Vorrede zur ersten Auflage

Eine Biographie Robert Schumann's, nicht eine erschöpfende kritische Analyse, noch eine umfassende ästhetische Würdigung seiner Werke sollen nachfolgende Blätter geben. Ich habe mich darauf beschränkt, nur diejenigen Compositionen des Meisters näher ins Auge zu fassen, welche wichtige und entscheidende Momente seines Entwickelungsganges bezeichnen, oder an sich einer besonderen Erklärung bedürfen. Außerdem sind die Kunstgattungen, in denen Schumann geschaffen, allgemeinen Betrachtungen unterworfen worden.

Die Thatsachen von R. Schumann's Leben festzustellen, ist in mehrfacher Hinsicht wünschenswerth. Bereits haben sich mancherlei ungenaue und unrichtige Nachrichten über den Lebensgang des Verewigten durch Wort und Schrift verbreitet. Darum schien eine möglichst unpartheiische Darstellung, gestützt auf sorgfältig geprüfte mündliche und urkundliche Berichte nothwendig, und zwar schon jetzt, damit die Berichtigung unwissentlich von mir begangener Irrthümer durch Zeitgenossen ermöglicht werde. Ich habe mich in dieser Darlegung aller Polemik enthalten; die Thatsachen werden für sich selbst Zeugniß geben. Dann auch schien eine Darstellung der künstlerischen Entwickelung gerade dieser bedeutungsvollen Persönlichkeit von allgemeinstem historisch-musi kalischem Interesse; denn sie giebt das Bild eines Künstlerlebens in seinem Streben und Schaffen, wie es in seinen Grundzügen auch bei anderen Persönlichkeiten der Gegenwart wiederkehrt, und mit den neueren Richtungen und geistigen Bewegungen in der Musik in genauer Verbindung und Wechselwirkung steht. Und Robert Schumann ist ein so eigenartiges Naturell, daß seine[7] schöpferische Thätigkeit, zumal in ihrem Beginne, nur bei genauer Kenntniß seines Lebensganges und der mannichfachen Bedingungen desselben vollständig erfaßt und gerecht beurtheilt werden kann.

Unser Tondichter sagt selbst:1 »Es ist unstatthaft, ein ganzes Leben nach einer einzelnen That messen zu wollen, da der Augenblick, der ein System umzustoßen droht, oft im Ganzen erklärt und entschuldigt liegen kann.« – Und ferner: »Mit einiger Scheu spreche ich mich daher über Werke aus, deren Vorläufer mir unbekannt sind. Ich möchte gern etwas wissen von der Schule des Componisten, seinen Jugendansichten, Vorbildern, ja selbst von seinem Treiben, seinen Lebensverhältnissen – mit einem Wort vom ganzen Menschen und Künstler, wie er sich bis dahin gegeben hat.« – – Alles dies ist wohl auf Niemand besser anzuwenden, als auf ihn selbst.

Robert Schumann gehört nicht zu den Meistern, deren künstlerisches Schaffen eine Reihe von Gebilden in stetig aufsteigender Linie bezeichnet, die durchweg einen unmittelbaren und leicht zu erkennenden Genuß gewähren, – viele seiner Geistesprodukte sind nicht derart objectiv geworden und haben sich nicht so von seinem individuellen Dasein losgerungen und befreit, daß man zum innigeren Verständniß derselben der Kenntniß ihres Ursprunges entbehren könnte. Er gehört zu Jenen, die in vielen Fällen an die Erlebnisse unmittelbar anknüpfen und aus ihnen heraus Tongebilde schaffen; – und solche Schöpfungen, oft einen unlösbaren Bruch hinterlassend, können eben nur verstanden werden, wenn man über ihre Erscheinung hinaus und zurückgeht auf die Motive ihrer Entstehung und auf die besonderen Umstände, unter denen sie empfangen und gebildet wurden. Daher hört man einerseits so häufig bei einer großen Anzahl Schumannscher Compositionen über Mangel an Verständlichkeit, andererseits über Absicht und all' dergleichen mit der Betonung des Vorwurfes klagen, während man doch nur ein Naturell vor sich hat, das sich [8] genau so giebt, wie es eben ist, und wie die eigenthümlichen Organisationsverhältnisse im Verein mit den Eindrücken des Lebens es gestaltet haben. Das objective Kunstwerk deutet zurück auf die subjective Art des schaffenden Künstlers, und diese lebenskenntlich vor Augen zu stellen, war die Aufgabe dieser Blätter. Sie mögen veranschaulichen, wie Schumann's Wege, in Kunst und Leben, und die von ihm auf denselben errichteten zahlreichen Denksteine nicht anders beschaffen sein konnten, als sie dem unbefangenen, vorurtheilsfreien Blick sich zeigen. Historische Treue, so weit der Mensch ihr überhaupt Genüge zu leisten vermag, war also der Accent, der am bestimmtesten betont werden mußte.

Ueber Anlaß und Berechtigung der von mir unternommenen Arbeit sei Folgendes gesagt: Durch den vom October 1850 bis Mai 1851, so wie vom October 1851 bis Juni 1852 fast täglich gepflogenen, mir unvergeßlichen Verkehr mit Robert Schumann in Düsseldorf, so wie durch die gesprächsweise von ihm selbst über sein früheres Leben und seine Werke empfangenen Mittheilungen besonders aufgefordert, faßte ich im Sommer 1853 den Entschluß, Eingehendes über des Meisters bisherige künstlerische Thätigkeit aufzuzeichnen. Dieser Entschluß gewann neue Nahrung, als mir auf meine brieflich ausgesprochene Bitte von R. Schumann bereitwilligst Material zur Ausführung meines Vorhabens anvertraut wurde. Es fand sich dieses Material in einem mir übersandten Hefte, welches außer einer eigenhändig von Schumann geführten Compositionsübersicht die werthvollsten Notizen über Jugend und Leben des Meisters bis zum Jahre 1834 enthielt. Eine Reihe von Blättern gab außerdem Aufschluß über mannichfache, theils ausgeführte, theils unausgeführt gebliebene Entwürfe. Je mehr ich aber über meinen Plan nachdachte, je weiter ich in Ausführung desselben vorschritt, desto klarer wurde mir, daß es unmöglich sei, gerade über eine Anzahl der vorhandenen Schumann'schen Werke Beachtenswerthes zu bieten, bevor man nicht Alles erfahren habe, was mit ihnen im Zusammenhange steht. Meine Arbeit, obwohl bis zu einem gewissen Grade gediehen, konnte[9] daher schließlich nirgend genügen. Indessen war sie nicht vergeblich, da sie mich das Rechte erkennen lehrte.

Als Anfangs August 1856 die Trauerkunde von dem Dahinscheiden Robert Schumann's durch Deutschland ging, faßte ich die Idee, zu welcher ich bereits vorher durch die eben mitgetheilten Erlebnisse und Erfahrungen entsprechende Anregung empfangen hatte, die gegenwärtige Lebensbeschreibung zu unternehmen. Sofort schritt ich zur Feststellung des erforderlichen Materials, die desfallsigen Forschungen nach allen mir bekannten und zugänglichen Seiten hin richtend. Zu meiner Genugthuung darf ich aussprechen, daß dieselben vom günstigsten Erfolg waren. Nicht allein über Schumann's Jugendleben wurden mir bei meiner zweimaligen Anwesenheit in Zwickau von den noch lebenden Zeugen seiner Kinderjahre werthvolle Aufschlüsse zu Theil, sondern auch über die späteren Lebensepochen fand ich erwünschte Gelegenheit, mich bei näheren Bekannten des Meisters zu orientiren, und so das Bild allmählig zu vervollständigen, welches ich von dem Verklärten in mir trug.

Außerdem gingen mir auf mein Ersuchen schriftliche Mittheilungen dankenswerthester Art über den ersten Leipziger und Heidelberger Aufenthalt Schumann's durch die Herren Obergerichtsrath Rosen in Detmold, Justizrath Semmel in Gera und Dr. jur. Töpken in Bremen, so wie von verschiedenen anderen Seiten zu.

Eine höchst wichtige Erwerbung machte ich endlich mit einer Menge Schumann'scher Briefe, deren Zahl sich bald bis auf nahe an 200 steigerte. Wohl weiß ich, daß damit die überhaupt von Schumann's Hand herrührenden Briefe keineswegs erschöpft sind; allein da der Zweck meines Unternehmens nicht darauf hinauslaufen sollte und konnte, die Schumann'schen Briefe in möglichster Vollständigkeit zusammenzustellen, so durfte ich mich mit Erwerbung derjenigen begnügen, die zur Erklärung gewisser Vorgänge in Schumann's Dasein, so wie zur Enthüllung seines reichen Seelenlebens erforderlich und ausreichend sind. Ich habe die größere Hälfte derselben theils dem Text einverleibt, wo es thunlich war, theils dem Schluß in[10] einem Anhange unter der Aufschrift: »Briefe vom Jahre 1833 bis 1854« beigefügt, und zwar möglichst unverändert und wortgetreu, sofern nicht Rücksicht auf noch lebende Personen oder unwichtiger Inhalt die Unterdrückung einzelner Stellen nothwendig oder wünschenswerth machte. Solche unterdrückte Stellen sind durch Striche erkennbar gemacht.

Die Herren Stephen Heller in Paris, Adolph Henselt in Petersburg und Hofkapellmeister Dr. F. Liszt in Weimar bedauerten, meinen Wünschen um Mittheilung Schumann'scher Briefe nicht willfahren zu können, da die in ihrem Besitz gewesenen im Laufe der Zeit verloren gegangen seien.

Ich glaube es nicht übergehen zu dürfen, daß ich auch an Frau Clara Schumann, die dem Andenken ihres Gatten in der edelsten Weise lebt, mich gewendet, und sie gebeten habe, mir Beiträge für meine Arbeit zu geben, worauf mir die Antwort zu Theil wurde, daß sie aus Pietät für ihren Mann mich nicht mit unvollständigem Material unterstützen könne und dürfe. –

Anfangs dieses Jahres war ich mit dem Ergebniß der Vorarbeiten so weit vorgeschritten, um zu der in Folgendem enthaltenen Darstellung übergehen zu können.

So biete ich denn hier der musikalischen Welt, was ich an Wissenswerthem über R. Schumann erworben und in einen Rahmen zusammenzufassen versucht habe, in der Ueberzeugung, daß nichts Wesentliches von mir übersehen worden ist.

Allen denjenigen aber, welche zur Erreichung des von mir angestrebten Zweckes so wohlwollend und fördernd beigetragen haben, fühle ich mich gedrungen, hiermit meinen herzlichen Dank auszusprechen.


Dresden, im November 1857.

v. W.

1

S. R. Schumann's gesammelte Schriften (Leipzig bei Georg Wigand) Bd. 1 S. 87.

Quelle:
Wasielewski, Wilhelm Joseph von: Robert Schumann. Bonn 31880, S. 7-11.
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