59. An Carl Reinecke nach Hamburg.

[405] Dresden, d. 30. Juni 1848.


Lieber Herr Reinecke,


Sehr hab' ich mich gefreut, wieder etwas von Ihnen zu hören, und daß Sie uns wieder etwas näher sind! Viele Freude, um es gleich zu sagen, hat mir auch das Notenheft gemacht, und wüßt' ich nicht, daß Sie ein Freund mancher meiner Compositionen sind, aus Ihren Uebertragungen müßt' ich es gemerkt haben. Im Grunde, wie Sie auch vermuthen, bin ich kein Freund von Liedertransscriptionen und die Liszt'schen sind mir zum Theil ein wahrer Gräuel. Unter Ihren Händen aber, lieber D. Reinecke, fühl' ich mich ganz wohl, und dies kömmt, daher, weil Sie mich verstehen, wie Wenige, – die Musik gleichsam nur in ein anderes Gefäß schütten und zwar ohne Pfeffer und Zuthat à la Liszt. Deshalb freue ich mich Ihrer Arbeit und danke Ihnen recht sehr dafür!

Einiges speciell zu berühren: der See – vortrefflich. Ebenso die Lotosblume. Genauere Bezeichnung des Vortrags, auch des Pedal's – fügen Sie wohl später hinzu, wie auch bei den 1stimmigen Liedern. Liebesbotschaft gefällt mir sehr bis auf die beiden rothbekreuzten Stellen; ich wünschte sie einfacher. Ständchen klingt sehr hübsch. Beim Kreuz denk' ich mir auf G die Harmonie 59. An Carl Reinecke nach Hamburg. Die Variat.[405] auf der letzten Seite scheint mir zu schwierig. Am Rhein lieb ich durchaus. Aber der Sonnenschein ist mir nicht einfach genug, auch das Nachspiel, wenn Sie es mir nicht übel nehmen, sagt mir nicht zu. Der Schluß der Melodie auf der Dominante scheint mir durchaus nicht fehlen zu dürfen. – Das Folgende wieder Excellent. Nun machen Sie aber noch das »Als ich zuerst Dich hab' gesehn«. Es ist mir nicht gerade sehr an's Herz gewachsen; der Vollständigkeit halber säh' ich es doch gern.

Zu den 4stimmigen paßten noch die Minnesänger, wohl auch die Frühlingsglocken. Wie denken Sie den Titel zu machen? Setzen Sie sich. – mit Hrn. Sch. fest! Sonst könnten wir leicht mit etwas überrascht werden!

Eine Ansicht der Correktur hätte ich gern und würde mich gleich an die Revision machen.

Eine Bearbeitung der 4stimmigen Ges. zu 1stimmigen billige ich nicht, eher zu 2stimmigen (für Frauenstimmen). Dann müßten aber einige transponirt werden. An Frl. Parish liegt ein Brief meiner Frau bei. Empfehlen Sie mich noch besonders der liebenswürdigen Dame!

Vor ungefähr 14 Tagen sandte ich ein eben erschienenes Trio von mir durch Whistling an Sie. Haben Sie es erhalten? Es sollte mich freuen, wenn manches bei Ihnen anklänge. Vom 1sten Satz glaub' ich es beinah.

Vorigen Sonntag haben wir hier zum erstenmale die Schlußscene aus Faust mit Orchester, aber nur im engern Kreise aufgeführt. Ich glaubte mit dem Stück nie fertig zu werden, namentlich mit dem Schlußchor – nun hab' ich doch recht große Freude daran gehabt. Nächsten Winter möchte ich es in Leipzig aufführen – und vielleicht sind Sie dann dort! –

Von Ihren neuen Compositionen hab' ich leider nur die Ankündigungen gelesen; die Musikhändler hier halten nur das schlechteste auf ihren Lagern. Schreiben Sie mir von Ihren Arbeiten und Plänen; sein Sie meines innigen Antheils versichert.


Ihr

ergebener

R. Schumann.[406]


Quelle:
Wasielewski, Wilhelm Joseph von: Robert Schumann. Bonn 31880, S. 405-407.
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