29. An Heinrich Dorn in Riga.

[366] Leipzig, den 14. April 1839.


Mein theuerster Lehrer und Freund!


Eben erst von Wien zurückgekehrt und durch den plötzlichen Tod eines meiner Brüder betroffen18 schreib ich Ihnen einige Zeilen des Dankes für so viele Liebeszeichen, auf die ich nur zu lange stillgeschwiegen[366] – und warum, weil ich Ihnen immer einen großen schönen Brief über so Manches, über mich selbst u. A., kurz ein Glaubensbekenntniß zuschicken wollte. Mit der Zeitschrift wird Ihnen indeß mancher Vorgang meines innern und äußern Lebens bekannt worden sein. Ich bin im Grund sehr glücklich in meinem Wirkungskreis; aber könnte ich erst die Zeitung ganz wegwerfen, ganz der Musik leben als Künstler, nicht mit so vielem Kleinlichen zu schaffen haben, was ja eine Redaktion mit sich bringen muß, dann wäre ich erst ganz heimisch in mir und auf der Welt. Vielleicht bringt dies die Zukunft noch; und dann giebt es nur Symphonieen von mir zu verlegen und zu hören. Das Clavier möcht ich oft zerdrücken, und es wird mir zu eng zu meinen Gedanken. Nun hab ich freilich im Orchestersatz noch wenig Uebung; doch denke ich noch Herrschaft zu erreichen. Zu meiner Verwunderung fand ich hier einen Aufsatz über Ihre neue Oper, den mein Vice-Redakteur zurückgelegt, weil er »zu Fink'isch« wäre. Verzeihen Sie ja diese Unachtsamkeit. Ich werde den Aufsatz zurichten und nächstens bringen.

Bald hoffe ich ein freundliches Wort von Ihnen zu hören, auch über Ihre musikalischen Zustände. Was sagen Sie denn zu diesem Stuttgarter Universaldoctor19, der immer frecher wird in seinen Bestrebungen. In seiner Vertheidigung matter Hand kömmt er mir vor, wie ein geohrfeigter wüthiger Handwerksbursch – er ist aber mehr, ein vollständiger Lump (Lump); ich habe ihn privatim kennen gelernt. Bitte, prüfen Sie doch einmal, wenn irgend möglich, seine Aesthetik, seine Kunst in 36 Stunden etc., seinen Generalbaß etc. und senden mir etwas darüber.

Bald mehr und nehmen Sie das flüchtige mit einem Händedruck

Ihres

Schumann

18

Es war Schumann's ältester Bruder Eduard.

19

Es ist hier G. Schilling, der Herausgeber des »Universal-Lexikon der Tonkunst« gemeint.

Quelle:
Wasielewski, Wilhelm Joseph von: Robert Schumann. Bonn 31880, S. 366-367.
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