4. Die Cholera.

[384] Als die Cholera-Epidemie, die 1830 in Rußland aufgetreten war, im Anfange des Jahrs 1831 auch im benachbarten Polen sich zeigte, hatten wir sie auch bei uns zu erwarten, und wir Aerzte bereiteten uns durch Studium der bisher bekannt gemachten Beobachtungen über die ostindische Epidemie zu deren Empfange vor. Unterm 5. April publicirte das Ministerium[384] eine Instruction über das bei Annäherung der Cholera, so wie beim Ausbruche derselben zu beobachtende Verfahren. Dem gemäß wurde in Königsberg außer 8 Sanitäts-Commissionen für die einzelnen Distrikte der Stadt eine Central-Sanitäts-Commission errichtet, bestehend aus dem Oberburgemeister, fünf Stadträthen, dem Polizeipräsidenten, einem Polizeirathe und vier Aerzten, zu welchen auch ich gehörte.

Dem Urtheile der ärztlichen Behörden der Provinz wurde nichts überlassen; das Medicinalcollegium und die medicinische Facultät wurden ganz außer Acht gelassen, weder befragt, noch irgendwie beauftragt, noch auch nur von den Ereignissen in Kenntniß gesetzt. Alle Anordnungen waren im Voraus vom Ministerium gemacht, und die Immediat-Commission zu Abwehrung der Cholera, an deren Spitze der General v. Thile stand, richtete ihre Befehle bloß an die bürgerlichen Behörden; die Cholera wurde als eine entschieden contagiöse, der Pest ähnliche, durch Absperrung zu verhütende Krankheit betrachtet. Im Widerspruche mit den demnach angeordneten Sperrmaaßregeln wurde durch die zu Ueberwindung der insurgirenden Polen nothwendige Verproviantirung des russischen Heers zu Einschleppung der Krankheit vielfacher Anlaß gegeben. Diese Umstände bestimmten mich, der Central-Sanitäts-Commission folgenden Aufsatz zu übergeben: »Da in unserer Provinz keine ärztliche Behörde besteht, welche bei dem zu besorgenden Ausbruche der morgenländischen Cholera die nach Maßgabe der jedesmaligen Umstände erforderlichen gesundheits-polizeilichen Maßregeln zu treffen, oder der Regierung vorzuschlagen, autorisirt wäre, dergleichen es in andern Ländern, welche von dieser Seuche bedroht oder heimgesucht waren, namentlich in Ostindien, Rußland und Polen gab, – so wende ich mich mit den Bemerkungen über das öffentliche Gesundheitswohl, welche ich als Arzt und Bürger mitzutheilen mich verpflichtet fühle, an die gegenwärtige verehrliche Sanitäts-Commission. Denn dadurch, daß ein hochlöblicher Magistrat auch mehrere Aerzte zu dieser Commission berief, sprach derselbe seinen Willen aus, die ärztliche Erfahrung zu benutzen und in Gemäßeit derselben seine[385] Verfügungen in Betreff des öffentlichen Gesundheitswohls zu treffen.«

