[518] Wer zum erstenmale eine Sammlung von Schwämmen (Spongiae, Spongien), getrocknet oder in Spiritus aufbewahrt, ansieht, wird über die thierische Natur dieser, unter den verschiedenartigsten Formen, als zierliche Becher, ungeschlachte Klumpen, Knollen, Krusten, Stauden, Bäumchen, Ruthen u.a. auftretenden Organismen nicht nur in Zweifel sein, er wird, nach dem Gesammteindruck urtheilend, sie dem Pflanzenreiche zutheilen. Indessen, da die Schwämme im zoologischen Museum aufgestellt sind, wird unser Naturfreund vielleicht denken, daß sie lebend und an ihren natürlichen Standorten beobachtet, einen anderen Eindruck machen und ihr Wesen als Thiere offenbaren werden. Suchen wir also Schwämme im Freien auf. Sie kommen nur im Wasser vor, und äußerst kärglich sind sie im Süßwasser vertreten durch die einzige Gattung Spongilla. Auf dem Grunde mancher Gewässer, an hölzernen Brückenpfeilern kann man während des Sommers grünliche oder graue verzweigte oder rundliche, faust- auch kopfgroße Massen von weicher, ja matschiger Substanz ablösen, welche dem bloßen Auge nicht die geringste Spur von Bewegung zeigen, sich wochenlang in größeren Glasgefäßen eben so passiv verhalten und, an der Sonne schnell eingetrocknet, ihre Gestalt im Ganzen behalten, sich aber leicht zu Staub zerdrücken lassen. Das Mikroskop zeigt, daß dieser Staub größtentheils aus zweispitzigen feinen Kieselnadeln besteht. Wir sind so klug als wie zuvor. Also, ans Meer, wo Spongien in Fülle vorhanden! Ich will den Leser an einige Stellen des adriatischen Meeres und zu den Jonischen Inseln führen. Bei Lesina, der Stadt auf der Insel gleichen Namens, liegt herrlich auf einem Felsenvorsprunge am Meere ein Kloster, dessen Gastfreundschaft mir oft zu theil geworden. Die Klippen werden bei der Ebbe so weit frei, daß man sie betreten und auf ihnen sammeln kann. Sie sind stellenweise, nämlich auf einer Ausdehnung von 10 bis 20 Quadratmeter, dicht von einer einen halben bis zwei Centimeter dicken Kruste von weißlicher Farbe überzogen, die man leicht in Stücken ablösen kann. Indem man dieselbe auseinander bröckelt, sieht man, daß sie theils aus unregelmäßig gestalteten, theils kugeligen und flaschenförmigen Körpern zusammengesetzt ist, die ein Leben erst dann verrathen, wenn man fein zertheilten Farbestoff ins Wasser in ihre Nähe bringt. Durch denselben werden Strömungen sichtbar, welche von den größeren Oeffnungen der weißen Körper ausgehen und durch irgend welche Vorrichtungen im Innern dieser Körper, Kalkschwämme, verursacht werden müssen. Alle diese Kalkschwämme sind hart und rauh anzufühlen oder zeigen wenigstens, wenn sie von weicherer Beschaffenheit sind, eine rauhe, stachelige Oberfläche. Schon mit der Lupe erkennt man, daß sie mit stachelartigen und sternförmigen Hartgebilden erfüllt sind. Im Ganzen sehen sie mehr wie Gewächse, als wie Thiere aus; selbst jene bei der Berührung schwindenden Kelche und Blumen, welche wenigstens die Lebendigkeit der Polypen verrathen, fehlen hier.
