Röthelfalk (Falco cenchris)

[575] In Südeuropa gesellt sich dem Thurmfalken der ihm sehr nahe verwandte, schönere Röthelfalk (Falco cenchris, tinnunculoides, tinnuncularius und xanthonyx, Tinnunculus cenchris, Erythropus cenchris, Cerchneis cenchris, paradoxa und ruficauda). Seine Länge beträgt zweiunddreißig, die Breite achtundsechzig, die Fittiglänge sechsundzwanzig, die Schwanzlänge vierzehn Centimeter; das Weibchen ist um zwei Centimeter länger und um fünf Centimeter breiter. Beim alten Männchen sind der Kopf, die großen Flügeldeckfedern, die Hinterschwingen und der Schwanz bläulich aschgrau, die Federn des Rückens ziegelroth ohne alle Flecke, Brust und Bauch gelbröthlich mit sehr kleinen Schaftflecken, welche oft kaum sichtbar sind, die Schwanzfedern ebenfalls am Ende durch eine schwarze Binde geziert. Das Auge, der Schnabel und der Fuß sind wie beim Thurmfalken gefärbt, die Krallen aber nicht schwarz, sondern gilblichweiß. Das Weibchen ist dem Thurmfalkenweibchen sehr ähnlich, aber lichter und an dem weißbläulichen Schwanze sowie an den lichten Krallen leicht zu unterscheiden. Die Jungen ähneln der Mutter.

Südeuropa, Spanien und seine Inseln, Malta, Süditalien, vor allem aber Griechenland und die weiter nach Osten hin gelegenen Länder sind die wahre Heimat des Röthelfalken. In Süd- und Mittelspanien, auf Sicilien und in Griechenland ist er gemein, in der Türkei etwas seltener, aber doch überall verbreitet, in den südrussischen, sibirischen und turkestanischen Steppen neben dem Rothfußfalken der häufigste aller dort vorkommenden Raubvögel. Nach Norden hin erstreckt sich sein Verbreitungsgebiet nicht weit über die Grenzen der angegebenen Länder hinaus. Die Pyrenäen und die Alpen überfliegt er selten, dringt jedoch, nach einer Beobachtung von Hueber, im Osten der letzteren von Jahr zu Jahr weiter vor und hat sich infolge dessen nicht allein in Krain, sondern auch schon in Kärnten und Südsteiermark eingebürgert, lebt auch, obschon nicht überall, in Kroatien. Von den letzterwähnten Ländern her mögen diejenigen Röthelfalken stammen, welche zuweilen, vielleicht häufiger als wir glauben, unser Vaterland besuchen und beziehentlich hier erlegt werden. In Westsibirien begrenzt, nach eigenen Beobachtungen, die Steppe sein Brutgebiet, und im Osten Asiens wird dies kaum anders sein. Nach Süden hin verbreitet er sich über Marokko, Algerien und Tunis, soll, einer Angabe Heuglins zufolge, einzeln noch in den Festungswerken von Alexandrien horsten, gehört in Palästina, Syrien und Kleinasien unter die regelmäßigen Brutvögel und ist in Persien, zumal im Süden des Landes, überaus gemein. Von seiner so weit ausgedehnten Heimat nun fliegt er allwinterlich nach Afrika und Südasien herüber. Eigene Beobachtungen lehrten mich, ihn, wie bereits angegeben, als einen der häufigsten Wintervögel der Steppen des Inneren kennen. Er folgt diesem über den größten Theil Afrikas sich ausdehnenden Gebiete bis an seine äußersten südlichen Grenzen und wird, was wohl zu beachten, nachdem einzelne Paare und Gesellschaften das gelobte Land Südafrika entdeckt haben, hier, im Kap- und Damaralande, von Jahr zu Jahr häufiger, gesellt sich in der Winterherberge auch wiederum seinem treuen Genossen, dem Rothfußfalken, dessen Gesellschaft er im südwestlichen und südlichen Europa entbehren muß. In Spanien werden von ihm größere Städte, Madrid, Sevilla, Granada z.B., in Griechenland außerdem Dorfschaften in den Ebenen, zumal solche, welche in der Nähe von Gewässern liegen, allen übrigen Oertlichkeiten bevorzugt. Er erscheint in Spanien wie in Griechenland in der letzten Hälfte des März, in Persien kaum früher, in den Steppen Westsibiriens dagegen erst Ende April oder Anfang Mai, unmittelbar nach der Schneeschmelze und dem Eisgange der Flüsse, deren Thäler auch ihm zur Heerstraße werden, verweilt während des Sommers in seiner Heimat und wandert bereits im August, spätestens Ende September weg.

