3. Versammlung der Naturforscher in Berlin.

[382] Der Minister von Altenstein wünschte, die Versammlung der Naturforscher, die 1828 in Berlin Statt finden sollte, so bedeutend als möglich zu machen, und forderte in einem an Hagen, Baer, Meyer und mich gerichteten Schreiben uns auf, die in der Provinz Preußen lebenden Schriftsteller im naturwissenschaftlichen und ärztlichen Fache, welche uns zur Theilnahme vorzugsweise geeignet schienen, dazu einzuladen. Wir selbst, mit Ausnahme des Medicinalraths Hagen, fanden uns natürlich dabei ein.

In der öffentlichen Versammlung am 22. September hielt[382] ich einen, nachmals in Heckers Annalen gedruckt erschienenen Vortrag über die Psychologie als Naturwissenschaft, in welchem ich zu zeigen suchte, daß, wie die Physiologie des leiblichen Lebens nur durch Auffassung desselben in allen seinen verschiedenen Formen oder durch die comparative Methode Fortschritte gemacht habe, die Psychologie denselben Weg einschlagen und die Aeußerungen des Seelenlebens auf allen Stufen der Thierreihe nothwendig in ihren Kreis ziehen müsse. Unmittelbar nach dem Vortrage forderten mich die Professoren Purkinje, Lichtenstädt und Beneke auf, die Errichtung einer psychologischen Section der Versammlung zu veranlassen; ich ließ mich dazu bestimmen, und da ich die Genehmigung Humboldts, als vorsitzenden Geschäftsführers sogleich erhielt, so wurde auch noch in derselben Sitzung die neue Section angekündigt. Wir kamen noch am Abende desselben Tages zu einer Berathung zusammen; da die früher errichteten Sectionen die freie Zeit der Versammelten schon in Anspruch genommen hatten, so wurde beschlossen, daß die psychologische Section erst nach Beendigung der öffentlichen Versammlung ihre Sitzungen halten solle, und hierzu wurden die nöthigen Verabredungen getroffen. Am folgenden Tage aber protestirte Oken mit allem Ernste gegen unser Unternehmen, und zwar aus dem Grunde, weil bei den psychologisch-naturwissenschaftlichen Discussionen Aeußerungen hervortreten würden, welche mit den kirchlichen Dogmen in Widerspruch ständen, und dadurch das Institut der Versammlungen der Naturforscher überhaupt bei den Regierungen verdächtigen könnten. Wiewohl nun dieser Grund wenig Eindruck auf mich machte, so gab ich doch das Unternehmen auf, weil bei mir schon die Besorgniß entstanden war, daß die Verhandlungen durch allerhand lästige Theilnehmer gestört und verunstaltet werden könnten, denn schon in den wenigen Stunden seit jener Ankündigung hatte sich ein unreifer Enthusiast und ein überreifer Phantast an mich gedrängt, welche die Eröffnung der psychologischen Sitzungen nicht erwarten konnten.

Uebrigens schaffte der wissenschaftliche und dabei lebensfrohe Verkehr so vieler interessanter Männer großes Vergnügen.[383] Unter Andern hatte mein wackerer Freund Dieffenbach, der seine operative Kunst auf physiologisches Wissen basirte, es eines Tages angeordnet, daß ich beim Mittagsmahle mit Tiedemann, Retzius, Rudolphi, Müller, Seiler, Heusinger, Baer, Rathke, Schultze, Weber, Otto, Mänz an einer Tafel saß. Auch fand ich Mehrere, die zugleich oder doch ziemlich zu derselben Zeit mit mir unter Frank in Wien studirt hatten, namentlich den Geheimen Medicinalrath Wendt aus Breslau, den Obermedicinalrath von Froriep aus Weimar, den Regierungsrath Hartmann aus Frankfurt, den Hofrath Seegert aus Berlin und meinen theuren Freund Staatsrath Rehmann aus Petersburg. Letzterer wollte uns zu einem Erinnerungsfeste vereinigen; doch kam es nicht dazu. – Rehmann – um die Nachrichten über ihn zu ergänzen – hatte, seitdem ich ihn nicht gesehen, in mehr als einer Hinsicht ein hartes Loos zu tragen gehabt. Im Herbste 1820 nach Petersburg zurückgekehrt, hatte er die Direction des Civil-Medicinalwesens in Rußland bekommen, und dabei viel Cabale zu bekämpfen gefunden. So hatte er mir 1821 geschrieben: »Ich habe in den letzten fünf Jahren manche moralische Leiden erduldet und viel Philosophie und Standhaftigkeit nöthig gehabt, um das Leben nicht vollkommen zu verachten.« Dazu kamen nun noch unsägliche körperliche Leiden: die Gicht trat bald als Gliederreißen, bald als furchtbare Augenentzündung, bald als Asthma auf, und die Gallensteine verursachten einen sonderbaren beängstigenden Druck im Gehirne. Er besuchte 1828 bis 1830 Karlsbad, Ischl und Marienbad, und starb im folgenden Jahre.

Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 382-384.
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