[518] Wir wollen aber unsere Reise fortsetzen und laufen in den langgestreckten buchtartigen Hafen von Argostoli auf Cephalonia ein. Auf der Stadtseite, also rechts vom Eingange her, hinter der Brücke, wo die Bucht sich zu dem von vielen Quellen gespeisten brakischen Sumpfe verengert, finden wir eine Uferstrecke, die von der Wasserlinie an bis wenige Fuß unter dem Spiegel in blauen und röthlichen Farben prangt. Die den Stein inkrustirenden Gebilde, welche den schönen Anblick gewähren, lassen sich leicht in Kuchen von der Ausdehnung mehrerer Handflächen abheben. Die Unterseite schmiegt sich der Unterlage an, die Oberseite ist wellig und mit berg- oder röhrenförmigen Hervorragungen versehen, auf deren Gipfel je eine, einige Millimeter messende Oeffnung sich befindet. Auch hier können wir uns durch das bei den Kalkschwämmen angewendete Mittel von den Strömungen überzeugen. Unsere Einsicht in die Natur dieser Körper ist jedoch abermals nicht gefördert wor den. Lassen wir sie eintrocknen, so schwindet gar bald ihre Schönheit, es werden graue schilferige, unförmliche Stücke, welche ein dichtes Netzwerk von mikroskopischen Kieselnadeln enthalten und, so viel wenigstens wird offenbar, mit den Spongillen des süßen Wassers verwandt sind, von denen wir ausgingen.
Aber auch das ist uns klar geworden, daß, um die wahre Natur dieser weit verbreiteten und namentlich in allen Meeren, in allen Tiefen vorkommenden Organismen zu erkennen, die Bekanntschaft mit ihrer unbeständigen äußeren Form und die hierauf gestützte Vergleichung mit anderen Lebewesen nicht ausreicht. Sehen wir von einigen älteren englischen und italienischen Naturforschern ab und von Espers', des Erlanger Professors, Naturgeschichte der Pflanzenthiere, so wurden die Spongien, weil ihnen nicht recht beizukommen war, fast vernachlässigt, bis 1856 Lieberkühn die feinere Struktur unseres Süßwasserschwammes und einige Jahre später die einiger Meerschwämme enthüllte, und bis ein englischer privatisirender Naturfreund, Bowerbank, seine besondere Aufmerksamkeit der unglaublichen Formenmannigfaltigkeit der kieseligen und kalkigen Harttheile der Schwämme widmete. Auch ich habe mein Theil dazu beigetragen, die Formenmenge der Spongien der europäischen Meere und des atlantischen Oceans systematisch zu bewältigen und dem Verständnis zuzuführen. Ich wurde bald darauf aufmerksam, daß die Schwämme, wie keine andere Klasse der niederen Organismen, von höchster Wichtigkeit für die Abstammungslehre wären, da man an ihnen auf das Klarste die Abhängigkeit der Gestaltung von den wechselnden äußeren Verhältnissen, die Anpassung an die gegebenen Bedingungen, die nach Ort und Klima sich richtende Abänderung, mit einem Worte die Artveränderung beobachten und studiren kann. Ich wies nach, daß man diese Umwandlungen an den mikroskopischen Bestandtheilen der Schwämme verfolgen könne. Seitdem dann Haeckel seine bewundernswürdige Monographie der Kalkschwämme geschrieben, 1872, ist es allgemein anerkannt, daß das Studium dieser Wesen ganz besonders wichtig und interessant sei.
Aus unseren Untersuchungen ergab sich nun, daß die Schwämme entschieden thierischen Charakter an sich tragen. Es fragte sich nur, ob sie auf jener Grenze stehen, wo das Thierreich sich in ein unentschiedenes, zwischen die wahren Thiere und die wahren Pflanzen eingeschobenes Mittelreich der Urwesen oder Protisten verliert, oder ob sie sich zur Höhe der Coelenteraten erheben. Haeckel huldigt der letzteren Ansicht, indem er sich vornehmlich auf die Entwickelungsgeschichte der Kalkschwämme stützt. Doch ist die Frage eine sehr schwierige und verwickelte, und auch durch die neuesten schönen Untersuchungen von F.E. Schulze und Barrois keineswegs gelöst.
