Seenelke (Actinoloba dianthus)

[477] Weniger anziehend ist die daneben auf dem Gipfel des Aquarium-Felsens stehende Warzen-Seerose (Bunodes gemmacea), benamst von den Reihen weißlicher Warzen auf dem grauen Körper. Einer schönen schlangenhaarigen Gorgone möchte man die grüne Seerose, Anthea cereus (Fig. 7), vergleichen. Ihre zahlreichen Fühler, oft mehr als hundert, ragen weit über den Körper hervor und sind von grüner oder olivengrüner Farbe mit violetten oder rosa Spitzen. Haben sie sich an den senkrechten Flächen angesetzt, so lassen sie gewöhnlich den Tentakelschopf schlaff herabhängen; auf horizontaler Unterlage aber breiten sie die Fühler nach allen Seiten aus und lassen sie mit Schlangenbewegungen unter einander spielen und sich verflechten. In einem großen Aquariumbecken massenhaft neben einander und in verschiedenen Lagen an den Wänden angeheftet, geben sie bei direkter lebhafter Beleuchtung einen prachtvollen Anblick. Den Preis der Schönheit muß man aber der Seenelke, Actinoloba dianthus (Fig. 3), zugestehen. Ihre Kopfscheibe ist wellenförmig gelappt und trägt unzählige zarte, in einem fortwährenden Wogen begriffene Fühler. Sie gehören auch der Größe nach zu den ansehnlichsten Actinien der europäischen Küsten, da sie faustgroß werden. In der Färbung variiren sie vom Braun durch Gelb zu einem reinen Schneeweiß.

Diese und noch einige andere Arten von Actinien sind die am besten gedeihenden Bewohner der so lehrreichen Aquarien, wohin sie sogar aus fernen Meeren versetzt werden können, indem sie [477] den Transport leichter als irgend andere Seethiere aushalten. Das Hamburger Aquarium bekam sogar Seerosen von der peruanischen Küste; die kalte Passage um das Kap Horn hatte man ihnen durch Erwärmung ihrer Gefäße erträglich gemacht. Den Transport von ein bis zwei Tagen vertragen unsere in der Strandzone lebenden und an zeitweilige Entblößung gewöhnten Arten übrigens am besten, wenn man sie in Schachteln zwischen etwas Lattigulve (Ulva lactuca) verpackt. Hat man unterwegs Zeit, sie einmal mit etwas mitgenommenem Meerwasser zu erfrischen, so ist man ihrer ganz sicher.

Die äußere Schönheit und Farbenpracht, das stille Wesen, die blumenhafte Bescheidenheit verbergen die äußerste Gefräßigkeit der Actinien. Sie würgen große Stücke Fleisch hinab, am liebsten aber saugen sie Miesmuscheln und Austern aus. Ich habe oft mit Vergnügen der Fütterung im Aquarium zugesehen, wozu sich natürlich am besten die großen Arten mit langen Fangarmen eignen. Denn als wahre Fangarme erweisen sich alsdann die Fühler. Die Actinie sitzt, weil keine Berührung oder Witterung aus nächster Nähe sie erregt, still und blumenhaft da. Aber kaum bringt der Wärter ein Stück Fleisch, einen kleinen Fisch oder Krebs an den Fühlerwald, als diese auch schon wie auf einen Schlag sich um die Beute legen und sich mit ihr in den Vorraum zur Magenhöhle versenken. Von dem ihnen gereichten Fleisch pressen sie nicht etwa nur den Saft aus, sondern sie verdauen es vollständig. Nur die Fettmassen, welche man ihnen mit magerem Fleisch zusammen reichte, wurden, wie man im Aquarium beobachtete, wieder ausgestoßen. »Gut gefütterte Actinien«, sagt Möbius, »häuten sich oft, sicherlich deshalb, weil sie bei reichlicher Nahrung schnell wachsen. Während der Häutung halten sie sich niedrig zusammengezogen; dehnen sie sich, nachdem diese vollbracht ist, wieder aus, so umgibt die abgestoßene Haut die Basis ihres Fußes als ein lockerer schmutziger Gürtel.«

