Elfte Familie: Eisvögel (Alcedinidae)

[292] Einem der prachtvollsten, durch Sagen und Märchen vielfach verherrlichten Vogel unseres Erdtheiles zu Liebe hat eine zahlreiche, etwa hundertfünfundzwanzig Arten zählende Familie den sehr unpassenden Namen Eisvögel erhalten; denn die bei weitem größte Anzahl der hierher zu zählenden Leichtschnäbler lebt in dem warmen Gürtel der Erde und weiß nichts von Eis und Winter. Die Eisvögel (Alcedinidae) kennzeichnen sich durch kräftigen Leib, kurzen Hals, großen Kopf, kurze oder mittellange Flügel, kurzen oder höchstens mittellangen Schwanz, langen, starken, geraden, winkeligen, spitzigen Schnabel, sehr kleine, drei- oder vierzehige Füße und glattes, meist in prächtigen Farben prangendes Gefieder, welches sich nach dem Geschlechte kaum, nach dem Alter wenig unterscheidet.

Hinsichtlich des inneren Baues der Eisvögel hat Nitzsch nach Untersuchungen der europäischen Art als auffallend das folgende hervorgehoben. »Das Kopfgerüst hat im ganzen eine zwar oberflächliche, aber unverkennbare Aehnlichkeit mit dem der Reiher. Schnabelrücken und Stirn liegen fast in einer geraden Linie. Die Wirbelsäule besteht aus elf Hals-, acht Rücken- und sieben Schwanzwirbeln. Von den Rippenpaaren haben nur die fünf letzten Rippenknochen. Das Brustbein gleicht dem der Spechte. An den Hintergliedern ist die Kürze des Laufes besonders merklich. Die Zunge steht wegen ihrer geringen Größe in einem ungewöhnlichen Mißverhältnisse zum Schnabel. Sie ist wenig länger als breit, beinahe dreieckig, jedoch an den Seitenrändern auswärts, am Hinterrande einwärts gebogen. Das Zungengerüste ist merkwürdig wegen der Kleinheit des Zungenkerns und der Breite des Zungenbeinkörpers. Der Schlund ist weit, aber nicht zu einem Kropfe ausgebaucht, der Vormagen sehr kurz, der Magen häutig und ausdehnbar. Blinddärme sind nicht vorhanden.«

Die Eisvögel sind Weltbürger und ziemlich gleichmäßig vertheilt, obgleich die Familie, wie zu erwarten, erst innerhalb des warmen Gürtels in ihrer vollen Reichhaltigkeit sich zeigt. Alle Arten der Familie bevorzugen die Nachbarschaft kleinerer oder größerer Gewässer, aber nicht alle sind an das Wasser gebunden, nicht wenige, vielleicht sogar die meisten, im Gegentheile zu Waldvögeln im eigentlichsten Sinne geworden, deren Lebensweise dann mit jener wasserliebenden Verwandten kaum noch Aehnlichkeit hat. Da nun selbstverständlich die abweichende Lebensweise mit gewissen Veränderungen im Baue und in der Beschaffenheit des Gefieders in engstem Einklange steht, hat man die Familie mit vollstem Rechte in zwei Unterabtheilungen zerfällt, deren eine die stoßtauchenden Wasser- und deren andere die Landeisvögel oder Lieste umfaßt.

Die erste Unterabtheilung der Wassereisvö gel (Alcedininae) kennzeichnet sich vornehmlich durch den langen, geraden und schlanken, auf der Firste geradlinigen, seitlich sehr zusammengedrückten Schnabel und das stets sehr glatte, eng anliegende fettige Gefieder. Alle Arten siedeln sich in der Nähe von Gewässern an und folgen diesen bis hoch ins Gebirge hinauf, soweit es Fische gibt, und bis zum Meeresgestade hinab. Längs der Gewässer leben sie einzeln oder höchstens paarweise; wie alle Fischer sind auch sie stille, grämliche, neidische Gesellen, welche Umgang mit ihresgleichen oder mit anderen Vögeln überhaupt möglichst vermeiden und in jedem lebenden Wesen, wenn auch nicht einen Beeinträchtiger, so doch einen Störer ihres Gewerbes erblicken. Nur so lange die Sorge um die Brut sie an ein bestimmtes Gebiet fesselt, verweilen sie an einer und derselben Stelle; übrigens schweifen sie fischend umher, dem Laufe der Gewässer folgend, und einzelne Arten durchwandern bei dieser Gelegenheit ziemlich bedeutende Strecken.

Ihre Begabungen sind eigenthümlicher Art. Zu gehen vermögen sie kaum, im Fliegen sind sie ebenfalls ungeschickt, und nur das Wasser beherrschen sie in einem gewissen Grade: sie tauchen [292] in absonderlicher Weise und verstehen auch ein wenig zu schwimmen. Unter ihren Sinnen steht das Gesicht obenan; ziemlich gleich hoch entwickelt scheint das Gehör zu sein; über die übrigen Sinne haben wir kein Urtheil. Das geistige Wesen stellt die Eisvögel tief. Die hervorragendste Eigenschaft scheint unbegrenztes Mißtrauen zu sein. Eigentlich klug kann man sie nicht nennen. Doch sind auch sie nicht alles guten bar; denn sie bekunden wenigstens ungemein große Anhänglichkeit an ihre Brut.

Fische, Kerbthiere, Krebse und dergleichen bilden ihre Nahrung; an Lurchen, Kriech- und anderen Wirbelthieren, welche den verwandten Liesten sehr häufig zum Opfer fallen, vergreifen sie sich wohl niemals. Ruhig und still auf einem günstigen Zweige über dem Wasser sitzend, oder nach Art fischender Seeschwalben und Möven über demselben auf- und niederstreichend, sehen sie in die Tiefe hinab und stürzen sich plötzlich mit mehr oder minder großer Kraft auf den erschöpften Fisch, verschwinden hierbei gewöhnlich unter der Oberfläche des Wassers, arbeiten sich durch kräftige Flügelschläge wieder empor und kehren zum alten oder einem ähnlichen Sitze zurück, warten bis der von ihnen erfaßte Fisch erstickt ist, führen seinen Tod auch wohl dadurch herbei, daß sie ihn mit dem Kopfe gegen den Ast schlagen, schlingen ihn hierauf, den Kopf voran, ganz wie er ist, hinunter und verfahren genau wie vorher.

Die Vermehrung der Eisvögel ist ziemlich bedeutend; denn alle Arten ziehen eine zahlreiche Brut heran. Zum Nisten wählen sie sich steile Erdwälle, in denen sie eine tiefe Höhle ausgraben, deren hinteres Ende zur eigentlichen Nestkammer erweitert wird. Ein Nest bauen sie nicht, häufen aber nach und nach so viele, hauptsächlich aus Fischgräten bestehende Gewölle in ihrer Nestkammer an, daß im Verlaufe der Zeit doch eine Unterlage entsteht.

Dem menschlichen Haushalte bringen die Eisvögel keinen Nutzen, aber auch eigentlich keinen Schaden. In fischreichen Gegenden fällt die Masse der Nahrung, welche sie bedürfen, nicht ins Gewicht, und die bei uns lebende Art ist so klein, daß von einer durch sie bewirkten Beeinträchtigung des Menschen kaum gesprochen werden kann.

»Der Alcyon ist ein Meervogel, obwohl er auch in den Flüssen wohnet. Vnd wirt also bey den Griechen genennt, daß er in dem Meer gebiert. Daß er von wenigen erkennt wirt, ist kein wunder, dieweil man ihn gar selten, vnd allein im Aprillen oder in des Winters Sonnen wenden sihet. Vnd sobald er am Land nur ein Schiff vmbflogen hat, fähret er von stund an hinweg, also daß man jn nicht mehr sehen kann. Cerylus vnd Ceyx wirt das Männlein auß diesem Vogel geheissen. Plutarchus sagt, daß dieser Alcyon der weiseste vnd fürnemste sey auß allen Meerthieren. Dann er spricht: welche Nachtigall wollen wir seinem Gesang, welche Schwalbe seiner Willfertigkeit, welche Taube seiner Lieb, so er gegen seinem Ehemann trägt, welche Bienlein wollen wir seinem Fleiß vergleichen? Dann, was Weisheit und Kunst sie an jhrem Nesten zu machen brauchen, ist nur ein Wunder zu sagen. Dann der Alcyon macht mit keinem andern Werckzeug dann allein mit seinem schnabel sein Nest, ja er zimmert diß als ein Schiff, dieweil es ein Werk ist, das von den Wellen nicht vmbgekehret, noch ertrenckt mag werden, dann er flechtet kleine Fischgrät als ein Wüpp in einander, also, daß er etliche, gleich als den Zettel, gerad leget, vnd die andern als die Wäfel, in die mitten dadurch zeucht, diese krümmet er dann zu einer kugel, vnd gestaltet es lang, gleich als ein Jagdschifflin. Vnd so er diß also außgemacht, hefftet ers zu eusserst an das Gestad, vnd so die Wällen darwider schlagen, dieses bewegen, oder darein schlagen, büttzet vnd hefftet er das noch steiffer, also, daß man es weder mit Steinen noch Eisen leichtlich zerbrechen oder hinwegreissen mag. In welchem das Türlein gantz wunderbar ist, also formieret vnd gestaltet, dz er allein darein mag kommen, den andern aber ists gantz vnsichtbar vnd vnbekannt, es mag auch sonst gar nichts darein kommen, auch kein wasser, darumb dz dieser eingang auß einer schwellenden Materi, als einem Schwamm, gemacht ist. Diese beschleust mit seinem aufschwellenden Weg, daß nichts darein kommen mag, welche materi doch vom Vogel so er hineinschlieffen wil, niedergetruckt wirt, also, daß das [293] Wasser darauß getruckt, jm einen sichern Zugang gibt. Aristoteles sagt, diß Nest sey gleich einer Meerballen, so von Blumen vnd mancherley Aglen zusammen gesamlet werden, lichtrot, als ein Vintauß, oder Schrepffhörnlein mit einem langen Halß gestaltet. Sein das gröste Nest ist grösser dann der gröste Badschwamm, vermacht vnd verkleibt allenthalben, darzu hin vnd her als ein Schwam, an einem ort voll, am andern leer, das ersetzt sich auch einem scharpffen Wehr, also, daß man es kaum mag zerhawen. Es stehet im Zweifel, worauß doch dieses Nest gemacht werde: man vermeint aber es werde auß spitze fischgräten gemacht, dieweil sie der Fische gelebe. Nachdem er sein Nest also außgemacht, legt er denn seine Eyer darein, wiewol etliche sagen, er leg diese zu eusserst in den Meersand vnd brüte sie daselbst auß, fast mitten im Winter. Sie legen fünff Eyer, machen auch jhr Nest in den siben ersten Tagen, vnd in den siben nachgehenden legen sie, brüten sie auß, vnd erziehen jhre jungen. Dieser vogel gebieret sein lebenlang, vnd fäht an so er vier Monat alt worden ist. Das Weiblin liebet seinen Mann also, daß es jm nit nur eine zeit im Jar, als andere Vögel, anhangt, sondern sich bloß zu ihm vnd zu sonst keinem andern gesellet, aus Freundschaft, ehelicher Pflicht und Liebe. So aber der Mann jetzt von Alter vnvermöglich worden, vnd kaum herzukommen mag, nimpt es den alten auff, vnd ernehret, vnd erhältet jn, also, daß es denselbigen niemals hinder jhm läßt, dieweil es den auf den Rücken gelegt, mit sich tregt, stehet auch dem bey, vnd ist jhm behülfflich biß in den Todt. So der Mann gestorben, so essen vnd trincken die Weiblin gar nichts mehr, sondern sie tragen Leid eine lange Zeit, darnach verderben sie sich selbst, doch singen sie vor jhrem Todt, so sie jetzt auffhören wöllen zu singen, ein kläglichen Gesang, Ceyx, Ceyx. Dieses wiederholen sie offt vnd dick, hören denn auff. Doch wolt ich nicht daß ich oder andere Leut diese Stimm solten hören, dieweil diese viel Sorg, Vnglück vnd den Tod selbst bedeute. Der Eyßvogel mit sampt seinen jungen hat einen lieblichen Geruch, gar nahe als der wohlgeschmackte Bisem. Sein Fleisch, ob er gleich todt, faulet nicht. Man glaubt, daß er sich sein Haut abgezogen, oder allein das Eingeweyd darauß genommen vnd auffgehencket, alle Jar, als ob er noch bey leben mausse. Die Kauffleut so wüllin Tuch verkauffen, die haben die Haut von diesem vogel bey dem Tuch, als ob diese die Kraft habe, die Schaben auszutreiben. Dieses sol sie thun, so sie allein in dem Gaden oder Gemachen ist darinn das Tuch dann ligt, vnd diß haben etliche mir gesagt, so diß erfahren haben, wiewol ich das kaum glaub. Es sagen etliche, die Straal schlage nicht in das Hauß darinn diß Nest gefunden werde. Item so man zu den Schätzen legt, sol er dieselbigen mehren, vnd also alle Armuth hinwegtreiben.«

Also berichtet gläubig der alte Geßner, die wunderbaren und unbegreiflichen Angaben der Alten zusammenstellend. Und das wunderbarste ist, daß sich diese Märlein bis in die neuere Zeit erhalten haben und wenigstens theilweise geglaubt werden; denn heutigen Tages noch erzählen manche Völkerschaften fast dieselben Geschichten. Sowie unsere Vorfahren glaubten, daß der Wundervogel noch im todten Zustande den Blitz abwehre, verborgene Schätze vermehre, jedem, der ihn bei sich trage, Anmuth und Schönheit verleihe, Frieden in das Haus und Windstille auf das Meer bringe, die Fische an sich locke und deshalb den Fischfang verbessere, so laufen selbst heutzutage noch bei einigen asiatischen Völkerschaften, bei Tataren und Ostjaken, wundersame Geschichten von Mund zu Munde. Die genannten Stämme schreiben den Federn unseres Vogels Liebeszauber und seinem Schnabel heilsame Kräfte zu. Alle diese Mären gelten in unseren Augen nichts mehr; der Vogel aber, den sie verherrlichten, ist darum nicht minder der allgemeinen Beachtung werth.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 292-294.
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