Barbaja's Truppe

[486] So lagen die Sachen für die deutsche Oper schon sehr mißlich, als im ersten Vierteljahr 1823 Barbaja seine complettirte italienische Operngesellschaft, unter der sieggewohnten Generale Caraffa und Rossini Leitung, in das Treffen führte. Ein Jubelruf durchtönte ganz Wien, als man diese Leute singen gehört hatte. Das Triumphgeschrei der Italianissimi nahm kein Ende; auf dreißig Abende verkaufte sich das ganze Haus nach den ersten Vorstellungen voraus. Die griesgrämigsten Gesichter glätteten sich, wenn man nur den Namen der[486] italienischen Oper nannte. Die Feinschmecker schnalzten mit der Zunge, die Enthusiasten glühten und die lautesten Schreier gegen die italienische Musik, die finstersten, deutschen musikalischen Professoren und Asceten wurden an versteckten Plätzen, aber rasend applaudirend, in der italienischen Oper ertappt..

In der That war die Barbaja'sche Gesellschaft von 1823 in Wien wahrscheinlich die vollkommenste Vereinigung von Sängern, die jemals auf der Bühne. zusammengewirkt hat. Wer hat jemals, vor und nachher, Opern durchaus bis in die kleinsten Nebenrollen hinein, so wie Barbaja damals, mit Sängern allerersten Rangs besetzen können.

Da war vor Allem die große Fodor-Mainvielle mit ihrem an's Herz dringenden, musterhaft geschulten Tone, als Sängerin und Schauspielerin gleich bedeutend. Sie war der Geschmack, die Lieblichkeit und Kunst zur Person geworden, die jetzt über Schwierigkeiten graziös wegtändelte, gleich darauf Thränen in allen Augen quellen ließ und die trockensten Alltagseelen syrenenhaft enthusiasmirte. Da fangen ferner die Comelli-Rubini, eine Altistin vollendeter Bildung, dann Rossini's schöne Gattin Colbran, die, ihrer Zeit Italien zu ihren Füßen gesehen hatte, und auch jetzt noch, mit etwas ausgesungener Stimme, was Fertigkeit, seinen Sinn, Zierlichkeit und tadellose Reinheit anlangte, Außerordentliches leistete.

Und wenn die Oberstimmen trefflich besetzt waren, so klang es fast im Tenor und Baß noch herrlicher.

Lablache war ein Bassisten-Juwel erster Größe in jeder Beziehung. Bei mächtiger Erscheinung war seine volltönende und bis zur höchsten Vollendung durchgebildete Stimme an Kraft seiner athletischen Gestalt ebenbürtig. Seine echte Künstlerseele durchleuchtete jede ihm anvertraute Rolle mit echtester Poesie. Die vollkommene Herrschaft über seine Mittel gestattete ihm, seine Ideen in rein abgerundeten Schöpfungen zu verlebendigen, so daß es nicht zu viel gesagt ist, wenn man ihn als den ersten Bassisten aller Zeiten bezeichnet.

An ihn schloß sich, fast ebenbürtig, jedoch in ganz anderer Weise glänzend, der andre Bassist Ambrogi. Nichts glich der Noblesse in dessen Vortrag! Ohne Verzierungen, rein, edel, rollten die prächtigen,[487] sammtigen Töne von seinen Lippen. Als Schauspieler weniger bedeutend, sprach der Genius des Gesanges selbst aus ihm.

Unvergleichlichen Genuß gewährten seine Duos mit seinem treuen Gefährten, dem herrlichen Tenor Donzelli, dessen sentimentaler, rührender Tenor unwiderstehlich zu allen Herzen sprach.

Sein Gegenstück war der berühmte Tenorist David, dem nie ein Kunststück mißlang, zu dem er seine etwas ausgesungene, scharfe Stimme leitete. Mit eigentlich nur zwei Brust-, zwei Kehl- und zwei Kopftönen ausgerüstet, wußte er, durch höchste Meisterschaft der Stimmbehandlung, seinem Gesange doch den Stempel der Vollendung zu geben, so daß er alles zu Bewunderung fortriß.

Die Leistungen der Sänger, die damals für dii minorum gentium galten, würden bei jeder andern Gelegenheit Lorbeeren geerndet haben. Nozzari's reicher, gebildeter, etwas tremulirender Bariton, Cicimarra's trefflich geschulter, edler, hoher Tenor, Botticelli's etwas brummender, aber prächtiger Baß, wären Erwerbungen reinsten Wassers für jede Bühne gewesen. Und nun mußte man hören und sehen, wie diese Perlen, bei den Darstellungen ihres beschränkten Repertoirs, das sie alle bis zur höchsten Geläufigkeit inne hatten, alle sich makellos aneinander reihten, wie jede, die eben gerade glänzte, als die herrlichste von Allen erschien, bis ein Ensemble sie zu einem Diadem, würdig die Stirn Apoll's selbst zu schmücken, zusammenflocht, – um den Jubel, die Wuth, das Entzücken zu begreifen, mit dem ganz Wien die italienische Oper stürmte und ihren Tönen lauschte. Und diese Künstler ersten Ranges verschwendeten hier ihre köstlichen Kräfte nicht an Verkörperung der schweren, kühlen, drommetendröhnenden, elephantenstampfenden Schöpfungen des unliebenswürdigen, allgemein mit Antipathie betrachteten, eiteln italienischen Donnerers, den Weber in Berlin besiegt hatte, sondern sie streuten Klangreflexe des blauen Himmels, der Orangedüfte, des leuchtenden Meers, der hellern Sterne ihrer hesperischen Heimath, in den lieblichen, schmeichelnden, unwiderstehlichen Melodien des zauberischen »Barbier von Sevilla«, des »Othello«, der »Gazza Ladra«, der »Donna del Lago«, des »Matrimonio segreto«, des »Abufar«, und auf den Silberwellen ihrer Klänge[488] in alle entzückt und wollüstig geöffneten Herzen! – – Der Schöpfer aber der meisten dieser musikalischen Zaubergärten der Armida, der Entzünder dieser Melodie-Leuchtkugelbouquets war nicht der steife, abstoßende Spontini, dessen Auftreten schon Parteien gegen ihn organisirte, sondern der liebenswürdige, alle Herzen im Sturme erobernde, geniale Ton-Kunstfeuerwerker von Pesaro – war Rossini.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 486-489.
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