»1) Die Disposition zur Cholera besteht hauptsächlich in einer Störung der Verdauung, welche entweder durch Unmäßigkeit, oder durch eine zu dürftige, an Nahrungsstoff zu arme, namentlich rein vegetabilische Kost hervorgebracht wird. Vor Unmäßigkeit kann die Gesundheitspolizei nur warnen; für das reichliche Vorhandensein einer gesunden und kräftigen Nahrung aber kann sie Sorge tragen, und auf die Nothwendigkeit, die Erwerbsquellen der Unbemittelten zu erhalten und zu vermehren, kann sie die Behörden aufmerksam machen. Dadurch, daß man wohlfeile und gesunde Nahrung schafft, den Erwerb erleichtert und dem Arbeitslosen Arbeit giebt, wird in der That zu Steuerung einer solchen Seuche mehr ausgerichtet, als durch Sperrungen, die bei ihrem unbestreitbaren Nutzen1 auch viele Uebelstände für die Gesundheit mit sich führen. Nun ist durch die Verproviantirung des immer näher an unsere Gränzen heranziehenden und dieselben mit seinen Seuchen bedrohenden russischen Heers der Preis der Lebensmittel, insbesondere des Fleisches, bei uns so gestiegen, daß der Aermere sich nicht mehr mit einer kräftigen Kost versehen kann. Auf der andern Seite nimmt die Armuth zu; so sind z.B. in unserer Stadt einige Hunderte von Menschen, die sonst durch Bearbeitung, Umladung, Verschickung etc. der aus Polen kommenden Waaren ihr Brot erwarben, jetzt arbeitslos; mehrere Gewerbe wer den durch die zu Verhütung der Seuche getroffenen Maßregeln beeinträchtigt, und bei eintretender Sperrung wird die Nahrungslosigkeit noch viel allgemeiner werden. Es steht daher sehr zu besorgen, daß die morgenländische Cholera, wenn sie hier ausbricht, sehr weit um sich greifen und eine furchtbare Höhe ereichen wird, so daß die[386] Atmosphäre bedeutend verunreinigt und dadurch die Gesundheit von Reichen wie von Armen gleich gefährdet wird. Um dem vorzubeugen, dürfte bei der königlichen Regierung darauf anzutragen sein, daß eine hinlängliche Menge Schlachtvieh aus andern gesunden Gegenden uns zugeführt, der nöthige Getreidevorrath aufgespart2, die Schlacht- und Mahlsteuer für den Augenblick suspendirt und überhaupt auf jede Weise auf Ermäßigung der Preise hingewirkt, so wie durch öffentliche Arbeiten dem nahrungslosen Handarbeiter Erwerb verschafft werde. Wir dürfen überzeugt sein, daß ein solcher Antrag, soweit die höhere Behörde ihn als ausführbar erkennt, Berücksichtigung finden wird. Denn wenn es die Nothwendigkeit gebietet, für die Subsistenz des russischen Heers zu sorgen, so wird die königliche Regierung gewiß auch nichts versäumen, was zur Sicherung des Lebens der königlichen Unterthanen nöthig ist.«

»2) Neben schlechten Nahrungsmitteln ist Furcht und Schrecken diejenige Schädlichkeit, welche am meisten zur morgenländischen Cholera disponirt. Daher ist es denn wichtig, daß die Behörden Alles vermeiden, was die Unruhe und Besorgnisse des Publikums unnöthiger Weise vermehrt und der Phantasie grausenhafte Bilder vorführt3; so scheint es mir z.B. sehr bedenklich, wenn Briefe mit der Aufschrift: Pestangelegenheiten durch die Provinz verschickt werden. Die Ansteckungskraft der bösartigen Cholera ist so wenig bedeutend, daß sie von mehrern Aerzten, welche diese Seuche im Großen zu beobachten Gelegenheit hatten, gänzlich geleugnet wird; aber eine verständige Vorsicht gebietet, sich auf jeden Fall möglichst dagegen zu sichern, und so zu handeln, als ob die Ansteckungskraft nicht allein unbezweifelt, sondern auch sehr mächtig wäre. Indem es nun auf der einen Seite nöthig ist, nicht bloß der Form nach und in gewissen Fällen, sondern in der That und[387] rücksichtslos jede Gemeinschaft mit inficirten Gegenden vollständig aufzuheben, dürfte es andrerseits auch rathsam sein, das Publikum dadurch zu beruhigen, daß man ihm den richtigen Gesichtspunkt, aus welchem diese Maaßregeln zu beurtheilen sind, aufstellte. Ich erlaube mir daher, darauf anzutragen, daß die verehrliche Sanitäts-Commission eine Belehrung des Publikums über das Wesen und die Verhütung der asiatischen Cholera bekannt mache.«

»3) Es scheint gefährlich, Verordnungen zu erlassen, von welchen vorauszusehen ist, daß sie nicht zur Ausführung kommen; denn indem man ihnen nicht nachkommt, wird man leicht dahin geführt, auch diejenigen zu vernachlässigen, deren Befolgung dringend nothwendig ist. Durch die Verfügung vom 23. Mai werden die Aerzte verpflichtet, ›ohne alle weitere Rücksicht jede ihnen zur Behandlung dargebotene oder übergebene Krankheit, welche den Charakter der Cholera, nämlich öfteres Erbrechen und eben so häufige Darmausleerungen etc. zeigt, so schleunig als möglich dem Polizei-Präsidium anzuzeigen.‹ Die gewöhnliche Cholera komm seit mehreren Monaten häufig in Königsberg vor, so daß mancher Arzt jetzt fünf bis sechs Fälle dieser Art zu behandeln hat; aber sie ist so gutartig, daß die Gefahr leicht beseitigt, ja die Krankheit in manchen Fällen ohne alle Arzneien bloß durch eine zweckmäßige Diät gehoben wird. Sollte man nun alle diese Fälle dem königlichen Polizei-Präsidium anzeigen, so würde dieses nur unnöthiger Weise behelligt, und das Publikum durch etwa dadurch veranlaßte Maaßregeln erschreckt und belästigt werden. Daher wäre wohl das K. Polizei-Präsidium um die Erklärung geziemend zu ersuchen, daß die Aerzte verpflichtet seien, nicht jede ihnen vorkommende Krankheit, welche den Charakter der Cholera zeigt, sondern nur eine solche, die den Charakter der bösartigen asiatischen Cholera an sich trägt, sogleich anzuzeigen.«

