Erste Unterklasse: Die Strudelwürmer[142] (Turbellaria)

Wenn wir die oben an der lappenförmigen Planarie begonnenen Beobachtungen weiter fortsetzen, sie z.B. frei im Wasser schwimmen lassen, so fällt das regelmäßige stetige Fortgleiten ohne sichtbare Ruderbewegungen auf; nur wenn das Thier Kopf oder Schwanz biegt, vollführt der Körper, einem Ruder entsprechend, die Drehung. Das Mikroskop zeigt nun, daß die Planarie über und über mit feinsten Härchen bedeckt ist, deren unausgesetzte schwingende Bewegung den Körper ruhig durch das Wasser gleiten läßt. In welcher Weise das Einstellen dieser Fortbewegung, gleichsam das Vorankerlegen des Schiffes, geschieht, ist nicht ganz klar. Jedenfalls erscheint der von Ehrenberg gewählte Name glücklich, welcher an den von dem Thiere erregten und dasselbe fortwährend umkreisenden Wasserstrudel erinnert. Daß bei dieser zarten Organisation die Strudelwürmer vorzugsweise im Wasser leben, versteht sich von selbst. In stehenden und fließenden Gewässern trifft man sie an. Reichlich im süßen Wasser wohnend, kommen sie doch in unerschöpflicher Fülle erst im Meere vor. Wo an irgend einer Meeresküste im brackischen oder reinsalzigen Wasser eine Vegetation von Ulven, Seegräsern, Algen und Tangen fortkommt, ist mit untrüglicher Sicherheit auch eine Bevölkerung von Turbellarien vorauszusagen, im Eismeere sowohl, wie unter den Tropen. Manche halten sich nur zwischen den zarten Zweigen der Algen auf, in geschützten, dem Wellenschlage nicht sehr ausgesetzten Buchten; andere trifft man zwischen den Aesten der harten Corallinen und Kalkalgen, zwischen denen ihr gebrechlicher Körper den stärksten Schlägen [142] der Brandung trotzt. Wenn aber eine steile Küste so bröckelig ist, daß Pflanzen sich nicht ansiedeln können, so sind die Strudelwürmer gleichwohl da, indem sie in den feinsten, kaum dem Auge bemerkbaren Riefen und Rissen sich verbergen. Nimmt man nun dazu, daß eine wenn auch kleine Abtheilung auf dem Lande lebt, wo nämlich unter Baumrinde, in Treibhäusern, auf den Blättern in feuchten Tropenländern ihre Haut vor der Austrocknung geschützt ist, ja, daß eine Art die Regenwürmer in Brasilien unter der Erde aufsucht, so muß man über die Biegsamkeit dieser Art von Organismen erstaunen. Wenn die Zusammenstellung der Zwergspitzmaus mit dem Elefanten und Grönlandwal imponirt, so können wir aus den Turbellarien mit noch viel anständigeren Verhältnissen aufwarten. Es gibt einzelne Species aus der Unterordnung der Schnurwürmer von 10 Meter Länge. Sie verhalten sich in dieser Dimension zu den kleinsten etwa wie 45,000 zu 1.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 142-143.
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