61. An Franz Brendel in Leipzig.

[408] Dresden, 3. Juli 1848.


Lieber Freund!


Da die Zeit drängte, so habe ich zur Einleitung in die Schlußscene aus »Faust« Einiges aus dem Heyks'schen Buche gezogen. Billigen Sie es? – Die Aufführung ging vortrefflich von statten (im Privatkreise); der Totaleindruck schien mir gut, und den der »Peri« zu überwiegen, und das ist wol Folge der großartigeren Dichtung, die auch mich zu größerer Anspannung meiner Kräfte aufforderte. Ich freue mich sehr, meinen Freunden in Leipzig die Musik vorzuführen, und hoffe zu Gott mit Anfang des Winters. Am liebsten war mir von Vielen zu hören, daß ihnen die Musik die Dichtung erst recht klar gemacht. Denn oft fürchtete ich den Vorwurf »wozu Musik zu solch vollendeter Poesie?« – Anderntheils fühlte ich es, seitdem ich diese Scene kenne, daß ihr gerade Musik größere Wirkung verleihen könnte. Nun, vielleicht können Sie bald selbst urtheilen! – Betrachten Sie das Vorige übrigens nur als eine Privatnotiz, und erwähnen davon nichts in der Zeitschrift.

Vielen Dank bin ich Ihnen noch schuldig für die übersandten Musikalien – namentlich für Palestrina. Das klingt doch manchmal wie Sphärenmusik – und dabei welche Kunst! Ich glaube doch, das ist der größte musikalische Genius, den Italien geschaffen.

Meine Vereine machen mir viel Freude, namentlich der für ganzen Chor. Wir singen jetzt die Missa solemnis von Beethoven prima vista, daß man wenigstens klug daraus wird – und das freut mich, wenn sie so durch Dick und Dünn nachmüssen. Es wird aber auch studirt, wenn es darauf ankömmt. So »Comala« von Gade. Lieber Brendel, es scheint mir doch, als hätten die Leipziger dies Stück zu gering angeschlagen. Gewiß ists das bedeutendste der Neuzeit, das einzige, was einmal wieder einen Lorberkranz verdient. – Wie geht es mit der Zeitschrift? Es freut mich, daß sie den ersten Rang fortbehauptet. Wer ist der Magdeburger (?) von dem ich in der letzten Nummer las? Franz ist darin ganz vortrefflich charakterisirt, wie er überhaupt viel Schönes und Gutes enthält. Nur bei Meyerbeer und[408] Gade möchte ich Fragezeichen machen; jenem ist zu viel Ehre, diesem zu wenig geschehen. Wie dem sei, Kenntniß, eigene Anschauungskraft, wahrhaft warme Theilnahme an der Fragestellung unserer Kunst zeichnen den Verfasser jedenfalls aus. Wer ist er? – Dasselbe gilt auch von Dörffel, seinen Aufsatz über die Symphonie habe ich mit Freuden gelesen. Nur über das Finale schien er mir noch den Eindruck der ersten Leipziger Aufführung im Sinne zu haben. Dörte er ihn jetzt, glaube ich gewiß, daß er ihn mehr befriedigte. Hundertertel möchte ich noch schreiben; aber es geht nicht mehr. Darum nur noch viele Grüße.


R. Sch.

Quelle:
Wasielewski, Wilhelm Joseph von: Robert Schumann. Bonn 31880, S. 408-409.
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