Wie bei allen Polypen und Quallen ist auch bei den Actinien die Möglichkeit, daß sie lebende Thiere mit solcher Leichtigkeit bewältigen, nur durch den Besitz der schon mehrfach erwähnten mikroskopischen Nesselkapseln zu erklären. Sie sind kaum bei irgend welchen anderen Coelenteraten in so erstaunlichen Mengen vorhanden, als gerade bei den Actinien, weshalb wir einige nähere Mittheilungen für diese Stelle verspart haben. Eine der häufigsten Formen ist die eines länglichen ellipsoidischen Körpers (Fig. 1 und 2) mit einem kurzen Halse. Von hier läßt sich ein langer hohler Faden verfolgen, welcher in mannigfachen Windungen einen großen Theil der hohlen Zelle erfüllt und an seiner Wurzel in unmittelbarem Zusammenhange mit der Zellwand steht. Dieser Nesselfaden entsteht in der Zelle und kommt nicht eher zum Vorscheine, als bis das ganze Nesselorgan sich von dem Polypen ablöst und auf einem fremden Gegenstande haften bleibt. Bei Druck auf die Wandungen der Flasche sucht die Flüssigkeit an der Stelle des schwächsten Widerstandes einen Ausweg, das ist oben beim Uebergange der Zellenwand in die Fadenwand. So erfolgt von selbst ganz mechanisch die Umstülpung und das Hervortreten des Fadens, wobei, wenn es einmal begonnen, noch solche Elasticitätsverhältnisse im Faden wirken mögen, welche sich dem Auge und der Berechnung entziehen. Die Oberfläche des Fadens ist klebrig oder auch an der Basis mit feinen Stacheln und Härchen versehen, so daß er leicht haftet. Ohne Zweifel hat der Inhalt des noch im Inneren seiner Zelle befindlichen Fadens die empfindliche brennende Eigenschaft, welche so viele Coelenteraten zu so heimtückischen Thieren macht. Eben diese Substanz, welche am Faden haftet und sich schwer mit dem Wasser zu mischen scheint, kommt nun bei Entfaltung des Fadens nach außen. Die Wirkung wird natürlich verstärkt, indem unzählbare Nesselzellen platzen. Ueber den wichtigsten Dienst, den sie den Coelenteraten im allgemeinen leisten, sagt Möbius, dem wir die speciellsten Untersuchungen, auch die obigen verdanken: »Sobald ein vorbeigehendes Thier die Fangarme berührt, so fahren aus den Nesselkapseln lange feine Fäden hervor, hängen sich an demselben fest und halten es zurück. Und ist es nicht stärker, als der lauernde Räuber, der jene Fäden auswirft, so vermag es nicht sich wieder loszuwinden. Denn immer mehr Nesselfäden bedecken das umstrickte Thier, während es in den Mund hineingezogen wird; ja selbst im Inneren [478] der Leibeshöhle sind noch Vorräthe der Kapseln in der Haut langer Schnüre vorhanden. Je heftiger der Kampf, je mehr Nesselkapseln entladet der Polyp, um seinen Gefangenen festzuhalten, gleichwie eine Spinne Hunderte von feinen Fäden mit einem Male aus ihren Spinnröhrchen strömen läßt, wenn sie ein kräftiges Insekt bewältigen und festschnüren will.


Nesselkapseln: 1 und 2 mit eingestülptem Faden, 3 halb ausgestülpt, 4 ganz ausgestülpt. Stark vergrößert.
Nesselkapseln: 1 und 2 mit eingestülptem Faden, 3 halb ausgestülpt, 4 ganz ausgestülpt. Stark vergrößert.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 477-479.
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