[575] Lebensweise, Wesen und Gebaren sind ein treues Spiegelbild des Auftretens unseres Thurmfalken, ähneln aber doch noch mehr dem Thun und Treiben des Rothfußfalken, mit welchem er den innigsten Verkehr pflegt. Ich muß, da ich letzteren ausführlicher zu schildern gedenke, auf dessen Lebensschilderung verweisen und kann deshalb an dieser Stelle nur sagen, daß der Röthelfalk unbedingt zu den anmuthigsten Erscheinungen zählt, welche seine gesammte Familie aufweist.


Röthelfalk (Falco cenchris). 2/5 natürl. Größe.
Röthelfalk (Falco cenchris). 2/5 natürl. Größe.

Dank seiner Geselligkeit und seines friedlichen Verkehres mit Rothfuß- und ebenso mit Thurmfalken sieht man nur ausnahmsweise einmal ein Pärchen dieser ebenso farbenschönen wie fluggewandten und unermüdlichen Falken, in der Regel immer Gesellschaften, welche gemeinschaftlich nach einem Nahrung versprechenden Orte fliegen, gemeinschaftlich zum nächtlichen Ruheplatze wandern und gemeinschaftlich horsten.

Um die Akropolis in Athen und die Kirchthürme Madrids habe ich sie ihre prächtigen Flugreigen ausführen sehen, und wenn ich während meines Aufenthaltes in Granada sie als Bewohner des viel besungenen Maurenschlosses vermissen mußte, war dies nur aus dem Grunde der Fall, weil ich mich zur Winterszeit daselbst aufhielt: im Sommer umschwärmen sie auch hier massenhaft die prachtvolle Veste. Aber sie binden sich keineswegs, wie unser Thurmfalk in der Regel [576] zu thun pflegt, an besonders hervorragende Gebäude, sondern nehmen mit der kleinsten Lehmhütte vorlieb. Denn ungeachtet der Mordsucht der Spanier, Italiener und Griechen denkt im Süden Europas niemand daran, ihnen grundsätzlich keine Schonung angedeihen zu lassen, und in den Augen der Türken und Russen gelten sie geradezu als heilige Vögel. Man hat im Morgenlande wie in Südrußland und Sibirien ihre Nützlichkeit wohl erkannt. Dort sieht man sie als einen vom Himmel gesandten Helfer in der Heuschreckennoth an, hier erfreut man sich außerdem an ihrem Vorhandensein, ihrer munteren Beweglichkeit und betrachtet sie dankbar als Bürgen des Lebens in der einsamen Steppe, läßt sich wenigstens gern durch sie unterhalten, wenn man zu Pferde oder Wagen das weite Gebiet durchzieht, beim Näherkommen sie von ihren Ruhesitzen und Warten aufscheucht und weiter und weiter vor sich hertreibt. In noch höherem Grade als der Thurmfalk sind sie Kerbthierfresser und wohl die am erfolgreichst wirkenden thierischen Feinde des verderblichen Gezüchtes. Eine Maus, ein junges, unbeholfenes Vögelchen, eine Eidechse werden sie gewiß auch nicht verschmähen, wenn solche Beute ihnen sich bietet; im allgemeinen aber theilen sie mehr mit dem Rothfuß- als mit dem Thurmfalken dieselbe Nahrung.

