4. Finanzspeculationen.

[123] Meine ärztliche Praxis nahm zu und war auch von Erfolg, aber mehr für meine Kranken, als für meine Casse. Die meisten derselben waren wenig bemittelt und um bei reichen Leuten mir Eingang zu verschaffen, war ich nicht der Mann. Zu bescheiden, um mich hervorzudrängen, war ich zu stolz, mich aufzudringen, wie ich denn z.B. den Söhnen eines Bankiers, mit denen ich als Knabe viel verkehrt hatte und auch entfernt verwandt war, es überließ, mich aufzusuchen, und, da sie es nicht thaten, ebenfalls keine Notiz von ihnen nahm. Ich habe nichts dagegen, wenn man für diesen Verein von Bescheidenheit und Stolz eine gemeinsame Wurzel annehmen und sie in einer gewissen Unbeholfenheit für das Leben in der größern Gesellschaft finden will, die mir, wie ich oben erwähnt, allerdings eigen war und eigen geblieben ist. Wozu man kein Talent hat, dazu verspürt man auch keine Neigung und am Ende bildet man sich ein, man verschmähe es freiwillig.[123]

Vornehmlich gab ich jedoch den ersten Praktikern Leipzigs viel Schuld, die meiner Meinung nach dem jungen anstrebenden Manne zur Praxis hätten behülflich sein sollen, aber die Kundschaft viel zu hoch achteten, als daß sie etwas davon einem Anderen als ihren zur ausgebreiteteren Geschäftsführung unentbehrlichen Amanuensen zu gönnen Vermocht hätten. Ich erfuhr im Gegentheil Manches von ihnen das gewiß nicht zu meinem Besten gereichte. Man erfreute mich z.B. mit der Erzählung, wie der erste Arzt der Stadt so rühmlich von mir gesprochen und geäußert hatte, ich würde einmal ein ausgezeichneter Arzt werden, womit er denn ziemlich deutlich zu verstehen gab, man möge warten, bis ich es werde geworden sein. Einige Mal kam ich unmittelbar mit ihnen in Conflict. Der reiche Besitzer des ersten Hotels in der Stadt, mit dem ich zufällig bekannt geworden war, zog mich eines Morgens wegen der Krankheit seiner Gattin, einer fünfzigjährigen fettleibigen, vollblütigen, sehr sensiblen Frau, zu Rathe; sie litt an Schleimanhäufung mit Schwerathmigkeit, gänzlichem Mangel an Schlaf und Eßlust u.s.w. Ich erklärte, daß die Gefahr eines Stickflusses den ungesäumten Gebrauch eines Brechmittels fordere. Um die Zustimmung des Hausarztes zu erlangen, suchte ich diesen in seiner Wohnung und an einigen anderen Orten, wohin man mich von da wies, und da dies vergeblich war, so gab ich das Brechmittel auf eigene Gefahr; es wirkte unter sehr heftigen Symptomen, denen ich durch aromatisch geistige Umschläge begegnen mußte, aber vortrefflich: die Brust war frei, es erfolgte ein erquickender Schlaf, die Kranke fühlte sich wie neugeboren, hatte vollkommene Eßlust u.s.w. Der Hausarzt kam hinzu, war so gefällig, das gelungene Verfahren zu billigen, und als er mich fragte, was ich wohl für die weitere Behandlung vorschlage, erwiderte ich, daß ich bei der vorhandenen übermäßigen Schleimerzeugung und dem gereizten Zustande das Sal ammoniacum für angezeigt halte; er verschrieb und ging fort. Ich las nun das Recept: es war Gummi ammoniacum verschrieben! Es schien mir zu hart, dem alten Arzte, bei dem ich Collegia gehört hatte, zu sagen, daß er mich falsch verstanden und ein unpassendes[124] Mittel verschrieben habe; aber die Kranke durfte nicht darunter leiden, und ich verschrieb Salmiak, der nun auch ohne Weiteres gebraucht wurde, bis ich ihm am Tage darauf in der verabredeten Zusammenkunft eine legitime Anwendung auswirkte. Für die folgenden Tage verlangte der Hausarzt keine weitere Zusammenkunft mit mir, und setzte die nicht mehr nöthigen Besuche täglich fort, während ich wegblieb. Die Familie erklärte mir ihr unbedingtes Vertrauen, namentlich wollte die Frau künftig nur von mir behandelt werden: indeß war der Hausarzt einer der angesehensten Männer in der Stadt, und von einem solchen officiellen Besuche zu erhalten, gehörte für eine reiche Familie zum Anstande: er blieb also in dem Verhältnisse, und ich trat zurück. – Ein anderes Mal wurde ich zu einem durchreisenden jungen Ehepaare gerufen, da sich bei der ganz kürzlich verheiratheten Dame ein Furunkel gebildet hatte; ein Kaufmann, an den sie adressirt waren, besuchte sie, fand die Dame stöhnend, fragte mich im anderen Zimmer mit bedenklicher Miene nach der Natur des Uebels, und da ich theils aus Delicatesse, theils aus Verdruß über die Anmaßung des Fragenden ihn mit der Erklärung abfertigte, die Sache habe nichts auf sich und werde binnen 24 Stunden wohl in Ordnung sein, so schickte er noch an selbigem Tage seinen Hausarzt, der nichts Anderes als den fortgesetzten Gebrauch der von mir verordneten Breiumschläge mit einem gleichgültigen Zusatze empfehlen konnte. Da aber etwa zwölf Stunden nach seinen Hinzukommen der Furunkel sich öffnete, so erschien er als der eigentliche Helfer, und benahm sich auch so, weshalb ich als überflüssig mich zurückzog. Dies war übrigens ein sehr braver, mir aufrichtig wohlwollender Mann; aber das Haschen nach Kunden wird endlich zur blinden Leidenschaft. Mich stimmten dergleichen Erfahrungen sehr bitter und füllten mich mit Ekel gegen solch ärztliches »savoir faire«, das meiner Natur so ganz widerstrebte.

