Gemeine Kugelschnecke (Acera bullata)

[306] Die Familie der Bullaceen besteht aus Gattungen, bei welchen die Kiemen auf dem Rücken sitzen und vom Mantel bedeckt werden. Fast alle besitzen eine äußere Schale, oft so groß, daß sich das Thier vollständig darin bergen kann. Wir haben an den europäischen Küsten einige ausgezeichnete Repräsentanten und wollen zuerst an der gemeinen Kugelschnecke (Acera bullata) der Ost- und Nordsee und des Mittelmeeres ihre Eigenthümlichkeiten kennen lernen. Unser Führer ist das Prachtwerk, welches Meyer und Möbius über die Hinterkiemer der Kieler Bucht herausgegeben haben, und dessen Wort und Bild wir unten über die Nacktkiemer vielfach benutzen werden1.

Das Thier von Acera ist fast walzenförmig verlängert; der Kopf ist niedergedrückt und vorn abgestumpft. Der Fuß hat große abgerundete Lappen, welche den größten Theil der Schale bedecken können. Am Hinterende des Mantels ist ein fadenförmiger Anhang. Dieser Faden entspringt von dem Mantelrande, tritt aus dem hinteren Schalenspalte hervor und kann sich ausdehnen und zusammenziehen. Ueber seinen Nutzen liegen keine Beobachtungen vor. Jedenfalls erinnert er an den Schwanzanhang der Pterotracheen. Die Schale ist dünn, hornartig, elastisch und eiförmig. Die großen Exemplare vorliegender Art strecken sich beim Kriechen bis auf vierzig Millimeter Länge aus. Ihr mächtig entwickelter Fuß dient nicht bloß zum Kriechen, sondern auch zum freien Schwimmen. Ruht das Thier am Boden oder kriecht es, so sind die freien Seitenplatten des Fußes in die Höhe geschlagen und bedecken nicht nur die Seiten des Körpers, sondern auch den Mittelrücken und einen Theil der Schale, ja ihre Ränder legen sich noch übereinander. Wenn man die Schnecke aus dem Wasser nimmt oder sie beunruhigt, so verkürzt sie den ganzen Körper so sehr, daß ihn der Fuß ganz umhüllen kann. Dann bildet das ganze Thier eine weiche schleimige Kugel, aus welcher der schützend zusammengezogene Fuß weiter nichts als nur noch ein kleines Dreieck von der Schale hervorsehen läßt. Daher ihr Name.

Die Lebensweise der Kugelschnecke ist nach Meyers und Möbius' Worten folgende. Die größten Exemplare wurden im Winter und Frühjahre gefangen. Im Juli fischten die beiden häufig kleine, nur 3 bis 5 Millimeter lange Thiere und viele leere und mittelgroße Schalen zwischen faulem [306] Seegras, woraus sich entnehmen läßt, daß die Kugelschnecke von einem Frühlinge bis zum nächstfolgenden leben mag. Sie gehört im Kieler Busen da, wo schlammiger, seegrastragender Grund ist, zu den gemeinsten Thieren und liebt vorzüglich die Region des abgestorbenen Seegrases, das die Fischer Rottang nennen. Hier findet sie an den braunen faulen Blättern reichliche Nahrung. Im Aquarium frißt sie außer diesen auch Fleisch.

»Die Kugelschnecke ist«, fahren die Beobachter fort, »fast immer in Bewegung. Sie kriecht am Boden hin oder an der Wand des Aquariums hinauf. Zuweilen hängt sie auch etwas krumm zusammengezogen an der Oberfläche. Beim Kriechen hebt und senkt sie den Kopf und biegt sie den Vorderkörper nach rechts und links. Mit dem unteren Theile des Fußes schieben sich auch die emporgeschlagenen Flügel desselben vorwärts, so daß die Schale, worauf sie liegen, abwechselnd mehr frei und darauf wieder mehr bedeckt wird. Geschieht dieser Wechsel lebhafter als gewöhnlich, so schickt sich die Kugelschnecke zum Schwimmen an, einer eigenthümlichen, überaus anziehenden, aber seltenen Bewegung, die man ein Fliegen im Wasser nennen möchte.


Gemeine Kugelschnecke (Acera bullata). Doppelte Größe.
Gemeine Kugelschnecke (Acera bullata). Doppelte Größe.

