2. Amtliche und literarische Thätigkeit.

[406] Im Jahre 1835 wurde ich Dirigent im Medicinalcollegium. Auf meinen Antrag wurde Rathke, da er durch seine frühere Stellung als Stadtphysikus in Danzig mit gerichtlicher Medicin vertraut worden war, dann auch, da das Collegium durchaus eines Chirurgen unter seinen Mitgliedern bedurfte, Professor Seerig Medicinalrath. Sachs beschwerte sich darüber, daß er übergangen worden war; nur darum hatte ich mich gegen ihn erklärt, weil ich die vollste Ueberzeugung hatte, daß er der ordnungsmäßigen Lieferung von Arbeiten sich nicht unterziehen würde. – Auch als Dirigent fuhr ich fort, die Superarbitrien in der Regel selbst zu verfassen. – In dem jährlich abzustattenden Verwaltungsberichte fing ich an, dem Ministerium auch in Betreff der Verwaltung gemachte Bemerkungen vorzulegen; da ich aber nicht sah, daß diese beachtet wurden, so lieferte ich späterhin bloß summarische Uebersichten.

Wie ich überhaupt für mein Interesse an Manchem, was nicht zu meinem speciellen Berufskreise gehörte, das: humani nihil a me alienum puto anzuführen habe, so muß ich auch meine Theilnahme an Aeußerung politischer Urtheile durch diesen Ausspruch rechtfertigen. Dies geschah zuerst auf Anlaß der Absetzung der sieben Göttinger Professoren, welche unterm 18. November 1837 gegen das Patent des Königs von Hannover[406] vom 1. November erklärt hatten, daß sie das Staatsgrundgesetz nicht für rechtlich aufgehoben betrachten könnten. Die philosophische Facultät unserer Universität ertheilte nun Einem von ihnen, dem Professor Albrecht, der vormals unser College gewesen war, elf Tage nach dem Absetzungsbefehle honoris causa et testandae observantiae sincerae die Doctorwürde. Prof. Sachs theilte mir den Gedanken mit, daß die medicinische Facultät, deren Decan ich eben war, einem andern jener Sieben, dem Prof. Wilhelm Weber, wegen seines Werkes über die Gehwerkzeuge des Menschen auch die Doctorwürde ertheilen könnte. Ich stimmte sogleich ein, und da unser College und damaliger Prorector Klose in seiner politischen Unschuld die auf unser Urtheil über das genannte Werk gegründete Promotion billigte, so fertigte ich das Diplom aus, nach welchem die Facultät dem Prof. W. Weber ob praeclara inventa, quae ad explanandam progressus humani rationem contulit honoris causa et testandae observantiae sincerae die medicinische Doctorwürde ertheilte. Die beiden Facultäten erhielten dafür ein zürnendes Schreiben vom Minister von Altenstein, in welchem er uns der Tactlosigkeit beschuldigte. Auch der Kronprinz, als Rector der Universität, bezeigte uns sein ernstes Mißfallen, daß wir die Maßregel eines dem Könige durch Bundesverhältnisse und Verwandtschaft so nahe stehenden Regenten getadelt hätten. Das gemeinschaftliche Antwortschreiben beider Facultäten war nicht ganz nach meinem Sinne abgefaßt, hatte aber die Pluralität für sich.

Beiträge zu meiner Bearbeitung der Physiologie durfte ich vornehmlich nur von jüngeren Männern verlangen, die sich bereits durch Arbeiten ausgezeichnet hatten, aber erst anfingen, berühmt zu werden und daher die Theilnahme an diesem Werke als ein Mittel, ihren Ruf zu vermehren, betrachteten. Es war also nur ein kurzer Abschnitt ihrer Laufbahn, in welchem ich auf ihre Mitwirkung zählen durfte, und so gelang es mir auch, den rechten Zeitpunct zu treffen. So gewann ich von Rudolph Wagner Beiträge zur Lehre von der Nutrition und[407] Secretion für den fünften Band meines Werkes1. Auch erlangte ich für die neue Auflage der ersten Bände Beiträge von Valentin, dessen ungemeine und erfolgreiche Thätigkeit mir hohe Achtung eingeflößt hatte und den ich durch seine Briefe recht lieb gewann, so daß ich denn auch über seine persönlichen Verhältnisse und über seine Stimmung mich ohne allen Rückhalt gegen ihn äußerte. Er entsprach auch meinem Vertrauen und zürnte mir nicht, als ich aus seinem Aufsatze über die Entwickelung der Pflanzen, der nicht in den Plan meines Werkes paßte, nur einen Auszug aufnahm. Der fleißige Beobachter, Theodor von Siebold, war, da er einige Jahre als Stadtphysikus in Königsberg lebte, mir persönlich befreundet worden und beschenkte mich mit einigen werthvollen Beiträgen. Mein unermüdlicher Freund Rathke aber fuhr in gleicher Weise fort, mich zu unterstützen. Auch meine Collegen Meyer, Hayn und Moser erfüllten meine Bitte, und so erschien denn die zweite Auflage der ersten drei Bände mit reicher Ausstattung2.

Zum Ruhme eines deutschen Schriftstellers im Fache der Naturwissenschaften gehört nothwendig, daß seine Schriften ins Französische oder Englische übersetzt werden. Von dieser Ehre ist mir wenigstens eine Probe zu Theil geworden, indem Jourdan eine französische Uebersetzung der Physiologie lieferte. Wie sehr ich mich auch dadurch geschmeichelt fühlte, mußte ich doch zweifeln, ob die Franzosen an meiner Arbeit, die für sie des Ideologischen gewiß zu viel enthält, Geschmack finden würden. Die Genauigkeit des Uebersetzers wurde mir sehr zweifelhaft,[408] da er unter den Mitarbeitern auf dem Titel auch Meyen genannt hat; weitere Untersuchungen darüber anzustellen, bin ich zu indolent gewesen.

Die Balzsche Buchhandlung in Stuttgart hatte Hoffmanns Idealpathologie verlegt und, da sie mich in diesem Buche häufig angeführt gefunden, mich um eine Kritik desselben ersucht, worauf ich nicht hatte eingehen können. Da sie aber einmal auf mich aufmerksam geworden war, trug sie mir den Verlag einer von mir herauszugebenden Anthropologie für das gebildete Publicum an. Mehrere Umstände bewogen mich, darauf einzugehen. Einmal betrachtete ich die Forderung unserer Zeit, die Resultate wissenschaftlicher Untersuchungen zum Gemeingute gemacht zu sehen, als ein erfreuliches Zeichen des Strebens nach universeller Bildung, und glaubte, daß Der, welcher am Anbaue der Wissenschaft selbst Antheil genommen hat, sich zur Mitwirkung um so mehr aufgefordert fühlen muß, je häufiger Unberufene an ein solches Unternehmen gehen und durch dessen ungeschickte Ausführung den Zweck, echte Bildung zu fördern, verfehlen. Sodann schwebte mir der Gedanke vor, daß ich vielleicht nicht im Stande sein würde, meine Bearbeitung der Physiologie nach dem von mir entworfenen Plane zu Ende zu führen; in einer populären Physiologie aber konnte ich über die für die letzten Bände jenes Werkes bestimmten Gegenstände wenigstens einige Ansichten, die mir der Aufbewahrung werth zu sein schienen, vortragen. Da nun auch die Bedingungen, zu welchen sich die Buchhandlung bereit erklärte, sehr anständig waren, so nahm ich das Anerbieten an, und arbeitete mit Lust und Eifer, so daß das Buch 1837 erschien3.

Hierdurch wurde Freiherr von Cotta veranlaßt, mich um eine Schrift für seinen Verlag zu ersuchen. Sein Schreiben war so überaus schmeichelhaft, der Verlag eines Buchs von[409] mir in seiner berühmten Handlung so ehrenvoll, daß ich ihm eine Schrift, mit deren Plane ich mich schon einige Zeit beschäftigte und die den Titel: »Blicke ins Leben« führen sollte, anbot. Inzwischen kamen im Jahre 1838 einige Umstände zusammen, die außer dem Wunsche, ihm meine Bereitwilligkeit noch früher zu beweisen, mich bewogen, ihm noch einen andern Antrag zu machen. Ich hatte in meinen Superarbitrien sehr oft die falsche Humanität zu bekämpfen, durch welche die Gerichtsärzte sich verleiten lassen, jedes Verbrechen möglichst zu entschuldigen und der Handhabung der Gerechtigkeit in den Weg zu treten, so wie es mich auf der andern Seite schmerzte, zu sehen, wie der Richter, dem todten Buchstaben des Gesetzes folgend, die sittlichen Momente ganz außer Acht läßt, und wie die Strafanstalten geeignet sind, bei Abbüßung eines in sittlicher Hinsicht minder strafbaren Vergehens ein vollständiges geistiges Verderben zu bereiten. In Bezug auf diese Verirrungen und Mißverhältnisse wollte ich eine Reihe von Aufsätzen und Superarbitrien veröffentlichen. – Sodann waren 1838 25 Jahre seit der Leipziger Schlacht verflossen, und wie ich den Jahrestag derselben vor 22 Jahren durch die Bekanntschaft von Friccius gefeiert hatte, so wollte ich diesem zur 25jährigen Feier des Tages meinen Dank für seine treue Freundschaft durch eine Dedication öffentlich an den Tag legen. Dies waren die Gründe zur Herausgabe meiner gerichtsärztlichen Arbeiten4. Sie haben wenig Beifall gefunden, und ihr geringer Absatz mag wohl dazu beigetragen haben, daß die Cotta'sche Buchhandlung sich späterhin gegen meine »Blicke ins Leben« sehr gleichgültig bewies, und mir dadurch gestattete, den Verlag meinem Freunde Voß zu geben.

Ich wurde jetzt wie früher vielfältig aufgefordert, zu encyclopädischen Werken, so wie zu kritischen und andern periodischen Schriften Beiträge zu liefern, die Oekonomie meiner[410] geistigen Kräfte gestattete mir aber nicht, diesen Einladungen zu folgen; mein systematischer Sinn trieb mich mehr zu Bearbeitung der Wissenschaft im Ganzen hin, und um hier etwas zu leisten, mußte ich haushälterisch mit meinen Kräften umgehen, da diese nicht ausreichten, um vielerlei zugleich treiben zu können.

Fußnoten

1 Fünfter Band. Mit Beiträgen von Rudolph Wagner. 1835. X und 730 S.


2 Zweite berichtigte und vermehrte Auflage. Erster Band. Mit Beiträgen von Ernst Meyer, Heinrich Rathke und G. Valentin. 1835. XII und 676 S. Mit 6 Kupfertafeln. Zweiter Band. Mit Beiträgen von Heinrich Rathke, Karl Theodor von Siebold und G. Valentin. 1837. VIII und 845 S. Mit 4 Kupfertafeln. Dritter Band. Mit Beiträgen von Albert Hayn und Ludwig Moser. 1838. X und 833 S. Mit 6 Tabellen.


3 Anthropologie für das gebildete Publicum. Von K.F. Burdach. Mit 3 Kupfertafeln. Stuttgart 1837. P. Balzsche Buchhandlung VIII und 787 S. 8. – Auch unter dem Titel: Der Mensch nach den verschiedenen Seiten seiner Natur.


4 Gerichtsärztliche Arbeiten von K.F. Burdach. Erster Band. Stuttgart und Tübingen. Verlag der I.G. Cotta'schen Buchhandlung. 1839. XVIII und 283 S. 8.


Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 411.
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