Hierzu kam noch, daß ich bisweilen, wenn es mir an Geld fehlte, keinen anderen Ausweg wußte, als zu meinen Patienten meine Zuflucht zu nehmen und entweder das zu erwartende Honorar mir früher zu erbitten oder eine Anleihe zu machen.[125] Dies schadete mir nicht wenig, da es immer unangenehm ist, mit einem Manne in näherem Verhältnisse zu stehen, bei dem man nicht sicher ist, daß er dergleichen Ansprüche wiederholt, und da man um so weniger zu zahlen pflegt, je größer das Bedürfniß ist, denn dem Unbemittelten ist ja auch eine Kleinigkeit von Werth, die man einem Wohlhabenden anzubieten sich schämt.

Die Einnahme von den Collegien war unbedeutend, und das Honorar für Propädeutik, Diätetik und Recensionen stand nicht im Verhältnisse zu der darauf verwendeten Zeit und den während derselben nöthigen Ausgaben. Ich suchte also eine Erwerbsquelle im Uebersetzen. Auf den Gegenstand kam es mir dabei nicht an: wie ich Bücher über Bleichen und Branntweinbrennen, über Augen- und Zahnarzneikunst übersetzte, so war ich bereit, Alles, was man verlangte, zu verdeutschen. Mit Leichtigkeit konnte ich in weniger als einem halben Tage einen Bogen übersetzen, wobei mir noch die größere Hälfte des Tages für meine Praxis und für ärztliche Studien übrig blieb, so daß ich auf diese Weise ganz geborgen gewesen wäre. Allein ich war trotz aller Bemühung nicht so glücklich, hinreichende Aufträge der Art zu erhalten: die Buchhändler hatten schon ihre Uebersetzer und hielten sich zu sehr an die renommirte Firma der Lieferanten: wer einmal als Uebersetzer bekannt war, an den wendeten sie sich auch ferner; einige, die Vertrauen zu mir hatten, wollten Alles verlegen, was ich selbst schriebe, aber mich nicht als Uebersetzer beschäftigen, da ich, um meinen Namen zu schonen, mich in den gelieferten Uebersetzungen nicht genannt hatte.

Da es mir nun mit der literarischen Fabrikarbeit nicht gelingen wollte, kam ich auf den unglücklichen Gedanken, es mit einer chemischen Fabrik zu versuchen. Ich erfuhr, daß Bleiglätte, mit Kochsalz behandelt, ein dem Bleiweiße ähnliches Oxyd giebt. Ich experimentirte darüber und erhielt ein Präparat, welches, mit Firniß gemischt, einen dem Bleiweiße ähnlichen und bedeutend wohlfeileren Anstrich gab. Ich legte diese Experimente meinem Freunde Schwägrichen vor, und er ging unter Billigung[126] seines Bruders und mit Genehmigung seines Vaters darauf ein, mit mir eine solche Fabrik zu errichten, und einen Vorschuß von 1000 Thalern dazu zu bestimmen. Es wurde ein schickliches Local in der Vorstadt dazu gemiethet und eingerichtet, ein Arbeiter angenommen, Bleiglätte verschrieben, eine Handmühle angeschafft u.s.w. Ich reiste nach Freiberg und besorgte die Lieferung von Schwerspath, der, um das specifische Gewicht zu vermehren, dem Präparate statt der Kreide zugesetzt werden sollte. Ich arbeitete frisch darauf los. Das Auslaugen des Präparats in größeren Massen wollte nicht gelingen. In Erwartung, daß wir eine bessere Manipulation noch erfinden wür den, wollten wir nebenbei auch andere Farbestoffe bereiten, und verschrieben dazu von Goslar einige Fässer Kupfer-, Eisen- und Zinkvitriol. Es wurde uns beklommen; wir experimentirten mit ängstlicher Hast, verfielen auf Dies und Jenes und brachten nichts Fabrikmäßiges zu Stande. Nachdem wir einige Monate vergeblich gearbeitet hatten, schrieb mir mein guter Schwägrichen, der das Unangenehme gern schriftlich abmachte:

»Ehe unsere Verhältnisse verwickelter werden, Folgendes. Es wird mir unmöglich, meinen alten Lieblingsplänen und Lastern länger entgegen zu arbeiten. Noch habe ich nicht die Stetigkeit, im Hafen ruhig zu liegen, und muß mit ungetheilten Kräften auf die Käfer und Moose los arbeiten. Gehe es, wie es gehe, zum bloßen Leben brauche ich als schäbiger Geizhals wenig. Also nun mein Vorschlag. Du erhältst die 1000 Thaler gegen Interessen zu 4 Procent, so daß mein Vater jetzt nicht weiß, daß unser Verhältniß geendet ist. Ich bekomme darüber eine Verschreibung von Dir, auf jährige Aufkündigung zahlbar. – Ich habe dann keinen persönlichen Antheil an der Fabrik. Solltest Du nach mehreren oder vielen Jahren meinen Beitritt, wenn ich ins Elend gekommen sein sollte, gestatten, so wäre es gut für mich, aber ich kann es jetzt nicht prätendiren. Uebrigens werde ich mit Rath und That Dir an die Hand gehen, nur kann ich nicht versprechen, mehr Capital zu schaffen.«

Mein edler Freund, der blos um mir zu helfen auf das[127] Geschäft eingegangen war, ließ sich, da ich das Ganze auf meine Rechnung nicht übernehmen wollte und noch einige Hoffnung des Gelingens hatte, bestimmen, noch einige Monate es mit anzusehen; dann wurde das Unternehmen aufgegeben: wir hatten eine Schuldenlast von 700 Thalern auf uns geladen, und mir hatte es einen bedeutenden Zeitaufwand verursacht.

Allerdings wäre es möglich gewesen, mit meinem kleinen Erwerbe kümmerlich auszukommen; aber dabei würde ich mit den Meinigen selbst verkümmert sein. Der heitere, leichte Sinn, dessen ich durchaus bedurfte, um in einer schwierigen Lage meine geistige Freiheit zu behaupten, ließ mich die zu einem heiteren Leben nöthigen Ausgaben nicht scheuen, und wurde eben dadurch wieder aufrecht erhalten. Während ich mich durchaus keiner Verschwendung schuldig machte und während meine Frau die Haushaltung äußerst wirthlich führte, waren wir darüber einverstanden, daß wir uns nichts versagen dürften, was zu unserer und unserer Kinder Gesundheit, zu unserer Erheiterung und zu einem anständigen Erscheinen nöthig war. Eine freundliche, gehörig meublirte Wohnung, eine schlichte, aber anständige und nette Kleidung, eine einfache, aber gesunde, kräftige Kost und von Zeit zu Zeit ein mit mäßigem Aufwande verbundenes Vergnügen erschien mir durchaus unentbehrlich. An den Sommerabenden wurde öfters nach Gohlis gegangen, sehr selten eine Spazierfahrt nach einem anderen Orte gemacht; ich nahm an der Stiftung einer Gesellschaft unter den Namen: Concordia Theil, welche wöchentlich einmal wahrend des Sommers in einem Garten, zur Winterszeit in einem Gasthause sich versammelte und jährlich etliche Bälle gab; wenn nach einiger Geldklemme der Beutel sich wieder gefüllt hatte, wurde auch ein froher Abend im Italienerkeller bei einer mäßigen Zeche verlebt; daß jedes Weihnachtsfest, sowie jeder Geburtstag in unserer Familie feierlich begangen wurde, verstand sich von selbst. Dabei wurden mancherlei Vergnügungen genossen, die mit keinen Kosten verbunden waren: ich hatte auch auf dem Lande etwas Praxis, und jede kleine Geschäftsreise wurde zu einem Feste für Frau und Kinder; meine Frau gewann durch Frohsinn, Unbefangenheit,[128] Herzlichkeit und Verständigkeit die Freundschaft mehrerer begüterter Frauen und gewann dadurch für sich und ihre Kinder manches Vergnügen. Außerdem waren uns mehrere Familien befreundet, die mit uns ungefähr in gleicher Lage waren, und die zu froher Geselligkeit bald uns bei sich sahen, bald von uns bewirthet wurden, bald mit uns kleine Lustpartieen auf gemeinschaftliche Kosten machten.