Die Brutzeit des Röthelfalken fällt, wenigstens in Griechenland und Spanien, in die letzten Tage des April oder in die ersten des Mai. Der Horst steht hier wie dort regelmäßig in Mauerlöchern oder Höhlungen unter den Dächern der Häuser, gleichviel ob solche bewohnt sind oder nicht. Manche Gebäude enthalten mehrere Horste, alte Ruinen zuweilen viele. In Athen sah ich sie nicht allein auf der Akropolis mit dem Horstbaue beschäftigt, sondern auch auf allen geeigneten Häusern sitzen oder zu den unter deren Dächern angebrachten Horsten fliegen; in Spanien lernte ich sie als Bewohner der Thürme kennen. In den übrigen Ländern ihres Verbreitungsgebietes horsten sie da, wo es ihnen an Gebäuden mangelt, auf Felsen oder in Baumhöhlungen, und zwar nicht selten in Gesellschaft der Thurmfalken. Es nimmt daher Wunder, durch Hueber zu erfahren, daß der Röthelfalk in Kärnten die Brutplätze des letzteren besetzt und ihn daraus vertrieben habe. Der Horst selbst ist stets ein unbedeutender Bau. Im Inneren einer Höhle baut der Röthelfalk überhaupt kein Nest, sondern legt seine Eier fast ganz ohne Unterlage auf den Boden. Das Gelege enthält regelmäßig vier, selten fünf oder sechs Eier, und diese unterscheiden sich nur durch ihre geringe Größe sicher von denen des Thurmfalken. Weiteres über das Brutgeschäft zu sagen, erscheint fast überflüssig. Das Weibchen übernimmt wie üblich den hervorragendsten Theil der Kinderpflege; das Männchen betheiligt sich hierbei jedoch insofern nach Kräften, als es nicht allein die Gattin füttert und die Jungen groß ziehen hilft, sondern, wie es scheint, dann und wann auch jene im Brüten ablöst. Auf Sicilien nennt man die Jungen Maltafälkchen, weil die Malteserritter dem Könige Siciliens einen solchen Falken unter großem Gepränge als Zoll darbrachten, um durch Ueberreichung des kleinsten Falken die Abhängigkeit ihrer kleinen, aber tapferen Körperschaft von dem mächtigen Fürsten der Insel anzudeuten.

Ueberraschend, aber doch nicht gänzlich unglaublich, ist die Angabe Saunders', daß unter Umständen Thurm- und Röthelfalken sich paaren und Blendlinge erzielen, welche wiederum fruchtbar sind. Diese Annahme gründet sich jedoch nur auf die auffallend großen, den größten des Thurmfalken gleichkommenden Eier und entbehrt demnach des Beweises.

