[120] Der Kraftwagen ein Kulturgut? Diese landüberzitternde Maschine, die der Menschheit mit vollen Händen Staub ins Gesicht schleudert? Nein, ein Kulturgut ist das nicht. Manch einer protestierte so gegen den neuen Wagen, von dem er[120] nichts sah als die mächtigen Staubwolken, die der »Kulturförderer« im Vorbeifliegen zurückließ. Ja, manch einer protestierte gegen den neuen Wagen – statt gegen die jahrhundertealte, rückständige Landstraße, auf der die eisen bereiste Mühle des Verkehrs den Staub herausmahlte und für den Pneumatik zum Aufwirbeln bereit legte.
Dann kam der Krieg mit seinen Wunden. Und manch einer sah fortan im neuen Wagen nicht mehr den Staubauswirbler, sondern den Lebensretter. Nicht rasch genug konnte ihm das Staubaufwirbeln gehen, als der neue Wagen, geschmückt mit dem roten Kreuze auf weißem Grunde, ihn aus der Feuerzone der Gefahr hinüberrettete in die Sicherheit – ins neugeschenkte Leben. Vielen Hunderttausenden ging es so. –
Doch halt! Nicht vom Kraftwagen als Kriegswerkzeug und als Samariter will ich viel erzählen. Man könnte darüber ja ganze Bücher schreiben. Dagegen möchte ich vom Kraftwagen als Werkzeug des Kultur- und Verkehrslebens noch ein paar Worte sagen. Ist es doch für mich eine der freudigsten Lebenserfahrungen, daß die Idee, für die ich einst alles zu opfern bereit war, in ungeahntem Siegeszug heute die ganze Erde erobert hat.
Wo wir auch im heutigen Verkehrsleben hinschauen, überall ist der Kraftwagen zukunftverheißend auf den Plan getreten, gleich umgestaltend als Zeit- und Raumüberwinder. Die Zeiten, wo der in Frankreich großgezogene Luxus- und Rennwagen ausschließlich regierte, sind heute glücklicherweise vorüber.
Ob Klein-, ob Großwagen, ob als Beförderungsmittel für Personen oder Güter, auf der ganzen Linie des[121] neuzeitlichen Verkehrslebens ist der Kraftwagen siegreich vorgedrungen. Hier fliegt er als flinker Reisewagen von Stadt zu Stadt, von Land zu Land. Dort eilt er als Ärztewagen von einem Kranken zum anderen. Hier fährt er als Hofequipage vor, dort begleitet er als Leichenwagen einen müden Wanderer auf dem letzten Wege.
Namentlich im öffentlichen Personen- und Fuhrverkehr hat der Kraftwagen immer mehr den Pferdewagen verdrängt. In den Großstädten der Welt kommt er als »Autodroschke« dem ärmsten aller Zugtiere – dem Droschkengaul – erlösend zu Hilfe. Als Hotelwagen und Hochzeitskutsche, als Feuerwehr- und Rettungswagen: als Spreng- und Kehrichtwagen, als Lieferungswagen für den Bestelldienst größerer Geschäftsbetriebe, als eigentlicher Lastwagen in allen Spielarten tut er unermüdlich seine Dienste. Als Postwagen und Autoomnibus ergänzt er das Schienennetz der Eisenbahnen und läßt die alte Poesie der Postkutsche auf den verlassenen Landstraßen wiederaufleben. Omnibuslinien erschließen dem Fremdenverkehr die Schönheit unserer Bergwelt im Schwarzwald und in den deutschen Mittelgebirgen ebenso wie in dem Hochgebirge der Alpen. Weil der Kraftwagen imstande ist, jede Steigung leicht und sicher zu überwinden, vermag er Personen- und Güterbeförderung zu übernehmen selbst da, wo Lokomotiven und Pferde versagen. Weltumspannend zieht er seine Kreise überall, wo noch Kulturland ist, ja, noch weit darüber hinaus. Hat doch die chinesische Regierung einen regelmäßigen Automobilverkehr in der Wüste Gobi eingerichtet. Daimlerwagen legen draußen in den deutschen Kolonien Zeugnis ab vom maschinentechnischen Können des Mutterlandes.[122] Und Benzwagen fahren durch die Blumengefilde Indiens ebenso wie durch das Sandmeer asiatischer und afrikanischer Wüsten, durchkreuzen den Kaukasus und das persische Hochland so gut wie die Stein- und Sandsohle der Flüsse in den Tropen.