Bei dieser Lebensweise erhielt ich nicht allein Kraft und Muth, mich durchzuarbeiten, sondern auch meine ungeschwächte Gesundheit. Jetzt in meinem Alter ernte ich die Früchte davon, daß ich damals in fester Zuversicht auf das Glück mich durch die Beschränktheit meiner Lage weder vom Genusse der Freuden des Lebens abhalten, noch zu Ueberspannung in der Arbeit verleiten ließ: von Hypochondrie, Hämorrhoiden, Verdauungsschwäche und anderen Folgen einer zu einförmigen Lebensweise und zu großer Anstrengung bin ich so frei, daß ich auch dieserhalb öfters erklärt habe, ich sei gar kein rechter Gelehrter. (Uebrigens muß ich bemerken, daß späterhin nach Erlangung eines reichlichen Auskommens unsere Haushaltung ziemlich auf demselben Fuße geblieben ist.)

Dabei reichte nun die Einnahme öfters nicht hin, die Ausgabe zu bestreiten. Ich sehe aus meinen Rechnungsbüchern, daß ich im Jahre 1799 770 Thaler, 1800 eben soviel, 1801 850 Thaler ausgab und die Ausgabe bald bis auf 1000 Thaler stieg, wo ich denn die bisher sorgfältig geführten Rechnungen einstellte, wie man unter ähnlichen Verhältnissen zu thun pflegt. Da mußte denn Manches unbezahlt bleiben, und waren die Reste auf eine gewisse Höhe angewachsen und die Kaufleute oder Handwerker ungeduldig geworden, so mußte die nöthige Summe aufgenommen werden. Wie peinlich auch dies Geschäft für mich war, so vollzog ich es doch mit gutem Gewissen: ich war mir bewußt, nichts verpraßt, sondern nur soviel, als zu meinem und der Meinigen gedeihlichem Leben erforderlich war, ausgegeben zu haben; ich that alles für mich Mögliche, um in eine bessere Lage zu kommen, arbeitete emsig und versäumte kein anständiges Mittel, um eine das Lebensbedürfniß sichernde Anstellung[129] zu erhalten; ich hatte die zuversichtliche Hoffnung, daß meine Anstrengung nicht vergeblich sein und ich in die Lage kommen würde, das Geliehene dankbar erstatten zu können. Indeß war der Kreis derer, die mir zu leihen sich geneigt finden ließen, nicht groß, und ihre Willigkeit erreichte bald ihre Grenzen. So traten auch Verlegenheiten ein, wo es an Geld für die dringendsten Bedürfnisse augenblicklich fehlte; doch kam es nicht zum eigentlichen Darben, sondern es wurde, wenn auch bisweilen erst in der letzten Minute Rath geschafft. Uns gegenüber wohnte ein reicher Jude, und ich sah oft Freitags Abends mit Herzensangst bei ihm die Sabathlichter anzünden, wenn ich für den kommenden Tag das Marktgeld noch nicht hatte. Oefters legte ich mich nach vergeblichem Sinnen mit dem Troste, es werde sich schon finden, nieder, schlief ganz ruhig, und erwachte mit dem Gedanken, von wem ich das Geld erhalten werde, was denn auch erfolgte. Höchst widrig war es mir, wenn ich meine Uhr zu einem Seiler, der auf Pfänder lieh, tragen mußte, dessen Spelunke ich nur mit Scham und Ekel betrat. Das Aeußerste war, meiner Frau zuzumuthen, daß sie durch Credit bei ihren Freundinnen das Nöthige schaffte; dazu ließ ich es aber auch nur selten kommen. War aber der Sonnabend Mittag erreicht und die Speisekammer für die nächste Woche wieder gefüllt, so gab es auch keine Sorge mehr für mich; das schlichte Mittagsessen schmeckte ganz vortrefflich, und gar oft wurde des Abends, um jede Nachwirkung der Sorge zu verscheuchen, noch ein Fläschchen Wein herbeigeschafft.