»Dies sind die Bemerkungen, welche ich der verehrlichen Sanitäts-Commission zur weiteren Prüfung heute vorzulegen mir erlaube. Weitere Bemerkungen werde ich mit gleicher Freimüthigkeit künftig mittheilen. Denn in Zeiten der Gefährdung[388] des öffentlichen Gesundheitswohls gebietet die Bürgerpflicht dem Arzte, nicht allein zu handeln, sondern auch zu sprechen.«

Ich erhielt den Auftrag, eine Belehrung für das nichtärztliche Publikum abzufassen und vollzog denselben in möglichster Eile4. Ich erklärte darin unter Anderem, daß, wie jede Krankheit unter gewissen Umständen ansteckend werden könne, so auch die Ansteckungskraft der Cholera möglich, aber nicht hinreichend bewiesen sei.

Daß die Cholera nicht in der Weise ansteckend sei, um durch Sperrung abgehalten werden zu können, war eine Meinung, welche die Königsberger Aerzte mit wenigen Ausnahmen mit mir theilten und die dem Oberpräsidenten von Schön sehr willkommen war, da er den zu Verproviantirung der russischen Truppen nöthigen Verkehr mit den der Cholera verdächtigen Gegenden gegen das darüber erbitterte Publikum nur durch die Behauptung rechtfertigen konnte, es sei keine Gefahr der Ansteckung vorhanden. Er hatte diese Partie ergreifen müssen; denn wenn die Cholera eine abzusperrende, pestartig ansteckende Seuche war, so gab ja der preußische Hof dem russischen zu Liebe das eigene Land durch jenen Verkehr dem Verderben Preis. Indeß verfuhr Herr v. Schön übrigens in demselben Sinne, wie das Ministerium, in sofern er die wegen der Krankheit zu ergreifenden Maßregeln bloß als eine Angelegenheit der Regierungsbeamten behandelte. Die medicinische Gesellschaft, welche seit einigen und zwanzig Jahren hier bestand, bat ihn um Mittheilung der bei ihm eingehenden Berichte und Aufsätze über die Epidemie, erhielt aber zur Antwort, daß er ihren Mitgliedern gestatten wolle, auf seinem Bureau Einsicht in die darüber geführten Acten zu nehmen. Dies konnte nicht genügen und die Gesellschaft beschloß, bei dem Ministerium um einen Befehl an das Ober-Präsidium zu der gewünschten[389] Mittheilung einzukommen. Da ihr bisheriger Director diesen gegen den Oberpräsidenten zu thuenden Schritt scheute, so trat ich an dessen Stelle und unter meiner Leitung nahm diese Privatgesellschaft während der Epidemie gewissermaßen die Stelle der ärztlichen Behörde ein, da Medicinalcollegium und medicinische Facultät in dieser Angelegenheit so gut wie nicht existirten: sie war eine Schaar patriotischer Freiwilliger ohne Aufgebot. Mit Vergnügen erinnere ich mich meiner Wirksamkeit in diesem aus 23 Aerzten und 3 Apothekern bestehenden Vereine, in welchem ein lebendiger, kräftiger Gemeinsinn und die vollkommenste Eintracht herrschte.

Indeß brach die Krankheit am 28. Mai in Danzig aus; da aber von da aus das auf russischen Fahrzeugen dahin gebrachte Getreide über Königsberg zur russischen Armee geschafft werden sollte, so sah sich der Oberpräsident zu einer doppelzüngigen Sprache genöthigt. Er erklärte unterm 8. Juni dem Königsberger Magistrate, die von demselben für nöthig erachteten Maßregeln gründeten sich auf Voraussetzung einer Seuche, die indeß in Danzig noch nicht anzunehmen sei, da noch immer nur 4 bis 5 (eigentlich 8) Menschen täglich (an der Cholera) stürben; Personen, welche gehörig legitimirt von daher kämen, dürften daher nicht in der Quarantäne aufgehalten werden und die von Danzig kommenden Fahrzeuge zum Transporte von Verpflegungsmitteln für die russischen Truppen sollte man ungestört ihre Ladungen einnehmen und abgehen lassen. In einer Bekanntmachung vom 9. Juni sagt er, an der angeblich mit Symptomen der Cholera in Danzig zum Vorschein gekommenen Krankheit wären vom 29. Mai bis 7. Juni 72 Personen erkrankt und 41 gestorben; es wären die Sperren der betroffenen Stadttheile veranlaßt, und insbesondere gegen die von Rußland und Polen kommenden Fahrzeuge die nöthigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen, so daß in dieser Beziehung eine Landesgefahr nicht zu befürchten stünde.

Im Juli rückte die Seuche, die in Danzig fortwährend herrschte, uns immer näher, indem sie am 12ten in Elbing, am 14ten in Posen, am 17ten in Pillau, am 18ten in Memel und[390] am 19ten in Neidenburg ausbrach. In der Nacht vom 22/23sten erschien sie in Königsberg: in einem Hause der Vorstadt, in welchem mehrere arme Familien gedrängt beisammen wohnten, erkrankten mit einem Male sieben Menschen daran, während zugleich in der Stadt ein Krankheitsfall vorkam.

Die medicinische Gesellschaft verschaffte sich ein Local, um täglich von 10 bis 12 Uhr zu gegenseitigen Mittheilungen und Berathungen zusammen zu kommen, lud auch die übrigen Aerzte der Stadt dazu ein. Auch traf sie die Einrichtung, daß in jeder Nacht von Abends 10 bis Morgens 6 Uhr zwei Aerzte in einem öffentlich angezeigten Locale wachten und Wagen, von der Communalbehörde geliefert, bereit standen, um sie dahin zu bringen, wo ihre Hülfe verlangt würde. Dadurch wurde die nächtliche Ruhe der übrigen Aerzte, welche gerade nicht auf der Wache waren, gesichert. Ich wollte, wie mich die Reihe träfe, ebenfalls an der Wache Theil nehmen, meine Collegen nahmen es aber nicht an.

Von den Behörden wurden nun Versuche gemacht, die von der Immediatcommission angeordneten Maßregeln in Anwendung zu bringen. Kranke, deren Wohnung nicht geräumig genug sei, um darin gehörig abgesondert zu werden, sollten durch Reinigungsknechte in die Hospitäler gebracht werden, die ein geheimnißvolles Aussehen erhielten, indem die zu ihnen führenden Straßen durch hohe Bretterwände gesperrt waren; das Haus, in welchem ein Mensch an der Cholera erkrankte, sollte von Wachen umstellt und jeder Verkehr mit seinen Bewohnern bei Strafe von 20 Thalern oder achttägigem Gefängnisse bei Wasser und Brod aufgehoben sein u.s.w. Man überzeugte sich bald, daß die Anordnungen sich nicht ausführen ließen; aber die Versuche dazu brachten eine Gährung unter dem Volke hervor, und an Stelle der Krankheit bewies der Unverstand der Anordnungen seine Ansteckungskraft, indem er hin und wieder den wahnsinnigen Gedanken hervorrufte, man gehe damit um, sich der Armen zu entladen, indem man sie theils durch die polizeiliche Hinderung des Eintritts der mit Lebensmitteln zur Stadt kommenden Landleute verhungern, theils durch die Aerzte[391] in den für jeden Andern unzugänglichen Räumen vergiften lassen wolle. Am 25sten hielt der Oberpräsident in Gegenwart der beiden Abgeordneten, welche die Immediat-Commission hierher geschickt hatte (Major von Below und Prof. Wagner) eine Berathung, in welcher das General-Commando es für unmöglich erklärte, die zu den Absperrungen und Cordons erforderlichen Truppen zu stellen und die Nothwendigkeit anerkannt wurde, für den Unterhalt der Einwohner den Verkehr mehr frei zu geben; das Resultat war die Festsetzung, daß Jeder überall frei passiren könne, wer von der Sanitäts-Commission oder von seiner Ortspolizeibehörde eine Bescheinigung habe, daß er weder der Ansteckung verdächtig sei, noch auch in einem derselben verdächtigen Hause gewohnt habe. Daß diese Bescheinigungen völlig nichtssagend und eine leere Formalität waren, versteht sich von selbst. – An 26sten kam ein engerer Ausschuß zusammen, welchem ich ebenfalls beiwohnte und an dessen Resultaten ich vorzüglichen Antheil gehabt zu haben mich rühmen darf. Es wurde nämlich beschlossen, von Seiten der Regierung bekannt zu machen, daß, da die Erfahrung die zur Abwehr der Cholera getroffenen Maßregeln als im Innern des Landes unzulänglich, Angst und Besorgniß aber als vorzügliche Beförderungsmittel der Krankheit erwiesen habe, – die Thorsperre aufgehoben sei, jeder Kranke, er sei arm oder reich, wenn er wolle, in seiner Wohnung bleiben könne, sein Haus nicht mehr gesperrt werde und die Beerdigung auch auf den gewöhnlichen Begräbnißplätzen gestattet sei. Um diese wesentliche Befreiung durchzusetzen, mußte ich noch in einige Beschränkungen einwilligen, auf welche der anwesende Regierungsrath drang, da sie doch den Schein gaben, als thue man noch etwas gegen die Ansteckung: es sollte nämlich am Hause eines Cholerakranken eine Tafel mit der Aufschrift: Cholera, aufgehängt werden; vor der Krankenstube sollte ein Wächter stehen, der außer den mit der Krankenpflege beschäftigten Personen Niemandem ohne Vorwissen des Arztes den Zutritt gestatten dürfe; auch sollte auf einem Tische eine Schale mit verdünntem Essig stehen, worein das Kaufgeld für empfangene Sachen geworfen würde; die[392] Leichname endlich sollten nicht abgewaschen und bekleidet, die Särge aber vernagelt und verpicht werden. Diese Vorschriften zu beobachten, ist meines Wissens Niemandem eingefallen. Die Bekanntmachung der Beschlüsse wurde auf der Stelle gedruckt und die obigen Puncte derselben würden das Volk beruhigt haben.

