69. An Franz Brendel in Leipzig.

[416] Lieber Freund!


Nach einer Notiz in der Leipziger Zeitung scheint mein Fauststück[416] wenig Theilnahme in L. gefunden zu haben. Wie ich nun niemals gern überschätzt mich sehe, so doch auch ein lange mit Liebe und Fleiß gehegtes Werk nicht unterschätzt – aber einmaliges Hören reicht nie zur vollständigen Würdigung aus. – – Ich würde Ihnen daher, wenn Sie es wünschen, mit Vergnügen die Partitur zuschicken. Schreiben Sie mir deßhalb ein Wort!

Die hiesige Aufführung war eine so gute, wie sie nach nur zwei kurzen Orchesterproben es sein konnte. Die Chöre gingen vortrefflich und sangen mit der größten Lust. Auch die Solopartien waren ausgezeichnet, neben Frl. Schwarzbach und Hrn. Weixelstorfer namentlich Mitterwurzer, der als Dr. Marianus in der Arie mit Harfe wunderschön gesungen und Alles entzückte. Das Publikum hörte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit.

Hier haben Sie zugleich eine Notiz für die Zeitung, da Ihr Correspondent nie in ein Concert kommt und doch darüber schreibt!

Ein Versehen des Leipziger Concertarrangements war es vielleicht auch, daß sie das Stück zu Anfang des Concertes setzten. Die Scene hat in ihrer ganzen Gestaltung einen Schlußcharakter; die einzelnen Theile sind keine ausgeführten; es muß alles rasch und rund ineinander greifen u.s.w., um zur höchsten Spitze, die mir in dem ersten Auftreten der Worte: »Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan« (kurz vor Anfang des lebhaften Schlußchores) zu sein scheint, zu gelangen.

Nun genug – und sehen Sie selbst in der Partitur nach, die ich, wenn Sie wollen, gleich zuschicke.


Dresden, 1. Sept. 1849.

Freundschaftlichen Gruß.

R. Sch.

Quelle:
Wasielewski, Wilhelm Joseph von: Robert Schumann. Bonn 31880, S. 416-417.
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