Die Herkunft.

Was wir sind, sind wir geworden durch Vererbung und Anpassung, wie Alles, was da organisch existirt. Auch der Mensch bildet keine Ausnahme in der Erscheinungswelt. Die Vererbung ist das conservative Princip, welchem das Verändernde in der Anpassung entgegensteht. Daher ist von größter Bedeutung, was wir von den Vorfahren empfingen, und was uns das Leben zur Veränderung des Empfangenen an Gelegenheit oder vielmehr an Bedingungen bot.

Als Ort der Herkunft meiner Familie väterlicher Seite muss ich Fulda nennen. Seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts war da der Ausgang, der sich allmählich im nördlichen Hessenland und südlich nach Franken ausgedehnt hat. Größtentheils[3] waren es Beamte, manche waren geistlichen Standes, davon einige Mönche (Benedictiner). Woher die Familie nach Fulda kam, ergiebt sich für den ersten des Namens, welcher mit »ex suevia oriundus« bezeichnet ist. Dieser kam schon in jungen Jahren nach Fulda, wo er sich verheirathete, mit eines Schöffen Tochter, so dass er schwerlich ein ganz geringer Mann war. Unter Suevia ist wohl Oberschwaben zu verstehen, denn da bestehen Familien gleichen Namens, wie ja der Württemberger Hofmaler aus Wangen stammte und in manchen Dörfern, wie Herlazhofen bei Isny, der Name Gegenbaur sehr verbreitet ist. Er bedeutet keine Gegnerschaft, sondern ist wohl aus einer alten Bauernbezeichnung, aus der Geburo entstanden. Baur nicht als Bebauer des Feldes, sondern als Bewohner des Landes, wie ja heute noch die »Buren« solche Bewohner bezeichnen. Der Name Gebauer ist mir nur aus Schlesien bekannt geworden. Eine Beziehung des von Fulda ausgehenden Stammes zu dem schwäbischen ward nicht fortgesetzt, und wenn ich auch auf die Verschiedenheit der Familienwappen kein Gewicht legen kann, denn diese sind ja überhaupt erst ein[4] späterer Familienerwerb, so ist doch durch den Mangel einer Übereinstimmung die Stammesverwandtschaft der schwäbischen und der Fuldischen Gegenbaur nicht ausgeschlossen. Jedenfalls hat der fuldaische Stamm keine Beziehungen zu Schwaben bewahrt. Wahrscheinlich ist es mir, dass der Erste meines Namens in Fulda durch Vermittelung des Abtes vom Kloster Weingarten unweit Ravensburg nach Fulda kam, denn es ist nachgewiesen, dass damals ein Abt von Fulda sich nach dem dreißigjährigen Kriege längere Zeit im Kloster Weingarten aufhielt.

Mein Urgroßvater war Franz Gegenbaur, Fürstl. fuldaischer Hofkammerrath; mein Großvater Carl Gegenbaur hatte in Heidelberg studirt und ward zur Zeit, da die Universität wesentlich katholisch war, Amtsvogt in Urzell in Hessen, wo auch mein Vater 1792 geboren ist, der noch im Alter einmal die Gegend besuchte. Im benachbarten Steinau war zu Ausgang des vorigen Jahrhunderts Grimm Amtsvogt, an dessen wenig ältere Söhne, die berühmt gewordenen Brüder Grimm, mein Vater sich sehr gut erinnern konnte, wenn auch der Verkehr in der Confession ein Hindernis fand.[5] Aus Urzell nach Römershag bei Brückenau versetzt, erlitt hier der Großvater mit seiner Familie alle Unbilden des Krieges. Plünderungen und Verwüstungen des Eigenthums folgten sich mehrmals. Eine alte Magd sorgte für die Sicherheit der zahlreichen Kinder, welche sie bei feindlichen Anfällen sogar vertheidigte. Als ein Aufstand der Landbevölkerung ausgebrochen war, ward mein Großvater von den Franzosen als Anstifter angesehen und abgeführt, um erschossen zu werden. Nur dem beherzten Auftreten der den Soldaten folgenden Großmutter und ihrem inständigen Flehen gelang es, dass der Großvater endlich die Freiheit erhielt. So gingen über Römershag schwere Zeiten, sie erwarben meinem Großvater die Hochachtung der Bevölkerung, von deren Gesinnung sich noch der Enkel überzeugen konnte, als er vor nicht langer Zeit jenen Ort einmal besucht hat. Auch meinem Vater war eine Zeit lang der Aufenthalt im Römershager Schlösschen beschieden, als er im Jahre 1826 dortselbst Amtsverweser war. Es war, wenn ich nicht irre, ursprünglich Besitz der bekannten Familie von der Tann, welche, so viel ich weiß, auch sonst auf der Rhön begütert ist.[6] Eine drohende Hand mit der Inschrift: »Ecce tibi, nisi veneris amicus!«, soll den oftmals in Brückenau weilenden König Ludwig veranlasst haben, Fremde auf den Besuch Römerhags aufmerksam zu machen.

Mit dem Ableben des Großvaters und der Versetzung des Vaters nach Würzburg gingen die Beziehungen zu Fulda allmählich verloren, wenn auch noch zahlreiche Verwandte dort lebten. In Würzburg, wo ich 1826 zur Welt kam, war die Heimat meiner Familie. »Des Lebens ernstes Führen« war als Grundzug des Wesens wohl schon von den Vorfahren ererbt und galt auch bei meinem Vater, der ein hohes Alter (fast 90 Jahre) erreicht hat.

Von mütterlicher Seite war mein Großvater Jacob Roth, der Sohn eines Bäckers, welcher mehrere Söhne studieren ließ. Die untere Maingegend, in der Nähe Aschaffenburgs, war die Heimat, in der manche Verwandte besucht zu haben ich mich aus meiner Jugend erinnere. In Mainz hatte der Großvater studirt und kam frühzeitig zur Anstellung als Amtsvogt in Külsheim, wo auch meine Mutter 1800 geboren ist. Meine Großmutter Eleonore gehörte einer rheinischen Adelsfamilie, von Germersheim, an. Sie starb sehr bald nach[7] meiner Geburt. Im Kriege mit den Franzosen 1799 war der Großvater als Külsheimer Amtsvogt an der Spitze einer Abtheilung des Kurmainzer Landsturms, mit welcher er den Feind am Neckar bis zur Heidelberger Brücke vertrieb. Groß war der kriegerische Erfolg keineswegs, aber er zeugt doch von patriotischer Gesinnung. Eine spätere Zeit findet den Großvater in Miltenberg, und hier setzen auch viele Erinnerungen meiner Mutter ein. Die Kriegszeiten hatten auch Russen nach Miltenberg gebracht. 1814 hatte das zur Herstellung der Verbindung der Alliirten bestimmte Tettenborn'sche Corps dort längeren Aufenthalt. Der General mit dem Stabe fiel meinem Großvater zu, welcher, das nicht unansehnliche Amthaus zur Verfügung stellend, sich mit seiner Familie in einen beschränkten Raum zurückzog. Da die Russen nicht als Feinde gekommen waren und alle Kosten der Verpflegung zu ersetzen versprachen, hatte mein Großvater mit dem General Tettenborn die bezügliche Verhandlung zu beider Zufriedenheit geführt und gern das Bestimmte geleistet, wie groß auch die Last in mehreren Monaten gewachsen war. Als beim Scheiden der Einquartierung ein[8] Officier dem Großvater zwei Ducaten übergab, nahm dieser dieselben, ging damit jedoch zu Tettenborn, der, wohl seine Russen kennend, alsbald die ganze Summe erstattete, die sich von Hand zu Hand so gewaltig vermindert hatte!

Das Städtchen Miltenberg bot den Großeltern auch Verkehr mit gebildeten Familien, und für meine Mutter war besonders jener sehr werthvoll, der sich mit der Familie des Consistorialraths Horstig (Horstig-Engelbrunner) entwickelt hatte. Diese Familie bewohnte das Miltenberger Schloss, welches nicht weit vom Amthause entfernt lag, so dass ein inniger Verkehr der Töchter entstehen konnte. Wie dieser weit ins Leben hinein sich freundlich gestaltet hatte, erfuhr ich nach Jahren, als ich einmal eine der Töchter, welche an einen Theologie-Professor in Rostock verehelicht war, beim Besuche meiner Mutter in Würzburg antraf und in dem Austausche der alten Erinnerungen die Wärme der Empfindungen beider Damen, die sich so lange nicht gesehen hatten, wahrnehmen konnte.

Großvater Roth war heiteren Gemüths, zum Scherze geneigt und von Interesse für das Schöne und Edle erfüllt. Wohlthätiger Sinn erwarb ihm[9] viele Leute als Freunde. Er beschäftigte sich viel mit Lectüre, wie seine nicht geringe Büchersammlung bezeugt, und war ein Freund der Musik, welche auch in seiner Familie gepflegt wurde. Mit der gleichgesinnten Gattin und den heranwachsenden Kindern war ein schönes Familienleben entstanden, und bei allen vier Kindern waltete, so lange sie lebten, ein treues Zusammenhalten. In seinen späteren Jahren war der Großvater mit mancherlei mechanischen Arbeiten beschäftigt, Herstellungen meist künstlerischer Art. So kannte ich ihn in meiner frühen Jugend.


»Als er hinüber war, sanft entschlafen,

Standen versammelt schon gute Thaten umher,

Jede mit Licht gekrönt, jede bis zum Richter

Seine treue Begleiterin!«


So lautet die Inschrift auf seinem Grabdenkmal auf dem Würzburger Friedhofe 1836.

Von seinen Söhnen war der jüngste, Joseph, ein bedeutender, wenn auch wenig bekannter Mann. Er hatte Jura studiert und trat später weitere Reisen an, auch nach Nordamerika, bis zu den Rothhäuten, wo er viele Erfahrungen gesammelt hat. In seinen Zimmern sah ich in Würzburg lange[10] Zeit die Erinnerungen an jene Reise in Büffelhäuten, Waffen u. dergl. In der Kunst war er als Dichter wie als Maler thätig, obwohl er nur selten in die Öffentlichkeit trat. Manche seiner Gedichte hat im Laufe der Zeit die Würzburger Zeitung veröffentlicht, andere, welche nicht minder bekannt gemacht zu werden verdienten, sind in Freundeshand. Allzugroße Bescheidenheit verbarg auch sein großes Talent als Zeichner und Maler. In München hat er bei Rottmann gemalt, den er als seinen Meister verehrte. Landschaft wie Architectur waren ihm gleich vertraut, und viele Ausführungen in Öl entstanden, wobei die Abendstimmung oder die Mondbeleuchtung die herrschende war. Auch vieles Begonnene kam nicht zur Vollendung, und ich traf ihn oft in der Behandlung eines Gemäldes, welches er aus zahlreichen Vorräthen hervorgesucht hatte, um es, wenn auch nur theilweise, zu fördern. Nur Wenigen vergönnte er den Einblick in seine Thätigkeit. Ich kann mich zu diesen Wenigen rechnen, und ich genoss sein Vertrauen bis zu seinem Tode.

Das Streben meines Oheims war nie auf den Erwerb gerichtet. Die Kunst allein brachte ihm Freude und Genuss. Er wurde von Händlern viel[11] belästigt, aber selten gelang einem derselben der Versuch des Kaufs eines Bildes.

So lange ein kleines Vermögen reichte, bot dieses dem Bedürfnislosen spärlichen Unterhalt. Später traten die Geschwister ein, vor Allem meine Mutter, und zuletzt ward vom Oberbibliothekar Ruland durch eine Anstellung als Custos der Wagnerschen Kunstsammlung der Würzburger Universität die Existenz des Trefflichen gesichert. – Ein hohen Zielen geweihtes Leben war in fast stetem Kampfe mit der Entsagung! Er war unvermählt.

Meine Mutter hatte von sieben Kindern nur drei über das reifere Alter gelangen sehen, und davon starb mein Bruder, der nur wenige Jahre jünger war als ich, während der Vorbereitung zur academischen Laufbahn als Chemiker. Ich hielt ihn immer für begabter als mich und besaß an ihm einen treuen Freund. Die Schwester, obwohl verheirathet und Mutter von mehreren Kindern, ward zur sorgsamen Pflegerin unserer Mutter, als diese herzleidend geworden war, und kam zu diesem Zwecke oft von Burgsinn nach Würzburg. Da verschied auch meine liebe Mutter[12] im Juli 1866, während die Preußen in Würzburg einzogen und der Verkehr mit dem Norden unterbrochen war. Ich konnte desshalb nicht von Jena kommen, und habe meine Mutter nicht wieder gesehen. Sie war eine Frohnatur, deren Andenken in vielen schönen Erinnerungen mir, so lang ich lebe, theuer sein wird. Die Schwester hat ihr den letzten Dienst geleistet und auch dem nunmehr verlassenen Vater Trost gespendet, hilfreich und gut, wie sie immer war. Ein höheres Alter war der Schwester nicht beschieden. Sie starb schon 1877. Ich selbst, meiner Mutter ältestes Kind, bin am 21. August 1826 geboren, und überlebte alle Geschwister.

Quelle:
Gegenbaur, Carl: Erlebtes und Erstrebtes. Leipzig 1901, S. 3-13.
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