Zehnte Familie: Hornvögel (Bucerotidae)

[272] Was die Pfefferfresser für die Neue, sind die Hornvögel (Bucerotidae) für die Alte Welt, so wesentlich auch die Unterschiede erscheinen mögen, welche zwischen beiden bestehen und von mir nicht weggeleugnet werden sollen. Sie bilden eine vereinzelt dastehende Vogelfamilie und haben streng genommen mit anderen Vögeln keine Aehnlichkeit, erinnern meiner Ansicht nach aber immer noch mehr an den Pfefferfresser als an die Eisvögel, in denen man ihre nächsten Verwandten zu erkennen meint. Es hält nicht schwer, sie zu kennzeichnen; denn der lange, sehr dicke, mehr oder weniger gebogene und meist mit sonderbaren Auswüchsen, sogenannten Hörnern, versehene Schnabel bildet, so verschieden er auch gestaltet sein mag, ein so bezeichnendes Merkmal, daß sie mit anderen Vögeln nicht verwechselt werden können. Sie sind aber auch im übrigen auffallend gestaltet. Der Leib ist sehr gestreckt, der Hals mittel- oder ziemlich lang, der Kopf verhältnismäßig klein, der aus zehn Federn bestehende Schwanz mittel- oder sehr lang, die Flügel kurz und stark abgerundet, die[272] Füße niedrig, kurz und heftzehig, das Gefieder der Oberseite ziemlich kleinfederig, das der Unterseite haarig zerschlissen. Bei vielen Arten bleiben Kehle und Augengegend nackt, und das obere Augenlid trägt starke, haarartige Wimpern. Die Mannigfaltigkeit der Familie ist auffallend: fast jede Art kann auch als Vertreter einer Sippe betrachtet werden, und jede Art unterscheidet sich außerdem noch in den verschiedenen Altersstufen ihres Lebens.

Bei Untersuchung des inneren Baues fällt vor allem die Leichtigkeit der Knochen auf. Nicht bloß der ungeheuere Schnabel, sondern auch die meisten Knochen bestehen aus sehr großen, äußerst dünnwandigen Zellen, welche luftführend sind. Das Brustbein erweitert sich nach hinten und zeigt jederseits eine seichte Ausbuchtung; das sehr kleine Gabelbein ist nicht mit dem Brustbeine verbunden. Die Speiseröhre ist weit, der Magen muskelkräftig; die Därme sind sehr kurz, Blinddärme fehlen. Bei vielen, vielleicht bei allen Arten dehnt sich das Luftfüllungsvermögen auch bis auf die Haut aus, welche nur schwach an dem Körper haftet, an einzelnen Stellen nicht mit demselben verbunden zu sein scheint und zahlreiche, mit Luft gefüllte Zellen besitzt.

Südasien, die Malaiischen Inseln, Mittel- und Südafrika sind die Heimat der Hornvögel, von denen man etwa funfzig in Gestalt und Färbung, Sitten und Gewohnheiten sehr übereinstimmende Arten kennt. Asien scheint den Brennpunkt ihres Verbreitungsgebietes zu bilden; aber auch in Afrika werden sie durch viele Arten vertreten. Sie finden sich vom Meeresstrande an bis zu einer unbedingten Höhe von dreitausend Meter, regelmäßig in dichten und hochstämmigen Waldungen; nur die kleineren Arten kommen zeitweilig auch in niedrigen Beständen vor. Alle Arten leben paarweise, sind aber der Geselligkeit zugethan und vereinigen sich deshalb oft mit ihresgleichen, mit verwandten Arten und selbst mit gänzlich verschiedenen, vorausgesetzt, daß letztere dieselbe Lebensweise theilen. Wie die Tukans verbringen auch sie den größten Theil ihres Lebens auf den Bäumen; diejenigen Arten, welche sich auf dem Boden zu schaffen machen, gehören zu den Ausnahmen. Die Mehrzahl hat einen höchst ungeschickten Gang, bewegt sich aber mit verhältnismäßig bedeutender Gewandtheit im Gezweige der Bäume. Der Flug ist bei allen Arten besser, als man glauben möchte, wird jedoch selten weit in einem Zuge fortgesetzt, obwohl man nicht annehmen kann, daß er ermüdet; denn einzelne schweben oft halbe Stunden lang kreisend in hoher Luft umher. Bei den meisten Arten geschieht er mit so vielem Geräusche, daß man den fliegenden Hornvogel eher hört, als man ihn sieht, ja gewisse Arten, nach einstimmiger Versicherung guter Beobachter, bis auf eine englische Meile weit vernehmen kann.

Die Sinne, namentlich Gesicht und Gehör, sind wohl entwickelt, die übrigen wenigstens nicht verkümmert. Zu richtiger Beurtheilung des geistigen Wesens mangelt uns genügende Erfahrung; so viel aber wissen wir, daß fast alle als vorsichtige, scheue, achtsame, mit einem Worte kluge Geschöpfe bezeichnet werden müssen. Die Stimme ist ein mehr oder weniger dumpfer, ein- oder zweisilbiger Laut, welcher aber mit großer Ausdauer hervorgestoßen wird und zur Belebung des Waldes wesentlich beiträgt. Um so auffallender muß eine Angabe von Ayres erscheinen. Er versichert, zu seiner größten Ueberraschung einen Nashornvogel mit den Stimmlauten einer Drossel angenehm singen gehört zu haben. Anfänglich wollte er kaum seinen Ohren trauen, als er diesen Gesang vernahm, mußte sich jedoch, nachdem er den auf der Spitze eines hohen Baumes sitzenden Vogel längere Zeit beobachtet hatte, überzeugen, daß die Laute von ihm herrührten. Denn als der absonderliche Sänger fliegend sich entfernt hatte, waren die Wälder still wie zuvor.

Die Nahrung ist gemischter Art. Die meisten Hornvögel greifen, wenn sie können, kleine Wirbelthiere und Kerfe an, nehmen sogar Aas zu sich, und alle, ohne Ausnahme, fressen verschiedene Früchte und Körner. Einige sind Allesfresser in des Wortes voll gültigster Bedeutung.

Höchst eigenthümlich ist die Art und Weise der Fortpflanzung. Sämmtliche Arten, über deren Brutgeschäft bestimmte und eingehende Beobachtungen vorliegen, brüten in geräumigen Baumhöhlen, aber unter Umständen, wie sie bei keinem anderen Vogel sonst noch vorkommen. Das brütende Weibchen wird bis auf ein kleines rundes Verbindungsloch vollständig eingemauert und [273] vom Männchen, welches die Atzung durch besagtes Loch in das Innere des Raumes reicht, währenddem ernährt. Die Bruthöhle wird also buchstäblich zu einem Kerker, und in ihm muß das Weibchen so lange verweilen, bis die Jungen ausgeschlüpft oder flugfertig sind. Unterdessen mausert das Weibchen, verliert wenigstens seine Federn vollständig, so daß es zeitweilig gänzlich unfähig zum Fliegen ist. Das Männchen aber sorgt unverdrossen für die Ernährung von Weib und Kind, und muß sich, sagt man, dabei so anstrengen, daß es gegen Ende der Brutzeit hin »zu einem Gerippe« abmagert. Ob alle Nashornvögel in derselben Weise verfahren wie die beobachteten, läßt sich zwar nicht behaupten, aber doch mit großer Bestimmtheit vermuthen.

Die freilebenden Hornvögel, zumal die größeren Arten, haben wenig Feinde; denn die meisten Raubvögel scheuen wohlweislich die Kraft der gewaltigen Schnäbel, müssen es sich im Gegentheile gefallen lassen, gefoppt und geneckt zu werden. Auch der Mensch behelligt jene wenig, hält einige sogar für geheiligte Wesen. Demungeachtet scheinen sie überall in ihm ihren ärgsten Feind zu erkennen und weichen ihm mit größter Vorsicht aus. Aber wie alle klugen und vorsichtigen Thiere werden sie, wenn sie in Gefangenschaft gelangen, bald zahm und beweisen dann eine so innige Anhänglichkeit an ihren Pfleger, daß dieser es ihnen gestatten kann, nach Belieben sich zu bewegen, da sie nur ausnahmsweise die ihnen gewährte Freiheit mißbrauchen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 272-274.
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