Flugdrache (Draco volans)

[203] Unter den achtzehn Arten der Sippe, welche man bis jetzt unterschieden hat, gilt der Flugdrache (Draco volans, praepos, viridis, fuscus und Daudinii) als die bekannteste. Das reizende Geschöpf erreicht, nach Cantors Messungen, nicht mehr als zwanzig Centimeter Gesammtlänge, wovon zwölf Centimeter auf den langen, schlanken Schwanz zu rechnen sind. Die Nasenlöcher liegen auf der Seite und sind nach aufwärts gerichtet; das Trommelfell ist unbekleidet. Beim Männchen läßt sich ein Nackenkamm unterscheiden; beide Geschlechter zeigen einen kurzen und kleinen [203] Höcker am hinteren Theile des Augenbogens. Unter sich fast gleiche, leicht gekielte Schuppendecken den Leib, größere, verschoben viereckige, gekielte, die Seiten. Die Färbung ändert, wie bei allen Drachen, vielfach ab, und nicht allein je nach der Oertlichkeit, sondern auch je nach dem einzelnen Stück. Ihre Schönheit spottet übrigens, wie Cantor ausdrücklich bemerkt, jeder Beschreibung. Der Kopf des lebenden Thieres ist metallisch braun oder grün gefärbt und mit einem schwarzen Flecken zwischen den Augen geziert, der Rücken und die innere Hälfte des Fallschirmes ein Gemisch aus metallisch schillerndem Dunkelbraun und Rosenfarben, bei einzelnen Stücken in abwechselnden Querbändern, welche zahlreiche schwarze Flecke und kurze, unregelmäßig gewobene Linien zeigen. Die Färbung der äußeren Hälfte des Fallschirmes schwankt zwischen Orangegelb und Rosenroth und zeigt unregelmäßige, schwarze Querflecke; der Rand ist silbern gesäumt. Ueber die Glieder und den Schwanz verlaufen bei einzelnen abwechselnd rosenfarbene und braune Querbänder, über die Augenlider strahlenförmig kurze, schwarze Linien. Die Kehlwamme hat lebhafte gelbe Färbung; die Brust ist auf gleichem Grunde schwarz getüpfelt. Die Seitenwammen spielen ins Gelbe oder Rosigsilberfarbene, zeigen aber schwarze Flecken. Solche, nur größere, finden sich auch auf der Unterseite der Spannhaut des Fallschirmes, gehen hier jedoch zuweilen ins Bräunliche über.

Der fliegende Drache bewohnt außer den Sundainseln auch Pinang und Singapore. Seine Lebensweise ist die der übrigen Glieder seiner Gruppe. Sämmtliche Drachen sind Baumechsen in des Wortes vollster Bedeutung; sie kommen ungezwungen wohl niemals zum Boden herab. Lacépède ist freilich anderer Ansicht: »Obgleich die Zehen des Drachen ganz gedrängt sind«, sagt er, »beschränkt sich sein Aufenthalt doch nicht auf Bäume oder auf das trockene Land überhaupt. Seine aufgeblasene Wamme und die ausgespannten Flügel, welche er nach Willkür drehen und wenden kann, dienen ihm sehr gut zum Schwimmen. Die häutigen Flügel sind wegen ihrer verhältnismäßigen Größe sehr kräftige Flossen, und die aufgeblasenen Beutel unter der Kehle machen ihn leichter als das Wasser. Er ist also mit allem versehen, was zum Klettern, Laufen und Schwimmen gehört: Erde, Luft und Wasser sind sein eigen. Seine Beute kann ihm nie entgehen, und ihm steht jeder Zufluchtsort offen: wird er auf der Erde verfolgt, so flüchtet er auf Bäume oder ins Wasser und kann also vor seinen Feinden ziemlich ruhig sein.« Ich weiß nicht, auf welche Beobachtungen Lacépède diese Meinung stützt; denn ich selbst habe in den Schriften der alten und neuen Forscher nichts ähnliches finden können. In Wirklichkeit leben die Drachen ausschließlich auf Bäumen, und zwar meist in der Krone derselben, weshalb man von ihrem Vorhandensein weit weniger wahrnimmt, als man meinen möchte. Obwohl weit verbreitet, sind sie doch im allgemeinen selten und schwer zu sehen, auch wenn sie in den Gärten der Europäer Wohnung genommen haben sollten. Denn stets halten sie sich hoch in den Kronen der Bäume auf und liegen hier, namentlich mittags bei heißem Sonnenscheine, ruhig auf einer und derselben Stelle. Ihre Farbenpracht fällt dabei nicht im geringsten auf. Man bemerkt die im Schatten der Blätter liegenden oder an die Stämme angeschmiegten Thiere nur, wenn man sehr nahe an sie herankommt und sieht auch dann nichts weiter als ein der Baumrinde sehr ähnelndes Gemisch von Braun und Grau. Unter diesen Umständen gewahrt man selbst bei genauer Beobachtung kein anderes Zeichen des Lebens als die Rastlosigkeit der Augen, welche nach vorüberfliegenden Kerbthieren spähen. Naht sich ein solches dem Drachen, so breitet er plötzlich seine Haut aus, springt mit ihrer Hülfe weit in die Luft hinaus, ergreift mit fast unfehlbarer Sicherheit die Beute und läßt sich auf einem anderen Zweige nieder. Auch bei dieser Gelegenheit fällt die Farbenpracht nicht in die Augen: es bedarf der nahesten Besichtigung, um sie wahrzunehmen. Nach Angabe älterer Beobachter sollen sich die Drachen mit Hülfe ihres Fallschirmes über Entfernungen von sechs bis zehn Meter schwingen, aber wie alle ähnlich ausgestatteten Thiere immer nur in schiefer Richtung von oben nach unten bewegen, also nicht oder doch nur mäßig sich erheben können. Ihre Bewegung unterscheidet sich von der anderer Baumeidechsen wesentlich dadurch, daß sie nicht ein fortgesetztes Rennen, sondern eine Reihe von mehr oder minder weiten Sprüngen ist.

[204] So wehr- und harmlos die Drachen in unseren Augen erscheinen, so lebhafte Kämpfe mögen die Männchen unter sich ausfechten. Dafür spricht schon der Hals- und Brustschmuck, welcher bei allen Kriechthieren, und nicht bei diesen allein, auf leicht erregbares Wesen hindeutet. Bestimmte Beobachtungen in dieser Beziehung fehlen übrigens: wir wissen bloß, daß die Männchen anscheinend in merklich größerer Anzahl auftreten als die Weibchen, und daß die letzteren drei bis vier walzige, an beiden Enden abgerundete, etwa centimeterlange Eier von gelblich weißer Färbung legen. Nach älteren Angaben sollen sie dieselben Baumlöchern anvertrauen; neuere Mittheilungen hierüber sind mir nicht bekannt.

Ob man jemals Drachen in Gefangenschaft gehalten hat, vermag ich nicht zu sagen: ich habe nur gelesen, daß sie sehr hinfällig sein sollen. Ihre außerordentliche Schönheit, Beweglichkeit und die Harmlosigkeit ihres Wesens würde sie zu bevorzugten Lieblingen jedes Pflegers stempeln und wahrscheinlich auch überängstliche Gemüther mit ihren noch ziemlich allgemein gefürchteten oder doch nicht gebührend gewürdigten Ordnungsverwandten aussöhnen.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 203-205.
Lizenz:
Kategorien: