Würzburg 1854.

[82] 1854 erlangte ich die Habilitation und kam damit zu vielen problematischen Dingen. Außer Kölliker, welcher natürlich als ausschließlich maßgebend betrachtet werden musste, war noch Heinrich Müller und F. Leydig für mich von Bedeutung, und dabei konnte in keinem Falle eine Konkurrenz bestehen. Als einzige Vorlesung blieb mir Zoologie, wo Prof. Leiblein, ein persönlich sehr liebenswürdiger Herr, aber ein überaus langweiliger Lehrer und auch wissenschaftlich auf keiner hohen Stufe befindlich, wohl nicht als Gegner zu betrachten war. Ich kündigte also für das nächste Semester Zoologie an. Das Wo erledigte sich dadurch, dass Kölliker mir gestattete, unter der[83] Voraussetzung, dass keiner der älteren Collegen beeinträchtigt würde, das Anatomiegebäude zu benutzen.

So kam denn eine Vorlesung über Zoologie für mich mit großer Mühe zu Stande. Es waren nicht wenige Zuhörer, die ich zu einer nicht sehr geeigneten Nachmittagsstunde versammelte, und es war wohl auch mein Vortrag nicht sehr anziehend, aber die Neigung der Studenten zur Unterstützung eines jungen Privatdocenten kam auch mir zu Gute. Große Schwierigkeiten bereitete mir die Beschaffung der Lehrmittel. Es gab bei der anatomischen Sammlung zwar auch eine Sammlung von Thieren; allein sie stand begreiflicher Weise nicht zu meiner Verfügung, wenn auch ein Theil davon durch mich in Messina gesammelt war. Für diese war mir ja durch Vermittelung Kölliker's eine Entschädigung zugekommen. Ich hatte also kein Recht auf die Benutzung jener Objekte. So behalf ich mich mit Abbildungen, die zum großen Theile von mir angefertigt waren, zum Theile auch während des Vortrags auf der Tafel entstanden. Mein nicht bedeutendes Zeichentalent unterstützte mich dabei. Ich begann die Darstellung von den niederen[84] Thieren zu den höheren fortschreitend und hatte viel Arbeit dabei, zumal mein erkrankter Bruder auch seinerseits Zeit beanspruchte. So verlief das erste Semester (Sommer), und das zweite begann in ähnlicher Art. Ich hatte die gleiche Vorlesung über Zoologie angekündigt, hielt sie auch wie vorher, aber ich war von vielen Freunden, auch älteren, veranlasst worden, ein mehr populäres Colleg über Anatomie und Physiologie für Juristen, einmal wöchentlich, anzukündigen, denn das neue Gerichtsverfahren mit Öffentlichkeit und Mündlichkeit machte auch medicinische Kenntnisse wünschenswerth. Es waren mehr als dreißig Zuhörer, für welche mir durch Kölliker die Benutzung der Objecte des Präparirsaals genehmigt war. Der Tag verlangte von mir nicht bloß die jeweilige Vorbereitung, sondern auch einmal in der Woche die Herstellung der für den Abend nöthigen Präparate.

Wenn ich auch nicht erwartete, dass für eine längere Zeit meiner Thätigkeit eine bestimmte Richtung ward, so war ich doch für dieses mein zweites Semester durch eine kleine Einnahme gesichert und ließ es gern geschehen, als Kölliker meinte, ich solle nicht wieder so eine Vorlesung ankündigen,[85] denn er selbst habe doch die Verpflichtung dazu. So blieb es denn fürs dritte Semester bei der Zoologie, und ich war befriedigt, dass diese zu Stande kam. Nun war endlich für mich eine Stelle in Aussicht. Freund Leydig, der, ich weiß nicht mehr genau wie, befördert ward, gab die zootomische Prosectur auf und überließ mir die Bewerbung. Es war nichts Bedeutendes, aber einige hundert Gulden fester Einnahme waren mir überaus werthvoll. Obgleich der Vater für meinen Unterhalt reichlich sorgte, war ich doch stets darauf bedacht, selbst zu verdienen, und die Bewerbung um jene Prosectur galt mir als ein wichtiger Schritt. Ohne Examen ging es nicht, denn wie leicht konnte man am Ende doch nicht so ganz würdig sein! Es konnten auch noch Andere sich bewerben, über die mir zwar gar nichts bekannt war, aber ein Gerücht darüber fand Verbreitung. In der That aber blieb ich der einzige Candidat und fand mich am bestimmten Tage ein, um ich weiß nicht mehr das wievielste Examen bei Kölliker zu bestehen. Ich erhielt zunächst als Aufgabe die Verfertigung eines anatomischen Präparates über die electrischen Organe des Rochen und dazu eine bestimmte Frist. Es[86] ist dasselbe Objekt, von welchem ich später in meinem Lehrbuch für vergleichende Anatomie eine Abbildung gegeben habe. Das Präparat näherte sich sehr langsam seiner Beendigung, denn in der Zwischenzeit kam mir die Kunde von einer Berufung, die mich von Würzburg entfernen sollte. Kölliker mahnte mich oft an die Beendigung des Präparates, ich ließ jene Nachrichten immer sicherer werden, bis ich endlich sagen konnte, ich sei als außerordentlicher Professor nach Jena berufen, und dieses mein drittes Semester als Privatdocent in Würzburg sei mein letztes. So war es auch.

Ob ich bei allem Wohlwollen, welches ich gefunden, bei einem Verbleiben den richtigen Weg gegangen wäre, war mir niemals zweifelhaft, wenn auch manche Professoren mir dazu riethen und meinten, sie könnten die Regierung zu meiner Ernennung zum Professor in Würzburg veranlassen. Maßgebend war für mich, dass in Würzburg nicht nur gar kein Raum für eine ersprießliche Thätigkeit für mich war, und dass ich es für vortheilhaft hielt, in jungen Jahren den Ort zu wechseln, so lange noch neue Eindrücke zur eigenen Entwicklung fruchtbar werden können. Auch meine[87] Eltern hegten solche Meinung, wie schwer auch, besonders der Mutter, der Gedanke einer Trennung durch eine weite Entfernung ward.

Obgleich mein Vater keineswegs ohne Vermögen war, habe ich doch niemals, wie so manche Anderen, nach erlangtem Doctorgrade oder der Beendigung von Reisen an einen Abschluss meiner Thätigkeit gedacht. Die Arbeit war mir immer zugleich Erholung, oder es bedurfte dazu nicht längerer Ruhepausen. Dass das Leben nur Thätigkeit ist, habe ich sehr frühzeitig erkannt und was man Genuss des Lebens nennt als ein Ding sehr verschiedener Abstufungen betrachtet.

Sic me servavit Apollo!

Quelle:
Gegenbaur, Carl: Erlebtes und Erstrebtes. Leipzig 1901, S. 82-88.
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