Ernster wurde die Sorge zu Ostern 1804. Ich war meinem Hauswirthe an Wohnungsmiethe 260 Thaler gegen Wechsel schuldig geworden; aufgebracht darüber, daß meine öfteren Versprechungen unerfüllt geblieben waren und obendrein erbittert, weil meine Frau seine Galanterieen zurückgewiesen hatte, war er entschlossen, mich am Verfalltage des Wechsels verhaften zu lassen. Ich fand Niemanden, der mir helfen wollte, und glaubte endlich, meinen bürgerlichen Untergang vor mir zu sehen. Auf diese Momente blicke ich aber noch jetzt mit Zufriedenheit, ja mit Stolz zurück, denn unter diesen Umständen bewährte sich[130] meine Ansicht der Dinge, so daß ich mit Ruhe und Fassung das Unvermeidliche erwartete. Ich stellte mir nämlich das Aeußerste vor und entkleidete es von allem Scheine der vorgefaßten Meinung. Bei deiner Verhaftung, sagte ich zu mir selbst, werden die übrigen Gläubiger sich melden, und du wirst nur dadurch frei werden, daß du ihnen deine ganze Habe überläßt; dann kannst du natürlich nicht in der bisherigen Laufbahn fortgehen und nicht auf einen deinen Kenntnissen angemessenen Erwerb rechnen; im schlimmsten Falle mußt du dann aufs Land gehen und als Handarbeiter dienen; das wissenschaftliche Wirken, wozu das Geschick dich bestimmt zu haben schien, fällt weg, aber der Werth und das Glück des Menschen liegt in seinem Innern; du hast dich redlich bemüht, durch die von der Natur dir verliehenen Kräfte der bürgerlichen Gesellschaft nützlich zu werden; sie hat deine Dienste nicht angenommen: wohlan, du kannst dich über die conventionellen Verhältnisse erheben; deine Frau wirst du für das, was sie entbehrt, durch Liebe entschädigen; deine Kinder werden nicht in den Kreis treten können, auf welchen sie durch die Geburt angewiesen zu sein schienen, aber du wirst sie zu braven Menschen erziehen, die den Werth der Dinge richtig schätzen, die Nichtigkeit des Tandes der Welt begreifen und ihr Glück im Bewußtsein ihres göttlichen Ursprunges und ihrer wahrhaften menschlichen Würde finden.

Freilich bleibt immer noch die Frage, ob ich in dem vorausgesetzten Falle auch solche Ausdauer würde bewiesen haben. Indeß war es doch auch schon etwas, daß jene Ansicht lebendig genug in mir war, um mich dem drohenden Unglücke unverzagt in die Augen sehen zu lassen.

Der letzte Versuch, den ich zu meiner Erhaltung in der eingeschlagenen Lebensbahn durch einen Freund Leune hatte machen lassen, gelang. Ein reicher Mann, Dr. Gerlach, lieh mir 300 Thaler, wogegen ich ihm meine Bibliothek mit Ausnahme einiger Bücher, die ich gerade nöthig brauchte, überließ; sie kam, in Kisten gepackt, auf ein Vorwerk des Dr. Gerlach,[131] ehedem Gauchs Gut geheißen, und verbrannte 1813 bei der Leipziger Schlacht.

Dr. Leune war ein herzensguter, verständiger und gelehrter Mann, aber in gewissen Beziehungen Phantast. Er war Barbiergesell gewesen, hatte aber, sich zu etwas Höherem berufen fühlend, mit Anstrengung studirt, und, wiewohl erst im vierzigsten Jahre promovirt, auch sich als Privatdocent habilitirt. Er hatte sehr wenig Praxis und keine Zuhörer; durch literarische Arbeiten erwarb er sich ebenfalls nicht viel, und da er kein Vermögen besaß, mußte er sich knapp behelfen, indem er von einem Freunde, für den er ein Buch schrieb, das niemals fertig wurde, und von seinen Vettern, welche die Ehre, mit ihm verwandt zu sein, anerkennen sollten, nicht so reichlich unterstützt wurde, wie er es zu verdienen meinte. Er war stolz auf seine gelehrte Bildung, und es stand bei ihm fest, daß für einen Mann, wie er, auch die äußeren Verhältnisse glänzend sein müßten; mit seiner Persönlichkeit sehr zufrieden, hoffte er immer, durch eine reiche Heirath sich in eine Lage zu versetzen, in welcher ihm auch eine ansehnliche Praxis nicht fehlen konnte; aber bald hatte er bei seiner Wahl einen großen Kampf mit sich selbst, indem da, wo noch die meiste Aussicht für ihn war, mit dem Vermögen weder Schönheit, noch Jugend vereint war, bald hatte er andere Bedenken, und was das Schlimmste war, er täuschte sich überall, indem er sich einbildete, daß die Damen, um deren Hand er warb, ihm heimlich gewogen wären. Er hatte mich bei Gelegenheit seiner Promotion, wo ich ihm opponirte, lieb gewonnen, fand, da er in der Hoffnung auf eine glücklichere Zukunft lebte, an mir einen Gefährten, und wurde mir wahrhaft zugethan, so wie auch ich recht gern in seiner Gesellschaft war. Er lebte viel in meinem Hause; ein vorzüglicher Gegenstand seiner lebhaften, vertraulichen Gespräche waren seine Heirathsprojecte nebst darauf gebauten Luftschlössern von seiner künftigen prachtvollen Einrichtung u.s.w., denen ich, ohne sein Mißtrauen für eine Zeitlang zu erregen, keinen Zweifel entgegen setzen durfte. Außerdem beschäftigten ihn Pläne zu Verbesserung meiner Lage, an der er aufrichtigen Theil nahm; das Endresultat war immer,[132] daß ich ein Geheimmittel debitiren müsse, und bei seiner Menschenkenntniß rieth er namentlich zu einem Mittel gegen Impotenz. Denn ein kosmetisches Mittel wurde als zu trivial verworfen; ein Mittel gegen eine eigentliche Krankheit, die man dem Arzte leicht bekennt, wurde auch als Stümperei verurtheilt: eine Schwäche, die dem Manne am drückendsten ist, ohne daß er sie gestehen will, war für ein kostbares Geheimmittel am geeignetsten.

Im Winter von 1803/4, wo ich, nachdem die Hoffnung in Betreff einer chemischen Fabrik gescheitert war, den herannahenden Sturm voraussah, machte dieser Rath Eindruck auf mich. Die Verachtung, welche ich gegen die unter dem Scheine der Ehrbarkeit von den Aerzten getriebene Jagd auf Kundschaft fühlte, machte mich geneigt, der öffentlichen Meinung Trotz zu bieten und auf Kosten meines guten Namens mir Mittel zu Erhaltung meiner Familie, sowie zu Fortsetzung meiner wissenschaftlichen Bestrebungen zu verschaffen; ich fühlte mich am Ende groß, im Bewußtsein dessen, was ich bezweckte, den Ruf zu verachten. Daß ich nicht etwa blos eine gemächliche Existenz mir zu verschaffen suchte, haben meine nachherigen Arbeiten bewiesen. – Auch hatte Börner einigermaßen vorbereitet, indem er mir öfters davon sagte, daß er durch Sendungen von allerhand Arzneimitteln, unter dem Namen einer Hausapotheke, nach Rußland, namentlich an den Grafen Orlow, einen guten Handel gemacht, und daß er mir zu ähnlichen Geschäften gern Gelegenheit verschaffen wolle; auch fand ich unter seinen Papieren mehrere Recepte gegen ähnliche Uebel, wie das in Rede stehende.

Nur mit großem Widerwillen ging ich daran, und es hätte mir weniger Ueberwindung gekostet, mir das Leben zu nehmen, als eine Rolle zu spielen, die meinem ganzen Wesen zuwider war. Indeß fügte ich mich der Nothwendigkeit, da ich keine andere Hülfe sah, und machte mich an die Ausführung.