Die gelbe Schale gleitet immer schneller und weiter vor- und rückwärts, der Vorderkörper macht rhythmische Biegungen, die Fußlappen werden abgelöst und wieder angezogen, immer weiter und immer kräftiger, bis endlich ihre Niederschläge den ganzen Körper vom Boden abstoßen. Das Thier fährt nun, bald rechts oder links, bald vor- oder rückwärts schwankend, immer höher im Wasser empor und schwebt in den anmuthigsten Stellungen mitten in seinem klaren Elemente. Sind diese Bewegungen aufs höchste gesteigert, so macht der Fuß in einer Sekunde zwei bis drei kräftige Schläge, wobei er sich in dem Grade vom Körper abzieht, daß er eine nach unten konkave Fläche bildet. Damit gleichzeitig biegt sich der Vorderkörper entweder vorwärts oder rückwärts. Während dies geschieht, sinkt das Thier jedesmal ein wenig, fährt aber beim Niederschlag des ausgespannten Fußes darauf plötzlich wieder schräg in die Höhe.

Nachdem solche lebhafte Bewegungen einige Minuten angehalten haben, werden die Schläge schwächer; die Schnecke sinkt langsam tiefer; zuweilen erhebt sie sich, ehe sie den Boden berührt, noch einmal durch einige starke Schläge, jedoch nicht mehr zu ihrer früheren Höhe; die Kräfte werden matter, sie sinkt zu Boden, schlägt nur noch die Fußlappenränder in die Höhe, lüftet sie noch einigemal, legt sie dann über der Schale ruhig zusammen und fängt endlich wieder an zu kriechen.«

Die Verfasser dieser sehr anschaulichen Schilderung meinen, daß vielleicht die Begattungslust des Frühlings zu diesen Bewegungen anreizt, da gerade im Februar, wo sich die Thiere zur Begattung aufsuchen, sie öfters schwimmend angetroffen wurden. Im Aquarium legten die Kugelschnecken schon vom Januar an Eier; im Kieler Busen fanden Meyer und Möbius den Laich [307] im Mai und Juni in solchen Mengen am Seegrase, daß sie ganze Hände voll Schnüre aus dem Schleppnetz nehmen konnten.

Die Eischnüre sind drehrund, 2 bis 3 Millimeter dick, von sehr verschiedener Länge und bald spiral gelegt, bald in unregelmäßigen Windungen hin- und her- und übereinander gebogen. Eine nicht ganz acht Centimeter lange Schnur enthielt eintausendundfunfzig Eier.

Ueber die Methode des Fischens und Sammelns sagen die genannten Forscher: »Die Bewohner des Grundes fischen wir mit einem Schleppnetze, dessen Gestell aus zwei parallel durch einen Bogen und eine Schneide verbundenen, ungefähr zwei Fuß langen Eisenstäben besteht. Jener anderthalb Fuß breite und dreiviertel Fuß hohe Bogen und die Schneide bilden die Oeffnung des Netzbeutels, der an allen Gestelltheilen befestigt ist. Anfangs hatten wir einen engmaschigen Fischernetzbeutel; jetzt benutzen wir dazu groben, für Wollstickereien gebräuchlichen Stramin, der bei genügender Haltbarkeit sich durch engere Maschen auszeichnet. Seiner Anwendung verdanken wir erst die Entdeckung mancher kleinen Thiere unseres Gebietes, besonders nachdem wir auch auf den Gedanken gekommen waren, den feinen Schlamm der Thalrinne der Bucht aus dem Netze in ein Haarsieb zu schöpfen und unter der Wasserfläche so lange wegzuspülen, bis die kleinen Schlammbewohner frei werden.

Ist das Schleppnetz mit Pflanzen angefüllt, so schütten wir den ganzen Inhalt in ein flaches Faß, um ihn hier zu durchsuchen. Zarte rothe Algen werden in Glashäfen mit klarem Wasser vertheilt und später, wenn sie sich ruhig ausgebreitet haben, wiederholt nach Thieren durchmustert.

Es ist auch zweckmäßig, die Seepflanzen in Schüsseln unter wenig Wasser einige Stunden ruhig stehen zu lassen. Dann kriechen die meisten Schnecken heraus und versammeln sich an der Oberfläche, während sich die Würmer am Boden des Gefäßes im Dunkeln verbergen. Manche Würmer, die im Moder wohnen, versammeln sich in ganzen Knäueln unter leeren Muschelschalen, die mit ihnen aus dem Grunde kamen, wenn man den ausgesiebten Fang in flachen Schüsseln ins Helle stellt.