So ist das Kraftfahrzeug zu einem Allerweltsverkehrsmittel von wirtschaftlich steigendem Werte geworden.
Schwerer als sein flinker Bruder, der Personenkraftwagen, setzte sich im Verkehrsleben der langsamere Lastwagen durch. Von der Zukunft des motorgetriebenen Lastwagens überzeugt, versuchte ich schon in der Anfangszeit der Kraftfahrzeuge dem Lastauto den Weg zu bahnen. Um die kopfschüttelnde und verneinende Interessentenwelt durch den Augenschein zu bekehren, baute ich zunächst einen Lastwagen und übernahm damit die Beförderung von Hafer vom Bahnhof Mannheim zum Lagerhaus eines Großhändlers. Stolz und siegessicher fuhr Fritz Held, so hieß der Lenker, mit dem neuen Wagen beim Empfänger vor. Die geplante Überraschung hatte allerdings einen durchschlagenden Erfolg – aber ins Negative hinein. »Laßt die verflixten Dummheiten«, sagte der Kenner seiner Sache und seiner Zeit. »Ich will nix mit dem Wage gefahre hawe, die Kutscher kaafe mir sonscht kee Hawer mehr ab!« – Als ich davon hörte, habe ich schweren Herzens den Lastwagen wieder abgebaut.
Aber nicht nur Berge von Vorurteilen und Zeitmeinungen gab's für den Lastwagen zu überwinden. Da er die Augen der Welt nicht durch laute Renntriumphe und glänzende Geschwindigkeitssiege auf sich lenken konnte wie der Sportwagen, mußte er in harter Werktagsarbeit seine Überlegenheit dartun durch gesteigerte Wirtschaftlichkeit.[123] Gegen das jahrhundertealte Pferdefuhrwerk konnte der Lastwagen nur aufkommen durch größere Geschwindigkeit und größere Leistungsfähigkeit. Und im Kampfe gegen die übermächtig gewordene Lokomotiveisenbahn galt es, den Hebel dort einzusetzen, wo das Schienennetz Lücken ließ und eine weitere Verengerung der Maschen aus örtlichen und wirtschaftlichen Gründen nicht mehr zuließ. Recht beachtenswert für unsere zukünftige Verkehrsentwicklung erscheint mir, was ein hervorragender Fachmann, Geh. Rat A. Riedler, in »Wissenschaftliche Automobilwertung« (Bericht IX des Laboratoriums für Kraftfahrzeuge) über das Verhältnis des Lastkraftwagens zur Eisenbahn mit ihren riesigen Anlagekosten der »Schienenstraße« ausführt: »Die Einseitigkeit dieses Bahnsystems und seine schlechte Ausnutzung wird schon durch die Tatsache gekennzeichnet, daß die Kohlen kosten, ein Maßstab für den lebendigen Teil des Betriebes, selbst bei großen Eisenbahnen mit dichtem Verkehr nur 5–10 Prozent der Gesamtunkosten betragen. So gewaltig überwiegen die toten Auslagen für Anlagen, Verwaltung usw.
Wenn die Straßen, die seit mehr als einem Jahrhundert nur Ausdehnung, aber keine wesentliche Verbesserung erfahren haben, für Massenverkehr verbessert werden, und wenn der Verkehr richtig organisiert wird, dann kann der Kraftwagen auch für einen großen Teil des Gütertransportes weitere Bedeutung erlangen. Inzwischen wird das endlose Netz von Kleinbahnen mit großen Kosten weiter ausgebaut, während bei richtiger und rechtzeitiger Würdigung der Sachlage das aufzuwendende große Nationalvermögen an vielen Stellen zweckmäßiger[124] und mit größerem Nutzen für das Land angelegt werden könnte als im Bau von Nebenbahnen.«