55. An Friedrich Hebbel in Wien.

[401] Dresden, den 14. Mai 1847.


Hochgeehrter Herr!


Entschuldigen Sie die Freiheit, die sich ein Ihnen vielleicht gänzlich Unbekannter nimmt, Sie mit einer Bitte bekannt zu machen, deren Erfüllung einzig in Ihren Händen liegt und dem Bittsteller freilich eine große Freude sein würde.

Nach dem Lesen Ihrer Genoveva (ich bin Musiker) beschäftigte mich wie die Dichtung selbst, so auch der Gedanke, welch' herrlicher Stoff sie für die Musik sei. Je öfter ich Ihre Tragödie las, die ihres Gleichen sucht – lassen Sie mich darüber nichts weiter sagen – je musikalisch lebendiger gestaltete sich die Poesie in mir. Endlich berieth ich mich mit einem hier lebenden poetisch begabten Mann, und, von der außerordentlichen Schönheit der Dichtung ergriffen, ging er schnell auf meinen Wunsch ein, sie mir zu einem Operngedicht nach besten Kräften umbilden zu wollen.

Zwei Acte liegen jetzt vor mir, die beiden letzten erhalte ich in diesen Tagen. Aber so viel guten Willen der Bearbeiter zeigte, so behagte mir doch das Wenigste; vor Allem es fehlte überall an Kraft – und der gewöhnliche Operntextstyl ist mir nun einmal zuwider, ich weiß zu solchen Tiraden keine Musik zu finden und mag sie nicht.

Endlich in einiger Desperation über das Gelingen fuhr es mir durch den Sinn, ob nicht der gerade Weg der beste, ob ich mich nicht an den rechten Poeten selbst wenden, ihn selbst um seinen Beistand angehen dürfte. Aber mißverstehen Sie mich nicht, verehrter Herr! Nicht als ob ich Ihnen zumuthete, Sie möchten, was Sie einmal im Tiefsten und Innersten erschaut und in Meisterschaft hingestellt, nun noch einmal opernhaft nachdichten – sondern daß Sie sich das Ganze ansähen, Ihr Urtheil mir sagten und nur hier und da Ihre kräftigende Hand anlegten, – dies wäre meine herzliche Bitte.

Thu ich Sie vergebens? Ist es nicht das eigene Kind, das um Ihren Schutz bittet! Und tritt es dann musikalisch angethan später vor Ihre Augen, so gern' möchte ich, daß Sie sagten, »auch so liebe ich[401] dich noch.« Einstweilen las ich auch Judith. – So steht es doch noch nicht so schlimm um die Welt! Wo solche Genoveva- und Judith-Dichter noch leben, da sind wir noch lange nicht am Ende.

Eine Antwort von Ihnen, wenn Sie mich damit beehren wollten, trifft mich hier. Bringt sie ein Ja, will ich es Ihnen danken, wie ich kann, wo nicht, so zählen Sie mich doch jedenfalls zu Ihren aufrichtigsten Verehrern und geben mir Gelegenheit, es zu bethätigen.

Euer Wohlgeboren

ergebenster

Robert Schumann.

Quelle:
Wasielewski, Wilhelm Joseph von: Robert Schumann. Bonn 31880, S. 401-402.
Lizenz:
Kategorien: