Kreutzer's Kürzungen der »Euryanthe«

[536] Conradin Kreutzer strich nun über eine halbe Stunde Musik aus der Oper. Seine Aenderungen, die Weber selbst in einem Clavierauszugsexemplare eingetragen hat, auf dem er bemerkte: »So hat Herr Capellmeister Conradin Kreutzer meine Euryanthe zugerichtet«, waren folgende:


Seite des Clavierauszuges.


51. Scene 3. Recitativ zwischen Euryanthe und Eglantine von der 3. Zeile bei Eglantinens Worten: »Dein Hoffen und dein Sehnen« an bis zu Euryanthens Worten: »Verschone, laß mich schweigen« sind volle 2 Seiten gestrichen; die folgenden 9 Takte der Eglantine: »Des Unglücks Blick ist scharf etc.« sind geblieben, dann aber die Schlußtakte und Eglantinens Arie: »O mein Leid ist unermessen etc.« fast 4 Seiten, ganz gestrichen. Nr. 8, Scene und Arie Eglantinens: »Bethörte etc.« – blieb ganz weg.

72. 2. Akt. Lysiart, von: »Was soll mir ferner Gut und Land« bis »Unseliger! Entflieh!« gestrichen. –

110. Die Introduktion zu Adolars Arie: »Wehen mir Lüfte Ruh etc.« vom 6. Takte an ganz gestrichen.

153. 3. Akt. Introduktion in D moll ist nach C moll hinunter geschrieben und vom 15. Takte an gestrichen, das einleitende Recit. der Euryanthe: »Hier weilest du etc.« auch ganz gestrichen bis Seite

155. zwei Takte vor Adolars Worten: »Dies ist der Ort etc.« das Orchester in C moll sich wieder anschließt.

158–160. Duett: »Du klagst mich an« zwischen Euryanthe und Adolar blieb ganz weg.

167. Scene 17. Euryanthe, vom 13. Takte: »Was rieselst du im Haine etc.« bis: »Mir blühet keine Heimath mehr« gestrichen. – Von dem Anschließenden: »Hier dicht am Quell« ist der 5. bis 10. Takt gestrichen; kein großer Zeitgewinn, aber ein großer Verlust an dramat. Wirkung.

214. Von: »Gebt ihn frei« bis Ende S. 215 gestrichen.[537]


Außerdem sind am Anfange bei dem »ernsten Reigen« die Repetitionen gestrichen, wodurch der Eindruck des Ganzen auch sehr geschwächt wird.


Das verstümmelte Werk, das allen innern Halt verlor, konnte aber noch weniger, als das früher für zu lang gehaltene, das Publikum fesseln und reizen. Das Interesse der Darsteller kühlte sich fast noch rascher ab, als die Theilnahme des Publikums. Alle, selbst die Sonntag, fangen wie Maschinen, das Orchester war nicht mehr zu erkennen und nur die Chöre hielten ihren Ruf aufrecht. Das Publikum war degoutirt und nach zwanzig Vorstellungen mußte die Oper vom Repertoire zurückgezogen werden.

Seitdem ist eine bessere Zeit der musikalischen Anschauung gekommen und »Euryanthe« bildet, auch im Sinne und Geiste des deutschen Volks, gleich volltönend mit »Freischütz« und »Oberon«, den großen Dreiklang von Weber's Ruhmes-Harmonie.

Daß Weber nach und nach seine Wünsche, die »Euryanthe« in ähnlicher gewaltiger Weise, wie den »Freischütz«, wirken zu sehen, sehr modificirte, dafür geben zwei später geschriebene Briefe bestes Zeugniß. Am 12. Dec. 1823 schreibt er an Gottfried Weber:


»etc. Die Wirkung, die die Euryanthe hervorbringt, ist ganz so wie ich es mir gedacht habe. Meine übertriebenen Freunde gaben dießmal meinen Feinden die Hand, indem beide lächerlicherweise verlangen, daß die Euryanthe eben so die Masse anziehen soll als der Freischütz. Wie thöricht! als ob – sans comparaison – Iphigenia, ein Don Carlos, irgendwo Zugstücke geworden wären. Die 3 ersten Vorstellungen in Wien, die ich dirigirte, wurden wirklich mit einem unglaublichen Enthusiasmus aufgenommen, die 4., die ich in einem Logenwinkel hörte, eben so, und ich wurde auch wieder 3mal hervorgerufen, in allem 14mal. Bis zur 12. Vorstellung war der Beifall immer derselbe, bei mäßig besetztem Hause. So weit gehen meine Nachrichten. Der..... hat sich wie ein wahrer Recensenten-Schuft benommen: in seine Zeitung, in die Moden-Zeitung und in den[538] Sammler zugleich geschrieben, und herunter zu ziehen gesucht, was er konnte, und selbst die offenbare Lüge nicht gescheut, oder listiges Verschweigen angewendet, um den Erfolg als zweifelhaft darzustellen. etc.«


Und am 26. Mai 1824 an Franz Danzi:


»Herzlich lieber Freund und Vetter!


Haben Sie innigen Dank für alle Liebe, Sorge, und Noth, die Sie mit meiner Euryanthe gehabt haben; und vorzüglich aber auch für die schonende Weise, mit der Sie mir den eigentlichen Erfolg derselben zu verbergen suchten. ich bin aber darauf an den meisten Orten gefaßt, denn das jetzige Kunsttreiben ist so wunderlich durcheinander gewirbelt, die eigentliche Andacht der Hörer und Ausführer so fast gänzlich erloschen, und man will von der Kunst nur gleich einer Bajadere gekitzelt sein, daß ich mich ordentlich wundre, wenn's einmal wo anders ist, und ein ernstes Streben wirklich eingreift. In Dresden war dies der Fall. Wie's weiter wird, wollen wir abwarten, und am Ende muß es ja nicht sein daß man Opern macht.

Kennte ich Sie nicht, mein innig verehrter alter Freund, dessen Einsicht ich immer und immer gern meine Ansicht unterordnen werde, so würde ich entsetzlich über die Besetzung des Lysiart durch Weixelbaum!!! lamentiren. Aber es war gewiß auf diese Art am besten, und ich sage, Herr dein Wille geschehe.

Am Ermunterndsten und tröstlichsten ist mir das, was Sie mir selbst über Eury. sagen. Sie wissen, daß eigentlich nur Ihr Beifall, Ihre Aufmunterung mich in Stuttgart der Kunst erhielten, und wie theuer und wichtig mir daher jedes Wort von Ihnen, dem Treumeynenden ist. Dem Zeitgeist habe ich übrigens gewiß nicht huldigen wollen, habe ich es doch gethan, hat mich der Teufel unbewußt geritten; obwohl ich gerade über den Modulationspunkt sehr strenge über mich wache, aber ich will's gewiß noch mehr thun, lasse ich mich wieder zu einer Oper verführen.

Noch immer bin ich allein im Dienst, also entsetzlich geplagt; kaum zu glauben ist es, daß ich diese Strapaze, nun bald 8 Monate, so aushielt. Aber ich fühle es auch gehörig an einer totalen Abspannung[539] und Gleichgültigkeit gegen Freud und Leid. Den July werde ich im Marienbade Erholung suchen. etc.«


Nachdem die Spannung, in der das bedeutsame Vorhaben Webers Seelenkräfte gehalten hatte, gelöst war, machte sich die krankhafte Sehnsucht nach Daheim mit erneuter Kraft geltend, und schwerlich würde er, auf dem Bewußtsein des Gelingens behaglich gebettet, »sich haben vorspielen lassen, nachdem er vorgespielt,« schwerlich in Ruhe den Meisterleistungen Mayseder's, Moscheles' und des Schuppanzigh'schen Quartetts gelauscht haben, wenn er nicht der Mann der rücksichtsvollsten geselligen Form gewesen wäre und gern von Mund zu Mund und Auge in Auge seine Dankbarkeit ausgesprochen hätte. So fesselten ihn tausend Besuche und gesellschaftliche Pflichten noch mehrere Tage in Wien. Am unlöslichsten aber band ihn eine, für den 1. November angesetzte, von ihm erbetene Audienz beim Kaiser Franz.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 536-540.
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