Woran erkennt man denn nun eigentlich einen Schwamm? wird ungeduldig gefragt. Wir wollen uns mit den Besonderheiten des Schwammkörpers bekannt machen, indem wir an das in Jedermanns Händen befindliche Skelett eines Badeschwammes anknüpfen. Wir bezeichnen mit »Skelett« das Fasergerüst, das durch große Elasticität sich auszeichnet und aus der Verdichtung einer halbflüssigen, etwas kleberigen Substanz, dem sogenannten Protoplasma, hervorgegangen ist. Dasselbe befindet sich im frischen, lebenden Zustande zwischen den Maschen des Schwammgerüstes und überzieht in Form eines, dem bloßen Auge als eine schwarze Haut erscheinenden Netzes die [519] Außenfläche. Das Mikroskop belehrt uns, wenn wir einen kleinen Hautfetzen von einem lebenden Badeschwamme betrachten, daß zwischen den gröberen, mehr dickfaserigen Maschen immer feinere und hellere Maschen sich ausspannen, welche in einer ununterbrochenen, wenn auch langsamen Veränderung sich befinden. Die Fäden des dickflüssigen Protoplasma verdünnen oder verdicken sich, die Substanz ist in einem immerwährenden Flusse, wobei über die ganze Schwammoberfläche die Netzform gewahrt bleibt, so daß der Schwamm durch unzählige winzige, immerwährend in Form und Größe wechselnde Poren dem Wasser Einlaß bietet.
Daß das Wasser auf diesem Wege in den lebenden Schwamm eindringt, zeigt ein einfacher Versuch. Fein zertheilter Farbstoff macht uns die mikroskopischen Strömchen sichtbar. Die Untersuchung auf die tieferen Schichten unseres lebenden Badeschwammes ausdehnend, treffen wir auf ein unter der veränderlichen Oberflächenschicht beginnendes Kanalsystem, dessen Wandung mit einer Lage wimpernder Zellen bekleidet ist. Die Schwingungen dieser Wimpern erregen jene Strömungen; die nahe an der Oberfläche noch ganz feinen Kanälchen vereinigen sich zu weiteren gefäßartigen Räumen und Aesten, und diese münden schließlich in diejenigen Höhlungen ein, die wir an unserem Badeschwamme mit den größeren, oft schornsteinähnlichen Löchern sich öffnen sehen. Das durch die Poren eingedrungene Wasser wird durch die Schornsteine oder Oscula mit ziemlicher Gewalt ausgespieen, und dieses Wassergefäßsystem, welches die Zufuhr der Nahrung vermittelt, ist die für die Klasse der Schwämme am meisten charakteristische Einrichtung.
Sehr viele Schwämme haben nur einen Schornstein; dieselben sind einem Individuum oder einer Person gleich zu stellen. Es folgt daraus, daß die Schwämme mit mehreren oder vielen Schornsteinen zusammengesetzte Stöcke sind. Der Vergleich mit den Polypenstöcken liegt auf der Hand. So würde man aus der bloßen beistehenden Abbildung der zu der Ordnung der Halichondrien mit Kieselnadeln gehörigen Axinella polypoides des Mittelmeeres weit eher auf einen Polypenstock, als auf einen Schwamm schließen. Die Schornsteine desselben zeigen einen strahligen Bau und liegen in flachen Vertiefungen. Da sie meist acht Strahlen zählen und der Schwamm, im Leben schön braungelb bis schwefelgelb, sich durch eine festere Axe auszeichnet, so ist die Vergleichung mit einem achtstrahligen Rindenpolypen um so näher gelegt. Nichtsdestoweniger kann ich diese Uebereinstimmung nicht für eine ontogenetische im Darwin'schen Sinne halten. An getrockneten Schwämmen kann man sich oft schwer oder gar nicht über Zahl und Lage der Oscula klar werden; auch entwickeln sich bei manchen Schwämmen die Oscula entweder gar nicht oder sie wachsen wieder zu, und das Wasser strömt durch Bezirke mikroskopischer Poren aus. Es gehört dies mit zu der die ganze Klasse der Spongien charakterisirenden Unbeständigkeit ihrer Merkmale.
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