Im flachen Wasser, wo die Seepflanzen bis nahe an die Oberfläche wachsen, kann der Kätscher zum Fang von Schnecken angewendet werden. Die Steine, woran an der Mündung der Bucht Seetange wachsen, läßt man vom Boote aus mittels Haken vom Grunde in die Höhe heben, nimmt sie in das Boot und sucht ihre Bewohner ab. Wenn die Fischer Muschelpfähle aufziehen, um die Miesmuscheln abzupflücken, lassen sich, selbst wenn der Hafen mit Eis bedeckt ist, Rissoen, Aeolidien, Dendronotus, Seesterne und Polypen sammeln. In den Monaten, wo keine Miesmuscheln geerntet werden, ist das Aufziehenlassen von Muschelpfählen kostspieliger als das Mieten eines Bootes zur Schleppnetzfischerei, welche auch in der Regel eine weit reichlichere und mannigfaltigere Ausbeute als die Muschelpfähle liefert.

Bei niedrigem Wasser ist das Absuchen der trockengelegten Steine, das Aufgraben des Sandes nach Muscheln und Würmern und das Durchsuchen der Lachen nach kleinen Krustern und Schnecken lohnend.

Zur Abfischung der Oberfläche dient ein kleiner flacher Kätscher aus sehr feinem Tüll und ein Beutel aus eben solchem Zeuge, welcher um einen hölzernen Ring gespannt ist. Dieser hängt hinten am Boote, jener wird an einem kurzen Stabe in der Hand gehalten, während das Boot sanft und langsam fortgleitet. Der Inhalt beider wird wiederholt in einer Schüssel abgespült und dann mit dem Mikroskope untersucht.

Zum Aufpumpen des Wassers aus der Tiefe wenden wir eine kleine Saugpumpe aus Kupfer an, woran ein langer Gummischlauch mit viertelzölliger Wanddicke und halbzölliger Oeffnung befestigt ist. Das untere Ende des Schlauches ist durch ein kegelförmiges Gefäß von Kupfer verschlossen, dessen Boden feine Löcher hat, durch welche nur kleine Körper in die Röhre eindringen können. Das aufgepumpte Wasser fließt in einen Beutel von feinem Tüll, der im Wasser hängt, damit zarte Thiere nicht durch den Anschlag an das Gewebe verletzt[308] werden. Der Anwendung dieser Pumpe verdanken wir die Entdeckung lebender Foraminiferen im Kieler Hafen.

Thiere, die wir längere Zeit lebend erhalten wollen, bringen wir in Glashäfen, verschließen diese mit Tüll und setzen sie in ein Hutfaß. Dies ist eine kleine Art Fischkasten von Kahnform, der ein wagerechtes Bret mit Löchern enthält, in welche die Glashäfen hineinpassen. So lange unser Fahrzeug vor Anker liegt, schwimmt das Hutfaß mit den Gläsern im Wasser daneben. Es taucht so tief ein, daß die Gläser stets unter dem Wasser sind. Soll gesegelt werden, so ziehen es zwei Mann in die Höhe und setzen es auf Deck, bis das Fahrzeug wieder vor Anker geht.

In solchen mit Tüll oder Leinwand überbundenen Glashäfen bringen wir unsere Thiere in Körben, deren Raum in Fächer abgetheilt ist, auch lebendig nach Hamburg, um sie zu weiteren Untersuchungen in Aquarien zu halten2

Fußnoten

1 Man hätte denken sollen, daß diese beschränkte Lokalität eines schon salzarmen Meeres, weder durch Küstenentwickelung noch durch Strömungen und andere, der Thierwelt günstige Bedingungen bevorzugt, keine besondere und anziehende Ausbeute geben würde. Ganz das Gegentheil! Die beiden Naturforscher haben zuerst alle physikalischen Verhältnisse der Kieler Bucht, soweit sie irgend einen Einfluß auf das Thierleben ausüben, gründlichst untersucht und ein höchst anziehendes und lehrreiches Bild der Küstenbeschaffenheit, des Grundes, der Zusammensetzung und Temperatur des Wassers usw. gegeben. Sie belehren uns, indem sie uns an den Schleppnetzexkursionen theilnehmen lassen, wie die Vertheilung der Thiere stattfindet und von welchen Umständen sie abhängt, welche Pflanzen vorherrschen, und wie die Thiere sich auf diesem Bezirk, wo die größten Tiefen zehn Faden betragen, nach wohlgeschiedenen Regionen sondern.


2 Die mit dieser Umsicht und Sorgfalt eingefangenen Thiere, voran die Hinterkiemer, wurden nun in Hamburg in den großen und kleinen Aquarien gehegt, ihre Gewohnheiten wurden belauscht, und sie wurden in ihren natürlichen Farben meisterhaft abgebildet. Es sind neunzehn Arten, ein kleiner Bruchtheil der bekannten Anzahl der Hinterkiemer, aber gerade mit Berücksichtigung aller jener Umstände dargestellt, welche eine wahre Lebensbeschreibung verlangt.


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 306-309.
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