Das Mittel mußte einen griechischen Namen haben, um die Nennung seines Zweckes zu ersparen und die Schrift, welche es ankündigte, mußte französisch abgefaßt sein, weil ich mich[133] schämte, deutsch zu schreiben, überdies auch das Unternehmen vornehmlich auf die höheren Stände berechnet war. Ich schrieb also in bitterer Ironie auf das Treiben der Aerzte eine Abhandlung in marktschreierischem Stile. Des Ausdrucks in der französischen Schriftsprache zu wenig mächtig, mußte ich das Manuscript einem geborenen Franzosen zur Correctur übergeben; als dieser es mir mit der offenherzigen Aeußerung, daß ich die Sprache eines Charlatans geführt habe, zurückgab, freute ich mich, den rechten Ton getroffen zu haben, milderte jedoch einige Ausdrücke, die gar zu stark zu sein schienen. Uebrigens berufte ich mich in dieser unter dem Titel: Eugone erschienenen Brochure auf die Beispiele von Friedrich Hoffmann, Stahl und Unzer, die auch Geheimmittel debitirt hatten. – Kaum war der Druck beendigt, so verlangte der Verleger eine deutsche Uebersetzung. Ich widersetzte mich dieser Forderung, an deren Möglichkeit ich gar nicht gedacht hatte; allein was half es? Der industriöse Buchhändler, der kein Körnchen einer zu erwartenden Ernte nebenbei fallen ließ, gab mir zu erkennen, daß, wenn ich mich weigere, eine Uebersetzung zu geben, ich es nicht hindern könne, daß eine solche bei ihm oder in einem anderen Verlage erscheine. Ich sah mich gefangen und mußte nachgeben, um mir das Honorar für die Uebersetzung meines Machwerks nicht entgehen zu lassen und möglichen weiteren Verunstaltungen vorzubeugen; voll Scham, Angesichts des deutschen Publikums so zu erscheinen, stellte ich den Titel etwas zweideutig, so daß man wenigstens auf den ersten Anblick glauben konnte, ich sei blos der Uebersetzer.

Während man zum Drucke der Brochure schritt, machte der damalige Medicinalrath Langermann am 21. März 1804 auf seiner Durchreise durch Leipzig vorläufig meine persönliche Bekanntschaft, um mir Aussichten auf eine Professur in Erlangen zu eröffnen. Wenige Tage darauf schrieb ich ihm nach Baireuth, daß ich bereit sei, bei einem Gehalte von 700 Thalern dahin zu gehen. Er antwortete mir erst am 13. Mai, er habe bereits am 27. März dem Minister von Hardenberg mich empfohlen und ihm »schon damals ebenso viel Vortheilhaftes[134] von mir gesagt, als er nunmehr nach näherer Darlegung meiner Gesinnungen sagen könnte«, auch habe er den Geheimen Legationsrath Nagler ersucht, das Weitere mit mir unmittelbar zu verhandeln; nur müsse er bezweifeln, daß mir der geforderte Gehalt von 700 Thalern zugestanden werden könne. – Hätte ich bei Zeiten eine officielle Zusage in Betreff der Professur, mit welchem Gehalte es auch gewesen sein möge, erhalten, so würde ich die Herausgabe des Eugon, wenn auch mit Aufopferungen, gehemmt haben; so aber ließ sich der Verleger nicht abhalten, den Druck zu fördern, so daß er das Buch rechtzeitig zur Messe bringen konnte. – Das Loos war geworfen.

Ich hatte öfters Anwandlungen von Bangigkeit gehabt, deren Grund nicht zu entdecken war, die ich aber benutzte, mich auf ein unangenehmes Ereigniß gefaßt zu machen; ein solches war auch nicht lange ausgeblieben und hatte mich vorbereitet gefunden, ja selbst beruhigt, da die unglückliche Wirklichkeit immer eher zu ertragen ist, als die Besorgniß eines künftigen Unglücks, wie der unsichtbare Feind doppelt gefährlich ist, während man dem sichtbaren Widerstand zu leisten weiß. Aber eine Angst, wie am 3. Juli 1804 Morgens hatte ich niemals empfunden; ohne vermuthen zu können, von woher ein Schlag des Schicksals kommen werde, trieb mich die äußerste Unruhe umher, und noch an demselben Vormittage erhielt ich durch Langermann die Nachricht, daß meine Berufung nur durch die Abwesenheit des Mit-Curators Ministers von Massow verzögert, jetzt aber durch die Erscheinung des Eugon unmöglich geworden sei. – Ich war wie vernichtet. So nahe war ich dem Ziele gewesen, und nur die eigene Schuld hatte mich davon zurückgeworfen. Es war das größte Unglück, das mich im bürgerlichen Leben traf, denn es war verschuldet. So lange sich meine Lage nicht änderte, konnte ich die Vortheile, die ich mir von dem einmal gethanen Schritte versprechen durfte und auf welche jetzt meine Existenz basirt war, nicht aus den Händen geben. Es war daher nicht sowohl ein Versuch, das Geschehene gut zu machen, als vielmehr eine Zuckung des Schmerzes, daß ich unterm 5. Juli in der Jenaischen Literaturzeitung anzeigte, ich würde[135] in Kurzem in einer neuen Auflage der Schrift die Bereitungsart des angekündigten Heilmittels bekannt machen.

Im October wurde der Druck meiner Diätetik beendigt, in deren Vorrede auf meine Lage hingedeutet war, indem ich von Hindernissen meiner wissenschaftlichen Wirksamkeit sprach und hinzufügte: »über den inneren Zustand bei einer solchen Hemmung können nur wenige, nur durch Erfahrung, Weisheit und Humanität vollendete Menschen urtheilen; Andere sind incompetent.« Hardenberg, dem ich ein Exemplar schickte, antwortete mit gewohnter Feinheit, »daß, wenn gleich verschiedene Ereignisse, und besonders andere inzwischen angeknüpfte, nicht mehr rückgängig zu machende Unterhandlungen es ihm nicht mehr gestatteten, meine Wünsche in Betreff einer Anstellung bei der Universität Erlangen zu realisiren, sich seine vortheilhafte Meinung von meinen Talenten und Kenntnissen nicht vermindert habe, und daß es ihm angenehm sein werde, bei anderer Gelegenheit« u.s.w.

Langermann blieb mir gewogen, und schrieb mir aus Baireuth im November 1809: »Mein sehnlicher Wunsch, Sie unter günstigen Bedingungen in Erlangen zu sehen, mußte durch Gegenwirkung kleinlich gesinnter Menschen unerfüllt bleiben. Sie sind wahrscheinlich längst dafür entschädigt, und werden sich gegenwärtig darüber freuen, daß es so und nicht anders gekommen ist, da Erlangen als Universität seit den drei letzten Jahren äußerst gedrückt und unbedeutend geworden ist.«

Auch verdankte ich meinem traurigen Unternehmen die Freundschaft eines Ehrenmannes. Der Fürstlich Lippische Leibarzt Scherff in Detmold erbat sich im September 1804 meinen Rath für einen seiner Kranken, und sagte dabei: »meine eigene Erfahrung rechtfertigt Ihren ersten Entschluß, die Eugonpillen selbst zu dispensiren, hinreichend; aber es thut mir leid, daß der Verfasser der Propädeutik in einer Lage sein konnte, wo er diese Rechtfertigung in Anspruch nehmen durfte. Wenn der Staat seine Verbindlichkeit nicht erfühlt, so wird auch das Band der Pflicht gegen ihn locker.« – Mit welcher Innigkeit ich die mir so wohlthuende Zusprache des verdienten Mannes beantwortete und wie herzlich er meine Erklärungen aufnahm, geht[136] aus folgender Stelle seines nächsten Briefs hervor. »Welch freundlicher Genius mag meinem ersten Briefe einen mir unbegreiflichen Zauber eingehaucht haben, daß er so auf Ihr Gefühl wirken konnte, als mir Ihre Aufnahme und Beantwortung desselben zeigt? was schrieb ich an Sie, das nicht jeder offenherzige und zutrauliche Mann auch an Sie geschrieben haben würde? Wie oft und wie sehr müssen Sie verkannt worden sein, daß meine ungekünstelte Anerkennung Ihres Werthes Ihnen so wohl thun konnte? Es thut mir wehe, daß mein Schicksal mich an eine Stelle gesetzt hat, wo ich Ihnen nicht im Mindesten nützlich sein kann. Leider habe ich nichts für Sie als Wünsche; aber sie sind auch so herzlich und so heiß, daß ich sie Gebete nennen möchte.« – Scherff ist mir immer ein warmer Freund geblieben; er correspondirte mit mir, namentlich auch in Betreff seines Archivs für medicinische Polizei, und auf einer Reise in einem der folgenden Jahre verweilte er auch einige Tage in Leipzig, die wir fast ganz beisammen zubrachten.

Durch solche Verhältnisse wurde mein Selbstgefühl aufrecht erhalten; der begangene Fehltritt setzte mich in den Augen achtungswerther Männer nicht herab, und in den öffentlichen Blättern wurde mir wegen desselben eine Schonung zu Theil, die ich nicht zu hoffen gewagt hatte. Die Verletzung meiner Ehre ist mir jedoch zeitlebens eine wunde Stelle geblieben, deren Berührung ich fürchten mußte. Von literarischen Streitigkeiten bin ich öfters durch die Besorgniß, daß Uebelwollende die Erinnerung an das Jugendvergehen gegen mich gebrauchen könnten, abgehalten worden; und wie in der Zeit der Noth jede Verabreichung des Mittels mit den widrigsten Empfindungen verbunden war, so schmerzlich war es mir, als ich durch Anstellung vor Nahrungssorgen geschützt war und das verhaßte Geschäft aufgegeben hatte, noch daran erinnert zu werden, wie z.B. 1816, als die Verlagshandlung mit einer zweiten Auflage der Brochure drohte, der ich mich mit aller Kraft widersetzen mußte.[137]

Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 123-138.
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