Allein ein Mitglied der Regierung, welches die höhern Orts befohlene Ansteckungstheorie festhielt, auch demgemäß auf dem Walle in eigener Person Wache gestanden hatte, hielt die gedruckten Exemplare zwei Tage lang zurück und unterdessen brach der Unwille des Volkes in Aufruhr aus. Der zusammengerottete Pöbel bemächtigte sich am Morgen des 28. Juli des Polizeigebäudes, plünderte und verwüstete dasselbe und schlug die Scheinangriffe des Militärs mit Steinwürfen zurück. Da das Militär keinen ernsten Gebrauch von seinen Waffen machen durfte, so nahm der Tumult immer mehr überhand, ohne jedoch, da es an Anführern fehlte, zu ernsteren Unternehmungen zu kommen, bis endlich Nachmittags Bürger und Studirende, mit Schießgewehren und andern Waffen versehen, einschritten, das Polizeigebäude in Besitz nahmen und die theils in den Straßen postirten, theils in Branntweinhäuser geflüchteten Tumultuanten ergriffen und verhafteten, einige auch tödteten.

Wir waren am Vormittage dieses Tages an unserem gewöhnlichen Versammlungsorte, als wir von dem Tumulte und von mehreren auf Aerzte gerichteten Angriffen Nachricht erhielten. Zugleich fanden wir im Zeitungsblatte dieses Tages eine Bekanntmachung des Oberpräsidenten, worin es hieß, »es hätten sich Spuren der Cholera in Königsberg gezeigt; es wären am 23sten vier Personen erkrankt und eine derselben gestorben, bei welcher nach dem ärztlichen Gutachten alle Zeichen der gedachten Krankheit zu finden gewesen sein sollten; seitdem wären einige neue Erkrankungen und vier Todesfalle zur Anzeige gekommen; die meisten der Verstorbenen hätten nach den darüber von den Aerzten abgestatteten Gutachten keineswegs an der asiatischen Cholera gelitten, vielmehr wäre ihr unregelmäßiges Leben unter Hinzutreten äußerer Einwirkungen die Ursache[393] ihres plötzlichen Todes gewesen.« Hierdurch konnte denn der Wahn, als sei die Choleraepidemie eine böswillige Erdichtung der Aerzte, nur noch mehr Nahrung bekommen. Wir eilten also zum Oberpräsidenten und beschwerten uns, daß er durch diese der Wahrheit nicht entsprechende Anzeige die Aerzte bloß gestellt, den Verdacht, welchen der Pöbel auf sie geworfen, bestärkt und somit zu Fortsetzung der Verfolgungen, welchen sie bereits ausgesetzt gewesen, Anlaß gegeben habe. Durch allerhand diplomatische Wendungen wich er unseren Vorwürfen und unserer Forderung eines Widerrufs aus, gab jedoch seine Einwilligung dazu, daß ein von uns abzufassendes Publicandum unter unserem Namen erschiene. Wir erklärten also in der Zeitung vom 29. Juli, daß der gedachte, vom Oberpräsidenten unterzeichnete Zeitungsartikel nicht auf Angaben der Sanitäts-Commission, also auch nicht auf ärztlichen Berichten beruhe; daß alle in das neu eingerichtete Lazareth aufgenommene Kranke nach dem einstimmigen Urtheile aller Aerzte an der asiatischen Cholera gelitten haben, die bei mehreren allerdings in Folge von Unmäßigkeit und ähnlichen schädlichen Einflüssen entstanden sei; und daß die Aerzte nicht angestanden hätten, ihr Urtheil auszusprechen, sobald sie vom wirklichen Ausbruche der Epidemie überzeugt worden wären.

Um aber falschen Gerüchten zu begegnen, so wie etwanige schiefe Berichte der Behörden zu verhüten, entschlossen wir uns zu fortlaufenden öffentlichen Mittheilungen; wir wollten besonders der übertriebenen Besorgniß steuern, welche der Seuche neuen Nahrungsstoff bereitete, zu verderblichen Maßregeln verleitete und dem ärztlichen Wirken störend in den Weg trat. So legte ich am 2. August meinen ärztlichen Collegen in einem Umlaufschreiben den Plan zu Herausgabe einer »Cholerazeitung« vor, welche sowohl Nachrichten über den wahren Stand der Epidemie, als auch Belehrung über die darauf Bezug habenden Verhältnisse enthalten sollte. Der Plan fand Beifall; ich übernahm die Redaction; am 3. August erschien die Ankündigung, schon am 6. August die erste Nummer, und so folgten wöchentlich zwei Blätter, bis zum 28. September, wo die Epidemie[394] im Erlöschen war, zusammen 16 Nummern. Ich hatte demnach Gelegenheit, auch als Zeitungsredacteur einige Erfahrungen zu machen.

Am 15. August erhielt ich vom Ober-Präsidium den Auftrag, mich nach Wehlau, Labiau und Tapiau zu begeben, den Stand der Cholera daselbst genau zu untersuchen und mit Hülfe der dasigen Behörden zu erforschen, ob die Krankheit durch Ansteckung dahin gekommen sei und in welchen Fällen sie sich ansteckend gezeigt habe, da die dasigen Einwohner an eine unbedingte Ansteckungskraft glaubten und deßhalb keinen Arzt mehr in ihre Wohnungen lassen wollten. Ich brachte den 16. bis 18. August mit diesem Geschäfte zu und stattete am 19. meinen Bericht ab. Am 28. August wurde ich eben so beauftragt, in Neidenburg, wo bei einer Zahl von 2000 Einwohnern binnen drei Wochen 175 Menschen an Cholera erkrankt und über 90 gestorben waren, die Ursachen dieser großen Ausbreitung und Tödtlichkeit, so wie die Art der Behandlung der Kranken zu untersuchen und alle für nothwendig erachteten Maßregeln sofort anzuordnen. Außer Neidenburg machte ich auf der vom 29. August bis 3. September unternommenen Reise auch Landsberg, Liebstadt, Osterode, Friedland und Allenburg zum Gegenstande meiner Untersuchungen. Im October reiste ich nach Elbing; – die Ausfertigung des Auftrages, die Entstehungsweise der Krankheit in Mühlhausen, Frauenburg und Braunsberg zu untersuchen, kam erst nach meiner Rückkehr in meine Hände, so daß ich dies Geschäft nicht vollziehen konnte.

Es ergab sich nun an keinem dieser Orte irgend ein haltbarer Beweis für die Einschleppung der Seuche und für die weitere Verbreitung derselben durch Ansteckung. Ich machte diese Resultate meiner Untersuchungen in unserer Zeitung bekannt, so wie Baer das gleiche Ergebniß einer sehr genauen Erforschung des Ausbruchs und der Verbreitung der Cholera in Königsberg daselbst mittheilte. Ich lieferte ferner Aufsätze über die Umstände, welche die Entstehung der Cholera begünstigen, namentlich über den Einfluß der Gemüthsbewegungen darauf und bewies aus amtlichen Berichten die Erfolglosigkeit,[395] Unausführbarkeit und Schädlichkeit der Cholera-Sperre. In demselben Sinne gaben nun auch die Doctoren Motherby, Hirsch, Jacoby u.s.w. schätzbare, der Zeit und der Sache angemessene Beiträge. Die Cholerazeitung bekämpfte fortwährend die Ansichten, von welchen das Ministerium ausgegangen war; die Behörden der Stadt wichen von der gegebenen Instruction gänzlich ab und die Abgeordneten der Immediat-Commission sahen sich zu ihrem Erstaunen außer Stand, hier etwas zu ändern. In Berlin erschien der Widerstand gegen irrige Ansichten und verderbliche Anordnungen als ein frevelhaftes Auflehnen gegen die höchsten Behörden und man schob die Schuld vornehmlich auf den Oberpräsidenten von Schön. Ein höherer Beamter daselbst schrieb zu dieser Zeit in einem vertraulichen Briefe Folgendes: Seit länger als einem halben Jahrhunderte hat sich durch Lage und Verhältnisse, durch Personen und Ereignisse in Ostpreußen, und besonders in Königsberg, ein Geist der Eifersucht und Opposition gegen die Hauptstadt entwickelt, der, so beklagenswerth er an sich ist, doch unstreitig auch viel Gutes zur Folge gehabt hat. Offenbar hat dieser Geist großen Antheil an der Gesetzgebung vom I. 1808 und an der Errichtung der Landwehr, dem Glücklichsten, was für Preußen geschehen konnte. Aber eben so gewiß kann auch dieser Geist die heillosesten Nachtheile erzeugen. Der, welcher jetzt als der Retter und Wohlthäter Königsbergs gepriesen, dessen Name aber hier mit Unwillen genannt wird, – – – – – – ist der Repräsentant dieses Oppositionsgeistes. Diese Aeußerung erscheint heute um so interessanter, da wir die Meinung des Herrn v. Schön über die Beamtenherrschaft aus seinem »Woher und wohin« jetzt kennen. – Da Königsberg gewissermaßen in Belagerungszustand gesetzt worden war, so war auch meine für ruhige Zeiten gültige Censorenmacht suspendirt und das der Cholerazeitung von mir gegebene Imprimatur nicht mehr hinreichend, sondern bedurfte noch der Bestätigung durch ein Mitglied der Regierung. Gleichwohl wurde ich im October mit einem Schreiben beehrt, des Inhalts, das Obercensur-Collegium habe sich[396] über einen Aufsatz in der Cholerazeitung5 mit der Ueberschrift: zerbrochene Senfschüsseln, mißbilligend geäußert, und erwarte, daß ich in Verwaltung meines Censor-Amtes künftig die gewünschte Aufmerksamkeit und Sorgfalt anwenden werde.

Als die Zeitung nach dem Aufhören der Epidemie ebenfalls aufhörte, wurde der stipulirte Antheil am Gewinne des Verlegers nach Neidenburg als Beitrag zu Unterstützung der Armen, welche durch die Epidemie gelitten hatten, gesendet. Da aber die Zeitung als Stein des Anstoßes für Ansteckungstheorie und Sperrsystem eine geschichtliche Bedeutung gewonnen hatte, so wurde gegen Ende des Jahrs eine neue Auflage veranstaltet welche außer einigen neuen Aufsätzen von andern Verfassern eine Abhandlung über die Verbreitung und Tödtlichkeit der Cholera in Königsberg und einen Beitrag zur Geschichte der Cholera-Epidemie in den nordöstlichen Provinzen des preußischen Staats von mir enthält. Bei dieser Arbeit vertiefte ich mich in statistische Untersuchungen, die mir viel Mühe und Zeit kosteten und wenig Resultate gaben; da die medicinische Gesellschaft ihre Verhandlungen über die Cholera herausgab, so erschien mein Aussatz im zweiten Bande derselben, so wie in einem besondern Abdrucke6. Die letzte Erwiderung auf Professor Wagners Behauptungen über die Verbreitung der Cholera in Preußen findet sich in Clarus und Radius Beiträgen zur medicinischen und chirurgischen Klinik. Bd. II. S. 33-41.

Was mein persönliches Verhalten anlangt, so leistete ich jedem Kranken, der sich an mich wendete, den verlangten Beistand; auch besuchte ich fleißig die Cholera-Hospitäler. Die im Auftrage des Ober-Präsidiums unternommenen kleinen Reisen[397] boten manches Interessante dar. In dem einen Städtchen begrüßten mich die Väter der Stadt als einen Schutzengel, der gesandt wäre, um bei ihnen zu bleiben, und führten mich zunächst zu einigen Honoratioren, die, ganz gesund, im Angstschweiße das Bett hüteten; in einem andern stellte mich der Burgemeister auf der Straße der versammelten Volksmenge in pathetischer Rede als Helfer und Tröster vor, und nöthigte mich, ebenfalls zum Volke zu sprechen. An Orten, welche von der Epidemie noch verschont waren, verweigerten mir die Postmeister Pferde, respectirten die Ordre des Ober-Präsidiums nicht, weil sie von ihrer höchsten Behörde entgegengesetzte Befehle hatten, und erklärten es für ganz unzulässig, einen königlichen Postillon nach einer verpesteten Stadt fahren zu lassen; in einer Stadt, die ebenfalls von der Krankheit noch unberührt geblieben war und dies ihrer strengen Absperrung zuschrieb, sammelte sich sogleich um meinen Wagen eine Menge Volks, und da es über eine Stunde dauerte, ehe wir frische Postpferde bekamen, ich aber, um keine Verantwortung auf mich zu laden, nicht aussteigen wollte, so hielt ich mit meinem Gefährten aus unserem Magazine unsere Abendmahlzeit, unter fortwährender aufmerksamer Beobachtung von einigen hundert Menschen, die den Wagen umringten. Ich hatte auf dieser Reise einen sehr angenehmen Gesellschafter an dem Dr. Schneemann aus Hannover, der im Auftrage seiner Regierung reiste, um die Cholera näher kennen zu lernen. Wir wurden einander recht befreundet, und da wir auch in Betreff Polens übereinstimmend dachten, so machten wir von Neidenburg aus eine phantastische und nicht ganz gefahrlose Excursion über die streng bewachte Gränze, um, auf polnischen Boden gelagert, von dessen Befreiung zu träumen und Blumen von demselben nach unserer Heimath zu bringen. Uebrigens bot sich mir in dieser Zeit manche Gelegenheit dar, polnischen Flüchtlingen zu dienen, insonderheit solchen, die in Königsberg ihre Studien fortsetzen wollten. Darauf bezog sich ein an mich gerichtetes Schreiben des »National-Comité der polnischen Emigration« von Paris den 8. December 1832, unterzeichnet: »Der Präsident Divisions-General Dwernicky«[398] folgenden Inhalts: »Mehrere unserer jungen Männer in der Pilgerschaft, welche Ihren Vorlesungen beigewohnt und sich unter Ihnen gebildet haben, erinnern sich Ihrer noch mit Wohlgefallen, und das Ihnen von denselben gegebene Zeugniß der Menschenliebe, davon Sie stets Beweise gegeben, ist die Veranlassung, daß wir uns an Sie wenden, beiliegendes Schreiben Ihren Collegen gütigst vortragen und es bei ihnen unterstützen zu wollen.« Das beigelegte, eben so unschuldige Schreiben enthielt bloß die Bitte um Unterstützung der in Königsberg studirenden jungen Polen, und wurde vom akademischen Senate an unser Ministerium eingesendet!!

Fußnoten

1 Da der Verkehr mit typhösen Kranken für immer nachtheilig auf die Gesundheit wirken kann, so war auch der mögliche Nutzen einer Verhütung desselben nicht zu bestreiten, besonders nicht, so lange man nicht eigene Erfahrungen darüber gemacht hatte, am wenigsten, da durch eine wirkliche Sperrung den Polen geholfen sein würde.


2 In Königsberg waren große Backhäuser erbaut, in welchen Brot für das russische Heer gebacken wurde.


3 Wie die Immediat-Commission in ihren Bekanntmachungen gethan hatte.


4 Belehrung für Nichtärzte über Verhütung der Cholera. Im Auftrage der Sanitäts-Commission zu Königsberg verfaßt von K.F. Burdach. Königsberg 1831, in der Universitäts-Buchhandlung. IV und 60 S. 8.


5 Cholerazeitung, herausgegeben von den Aerzten Königsbergs. Zweite vermehrte Auflage. Königsberg. Verlag von Paschke, in Commission in Bons Buchhandlung. 1832. 144 S. 4.


6 Historisch-statistische Studien über die Cholera-Epidemie vom Jahre 1831 in der Provinz Preußen, insbesondere in Ostpreußen. Von K.F. Burdach. Königsberg 1832. Im Verlage der Gebrüder Bornträger. S. 76. 8.


Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 399.
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