Dritte Familie: Meerschildkröten (Cheloniida)

[78] Durch die zu Flossen umgestalteten Beine, deren vordere die hinteren an Länge bedeutend überragen, unterscheiden sich die Meerschildkröten (Cheloniida) von ihren Ordnungsverwandten. Jeder ihrer Füße bildet eine lange, breitgedrückte Flosse, welche, wie Wagler hervorhebt, mit denen der Robben große Aehnlichkeit hat; die Zehen werden von einer gemeinschaftlichen Haut überzogen und dadurch unbeweglich, verlieren auch größtentheils die Nägel, da nur die beiden ersten Zehen jedes Fußes, und diese nicht immer, spitzige Klauen tragen. Außerdem kennzeichnen sich die Meerschildkröten durch den herzförmigen, vorn rundlich ausgerandeten, hinten zugespitzten, flach gewölbten, gegen das Ende der Rippen unvollkommen verknöcherten Rückenpanzer, in welchen die Gliedmaßen nicht zurückgezogen werden können, die Bildung des Brustpanzers, dessen einzelne Stücke keinen zusammenstoßenden Schild herstellen, sondern durch Knorpel verbunden werden, die Art der Beschuppung oder Beschilderung, den kurzen, dicken, runzeligen, halb zurückziehbaren Hals, den kurzen, starken, vierseitigen Kopf und die nackten, mit scharfen, zuweilen am Rande gezähnelten Hornschneiden bedeckten Kiefer, welche sich an der Spitze hakenförmig überbiegen und so in einander passen, daß die oberen die unteren vollständig in sich aufnehmen, die großen vorspringenden Augen und die sehr kleinen Nasenlöcher, die eigenthümliche Beschilderung des Kopfes und der Füße und den kurzen, stumpfen, mit Schuppen bekleideten Schwanz usw.

Alle zu dieser Gruppe zählenden Schildkröten leben im Meere, zuweilen hunderte von Seemeilen entfernt von der Küste, schwimmen und tauchen vorzüglich und begeben sich nur, um ihre Eier abzulegen, auf das Land. Inwiefern sich die Lebensweise der einzelnen Arten unterscheidet, ist schwer zu sagen, weil man ausführliche Beobachtungen über alle Seeschildkröten eigentlich nur während ihrer Fortpflan zungszeit oder, richtiger, während des Eierlegens angestellt hat, von ihrem Leben im Meere aber nicht viel mehr weiß, als bereits die Alten wußten. An Berichten über ihr Wesen und Gebaren, Thun und Treiben fehlt es freilich nicht; es fragt sich aber, wie viel von diesen Mittheilungen auf gewissenhafter Beobachtung und wie viel auf Einbildung oder gläubigem Nacherzählen unwahrer Angaben beruht. Gewährsmännern wie Prinz von Wied, Audubon, Holbrook und Tennent dürfen wir wohl unbedingt vertrauen; die Wahrheit oder Unwahrheit der Berichte anderer zu prüfen, sind wir noch nicht im Stande. Ich will versuchen, nach allen mir bekannten Quellen Lebensbilder der wichtigsten Arten zusammenzustellen, so gut ich dies bei den für mich verfügbaren Mitteln vermag.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 78-79.
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