 und 61 betrachtete er als noch unbesetzt und gab sie der B-Dur-Symphonie und dem Violinkonzert.

Fußnoten

1 Nur zweimal.


2 Unbegreiflicherweise sind Bezeichnungen »Fidelio« und »Leonore«, auf die es gerade ankommt, hier miteinander verwechselt; ob durch Breuning oder seinen Kopisten, ist unbekannt. Der Verfasser darf hier die Bemerkung sich gestatten, daß er der erste war, der Otto Jahns Aufmerksamkeit auf diesen Punkt lenkte und so den ersten Antrieb zu jener wertvollen und trefflichen Abhandlung »Leonore oder Fidelio?« gab, welche in Nr. 22 und 23 der Allg. Musik. Zeitung von 1863 erschien. (Ges. Auff. S. 236 f.)


3 Das Gerücht war verbreitet, daß mit Ausnahme einiger wenigen beibehaltenen Melodien von Méhul die Musik von Reichardt sei. Nach der sechsten erfolgreichen Aufführung wurde aber das Publikum durch Seyfrieds Namen auf dem Anschlagezettel überrascht.


4 Es wird nebst dem Theaterzettel in der K. K. Bibliothek zu Wien aufbewahrt.


5 S. oben S. 486.


6 Aus der Autographensammlung des Kapellmeisters Adolf Müller zu Wien.


7 Vgl. auch M. Vancsa in der Münchener Allg. Zeitung 1901 (»Beethovens Neffe«), auch separat.


8 Op. 58, G-Dur.


9 Op. 59.


10 Sinfonia eroica.


11 Thomaskantor Aug. Eberh. Müller.


12 Das bestätigt der Eingangs-Vermerk der Firma auf dem Briefe:


1806 3 Septbr Gräz

13 –


13 Man beachte diese Worte »die kleine Reise hierher«. Keine Silbe über einen direkt vorausgegangenen Ausflug nach Ungarn (ebenso in dem Briefe vom 1. Nov. an Thomson S. 523). Sollte derselbe gar überhaupt nur eine Erfindung Schindlers sein?


14 Die B-Dur?


15 Lichnowsky hatte persönlich Breitkopf und Härtel das Oratorium »Christus am Ölberg« vorgelegt, war ihnen also bekannt. Vgl. S. 374.


16 Jena und Auerstädt 14. Oktober 1806.


17 Ein stark aufgeputzter Bericht, angeblich auf Mitteilungen des Dr. Weiser, des Hausarztes des Fürsten Lichnowsky in Troppau beruhend, veröffentlichte Franz Xav. Boch im Feuilleton der Wiener Deutschen Zeitung vom 31. August 1873. Da derselbe in die Weihnachtszeit 1807 oder 1808 verlegt wird und die Pastoral-Symphonie bereits bekannt sein läßt, so sehen wir davon ab, ihn mitzuteilen. Doch findet man eine in der Hauptsache übereinstimmende Darstellung in Frimmels »Beethoven« (2. Aufl., 1903, S. 42), gestützt auf Auskünfte eines Enkels des Dr. Weiser. Der Schlußeffekt ist in beiden Darstellungen ein Brief Beethovens an Lichnowsky mit dem Passus: »Fürst! Was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt, was ich bin, bin ich durch mich. Fürsten hat es und wird es noch Tausende geben, Beethoven gibt es nur einen.« Eine solche Sprache in solchem Momente könnte man wohl Beethoven zutrauen.


18 Grenzboten XVI, Nr. 14 (1857, 3. April).


19 Eine Erzählung von Alois Fuchs in Schmidts Wiener Musikzeitung (1846 Nr. 39, gibt uns noch eine weitere Erklärung, warum Beethoven so wenig geneigt war, vor den französischen Offizieren zu spielen. »Nach der Schlacht bei Jena [14. Okt. 1806] begegnete Beethoven seinem Freunde Hrn. Krumpholz, dem er sehr gewogen war, und fragte ihn wie gewöhnlich: Was giebts neues? Krumpholz erwiederte darauf: Das neueste ist die eben angelangte Nachricht, daß der große Held Napoleon abermals einen vollständigen Sieg über die Preußen erfochten hat. Ganz ergrimmt bemerkte Beethoven darauf: Schade! daß ich die Kriegskunst nicht so verstehe, wie die Tonkunst, ich würde ihn doch besiegen!«


20 Man darf die Arbeit Thomsons in Parallele stellen mit der, welche Wilhelm Grimm einige Jahre später mit den deutschen »Kinder- und Hausmärchen« vornahm.


21 Thomsons Erinnerung täuschte ihn einigermaßen, als diese Vorrede geschrieben wurde; denn schon vor Haydns Tode hatte er Beethoven das Anerbieten gemacht.


22 Nicht 1. Oktober, wie irrtümlich die 1. Auflage verzeichnet.


23 Prof. Louis Landsberg, ein eifriger Sammler und Musikfreund in Rom, wo er am 6. Mai 1858 starb. Seine wertvolle, u.a. eine ganze Reihe Skizzenbücher Beethovens enthaltende Bibliothek und Autographensammlung wurde der Kgl. Bibliothek zu Berlin überwiesen. Vgl. Catalogue de la Bibliothèque du Professeur Landsberg à Rome. Musique ancienne (Berlin 1859. Imprimé chez Ernest Kühn) und »Autographen aus dem Nachlasse des Prof. Landsberg zu Rom« (das. 1859). [Mitteilung von Prof. A. Kopfermann an den Herausgeber H. R.]


24 Radicati war ein namhafter Violinspieler. Sein Quartett Op. 15 wird in der A. M. Z. XI. S. 587 ungünstig besprochen. Seine Frau war Sängerin; sie debütierte an der Hofoper zu Wien in Zaira, einer italienischen Oper von Federici, am 25. Juli 1805, und sang in Paers Sargino am 25. Febr. 1807.


25 Demselben ging in dem betreffenden Konzert eine »vortreffliche Ouvertüre von Méhul« voraus, und es folgten ausgewählte Stücke von Mozart, Cherubini und Händel; den Schluß bildete eine »Phantasie vom Konzertgeber«.


26 Die wörtliche Übereinstimmung ganzer Sätze (auch mit dem Fehler in der Angabe der Tonart des Quintetts) mit dem S. 459 f. mitgeteilten Bericht des »Freimütigen« über die Erstaufführung der Eroica legt nahe, auch für jene Möser als Verfasser anzunehmen.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1910..
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