Gefangene Röthelfalken unterscheiden sich auch im Käfige wenig von ihren nordischen Verwandten. Ihr Betragen und Gebaren sind im wesentlichen genau dieselben; ihre Schönheit aber empfiehlt sie doch sehr und erregt auch die Aufmerksamkeit des Unkundigen. Immer sieht dieser allerliebste Vogel schmuck und nett aus, stets hält er sein Gefieder in bester Ordnung und unter allen Umständen ist seine Haltung, welcher man ein gewisses Selbstbewußtsein anmerken möchte, eine so ansprechende, daß man ihn rasch lieb gewinnt. Er gewöhnt sich bald an seinen Pfleger, verträgt sich mit anderen seinesgleichen und beansprucht bloß ein klein wenig Sorgfalt mehr als unsere Falken, soll er im Käfige sich wohl fühlen, gedeihen und ausdauern. Diese Sorgfalt hat sich zunächst auf die Wahl der Nahrung zu richten; denn alle kleineren Falken, welche Kerbthiere jagen, [577] müssen auch wie Kerbthierfresser behandelt werden. Rohes Fleisch ohne jegliche Zuthat bringt sie sicher um. Vögel mit Federn und kleine Säugethiere mit Haaren reichen, schon weil man sie nicht tagtäglich zur Verfügung hat, ebenfalls noch nicht aus; es muß also ein ihren Wünschen und Bedürfnissen entsprechendes Ersatzfutter geschafft werden. Ich reichte meinem Pflegling ebenso wie den kleinen Eulen und Rothfußfalken ein Mischfutter, wie man es Kerbthierfressern vorsetzt. Dabei befanden sich die verhältnismäßig doch sehr zarten Geschöpfe anscheinend so wohl, als ich nur wünschen konnte. Nächstdem hat man die Röthelfalken wie andere dem Süden entstammende Sippschaftsverwandte vor Kälte fast ängstlich in Acht zu nehmen; denn schon die Kühle der Herbsttage fällt ihnen beschwerlich, und wirkliches Frostwetter tödtet sie sicher. Sobald kühlere Witterung eintritt, werden sie verdrießlich, sträuben das Gefieder, verlieren die Lust zum Fressen und sich zu baden, siechen dahin und fallen schließlich nach einigen Zuckungen todt von der Sitzstange herab. Bei warmem Wetter dagegen und namentlich dann, wenn sie in den Morgenstunden die Wohlthat der unmittelbaren Einwirkung des Sonnenlichtes genossen haben, sind sie stets munter und ihre Augen so freundlichklar, daß man sich über ihren Zustand nicht täuschen kann. Sie schreien viel und oft im Käfige, lassen aber gewöhnlich nur das gedehnte und langsam ausgestoßene »Grrii grii grii«, nicht aber das hellere, kräftigere »Kli kli kli«, das eine wie das andere dem Rufe des Thurmfalken täuschend ähnliche Laute, vernehmen. Seine Bekannten begrüßt der Röthelfalk, ebenso wie sein nordischer Verwandter, immer nur durch die ersterwähnten Rufe.

Da der Röthelfalk sommerlichem Unwetter Trotz bieten, weil ziemlich lange hungern kann, beim Ueberfliegen des Meeres wohl nur ausnahmsweise durch Stürme gefährdet wird und in der Winterherberge stets reich beschickte Tafel findet, vermehrt er sich allerorten, wo ihm sein schlimmster Feind, der Mensch, am Brutplatze nicht zerstörend entgegentritt, in ersichtlicher Weise. Wenn sich die Angabe Huebers bewahrheitet, dürfen wir hoffen, ihn in nicht allzu ferner Zeit bei uns einwandern zu sehen. Vielleicht folgt er sogar früher, als man erwarten kann, der Wanderheuschrecke, welche bekanntlich vor kurzem bei uns zu Lande ihren Einzug hielt, auf dem Fuße nach. Es wird dann an uns sein, ihn mit so viel Gastlichkeit zu empfangen, wie er sie seiner Nützlichkeit halber verdient. Den Wunsch spreche ich aus; seine Erfüllung erhoffe ich nicht. Man wird ebenso gut gegen ihn zu Felde ziehen, ihn ebenso verdächtigen wie unseren Thurmfalken, ihn ebenso unerbittlich abschießen, wie man Rothfußfalken, welche zum Horsten schreiten wollten, wenigstens in Böhmen weggeschossen hat. Wie unrecht und thöricht solches Verfahren ist, bedarf nach dem beim Thurmfalken gesagten einer weiteren Auseinandersetzung nicht. Mit vollstem Einverständnisse aber wiederhole ich auch an dieser Stelle die Worte von Riesenthal: »Wenn wir in unseren Gebieten uns beschweren, daß in anderen Ländern uns angenehme und nützliche Vögel über die Maßen verfolgt werden und wir auf internationalem Wege Abhülfe und Schutz für diese suchen, so müssen wir uns auch auf denselben Standpunkt stellen und solche Vögel nach Möglichkeit in Schutz nehmen, welche für jene Länder nicht nur nützlich und angenehm, sondern nothwendig sind.«


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 575-578.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die Betschwester. Lustspiel

Die Betschwester. Lustspiel

Simon lernt Lorchen kennen als er um ihre Freundin Christianchen wirbt, deren Mutter - eine heuchlerische Frömmlerin - sie zu einem weltfremden Einfaltspinsel erzogen hat. Simon schwankt zwischen den Freundinnen bis schließlich alles doch ganz anders kommt.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon