II

Die Entwicklung des Welttierhandels

[17] Eine schwere Zeit begann nun für mich, aber auch eine solche tiefster Befriedigung. Neigung und Beruf flossen zusammen, und mit Begeisterung ging ich an meine neue Aufgabe. Tiere mußten gekauft und verkauft werden. Die rationelle Unterbringung und Behandlung der Tiere bildete eine stete Sorge. Dazu kam die wirtschaftliche Seite des Unternehmens, die viel Kopfzerbrechen machte. In der Buchführung und in schriftlichen Arbeiten unterstützte mich meine Schwester Caroline, während die Schwestern Luise und Christiane die Pflege der Vögel übernommen hatten. Mein Bruder Wilhelm spielte den Kutscher und hatte das lebende Material ins Haus und aus dem Hause zu schaffen. Für mich selbst gab es eine Überfülle an Arbeit, denn es war unser Grundsatz und ist es auch geblieben, daß die Arbeit den Menschen adelt. In der Wartung der größeren Tiere stand mir nur ein alter Wärter zur Seite. Die meiste Arbeit machten uns damals die Seehunde, die in großen Holzkübeln untergebracht waren. Jeden Morgen mußte frühzeitig frisches Wasser in diese Bottiche hineingepumpt werden, und zu diesem Zweck hatte ich gefälligst unentwegt zwei bis drei Stunden an der Pumpe zu stehen. War die Pumperei endlich fertig, so brachte ich meinen Fischkorb angeschleppt, um die Seehunde einzeln zu füttern.

Frisch angelangten Tieren, die noch scheu und wild waren, warf man das Futter einfach zu, sie wurden nach wenigen Tagen so zahm, daß sie das Futter aus der Hand nahmen. Nur die älteren Exemplare machten eine Ausnahme und waren nur mit Mühe an das Futter heranzubringen. Wie mein Vater, so hatte auch ich zu den Seehunden eine besondere Zuneigung und besitze sie auch jetzt noch. Etwas Ähnliches muß ich kürzlich einem französischen Zeitungsberichterstatter erzählt haben. Dieser Herr besaß eine geradezu exotische Phantasie, denn er behauptete in den Zeitungen seines[18] Vaterlandes, ich hätte einmal einen Seehund so weit gebracht, daß er bei meinem Anblick jedesmal laut »Papa« gerufen hätte. Wahr ist nur, daß die Tiere mich genau kannten. Wenn ich morgens auf dem Hofplatz erschien und die Tiere mit dem Ruf: Paul, Paul! begrüßte – alle Seehunde wurden nämlich bei uns Paul genannt –, reckten sie ihre Hälse und schauten mit ihren dunklen Augen über den Bassinrand. Es waren immer die gewöhnlichen Nordsee-Seehunde (Phoca vitulina), die uns unsere Fischer brachten. Einmal befand sich auch eine Kegelrobbe darunter, jenes Tier, das uns beinahe in den Stadtgraben entwischte. Daheim wurde es so zahm, daß es mir im Hofe wie ein Hund folgte. Es lernte auch bald aufrecht sitzen, sich im Bassin auf Kommando herumdrehen und manche andere Kunststückchen, wofür es jedesmal mit einem Extrafisch belohnt wurde.

Mein erstes größeres Geschäft machte ich, als ich eben das sechzehnte Lebensjahr überschritten hatte, und es ist interessant zu sehen, wie der Zufall, der überall im Leben eine Hauptrolle spielt, mir dabei zu Hilfe kam. Man muß nur die Augen offenhalten und jede Situation zweckentsprechend auszunutzen versuchen. »To make the best of it«, sagt der Engländer. Damals gelangte der Tierschaubesitzer August Scholz mit einem jungen, fünf Fuß hohen Elefanten nach Hamburg, den er für eine Nacht bei uns unterbrachte, um ihn am nächsten Tage mit anderen bei uns gekauften Tieren weiterzuexpedieren. Zunächst führten Scholz und ich den Elefanten durch die Straßen zum Bahnhof. Auf der Lombardsbrücke wurde der Dickhäuter scheu und lief uns davon. Das gab natürlich einen netten Volksauflauf, denn es gelang uns erst nach einer mehr als halbstündigen Jagd durch die Anlagen, den Elefanten wieder zu fesseln, worauf er vernünftig genug war, sich, an einen Wagen gebunden, zum Bahnhof führen zu lassen. Dort bat mich Scholz, ihn auf seine Kosten bis Berlin zu begleiten. Das tat ich nun ganz besonders gern, gab unserem Kutscher den Auftrag, mir rasch eine Schlafdecke zur Bahn zu bringen und dem Vater auszurichten, ich sei als Assistent Scholzens mit nach Berlin gefahren. Am nächsten Mittag langten[19] wir denn in der Hauptstadt an und wurden wie in Hamburg noch von einer Sonderlokomotive mitten durch die Stadt von einem Bahnhof zum anderen gezogen. Vor der Lokomotive spazierte ein Bahnbeamter, der in der linken Hand eine große Glocke und in der rechten eine rote Fahne schwenkte. Nichts war natürlicher, als daß ich nun den freien Nachmittag nach dem Ausladen dazu benutzte, den dortigen Zoologischen Garten zu besuchen. Er war mir nicht mehr fremd. Als ich den mir bekannten Inspektor besuchte und ihm verschiedene von unseren Tieren anbot, teilte er mir zu meinem größten Vergnügen mit, daß ich wahrscheinlich gerade zur rechten Zeit gekommen sei! Im Raubtierhaus waren einige Lücken entstanden. Und wirklich, am nächsten Tage verkaufte ich an den Direktor Professor Peters kurzerhand erstmalig für annähernd 1700 Taler Tiere. – Oft habe ich später noch im Museumszimmer des Professors gesessen und mit ihm über die uns interessierenden Dinge gesprochen.

Zu bedeutungsvolleren Geschäftsreisen kam es im Herbst 1862, als ich mit meinem Vater die Gärten in Holland und Belgien besuchte. Im Antwerpener Zoologischen Garten fand in jedem Jahr eine Tierauktion statt, die hauptsächlich von den Direktoren der wenigen Tiergärten Europas und Tierliebhabern besucht wurde. Als Hauptkäufer trat zu jener Zeit der bereits erwähnte Londoner Tierhändler Jamrach auf. Daran, diesen damals für uns noch mächtigen Konkurrenten aus dem Felde zu schlagen, war kaum zu denken. Es kam aber dennoch so. Auf der Reise nach Antwerpen hatten wir den erst einige Jahre bestehenden Zoologischen Garten in Köln besucht, dessen Direktor Dr. Bodinus seit 1860 zu unseren Geschäftsfreunden zählte. Bei uns kaufte er die Tiere, die als erste die leeren Tierhäuser und Gehege des im gleichen Jahre eröffneten Gartens bevölkerten. Als Bodinus zehn Jahre später als Direktor an den Berliner Zoologischen Garten berufen wurde, ließ er dort neue großartige Bauten ausführen, die wir ebenfalls zur Eröffnung mit den wichtigsten Tiergattungen besetzten.

In Antwerpen kauften wir am ersten Tage nur einige Kleinigkeiten.[20] Mein Vater ging, von der Reise ermüdet, frühzeitig schlafen, und so bummelte ich allein gegen Abend nochmals durch den Zoologischen Garten und wurde durch unseren Freund, den Zoodirektor Schöpf aus Dresden, einigen Herren vorgestellt. Der erste war Monsieur Geoffroy St. Hilaire vom Jardin d'Acclimatation zu Paris, der zweite Direktor Westermann vom Amsterdamer Zoologischen Garten, und der dritte war der berühmte, fast siebzigjährige Direktor Martin vom Rotterdamer Garten, ein freundlicher Schnauzbart, einst als »Thierbändiger Ihrer Königlichen Hoheit der Herzogin von Berry« die Sensation von Paris. Mit der brüllenden Mitgift seiner Frau, der Tochter des großen holländischen Tierschaubesitzers van Aaken, hatte er sich selbständig gemacht, war auf vielen Auslandgastspielen steinreich geworden und nunmehr Gründer und wohlbestallter Direktor des großen holländischen Tiergartens. Geoffroy St. Hilaire hatte sich unterderhand bei einem mit uns bekannten Tierfreund, dem Grafen Cornelli, nach unseren Verhältnissen erkundigt. Die Antwort mußte sehr gut ausgefallen sein, denn alle drei Herren machten mit mir recht große Geschäfte. Den größten Verkaufsabschluß machte ich mit dem Pariser Direktor. Als der gute Jamrach am anderen Tag aus London eintraf, mußte er zu seinem Schrecken erfahren, daß er um eine Nasenlänge zu spät gekommen war.

Ein eigentümlicher Zufall wollte es, daß ich wenige Tage darauf noch einmal, und zwar sehr fühlbar, die Absichten der Londoner Firma durchkreuzen mußte, und das kam so: Kaum in Hamburg angekommen, fand ich unter den dortigen Briefschaften auch ein Schreiben von der Witwe des Tierschaubesitzers Christian Renz, die zu jener Zeit die Krefelder Messe besuchte und ihre Tiere zu verkaufen wünschte. Mein Vater hatte aber Bedenken, sich für den Winter so viele Tiere auf den Hals zu laden, und der Brief blieb zunächst unbeantwortet. Ein zweites Schreiben mit dem Bescheid, sie habe auch an Jamrach geschrieben, brachte mich aber auf die Beine. In einer halben Stunde ging der Harburger Dampfer ab. Es gab noch keinen Zentralbahnhof, und so mußte man erst über die[21] Elbe setzen, um in Harburg den Zug zum Westen zu erwischen. Ohne Mantel oder sonstige Reiseutensilien lief ich sofort zum Dampfersteg, sprang mit nichts in der Tasche als hundert Talern Bargeld an Deck und traf am anderen Vormittag gegen elf Uhr in Krefeld ein. Hier fand ich vier Gitterwagen voll Tiere, darunter einen echten vollmähnigen Berberlöwen, so schön, wie ich seitdem keinen wieder gesehen habe. Als Angeld zahlte ich fünfzig Taler. Der Rest sollte nach Ankunft des Transportes in Hamburg bezahlt werden. Aber dazu kam es gar nicht, denn es gelang mir im Handumdrehen, auf der gleichen Messe für siebenhundert Taler Tiere an Schaubudenbesitzer zu verkaufen. Und nun kommt ein kleines Intermezzo. Auf dem Bahnsteig zu Oberhausen, wo ich umsteigen mußte, stand mir auf einmal der liebe Mister Jamrach gegenüber, den ich vor wenigen Tagen erst in Antwerpen gesehen hatte. Unmöglich konnte ich bei ihm in guter Erinnerung sein. Er entsetzte sich auch einigermaßen über meinen Anblick und fragte mit belegter Stimme: »Wo sind Sie denn schon wieder gewesen?« – »In Krefeld«, sagte ich trocken, »und habe dort die ganze Tierschau der Witwe Renz gekauft!«

Für die bewiesene Fixigkeit schenkte mir mein Vater hundert Taler, und das ganze Geschäft brachte uns einen Gewinn von reichlich 2000 Talern. Die Löwen erhielt mein späterer Schwager Charles Rice in London. Dieser verkaufte sie an die Tierschau Fairgraves, die in England reiste und den schönen Berberlöwen mit großen Kaplöwinnen kreuzte, was eine prachtvolle Zucht ergab. Später fanden die schönsten Tiere Unterkunft in den Zoologischen Gärten zu Bristol und Dublin, wo man fortan die schönsten Löwen züchtete, die in Europa zu finden waren.

Auch ohne besondere Versicherung ersieht man schon aus derartigen Geschäften-, wie sich unsere Tiefhandlung mehr und mehr vergrößerte. Im Jahre 1863 kaufte mein Vater das Haus am Spielbudenplatz Nr. 19, das dicht neben dem Museum lag. Das Vorderhaus hatte unten zwei Läden, wovon der eine an einen Schuhmacher vermietet war und der andere unseren Vögeln als Unterkunft diente.[22]

Hinter dem Hause lag ein kleiner Hof, abgeschlossen durch einen achtzig Fuß langen und dreißig Fuß breiten Bau, in dem zur Rechten die Käfige für Raubtiere standen und zur Linken Raum für die Heufresser war. Über dem Hofplatz befand sich der Ausbau eines kleinen photographischen Ateliers. Auf dem freien Hofraum standen Transportkästen und in deren Mitte meist die Bottiche, in denen unsere Seehunde planschten. Diesen seltsamsten »Handelshof« des alten Hamburg zeichnete 1886 erstmalig mein späterer Freund, der Maler Heinrich Leutemann, für die Zeitschrift »Daheim«, die als erste ihre Leser auf das neuartige Unternehmen Hagenbecks aufmerksam machte.

Die letzten Jahre brachten mir neue Verbindungen mit England, Frankreich, Holland und Belgien. Im Winter 1864 machte ich meine erste Reise nach England. Später kam ich oft jährlich zwölf- bis vierzehnmal nach London, und meine Abhängigkeit vom Londoner Tiermarkt hat erst später, nach der Gründung des Deutschen Reiches und dem Aufschwung der deutschen überseeischen Beziehungen, aufgehört. Ganz abenteuerlich gestaltete sich damals der Transport eines Ameisenbären, der aus Argentinien in Southampton eingetroffen war und den ich im März 1864 in London kaufte. Ich hatte überhaupt noch kein derartiges Tier gesehen. Der Eigentümer des Tieres wohnte auf einem Landsitz vier Meilen von der Stadt entfernt, wo der Bär frei im verschneiten Garten umherlief, eine Beobachtung, die mit anderen ähnlichen zusammen mich später zu immer ausgedehnteren Versuchen in der Akklimatisation ermutigte. Sein Nachtlager hatte der Bär im Hühnerstall, wo man einige Bündel Heu aufgeschichtet hatte. Nachdem ich das Tier gekauft hatte, meinte der frühere Besitzer, ich könnte es ganz ruhig mit in die Droschke nehmen, nur müsse man die Fenster verschließen, damit es nicht hinausschlüpfe. Da ich von der Gefährlichkeit eines solchen Tieres noch keine Ahnung hatte, ließ ich mich zu dem Streich überreden. Die Kutsche fuhr an, und mein vierfüßiger Begleiter packte mich plötzlich mit seinen beiden scharfen Vorderkrallen. Zunächst hatte er es auf meine Beine abgesehen, und ich hatte Mühe, ihn[23] wieder loszubringen. Während der ganzen Fahrt balgten wir uns hin und her. Fortwährend mußte ich mich neuer Angriffe erwehren, und es war keine leichte Arbeit, denn der Bursche maß von der Nasenspitze bis zum Schwanzende siebeneinhalb Fuß und besaß Riesenkräfte. Ich war vollständig am Ende mit meiner Energie, als wir in Southampton ankamen und ich den Kutscher um Hilfe anrufen konnte. Nach London wurde das Tier dann in einer Packkiste transportiert. Die Nahrung, die der Ameisenbär bisher täglich erhalten hatte, bestand aus acht rohen Eiern und einem Pfund gehackten Fleisches. Dazu trank er warme Milch. Auf der Überfahrt von London nach Hamburg hatten wir sehr stürmisches Wetter, und ich mußte mich seekrank in die Koje legen. Zwar rührte ich dem Ameisenbären noch sein Futter an, mußte jedoch den mir bekannten Schiffszimmermann bitten, meine Tiere zu verpflegen. Dabei kam es zu einem ergötzlichen Zwischenfall. Kaum hatte der Seemann meine Kabine verlassen, als er schreckensbleich zurückstürzte und erzählte, dem Ameisenbären sei soeben eine lange dünne Schlange aus dem Hals gekrochen! Trotz meiner Schwäche mußte ich also unter Deck, um das Wunder zu sehen. Die Schlange war natürlich nichts anderes als die lange Zunge des Ameisenbären, mit der er den Eierbrei aufleckte, den der Zimmermann in seiner Angst hatte fallen lassen.

In Hamburg angekommen, verkaufte ich das seltene Tier an den damals fünfunddreißigjährigen Direktor des Zoologischen Gartens, den später durch sein »Tierleben« weltberühmt gewordenen Dr. Alfred Brehm. Oft habe ich in unserem alten Heim am Spielbudenplatz mit dem jungen Gelehrten geplaudert, den seine Reisen, noch ehe er die Universität besuchte, nach Afrika, später, nachdem er in Jena und Wien Naturwissenschaft studiert hatte, nach Spanien, Skandinavien und Abessinien geführt hatten. Brehm war eine rührige Natur, stets beschäftigt mit Problemen und Versuchen aller Art. Eines Tages kam er auf den Gedanken, der ihm wahrscheinlich bei Besuchen in unserer Tierhandlung gekommen war, sich ebenfalls im Tierhandel zu versuchen, natürlich für Rechnung der[24] Zoologischen Gesellschaft in Hamburg. Er sah aber bald ein, daß das Tiergeschäft nicht so leicht sei, wie er geglaubt hatte. Schleunigst gab er den Versuch auf und gründete 1867 das Berliner Aquarium. Mein Ameisenbär war der erste, den auch er zu Gesicht bekam. Da man sich nicht getraute, ein so seltenes und darum teueres Tier kurzerhand zu kaufen, erhielt ich einen Teil des Preises in bar, weitere Summen jedoch erst nach jedem weiteren Monat, den der Ameisenbär am Leben blieb. Inzwischen hatte ich das Tier an ein bekömmliches Futter aus Maismehl und Milch gewöhnt, dem mittags vier rohe Eier und ein halbes Pfund Hackfleisch beigegeben wurden.

Eine außerordentlich wichtige Verbindung wurde 1864 angeknüpft. Eines Abends spät erhielten wir aus Wien ein Telegramm, daß der Afrikareisende Lorenzo Casanova mit einem Tiertransport, aus Afrika kommend, nach Dresden gereist sei. Schon vor zwei Jahren hatte Casanova einen großen Tiertransport aus dem ägyptischen Sudan nach Europa gebracht, bestehend aus sechs Giraffen, dem ersten afrikanischen Elefanten und vielen anderen seltenen Tieren. Damals hatten wir uns an einen so teueren Transport noch nicht herangewagt, aber heute lag die Sache anders. Sofort reiste ich nach Dresden und kaufte die Löwen, einige gestreifte Hyänen sowie eine Sammlung sehr schöner Affen und Vögel. Das Hauptergebnis der Zusammenkunft war aber keinesfalls der Ankauf dieser Tiergruppen, sondern der Abschluß eines festen Vertrages, nach welchem Casanova verpflichtet wurde, als erster Hagenbeck-Reisender künftig Elefanten, Giraffen, Nashörner usw. für uns zu fangen. Da der Reisende meine Unterschrift nicht für gültig anerkennen wollte, fuhr er mit mir nach Hamburg, wo mein Vater den Kontrakt unterschrieb.

Casanova eröffnete also die Reihe der Weltreisenden, die für uns in Busch, Wald und Steppe auf wilde und seltene Tiere fahndeten und den Namen Hagenbeck von Pol zu Pol, von der Südsee bis Sibirien trugen. Bereits im nächsten Jahr brachte Casanova seine ersten Transporte aus Nubien nach Wien. In der Hauptsache waren es drei schöne afrikanische Elefanten, verschiedene junge Löwen,[25] eine Anzahl Hyänen und Leoparden, weiter Antilopen, Gazellen und Strauße, die er mir übergab. Die Tiere wurden verladen und gelangten zunächst glücklich bis Berlin, wo die Trennung von einem für den dortigen Garten bestimmten Elefanten erfolgen mußte. Mit vieler Mühe brachten wir das Tier aus dem Wagen heraus und lockten es mit Zucker und Brot einige hundert Meter weit. Da trompeteten die beiden zurückgebliebenen Elefanten dem Scheidenden irgend etwas zu, vielleicht war es ein Lebewohl. Kurz, in demselben Augenblick machte unser Elefant kehrt und rannte zu seinen Kameraden zurück, uns wie Federbälle hinter sich herschleifend. Es blieb uns nichts anderes übrig, als ihn durch seine Weggenossen bis in sein neues Heim begleiten zu lassen, worauf wir ohne Zwischenfall in Hamburg anlangten.

Mit den Erfolgen wuchs auch der Mut. Casanova ging mit größeren Aufträgen nach Afrika zurück, und in den folgenden Jahren trat eine ganze Reihe weiterer Reisender in unsere Dienste. Viele Umstände trugen dazu bei, den Namen Hagenbeck schon in jener Zeit recht volkstümlich zu machen. Der Tierhandel als Geschäftszweig war neu. Die zoologischen Gärten begannen aufzublühen, und das Interesse an fremdländischen Tieren wuchs allgemein. Oft war es schwer, alle Ansprüche, die an mich gestellt wurden, zu befriedigen. Meine Fänger und Reisenden durchstreiften nicht nur Afrika, sondern nach und nach alle Erdteile. Wo ich nicht selbst reisen ließ und Fangstationen unterhielt, besaß ich wenigstens meine Geschäftsverbindungen. Der Handel mit indischen Tieren lag damals hauptsächlich noch in englischen Händen. Auch der Import von Australien war noch in London zentralisiert. Obgleich ich ständig auf Reisen war, um neues Tiermaterial herbeizuschaffen, war ich damals häufig gezwungen, Fehlendes unter den Duplikaten der zoologischen Gärten zusammenzusuchen. Nicht nur Europäer, sondern auch die Amerikaner begannen, sich auf uns zu stützen. Die reisenden »Shows« in Amerika hatten schon damals solche Ausmaße angenommen, wie sie von den Tierschauen und Zirkusunternehmungen in Europa nie erreicht worden sind.[26]

Allen voran stand Phineas Taylor Barnum1, der nach langem Konkurrenzkampf sich mit Bailey zum »Circus Barnum & Bailey, der größten Schau der Erde«, vereinigte. Er begann seine Laufbahn als echter »American showman« mit der Ausstellung der hunderteinundsechzigjährigen Negeramme Washingtons, Joice Heth. Die Sache hatte nur zwei kleine Fehler: Erstens war die alte Negerfrau nur fünfundsiebzig Jahre alt, und zweitens war sie nie die Amme des ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten gewesen! – Später erfand der Brave die »Seejungfrau« und andere »zoologische Kostbarkeiten«, die neben mancher wirklich interessanten Rarität sein Amerikanisches Museum am New Yorker Broadway bevölkerten. Dreimal brannte er ab, dreimal erhob er sich wie ein Stehaufmännchen, und jedesmal verstand dieser wahre Odysseus an Erfindungsreichtum und Verschlagenheit, die Aufmerksamkeit aller Welt auf sich und sein Unternehmen zu lenken. Es gab keine Kuriosität oder Tagesberühmtheit auf der Welt, aus der dieser Großmeister des Humbugs nicht Dollars gemacht hätte. Mit dem Liliputaner Tom Thumb besuchte er die Königin Viktoria von England. In Riesenaquarien zeigte er erstmalig Walfische und Haie. Zu der von ihm inszenierten Zwergenhochzeit sandten Präsident Lincoln, die Multimillionäre der Astors, Vanderbilts, die Delmonts und die ganze Dollararistokratie Luxusgeschenke. Anfang der fünfziger Jahre begleitete er die Sängerin Jenny Lind, die Schwedische Nachtigall, durch die Neue Welt und gründete endlich seine »Schau«, jene amerikanische Verschmelzung von Zirkus, Tierarena und Raritätenkabinett. Wenn seine drei Sonderzüge in einer Stadt eintrafen, zog im Scheine greller Karbidlampen der fackeltragende Heerbann des fahrenden Volkes paradierend durch die nächtlichen Straßen, deren Häuserfronten widerhallten vom Gedröhn der mitziehenden Dampforgeln, rollenden Glockenspiele, schmetternden Orchester und dem Gebrüll der in vergitterten Prunkwagen mitgeführten Raubtiere.[27]

Dieser unübertroffene »Meister der Schaustellung« entstieg an einem Novembermorgen des Jahres 1873 auf St. Pauli einer Droschke, übergab mir, der ich vor der Tür unserer Tierhandlung stand, seine Karte und ersuchte mich, sie dem Herrn Carl Hagenbeck zu übergeben. Das war leicht geschehen, ich hielt sie ja schon in der Hand. Als Barnum entdeckte, mit wem er es zu tun hatte, sah er mich erstaunt über meine Jugend an. Wenn es ihm um einen älteren Herrn zu tun sei, erwiderte ich, so möge er nur näher treten, ich würde ihm dann den Gründer des Geschäfts, meinen Vater, vorstellen. Barnum selbst war um jene Zeit bereits ein älterer Herr, ein angehender Sechzigjähriger mit intelligentem Gesicht und leicht ergrautem, aber vollem Lockenkopf. Bald war ein angeregtes Gespräch im Gange. »Ich war bei Zirkus Renz in Wien, Carré in Köln und Myers in Dresden«, erzählte er, »jedoch wollte ich vor meiner Abreise Sie kennenlernen, denn ich weiß, daß die meisten Tiere, die nach Amerika kommen, von Ihnen stammen. Kaufen will ich heute nichts, denn der Zweck meiner Europareise ist der, nach neuen Ideen auszuschauen. Im nächsten Frühling werde ich im Madison Square Garden zu New York ein römisches Hippodrom eröffnen, und dazu brauche ich neue Ideen!«

An neuen Ideen war bei mir kein Mangel. Ich schlug dem Gaste aus dem Stegreif allerhand Neuigkeiten vor, die er sofort in sein Notizbuch niederschrieb. »Ich sehe schon«, sagte er lächelnd, »ich werde mich einige Tage hier aufhalten müssen, um mich mit Ihnen zu unterhalten, und nun will ich mir einmal Ihre Tiere anschauen. Finde ich etwas Brauchbares, dann zahle ich Ihnen einen anständigen Preis, denn nichts ist mir mehr zuwider als langes Handeln!« – Als wir unseren Rundgang beendeten, hatte Barnum für 4000 Dollar Tiere gekauft. Am nächsten Morgen holte ich den berühmten Mann im »Hotel de l'Europe« ab, um ihm Hamburg ein wenig zu zeigen. Wir waren indes kaum eine Stunde unterwegs, als er schon unruhig wurde und mich bat, mit ihm ins Hotel zurückzukehren, denn er sei begierig, weitere Vorschläge für sein New Yorker Hippodrom zu hören. Als ich Barnum fragte, ob er schon[28] einmal von den Elefantenwettrennen in Indien gehört habe oder ob er schon einmal einen Strauß als Reittier gesehen habe, gestand er ganz aufgeregt, nie dergleichen gehört oder gesehen zu haben, und erteilte mir im Handumdrehen den Auftrag auf zehn starke Strauße und sechs Elefanten, die dem geschilderten Zwecke dienen sollten. »Hagenbeck«, sagte er eindringlich und nahm meine Hand, »Sie sind just der Mann, den ich brauche, kommen Sie mit nach Amerika, werden Sie mein Kompagnon. Ein Drittel des Verdienstes gehört Ihnen!« Als ich erwiderte, daß ich dazu kein Geld hätte, rief er wegwerfend: »Ich brauche kein Geld von Ihnen, Ihr Talent schätze ich höher ein als Geld.«

So wäre ich denn bald nach Amerika gekommen. Später sollte ich zwar noch mit einem eigenen Zirkus durch die Staaten reisen, aber das lag noch im Schoße der Zukunft. Vorläufig dankte ich Barnum für sein ehrendes Angebot, und als er nach vierzehn Tagen abdampfte, hatte er zwei dicke Notizbücher vollgeschrieben. Dem 15000-Dollar-Auftrag, den Barnum bei seinem ersten Besuch hinterließ, folgte eine feste Verbindung. In der Folge deckten »Barnum & Bailey« ihren ganzen Bedarf an Tieren ausschließlich bei mir, bis 1907 das Geschäft in andere Hände überging. Als »Barnum & Bailey« 1889 in der Londoner Olympia Hall gastierte, besuchte ich den fast Achtzigjährigen. Sein Prinzip war es, soviel wie möglich von sich reden zu machen. Mit Vergnügen erinnere ich mich noch daran, wie er sich zur Begrüßung des Publikums stets bei der Eröffnung der Vorstellung vierspännig viermal um die Manege herumfahren ließ. Aller hundert Schritt ließ er halten und schwenkte dabei seinen Zylinderhut. Natürlich war dafür gesorgt worden, daß recht viele Stimmen von allen Seiten hurra und bravo schrien. Als ich ihn in seiner Loge aufsuchte, schmunzelte er recht vergnügt: »Haben Sie gesehen, mein lieber Hagenbeck, wie begeistert ich begrüßt wurde? Ich glaube, die Leute werden sich heute abend, wenn sie nach Hause gehen, darüber einig sein, daß ich doch die interessanteste Sehenswürdigkeit war!«

Die Geschichte dieser Zeit ist auch zugleich eine Entwicklungsgeschichte[29] des Tierhandels in Europa, denn auf diesem Gebiete mußte alles erst durch Experimente gelernt werden. Der größte afrikanische Tiertransport, den ich je erhielt, traf im Jahre 1870 nach der Eröffnung des Suezkanals2 ein, der neben dem kürzeren Weg nach Indien uns auch die Verladung der afrikanischen Transporte in den Küstenorten des Roten Meeres ermöglichte. Am Pfingstmontag dieses Jahres trafen gleichzeitig von dem schon bekannten Casanova und von einem anderen italienischen Reisenden namens Migoletti Nachrichten ein, daß beide mit großen Tiertransporten aus dem Inneren Afrikas unterwegs seien. Casanova meldete, ich möge ihm sofort nach Suez entgegenreisen, denn er sei schwer erkrankt und fürchte, die Seinen in Wien nicht mehr wiederzusehen. Migoletti drahtete, daß er Casanovas Karawane begegnet sei und wahrscheinlich mit demselben Dampfer in Suez ankommen würde. Hier galt kein Säumen. Mit einem ägyptischen Kreditbrief wohl versehen, reiste ich schon am nächsten Tage in Begleitung meines jüngsten Bruders Diederich über Triest nach Suez, wo wir nach einer Fahrt von neun Tagen glücklich ankamen. Schon bei der Einfahrt in den Bahnhof von Suez sahen wir in einem anderen Zuge Giraffen und Elefanten, die uns wie zum Gruße ihre Köpfe entgegenstreckten. Den armen Casanova trafen wir schwerleidend im Suezhotel an. In einer Hiboko, einer landesüblichen Art von Sänfte, hatten ihn seine treuen Träger nach hier geschafft. Er war ganz ohne Hoffnung. Er bat mich, ihm für seine Tiere anzurechnen, was recht sei, und den Betrag an seine Frau in Wien gelangen zu lassen. Im Beisein des italienischen Konsuls setzten wir das Schriftstück auf, welches Casanova mit entkräfteter Hand zitternd unterschrieb.[30]

Es war sein letzter Großtransport, und wir mußten von ihm scheiden. Die Ahnung des nahen Todes trog den Ärmsten nicht, er hat die Heimat nicht wiedergesehen.

Mit aller Tatkraft mußte ich mich jetzt der Tierkarawane zuwenden, die ohne das wache Auge des Herrn in große Verwahrlosung geraten war. Nie werde ich das eigenartige Bild vergessen, welches sich mir bot, als wir den Hof hinter dem Hotel betraten. Hätte ein Maler dieses Bild gesehen, so würde er es vielleicht unter dem Titel »Gefesselte Wildnis« verewigt haben. Elefanten und Giraffen, Antilopen und Büffel waren rings an Palmenbäumen angebunden. Dazwischen liefen sechzehn große Strauße frei umher, und malerisch aufgestapelt zwischen allen möglichen Gerätschaften, Gefäßen und Sonnensegeln sprangen und brüllten in sechzig Transportkisten dreißig gefleckte Hyänen, Löwen, Leoparden, Jagdpanther, Luchse und Zibetkatzen. Affen und Papageien zeterten um die Wette. Dazwischen stolzierten gravitätisch Marabus, kreischten Raubvögel und grunzten junge Nashörner. Nach Aufnahme einer langen Liste der gesamten Tierkarawane erwartete uns nicht nur eine wahre Herkulesarbeit hinsichtlich des Weitertransportes, sondern auch ein regelrechter Kampf nach verschiedenen Seiten. Da die meisten Leute Casanovas krank waren und den armen Tieren vor allen Dingen ihr Recht zu verschaffen war, mußte ich zunächst eine Anzahl Araber zu Hilfeleistungen annehmen. Wir hatten uns indes kaum das Lager bereitet und wollten gerade die Tiere füttern, als plötzlich ein Haufe wenig vertrauenerweckender Gestalten in den Hof eindrang und mit wilden Gebärden Geld von mir verlangte. Der Anführer wies sich als einer der Begleiter Casanovas aus und behauptete, dieser schulde ihm Geld. Falls ich nicht bezahlen würde, wolle man mir die ganze Geschichte in Brand stecken. Nun gibt es im Orient ein Allheilmittel für alle aufgeregten Gemüter, und das heißt »Bakschisch«. Ich versprach, ihm seinen Lohn zu geben, und gab dem Mann gleichzeitig ein Trinkgeld von 50 Francs, worauf der Berserker sich auf der Stelle in ein Lamm verwandelte und mit Freuden meiner Aufforderung, die Tiere zu füttern, nachkam. Dasselbe[31] Trinkgeld hatte ich auch den übrigen Leuten Casanovas gegeben. Für die Lumpeneskorte ließ ich 5 Francs springen, und das Gesindel konnte sich kaum schnell genug entfernen, um das Bakschisch durch die Gurgel rinnen zu lassen.

Schwierig war es, am Bahnhof die nötigen Waggons zu erhalten. Der betreffende Beamte, ein Araber, behauptete unter Anrufung Allahs und seines Propheten, daß die Zusammenstellung so vieler Wagen mindestens sechs bis acht Tage dauere. Eine schnellere Herbeischaffung wäre gewissermaßen Zauber, und ein Zauberer sei er nicht. Merkwürdig, nachdem ich diesem Mann ebenfalls 50 Francs versprochen hatte, verwandelte er sich auf der Stelle in einen orientalischen Magier und versicherte mit größter Geschmeidigkeit, daß sämtliche Wagen am nächsten Abend zur Verfügung stehen sollten.

Der Transport der großen Karawane glich in mancher Beziehung jenen Expeditionen, die in unerforschte Länder ziehen. Das System Nansens3 und Pearys4, die auf ihren arktischen Expeditionen zum Ziehen untauglich gewordene Schlittenhunde für die übrigen als Futter verwandten, ist nicht unähnlich demjenigen, das auch ich auf diesem und manchem anderen Transport anwendete, wenn es sich dabei auch nicht um Hunde handelte. Die größte Sorge bei einem Tiertransport ist immer die Ernährung. Diesmal hatten wir neben vielem Preßheu, Brot und mannigfachem vegetabilischem Futter für die Elefanten und übrigen Tiere auch noch hundert Milchziegen mitgenommen, um unsere jungen Giraffen und sonstigen Babys mit Milch versorgen zu können. Ziegen, die keine Milch mehr zu geben vermochten, wurden dann auf dem Marsch unterwegs geschlachtet und dienten als Futter für die jungen Raubtiere.

Der zaubernde Beamte hatte sein Wort gehalten – damit auch[32] ich Wort halten sollte –, und zur gewünschten Zeit standen die Eisenbahnwagen bereit. Es würde zu weit führen, die Verladung dieser ganzen afrikanischen Arche Noah zu schildern. Ich atmete schon auf, als die Elefanten, Giraffen und Raubtiere in ihren Waggons untergebracht waren, doch soll man den Tag nicht vor dem Abend loben. Sechzehn Strauße waren noch übrig, die in der Weise zum Bahnhof geführt werden sollten, daß immer ein Vogel von zwei Arabern an den Flügeln gepackt und zum Mitgehen gezwungen werden sollte. Mein Bruder und ich gesellten uns zu dem ersten Strauß. Die übrigen Vögel sollten von Casanovas Leuten einstweilen zurückgehalten werden. Die Leute folgten auch dieser Anordnung, nicht aber die Strauße. Kaum hatten wir uns einige Schritte vom Hofe entfernt, als die übrigen fünfzehn Strauße wie ein Wirbelwind durch den Hof jagten, sämtliche Wärter über den Haufen warfen und in einer Staubwolke in der Richtung nach der Wüste entflohen. Als ich dies sah, tat ich etwas, was ich nicht hätte tun sollen – aber man muß ja fortwährend im Leben Lehrgeld zahlen. Ich glaubte, unseren Strauß allein festhalten zu können, und rief meinem Bruder deshalb schnell zu, er möge den von ihm gehaltenen Flügel loslassen und den Leuten zu Hilfe eilen. Kaum aber hatte der Strauß einen Flügel frei, als er kehrtmachte und mir mit seinen langen Beinen einen solchen Tritt vor die Brust versetzte, daß ich hintenüberstürzte. Schneller als ein Rennpferd folgte er seinen gefiederten Kollegen, während ich noch am Boden lag und atemringend dem Entflohenen verdutzt nachsah.

Seltsamerweise ging das Wiedereinfangen der Straußenherde auf eine beinahe lächerlich einfache Weise vor sich. Einer von Casanovas kranken Leuten namens Seppel fand instinktiv das richtige Mittel, indem er auf eine Eigentümlichkeit spekulierte, welcher Tiere und Menschen in gleicher Weise gehorchen, nämlich die Gewohnheit. Die Sache hatte aber doch etwas Verblüffendes. Als ich mich eben erhob, sah ich, wie Seppel die ganze Ziegenherde aus dem Hofe heraustrieb. Auf meinen Anruf, was er da mache, antwortete er lakonisch, er wolle die Strauße wieder zurückholen! Auf[33] seine Anordnung hatten sich zwei Araber auf Dromedare gesetzt, und diese sowie die Ziegenherde folgten nun schnell den Straußen nach. Als der Zug den Flüchtlingen nahe kam, reckten diese ihre Hälse, schlugen wie vor Freuden über dieses Wiedersehen mit den Flügeln und tanzten in weitem Bogen um die Ziegenherde und die Dromedare herum. Ein ganz grotesker Anblick! – Und als ob nun alles wieder in Ordnung sei, setzte sich die ganze Karawane in Marsch nach dem Bahnhof. Wie von einer unsichtbaren Macht festgehalten, stelzten die Strauße zwischen den Ziegen dahin, ließen sich ohne viel Sträuben ergreifen und in ihren Wagen führen. Des Rätsels Lösung ist sehr einfach. Was Seppel wußte, sei dem Leser verraten. Auf dem ganzen zweiundvierzigtägigen Karawanenmarsch von Kassala5 bis Suakin6 hatte man die Strauße ungefesselt zwischen der Ziegenherde und den Dromedaren transportiert; außer den Menschen gibt es eben noch andere Gewohnheitstiere ...

An die Reise von Suez nach Alexandrien werde ich mein Leben lang denken. Selten sind meine Nerven auf eine so harte Probe gestellt worden. Der Tag war heiß, einer der heißesten, deren ich mich entsinne. Die Reise begann damit, daß nach einigen Stunden Fahrt der vorderste Güterwagen in Brand geriet. Zum Glück konnten wir das Feuer löschen, jedoch nicht unseren brennenden Durst, denn beim ruckartigen Anfahren der Lokomotive gab es derartige Stöße, daß unsere Gulahs, irdene Wasserflaschen, die wir im Wagen aufgehängt hatten, in Scherben gingen. Mitten auf der Reise versuchte man, uns in einer Station einfach liegen zu lassen. Da der Zugführer behauptete, seine Lokomotive könne den langen Zug nicht weiterziehen, wurden wir abgekoppelt, und der Zug fuhr ohne uns nach Alexandrien davon. In schwärzester Gemütsverfassung ging ich um die Wagen mit meiner kostbaren Fracht. Wie leicht konnte dies zu einer Katastrophe führen und mir einen kaum wiedergutzumachenden Schlag zufügen. Die Tiere waren in ihren Wagen so eng zusammengepfercht,[34] daß wir sie nicht einmal füttern konnten. Hier mußte gehandelt werden. Ich erinnerte mich daran, daß Casanova mir ein Zertifikat des Kaiserlichen Hofes in Wien übergeben hatte, das ihm vom Inspektor der K.K. Menagerie zu Schönbrunn gelegentlich eines Auftrages mit der Weisung zugestellt worden war, es bei etwaigem Bedarf zwecks schnellerer Beförderung der Tiere vorzuzeigen. An dem Schriftstück befand sich ein großes vergoldetes Siegel, und auf dieses setzte ich meine Hoffnung. Als ich es dem Stationschef, einem französisch radebrechenden Araber, vorzeigte, machte es auch sofort den gewünschten Eindruck. Ein Telegramm schwirrte nach Kairo, und kaum war eine Stunde vergangen, da war die Bewilligung da, und wir hatten uns in einen Extrazug verwandelt.

Zum Frohlocken war aber wenig Grund, denn das Unheil näherte sich abermals in Gestalt eines betrunkenen Lokomotivführers, der mit unserem Zug in einem solchen Tempo davonraste, daß sämtliche Tiere durcheinandergeworfen wurden. Auf der Lokomotive wurde derart blödsinnig drauflos geheizt, daß der Schornstein einen wahren Vulkan von Feuerfunken und glühenden Kohlenstücken ausspie, die wie Regen zwischen unseren Giraffen in das Stroh des Wagens fielen. Wir waren fortwährend damit beschäftigt, entstehende Feuer auszutreten und die verängstigten Tiere zu beruhigen. Schließlich blieb uns nichts weiter übrig, als das gesamte brennende Stroh aus den Waggons zu werfen.

In Alexandrien ging es zunächst wieder an ein Ausladen und Unterbringen der Tiere, die auf dem Hofe des Fuhrwerksbesitzers Migoletti, eines Bruders meines Afrikareisenden, Unterkunft fanden. Hier traf auch die zweite Karawane mit uns zusammen, und erst am Abend sah ich meinen armen Freund Casanova wieder, in dem das Lebensfünkchen nur noch ganz schwach glühte. Der Kranke freute sich, mich wiederzusehen. Mit leiser Stimme sprach er über den bisher glücklich vollendeten Transport, doch als ich Abschied nahm, fühlte ich wohl, daß dies ein Abschied für immer sei.[35]

Sein Nachfolger wurde später der Ungar Eßler, der sechs Jahre am Hofe König Theodors von Abessinien7 als Sklave verbracht hatte und erst durch die Engländer von seinen Ketten befreit wurde. Er hatte sich einem der Casanova-Transporte angeschlossen und bereiste später selbständig das ihm vertraute Gebiet Abessiniens.

Vielleicht interessiert es den Leser, die Geschichte dieses Transportes, der in mancher Beziehung typisch ist, bis zu Ende zu hören. Die schwierigste und gefährlichste Arbeit blieb natürlich wieder die Übernahme der Tiere. Giraffen, Elefanten, Büffel, Antilopen, Raubtierkisten: alles wurde in Gurte geschlagen und mit dem Dampfkran an Bord des für Triest bestimmten Dampfers »Uranos« verladen. Man wird es mir ohne weiteres glauben, daß es ein ängstliches Gefühl in mir auslöste, wenn ich die Tiere zwischen Himmel und Erde schweben sah. Schwieriger als das Einschlagen in die Schlingen war das Auslösen. Die Giraffen z.B. mußten dabei auf die Seite gelegt werden. Anders ließen sich die Stricke nicht lösen, und so schnell es auch geschah, es blieb doch nicht aus, daß man von diesen langbeinigen Geschöpfen mit gefährlichen Tritten tödlich gefährdet wurde. Mein Bruder Diederich bekam einen solchen Schlag gegen die Brust, daß er ohnmächtig zusammenbrach. Glücklicherweise war nichts gebrochen. In Triest erwarteten mein Vater und mein Schwager Umlauff den Dampfer.[36]

Sie hatten bereits die nötigen Eisenbahnwaggons im voraus bestellt. Ganz ungeheuer war das Aufsehen, welches unser Transport in der Triester Bevölkerung erregte. Freilich stellten die beiden vereinigten Karawanen Migolettis und Casanovas auch den größten Tiertransport dar, welcher bis dahin nach Europa gelangte. Er bestand unter anderem aus folgenden Tieren: 1 Rhinozeros, 5 Elefanten, 14 Giraffen, 12 Antilopen und Gazellen, 4 nubischen Büffeln, 60 Raubtieren und 16 erwachsenen Straußen, von denen ein weibliches Exemplar von so außerordentlicher Größe war, wie ich seitdem keines wieder gesehen habe. Einen Kohlkopf, den ich in Höhe von elf Fuß angebracht hatte, konnte dieser Vogel bequem herunternehmen. Der Transport wurde vervollständigt durch 20 große Kästen mit Warzenschweinen, Erdferkeln, Affen und Vögeln aller Art sowie 72 nubischen Milchziegen, eine wandelnde Molkerei, die uns Milch für unsere Jungtiere lieferte. Als die Tiere ausgeladen wurden, standen Tausende von Menschen an den Kais, um das seltene Schauspiel mit anzusehen. Jedesmal, wenn ein Elefant oder eine Giraffe sich zappelnd in der Kranschlinge zum Ufer schwang, erhob sich ein Gebrause von Stimmen. Dieser Volksauflauf war aber noch nichts gegen das Gedränge der Zuschauer, als wir mit unserer afrikanischen Karawane im langen Zuge vom Hafen zum Bahnhof marschierten. Eine eigene Polizeimannschaft mußte uns einen Weg durch die sich stauenden Menschenmassen bahnen, und es ist mir heute noch ein Rätsel, daß sich dabei keine Unglücksfälle ereigneten.

Auf der Fahrt nach Wien, Dresden, Berlin und Hamburg bröckelte die große Karawane auseinander. In der Kaiserlichen Menagerie zu Schönbrunn blieben ein paar Giraffen, ein Elefant und viele kleinere Tiere. In Dresden fanden ebenfalls zwei Giraffen nebst einer Anzahl anderer Tiere ihre neue Heimat. Den größten Teil übernahm aber der Berliner Garten, dessen neue Gebäude soeben fertiggestellt waren. Hier zog das Rhinozeros ein, das als erstes afrikanisches Doppelnashorn seit Römerzeiten nach Europa gebracht wurde! Mein Transport war somit bereits ziemlich stark[37] gelichtet, als ich Berlin wieder verließ. Am 8. Juli trafen wir glücklich auf dem Sternschanzenbahnhof in Hamburg ein. Die nie geschauten Giraffen aus dem Sudan, die jungen afrikanischen Elefanten und all die anderen fremdländischen Tiere der Nubischen Wüste erregten hier an der Wasserkante ein ungeheures Aufsehen. Der Tiermaler Leutemann eilte herbei und hielt das malerische Bild für die »Gartenlaube« fest. Der Zoologische Garten in Hamburg erhielt vier Giraffen, ferner Büffel, Erdferkel und andere Tiere; der Rest ging später nach London und Antwerpen. Wenn die Beschreibung dieses großen Tiertransportes den Leser interessiert hat, so möchte ich bemerken, daß sie eigentlich nur die Hälfte der Geschichte, die weniger interessante, darstellt, denn diesen Transporten durch Europa gehen ja diejenigen durch die Wildnis Afrikas voran, die in einem anderen Kapitel eingehend geschildert werden sollen.

Seitdem ich im Anfang des Jahres 1866 das Tiergeschäft für eigene Rechnung übernommen hatte, war alle Ruhe dahin. Bald weilte ich an den Ufern des Rheins, bald am Roten Meere. Kam ich nach Hause, dann riefen mich inzwischen eingetroffene Telegramme schon wieder in die Ferne. Diese Reisen wurden auch nicht seltener, als ich am 11. März 1871, also gewissermaßen unter der neuen schwarzweißroten Flagge8, meinen eigenen Hausstand gegründet hatte. Doch alle Mußestunden gehörten der Familie. Von den zehn Kindern, die meine Frau mir geschenkt, sind fünf, drei Mädchen und zwei Knaben, am Leben. Heinrich und Lorenz sind heute bereits meine Teilhaber im Geschäft und ebenfalls glückliche Ehemänner geworden, ebenso wie die drei Töchter inzwischen tüchtige Hausfrauen. Als lebendiger Beweis dafür umringt mich heute eine Schar von dreizehn Enkelkindern.

Die Verkehrsmöglichkeiten haben sich in den letzten Jahren derartig entwickelt, daß man sich von den Schwierigkeiten des Transportes[38] von Tieren und Menschen in jener Zeit kaum ein richtiges Bild machen kann. Da erwarb ich zum Beispiel einmal von dem Tierschaubesitzer August Scholz eine große Tiersammlung und verkaufte sie für die beträchtliche Summe von 70000 Francs an den französischen Tierschaubesitzer Pianet. Um sie zu ihrem Bestimmungsort in Italien zu bringen, mußte erst eine schwierige Gebirgstour über den Sankt-Gotthard-Paß zurückgelegt werden, denn der gleichnamige Tunnel wurde erst zehn Jahre später gebohrt. Nicht weniger als hundertzwanzig Zugmaultiere waren nötig, um die Packwagen über die Alpen zu ziehen. Es war wohl der größte Tiertransport der Neuzeit, und ich muß gestehen, daß ich von dem Tage an den Elefantenzug Hannibals9, der vor rund 2000 Jahren den gleichen Weg zog, noch mehr bewundere!

Bei Gelegenheit dieses Geschäftes kam ich zum erstenmal mit der Tierdressur in Berührung, die später in unserem Unternehmen eine so große Rolle spielen und durch mich ihre Erneuerung erfahren sollte. In der Karawane befanden sich verschiedene Raubtierdressurgruppen, welche von dem mitengagierten Tierbändiger Robert Daggesell vorgeführt wurden. Ihm hatten die Löwen so nach und nach drei Finger abgebissen, deren Stümpfe er mit dicken goldenen Ringen und großen Steinen schmückte: nicht gerade fein, aber eine ins Auge springende Geschäftsreklame! Nach dieser zweijährigen Italientournee, auf der er in Rom von König Viktor Emanuel persönlich ausgezeichnet wurde, kam Daggesell zu mir, und ich rüstete ihm eine ganze Tierschau aus. Er war ein kühner Mann, der es auch verstand, die Zuschauer durch allerhand Tricks zu fesseln.[39]

Aber im Grunde dieser alten Zugvogelseele schlummerte doch das Ideal eines großstädtischen Spießbürgers. Nach acht Jahren hatte er sein Ziel erreicht, konnte als mehrfacher Berliner Hausbesitzer allabendlich seine »Weiße mit Schuß« trinken, und die gruselnde Stammtischrunde vernahm offenen Mundes seine Abenteuer als Löwenbändiger, wobei die fehlenden Finger und vier tiefe Schädelnarben eines verheilten Tigerbisses ihre Wirkung nicht verfehlten.10

Kurz nach dem Ausbruch des Preußisch-Österreichischen Krieges von 1866 befand ich mich in Frankfurt a.M. – Soldaten, Tumult und Aufregung. Ein Brief der Zoologischen Gesellschaft, die ihren Garten aufzugeben wünschte, hatte mich dorthin gerufen, und wieder hatte mein guter Konkurrent Jamrach aus London Pech, denn er gelangte nur bis Köln, da die Verbindung nach Frankfurt unterbrochen war. Auch ich hatte zunächst festgesessen, gelangte aber über Koblenz mit der Eisenbahn, dann zu Schiff und endlich zu Wagen in das aufgeregte Frankfurt, denn gerade an diesem Tage war die Schlacht bei Aschaffenburg geschlagen worden. Tausende von bayrischen und hannoverschen Truppen rasselten mit ihrem Troß und ihren Geschützen durch die Stadt. In eineinhalb Stunden hatte ich meine Geschäfte erledigt und saß bald wieder an Deck eines nach Köln dampfenden Bootes.

Der Gegensatz zwischen den aufgeregten Bildern in Frankfurt und dem stillen Naturfrieden auf dem herrlichen Rheinstrom, vielleicht auch die innere Freude über das gelungene Unternehmen, ließen mir diese meine erste Rheinfahrt als eines meiner schönsten Erlebnisse erscheinen.

Wenige Tage später befand ich mich in Begleitung meines Vaters auf der Reise nach Wien, wo wieder ein Afrikatransport mit einer[40] großen Anzahl von Tieren, darunter sieben Elefanten, eingetroffen war. Wegen der Kriegswirren mußten wir einen Umweg über Frankfurt und Linz machen, so daß wir erst nach einer vierzigstündigen Fahrt in der Donaustadt ankamen. Ich will mich hier nicht in der Wiederholung der ständigen kleinen Abenteuer erschöpfen, die zwar interessant, aber für mich auf die Dauer nur nebensächliche Begleiterscheinungen waren. Während der Rückfahrt bemerkte ich im Waggon, daß meine Elefanten an Kolik litten. Ich ließ sogleich meine Wagen in Nürnberg von dem Güterzug abhängen, denn eins der Tiere hatte sich bereits vor Schwäche hingelegt. Es gibt nun ein sehr einfaches Mittel, Elefanten von der Kolik zu befreien: Da der Mangel an Bewegung die Krankheit häufig verursacht, so muß sie durch Bewegung beseitigt werden. Ich führte also meine sieben langnasigen Afrikaner auf dem Bahnhof spazieren, und nach zwei Stunden hatte die Promenade, die für mich selbst kein Vergnügen war, ihre Wirkung getan. Das dicke Ende folgte indes noch nach. Als wir bereits wieder im Waggon saßen, kam der Stationschef krebsrot vor Wut angerannt und schlug einen heillosen Krach. Nicht mit Unrecht, denn ich muß gestehen, daß die Elefanten Spuren hinterlassen hatten, die allerdings mit Besen und Kehrblech zu verwischen waren. Ich gab dem Mann ein Trinkgeld für seine Leute, und der Fall war erledigt. Es kam aber ein noch dickeres Ende nach.

Ehe der Zug weiterfuhr, begab ich mich in die Stadt und kaufte einige Flaschen guten Rum und einige Pfund Zucker. Davon braute ich einen kräftigen Grog, den ich meinen Elefanten als bewährte Nachkur gegen die Kolik zu saufen gab. Dieser Trank tat den Tieren sehr gut. Alle gerieten in die heiterste Stimmung. Einer der Elefanten aber schien des Guten zuviel bekommen zu haben, denn er begann allen möglichen Unsinn zu machen, boxte seine Gefährten und traktierte sie mit Fußtritten. Für diesen Süffel braute ich noch einen Extragrog, so daß er nunmehr völlig betrunken wurde. Sanft sank er aufs Lagerstroh und brauchte sechs volle Stunden, um seinen Kanonenrausch auszuschlafen.[41]

Vier Tage und vier Nächte rollten wir bis zur Endstation Harburg. Von hier wurden die Tiere mit einem Dampfer nach Hamburg übergeführt, wobei mein Geschäftsfreund Rice, der mich am Kai erwartete, von einem Elefanten einen Rüsselschlag erhielt, daß er förmlich einen Salto mortale in der Luft beschrieb und einen Augenblick besinnungslos auf der Erde liegenblieb. Glücklicherweise kam er mit blauen Flecken davon, und der Elefant war mit seinem Erfolg zufrieden. Einige reisten sogar noch weiter über den großen Teich nach Amerika und erzielten dort Preise bis zu 8500 Dollar. Das waren die höchsten Preise, welche bis dahin für junge Elefanten bezahlt worden waren.

Zwei weitere große afrikanische Transporte erhielt ich 1867 aus dem Sudan, der überhaupt jahrelang für Europa die größte Tierquelle war. Der erste dieser Transporte bestand aus fünf Giraffen und einem Elefanten, welchen ein deutscher Kaufmann namens Bernhard Kohn, ein gebürtiger Bayer, aus Ägypten mitgebracht hatte. Auf seinen Händlerreisen hatte er einiges über Casanova und Hagenbeck gehört. Das hatte ihn auf den Gedanken gebracht, von sich aus ebenfalls Tiere zu sammeln, die er mir nun telegraphisch aus Triest ankündigte. Giraffen waren gerade diejenigen Tiere, welche ich gebrauchen konnte. Schwierig war die Überführung zum Bahnhof. Jedes einzelne Tier mußte von zwei Leuten geführt werden. Ich selbst nahm den Elefanten. Kaum war jedoch die Tür zum Pferdestall geöffnet, in dem die Tiere standen, als alle Giraffen mitsamt ihren Führern in wildem Galopp durchbrannten. Ich übergab Kohn den Elefanten, lief meinen Leuten zu Hilfe, und es gelang uns nach vieler Mühe, die Langhälse in die Waggons zu bringen. Gewitzigt ließ ich nach unserer Ankunft am Berliner Bahnhof in Hamburg jetzt jedes Tier durch drei Leute sicher in unsere Stallungen führen.

Die zweite Tierkarawane desselben Jahres zeichnete sich durch eine Häufung von Unfällen aus, denn ein Unglück kommt selten allein. Als der Dampfer mit unseren Tieren auf der Reede von Triest erschien, wohin ich mit meinem Vater geeilt war, sahen wir[42] mit Schrecken, daß er die Quarantäneflagge gehißt hatte. In Ägypten herrschte die Cholera. Niemand durfte an Bord gehen, und zu allem Unglück erkrankte mein Vater an Dysenterie. Vier Tage nach der Erkrankung stellte sich eine beunruhigende Schwäche ein, und ich geriet in größte Bestürzung, als mein Vater mich rufen ließ und gewissermaßen von mir Abschied nahm. Mit dem Taschenbuche vor sich gab er mir Verfügungen, die sich auf Hamburger Geschäfte bezogen, erteilte mir guten Rat in Dingen, die der Zukunft angehörten, und sprach es schließlich selbst aus, daß er kaum glaube, die Heimat wiederzusehen. Mit schwerem Herzen ging ich an diesem Morgen an die Arbeit, denn der Transport, der inzwischen gelöscht werden durfte, bestehend aus 13 Elefanten, 2 Giraffen, 13 Antilopen und Gazellen, 5 Leoparden, 13 Straußen und vielen Käfigen mit Panthern, Hyänen, Affen und Vögeln, mußte auf die Bahn verladen werden. Auf Anraten des Arztes reiste Vater nach Wien voraus. Nicht ohne die bekannten Zwischenfälle setzte sich endlich auch unser Sonderzug in Bewegung. Unterwegs sprang eine Antilope aus dem Waggon und blieb mit gebrochenem Genick auf dem Bahndamm liegen. Ein Strauß brach sich ein Bein und mußte getötet werden. Ein kleiner Elefant ging zugrunde durch den Stoß eines größeren Bullen. Aber was bedeutete das alles gegenüber der großen Freude, meinen lieben Vater in Wien gesund wiederzusehen!

Bis in den Anfang der siebziger Jahre reicht die Zeit des ausschließlichen Tierhandels, dem sich in der Folge weitere Unternehmungen anschlossen. Den Schlußstein dieser Periode bildete die Übersiedlung in ein neues Heim. Längst waren die Räume am Spielbudenplatz viel zu eng geworden. Nach langem Suchen glückte es mir im Frühling 1878, am Neuen Pferdemarkt in Hamburg ein geeignetes Grundstück mit Wohnhaus und dahinterliegendem, 76000 Quadratfuß großem Garten aufzufinden. Dieses Grundstück erwarb ich, und die nötigen Bauten, wie Elefantenstall, Dressurhallen, Gehege und Futtermagazin, wurden mit einem solchen Eifer gebaut, daß wir bereits um Mitte April unseren Einzug in das neue Heim bewerkstelligen konnten.

Fußnoten

1 Phineas Taylor Barnum (1810–1891): der »König des Humbugs«, war ein typischer amerikanischer Spekulant und Geschäftemacher. Seine Selbstbiographie wurde auch deutsch veröffentlicht.


2 Der Suezkanal wurde 1869 nach zehnjähriger Bauzeit eröffnet und gewann rasch große Bedeutung für die Dampfschiffahrt nach Ostafrika, Indien und dem Fernen Osten. Für diese Gebiete beginnt damit eine neue Periode kolonial-imperialistischer Expansion seitens der europäischen Mächte. Das Anwachsen des Tierhandels ist ein einzelnes Symptom für die leichte Zugänglichkeit der Fanggründe und für die wirtschaftliche und politische Kontrolle der wichtigsten Umschlagplätze durch die europäischen Kapitalisten.


3 Fridtjof Nansen (1861–1930): norwegischer Polarforscher und Staatsmann, berühmt durch die Durchquerung Südgrönlands (1888) und durch die Nordpolfahrt mit der »Fram« 1893–1896; widmete sich seit 1918 der Arbeit für internationale Hilfswerke; wurde 1922 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.


4 Robert Peary (1856–1920): amerikanischer Nordpolfahrer


5 Kassala: Stadt im Sudan, wichtiger Handelsplatz


6 Suakin: Hafen im Sudan, am Roten Meer


7 Die christlichen Abessinier hatten ursprünglich die Europäer als Bundesgenossen gegen die umliegenden mohammedanischen Staaten und Stämme begrüßt. Die bitteren Erfahrungen, die sie in der Folgezeit mit ihnen machten, haben sie dann jedoch zu einer Politik der Absperrung ihrer Hochländer gegen alle Fremden bewogen. Einzelne Fremde, meist Missionare und Abenteurer, erlangten Duldung. Gegen häufigen Mißbrauch des ohnedies ungern erteilten Gastrechtes setzten sich die Abessinier zur Wehr. Da in Abessinien bis ins 20. Jahrhundert hinein noch Sklaverei herrschte, wurden Gesetzesübertreter und ebenso Kriegsgefangene meist zu Sklaven gemacht. Die Engländer benutzten einen solchen Anlaß 1867/68 zu einer militärischen »Strafexpedition«, mit deren Hilfe sie das rückständige Land ihrem Einfluß erschlossen. Der Negus (eher Kaiser als König) Theodor erschoß sich nach der Niederlage. (Vgl. auch S. 117/18.)


8 Auf diesen kurz eingeschobenen Nebensatz beschränkt sich Hagenbecks Begeisterung für die Reichsgründung, deren preußischem Charakter gegenüber er stets eine gewisse Skepsis beibehielt!


9 Der berühmte Alpenübergang des karthagischen Feldherrn Hannibal im Zweiten Punischen Krieg gegen die Römer 218 v.u.Z. vollzog sich nicht über den Gotthard, sondern über einen der französischen Alpenpässe, da Hannibal von Spanien her kam. Die mitgeführten afrikanischen Kriegselefanten gingen dabei größtenteils zugrunde. – Die Gotthard-Bahn wurde 1872/82 als wichtige direkte Eisenbahnverbindung von Deutschland über die Schweiz nach Italien auf Betreiben und mit den Mitteln vorwiegend deutscher Kapitalisten gebaut; sie ist zweigleisig und wird elektrisch betrieben; der Gotthard-Tunnel ist 15 km lang.


10 Der feine Spott, mit dem Hagenbeck das großstädtische Spießerideal des Dompteurs Robert Daggesell zeichnet, richtet sich bemerkenswerterweise nicht gegen die Person, sondern gegen die Erscheinung des parasitären Maulhelden.


Quelle:
Hagenbeck, Carl: Von Tieren und Menschen. Leipzig 1967, S. 43.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon