Am Hofe Napoleons. Paris

1810

[389] Unsre Anwesenheit in Paris dauerte schon mehrere Wochen, und noch immer fand keine diplomatische Audienz statt. Endlich wurde diese angesagt, und wir rüsteten uns, dem Kaiser Napoleon vorgestellt zu werden. Vorher führte der Fürst von Schwarzenberg uns noch zu einigen Großen des Hofes und Reichs, besonders aber zu Berthier, dem Fürsten von Neuchâtel und Wagram, wie er damals hieß.

Man rühmte Berthier, daß er, ungeachtet seiner fürstlichen Hofhaltung und großen Reichtums, in seinem Benehmen schlicht und in seinen Ansprüchen mäßig geblieben sei, noch immer den alten Ton mit seinen Kriegsgenossen habe und für den Kaiser wohl die treuste Anhänglichkeit, doch keineswegs den höfischen Diensteifer zeige, den so viele andre, und namentlich Davoust, auf die alleruntergebenste Weise an den Tag legten. Von Bernadotte hingegen erzählte man, daß er mit der ihm eigenen Fröhlichkeit laut über das Hofwesen spotte, den Kaiser in seiner angenommenen Scheinwürde lächerlich finde, sich selber noch immer zu republikanischen Grundsätzen bekenne und seiner Fürstenwürde ungeachtet mit den alten Waffengefährten ganz auf brüderliche Art umgehe.

Berthier hatte uns freundlich gefragt, wie wir uns in Paris vergnügten, ob wir die Kunstsammlungen schon alle besucht hätten, und davon nahm ein ältlicher französischer General, dessen Namen ich nicht erfahren konnte, die Gelegenheit, über das Musée Napoléon zu sprechen, wobei er seine Verwunderung bezeigte, nur so wenige der eroberten Kunstwerke in Paris zu sehen, denn er habe in den fremden Ländern, sagte er, wohl dreimal soviel einpacken sehen, zwischen dem Abschicken und Ankommen aber scheine ein großer Teil einzuschwinden. Wie nachlässig man überhaupt mit dem Weggeschleppten umging, davon kann folgendes[390] Beispiel genügen. Napoleon hatte das preußische Siegesdenkmal auf dem Schlachtfelde von Roßbach wegnehmen und nach Frankreich abführen lassen; dasselbe war ohne Kunstwert, eine schlichte Säule von Sandstein, aber durch seine Bedeutung dem französischen Kriegsruhm ein unschätzbarer Besitz. Gleichwohl verlor sich diese Säule, und als man nach geschlossenem Frieden Muße fand, an ihre Aufstellung zu denken, war sie nirgends zu finden. Der Kaiser tobte, man erkundigte sich unterderhand, unter andern auch bei Chamisso, wie sie denn wohl ausgesehen habe, und war nahe daran, eine falsche unterzuschieben. Endlich fand sich doch die rechte unverhofft in Brest wieder, und man wußte nicht, wie sie dorthin geraten sei. Sie steht jetzt, durch die Tapferkeit der Preußen wiedererobert, als zweifaches Siegesdenkmal auf ihrem ursprünglichen Ort.

Bei Berthier sah ich auch Denon wieder, der aber mit all seiner Freundlichkeit nur einen widrigen Eindruck machte und in seinem habit habillé mit Stahldegen und Spitzemanschetten einem geputzten Affen gleichsah. Auch ein ehemaliger Adjutant des Kaisers und jetziger Kammerherr, den ich in Wien als Militär sehr hübsch gefunden, nahm sich in seinem roten gestickten Hofrocke ganz vertrackt aus. Damit die Gesellschaft noch bunter würde, kamen auch zwei Geistliche in roten Strümpfen und schienen sich des bißchen Lebens, das an dieser Stätte der Revolution ihnen wieder zugeflossen war, gar sehr zu freuen. Berthier hatte sich mittlerweile in ein Nebenzimmer entfernt, und die Gesellschaft war entlassen. Als die Geistlichen weggingen, flüsterte mir der eine – es war der Kardinal Maury – im Vorbeistreichen die Worte bedeutend ins Ohr: »Nous avons beaucoup de joie de vous voir ici!« Ich sah ihm erstaunt nach; was er laut und öffentlich als eine gewöhnliche Artigkeit hätte sagen können, sagt er mit heimlicher Freude, und mir? Es bezog sich aber wohl auf den Umstand, daß von österreichischer Seite ganz kürzlich die dringendsten Verwendungen für den Papst geschehen waren.[391]

Am Sonntage, dem 22. Juli, war seit dem Brandunglück wieder die erste Audienz des Kaisers, und man verhieß, sie würde ungemein feierlich und prächtig sein.

Wir waren nach den Tuilerien gefahren und kamen durch ein großes Gedränge von Garden und Volk in ein Gemach, von welchem ich unter dem Namen der Salle des ambassadeurs schon gehört hatte. Die Art, wie hier in dem engen, übelverzierten Pferch so viele erlauchte Personen dicht zusammengedrängt standen, hatte etwas lächerlich Beleidigendes, woran die Scherze der Pariser sich gar zu gern übten. Die reichsten Uniformen und Staatskleider arbeiteten sich mit Mühe und Sorge durcheinander hin und her, von kaiserlichen Livreen untermischt, die im Gedränge Erfrischungen ausriefen und durch die nahe Gefahr immer ihre Nächsten in allen Bewegungen gleichsam suspendierten. Das Gespräch war laut und lebhaft von allen Seiten, man suchte Bekannte, bessern Platz, größere Helle. Eine feierliche Stimmung, eine würdige Spannung schien allen fremd, und was man mitzubringen nicht vermochte, war nichts vermögend hier zu erregen. Der ganze Anblick hatte etwas Fatales, man befand sich schlecht und wartete verdrossen. Mit besonderem Wohlgefallen jedoch verweilte mein Auge auf den Mitgliedern der österreichischen Botschaft, deren Haltung und Betragen nicht die Würde verleugnete, die dem alten Kaiserhause gebührte. Besonders hatte der Fürst Schwarzenberg ein stattliches Ansehen, seine Ruhe war ohne Lässigkeit, sein Ernst ohne angenommenes Gewicht, und eine rechtschaffene Güte lag in dem Ausdruck seines ganzen Wesens, das sich auf diese Art vorteilhaft unterschied von der lächelnden Salonbetriebsamkeit, der hofmännischen Spannung und der weltmännischen Nichtigkeit, die aus dem Wesen so vieler andern, die ihre Stellung an diesem Hofe nicht erkannten und kein Gefühl ihres Verhältnisses hatten, widrig hervorblickten. Dies galt besonders von den Personen, welche von der Zeit mit fortgerissen und doch von ihr vergessen waren, wie dies bei so vielen[392] Hofleuten der neuen Höfe der Fall sein mußte. Wenn diese Leute, die vornehmsten und gewandtesten, die in so vielen und weiten Kreisen zu finden waren, wenn diese hier so unbedeutend und leer dastehen, wenn sie hier nicht glänzen, in ihren Edelsteinen, Stickereien und Kreuzen, im Gefühl aller Auszeichnung, in der Anerkennung aller ihrer Ansprüche, hier, wo einer der Augenblicke ist, zu denen sie erzogen, auf welche alle ihre Tätigkeit, ihre Einrichtung und Gewöhnung von Jugend auf gewandt worden, was sollen sie denn im Rate des Fürsten, in des Landes höchsten Verwaltungsstellen, im Angesicht des Heeres sein, lauter Dinge, die sie nie so ernstlich bedacht und geübt haben als die Vorteile gesellschaftlicher Erscheinung? Mich ergriffen diese Betrachtungen um so lebhafter, als man gewohnt war, in öffentlichen Berichten, namentlich von den französischen Höfen, als von dem Wohnsitze der Würde, der Feierlichkeit und imponierenden Größe zu reden, da man doch fast nur Unordnung, Armseligkeit und Lächerlichkeit fand.

Endlich erschien die Zeit, zur Audienz hinaufzugehen; auf die erste Ankündigung davon stürzte alles ordnungslos gegen die Türe, man drängte sich, stieß und schob den Nachbar ohne Umstände. Kammerherren, Pagen und Garden füllten die Gänge und Vorzimmer; unruhige Geschäftigkeit zog auch hier die Augen auf sich, und die Soldaten schienen die einzigen, die sich mit einiger Sicherheit in ihrem Dienste zu benehmen wußten, was sie freilich auch nicht am Hofe, sondern von ihren Feldwebeln gelernt hatten.

Nachdem man im Audienzsaale einen Halbkreis gebildet und sich in mehrere gedrängte Reihen gestellt hatte, kündigte bald der Ruf: »l'Empereur!« die Erscheinung Napoleons an, der von der hintern Seite des Saales hereintrat. In einfacher blauer Uniform, seinen kleinen Hut unter dem Arm, ging er schwerfällig auf uns zu. Seine Haltung drückte den Widerstreit eines Willens aus, der etwas erreichen möchte, und eine Verachtung derjenigen, bei welchen es erreicht werden soll. Ein günstiges Erscheinen wäre ihm[393] wohl lieb gewesen, und doch schien es ihm nicht recht der Mühe wert, der Mühe, die er sich darum geben sollte, denn von Natur hatte er es wahrlich nicht. Daher Nachlässigkeit und Absicht abwechselnd in ihm hervortraten und nur in Unruhe und Mißbehagen zusammenflossen. Er wandte sich zuerst an die österreichische Botschaft, welche die eine Spitze des Halbkreises einnahm. Die Folgen des unglücklichen Festes waren Anlaß mancher Fragen und Bemerkungen. Der Kaiser wollte teilnehmend erscheinen, er brauchte sogar Worte der Rührung; doch gelang ihm dieser Ton keineswegs, und er ließ ihn auch bald wieder fallen. Für den russischen Botschafter Kurakin hatte er schon minder freundlichen Ausdruck, und im weiteren Fortschreiten mußte ihn irgendein Anblick oder Gedanke heftig aufreizen, denn er geriet in furchtbaren Ärger, fuhr gegen einen der Anwesenden, der nicht zu den bedeutendsten gehörte und dessen Namen mir nicht mehr erinnerlich ist, schrecklich los, war mit allen Antworten unzufrieden und forderte immer neue, schalt und drohte und hielt den armen Menschen eine geraume Zeit in qualvoller Vernichtung. Die näher gestandenen Zeugen, welche nicht ohne eigne Angst diesen Auftritt mit ansahen, beteuerten nachher, es sei gar keine Ursache zu solchem Grimm gewesen, der Kaiser habe nur Gelegenheit gesucht, seine üble Laune auszulassen, und er tue dies sogar absichtlich an solchem armen Wichte, damit alle andern in Schrecken gesetzt und jeder Trotz im voraus unterwürfig gestimmt würde.

Als er weiterging, suchte er wieder gemäßigter zu reden, allein seine Mißstimmung klang noch immer durch. Er sprach kurz, hastig, hingeworfen, die gleichgültigsten Sachen mit einer leidenschaftlichen Schnelle, ja, wenn er gütig sein wollte, klang es immer noch, als sei er zornig. Ich habe kaum eine so rohe, ungezähmte Stimme gehört als die seinige.

Seine Augen waren dunkel umwölbt, auf die Erde vor sich niedergeheftet, und streiften nur ruckweise schnell und[394] scharf über die Anwesenden hin. Wenn er lächelte, so lächelte bloß der Mund mit einem Teile der Backen, unbeweglich finster blieben Stirn und Augen. Zwang er, wie ich späterhin wohl gesehen habe, auch diese, so bekam sein Gesicht einen noch verzerrtern Ausdruck. Diese Verbindung von Lächeln und Ernst hatte etwas furchtbar Abschreckendes. Ich weiß nicht, was ich von den Leuten denken soll, die in diesem Gesicht Anmut und seine Freundlichkeit einnehmend gefunden haben. Waren doch seine Züge, bei unleugbarer plastischen Schönheit, wie Marmor hart und streng, jedem Vertrauen fremd, jeder Herzlichkeit unfähig!

Was er sprach, war immer, sooft ich ihn reden hörte, gering, sowohl dem Inhalt als dem Wortausdrucke nach, ohne Geist, ohne Witz, ohne Kraft, ja, bisweilen ganz gemein und lächerlich. Faber hat in seinen »Notices sur l'intérieur de la France« ausführlich über die Fragen gesprochen, welche Napoleon bei vielen Gelegenheiten zu machen pflegte und deren Scharfsinn und Kunde so oft mit Unrecht gepriesen worden; ich hatte damals das Buch noch nicht gelesen, fand aber später alles darin bestätigt, was ich selbst gesehen und gehört hatte. Sein Fragen glich nicht selten der Lektion eines Schulknaben, der, seiner Sache nicht ganz gewiß, beständig leise für sich hersagt, was er für den Augenblick des Gebrauchs sonst vergessen zu haben fürchtet. Dieses ist wörtlich wahr von einem Besuche, welchen Napoleon kurz vorher auf der großen Bibliothek gemacht hatte, da er schon auf der Treppe immerfort nach der klassischen Stelle im Josephus schrie, wo dieser von Jesus spricht, und für diesmal kein anders Anliegen zu haben schien, als diese seine wahrscheinlich eben erst erlangte Kenntnis zu zeigen; es schien durchaus, als habe er seine Fragen auswendig gelernt. Einen ansehnlichen Mann aus dem nördlichen Deutschland fragte er, aus welchem Lande er sei, und als dieser die nah an Holland gelegene Gegend genannt hatte, rief Napoleon im Weggehn halb trotzig und halb freudig: »Ah! je sais bien, c'est du Nord,[395] c'est de la Hollande!« Nicht so glücklich traf er es mit Lacépède in der Naturaliensammlung, dort sah er die Giraffe für einen Vogel an und pries das langhalsige Tier als solchen sogar seiner Gemahlin, welche mit Lacépède über den Irrtum des Kaisers ganz ängstlich wurde, so daß dieser, dadurch aufmerksam gemacht, in seiner Rede unwillig abbrach und außerordentlich mißvergnügt davonging. Der kleinliche Eifer, mit dem Napoleon auch in dem Kreise der geselligen Mitteilung, der ihm ganz fremd ist, bewundert zu sein strebt, war sehr oft geradezu lächerlich, es mißlang ihm hier alles in dem Grade, als ihm in andern Dingen, zu unserm Unglück, alles gelang. Er liebte zwar eigentlich nur, den Menschen etwas Beleidigendes oder wenigstens Unangenehmes zu sagen, allein auch dann, wenn er etwas anderes sagen wollte, brachte er es höchstens zum Unbedeutenden, und da traf es sich wohl einmal, daß er einer ganzen Reihe von Damen, wie ich in Saint-Cloud selber mit anhörte, zwanzigmal nur immer dasselbe Wort wiederholte: »Il fait chaud.«

Wahr ist es, man führt sehr kräftige Machtworte von ihm an, und seine Befehle sind meistens streng und kurz; allein selbst darin ist mehr die Macht bedeutend, und der Nachdruck der Worte kommt vom Kaiser, nicht vom Redner. Mehrere glückliche Einfälle, welche die Herumträger seines Hofes ihm zuzuschreiben pflegten, gehörten andern an, die ihr geistiges Eigentum, das der Kaiser einsteckte, ehrfurchtsvoll verleugneten. Sprach er anhaltend, in größerer Fülle der Mitteilung, wie er dies auch oft liebte und sich dann grenzenlos in Redensarten erging, Tatsachen und Gründe mit größter Geläufigkeit aufeinanderhäufend, so vermißte man nur allzusehr Ordnung und Folge, Klarheit und Festigkeit der Begriffe; nur seine Zwecke und Absichten verlor er dabei nicht aus dem Auge, wiewohl er dieselben am wenigsten durch seine Reden, sondern sichrer durch andre Mittel, durch seine Überlegenheit als Feldherr und durch das eiserne Machtgebot seines Willens erreichte. In diesen Eigenschaften[396] ist seine wahrhafte Größe, und man braucht ihm keine andre anzudichten, um in ihm stets einen der außerordentlichsten Menschen zu sehen, welche jemals erschienen sind. Die Gabe schöner Rede und anmutigen Ausdrucks, deren Alexander, Cäsar und Friedrich teilhaft waren, hatte sich Napoleons Eigenschaften nicht gesellen können, sein Geist widersprach ihr und noch mehr sein Gemüt.

Deshalb, weil er auf diesem Gebiete gar keine Waffen hatte und nichts erwidern konnte, war Napoleon auch so über alle Maßen empfindlich und aufgebracht, wenn irgendein geistreiches, scharfes oder scherzhaftes Wort gegen ihn laut wurde, und ein spöttisches Lied, ein schmähender Witz konnte ihn zu wahrer Wut bringen. In jener Zeit ging ein Lied auf seine zweite Vermählung umher, das, ganz im untersten Volkston gedichtet, doch ohne Zweifel seinen Ursprung in der höheren Klasse haben mußte. Der Kaiser sah seinen Glanz und seine Macht durch ein gemeines Lied befleckt und schnaubte Rache; aber die Polizei wußte den Verfasser sowenig als die Verbreiter zu entdecken. Auch mir war dasselbe durch die Stadtpost ohne Namen in schlechter Abschrift zugeschickt worden, ich hatte mich mit den vertrauteren Freunden heimlich an den lustigen Versen ergötzt und konnte sie schon auswendig hersagen. Sehr ungelegen traten mir jetzt, als grade der Kaiser übellaunig und finster an mir vorüberging, unwillkürlich Worte und Melodie jenes Liedes in den Sinn, und je mehr ich sie abweisen wollte, desto heftiger drängten sie sich hervor, so daß die von der Spannung des Augenblicks gereizte Einbildungskraft schon schwindelte und bei dem geringsten Anstoß unvermeidlich in das tödlichste Ärgernis stürzen zu müssen glaubte – als glücklicherweise die Audienz ihr Ende erreichte und wiederholte tiefe Verbeugungen das Abtreten Napoleons begleiteten, der an mich keines seiner Worte, sondern nur einen durchdringenden Blick gewendet hatte, mit dessen Weiterschweifen eine wirkliche Gefahr mir zu schwinden schien.[397]

Nach der Entfernung des Kaisers atmete alles auf, wie befreit und erlöst von einer schweren Last. Allmählich wurde die Gesellschaft auch wieder laut und ging dann völlig in die lärmende Unordnung, in die drängende Eile über, welche zu Anfang geherrscht hatte. Besonders waren die französischen Höflinge bemüht, ihre noch eben gehabte furchtsame und erschrockne Haltung durch nunmehrige Lustigkeit wegzuleugnen, und noch auf den Treppenstufen, die wir hinabstiegen, erschallten Ausbrüche des Lachens und Witzelns über den Hergang der Audienz, deren Würde und Schrecken schon hier aufhörten.

Napoleons Persönlichkeit wirkte zauberhaft und mächtig, wo er wirklich er selbst war: an der Spitze der Truppen, im Felde, wenn er kriegerische Anordnungen traf, seine Machtgebote ergehen ließ. Wollte er aber ihm Uneignes vorstellen, beabsichtigte er Eindrücke, suchte er in Gebieten zu gelten, die nicht die seinigen waren, so gab er nur allzu leicht die schlimmsten Blößen und betörte nur etwa Neulinge und Schwachsinnige. Die Erinnerung an ihn und sein im Geiste der Nachlebenden neuerschaffenes Bild haben mehr Begeisterung für ihn erweckt, als seine Gegenwart es vermocht. Es klingt unglaublich, ist aber bestimmt wahr, daß in Paris, bei aller Bewunderung und Furcht, welche der Kaiser einflößte, doch weder im Volk noch in den höhern Klassen und am wenigsten in seiner gewohnten Umgebung eine eigentliche Verehrung für ihn, ein Glauben an ihn als an ein höheres Wesen bestand; die Franzosen, sofern sie ihn als groß anerkannten, hielten ihn doch nur für groß in dem, was sie alle zu leisten sich getrauten; sie sahen in ihm nicht andre, sondern die gemeinen, gäng und gäben Eigenschaften, nur in ungemeinen Maßen.


Wie gut es mir auch erging, wie mannigfache Anregung ich auch empfand, wie vieles ich anzuerkennen und zu bewundern hatte und wie sehr ich mein persönliches Los als begünstigt preisen durfte, so muß ich doch sagen, daß der[398] Aufenthalt im ganzen mir keine Freude machte. Die ewige Zerstreuung, das stete Insichaufnehmen, ohne eigentliches Studieren oder gar selbsttätiges Bilden, das leichte Hinflattern der Tage ohne festes Ziel, ohne leitenden Gedanken, dies alles ermüdete mich bis zur tödlichsten Langenweile, die dadurch nicht besser wurde, daß die ergötzlichsten Vorgänge und lebhaftesten Spannungen als Ausnahme darin mitwogten. Das Gewühl der Menschen machte mich nur traurig. Oftmals am Abend, wenn die Sonne zum Untergange sich neigte, vom Boulevard des Italiens ging ich den Weg nach der Porte Saint-Denis und Porte Saint-Martin hinauf, wo die Boulevards breiter werden, bis dahin, wo der Boden sich allmählich erhöht, dann stand ich still, sah zurück, und der goldene Sonnenschein lag vor mir ausgebreitet und traf über die tiefer wühlenden Menschen hinweg in mein Auge. Die weite Strecke, nur endlich durch die Krümmung abschließend, flutete in der buntesten Bewegung, die Menschen arbeiteten sich gleichgültig untereinander fort, jeder ernsthaft dem eignen Zwecke nachgehend, den ich bei den meisten nur als einen des Eigennutzes, der Selbstsucht, des Betrugs, der Hinterlist und Verführung voraussetzen mußte, und mich jammerte die große Menschenmasse, die mir nur in Versuchen zu leben befangen schien, ohne das Leben selbst je finden zu können. In diesem sonnebeschienenen Gewühl sprach der wehmütige Eindruck, den mir Paris machte, stets am lautesten; denn hier und auf den Quais dünkte mich die Stadt am meisten sie selbst. Wenn ich dagegen in später Nacht diesen Weg ging und die dann menschenleeren Boulevards, in ihrer großen Weite vom Mondschein überdeckt und dieser von ungeheuern Schatten durchschnitten, still und feierlich dalagen, dann glaubte ich frisches Leben um mich her zu fühlen, dann verschwand mir der Eindruck von Paris und ein heimatlicher wehte mich an.

Die Sehnsucht nach Deutschland, nach deutschem Boden und deutschem Volke, verließ mich keinen Augenblick. Die[399] deutschen Freunde teilten diese Empfindung, auch Schlabrendorf, nur meinte er, von Paris aus gesehen erscheine das Vaterland eine Gesamtheit, käme man aber zum Rhein, so fände man nur Zerstückeltes und fühle die Verlegenheit eines Menschen, der ein Christ sein möchte, aber dies nicht werden könne, sondern nur ein Katholik, ein Lutheraner, Reformierter, Herrnhuter usw. Beispiele genug zeigten, daß Deutsche bei längerem Aufenthalt sich dort heimisch fühlten und in ihrem Wesen dabei nicht beeinträchtigt wurden. Als solche wurden Leuchsenring und Oelsner angeführt, von denen ich den erstern nie und den andern erst viel später kennenlernte.

Ein heftiger Verdruß war es uns, daß eine neue Beschränkung des Bücherverkehrs mit Deutschland in diese Zeit fiel; die Verschärfung der Zensur in diesem Betreff ging von Napoleon selbst aus und kam einem Verbote gleich. Wir hatten in deutschen Blättern die Ankündigung deutscher Bücher gelesen und waren äußerst begierig, uns diese zu verschaffen; das nachgelassene Werk Johann von Müllers über die allgemeine Geschichte, von dem man sich damals die höchste Vorstellung machte, Goethes »Farbenlehre« und so manches aus dem näheren Freundeskreise weckte unsre ganze Sehnsucht, an solchen frischen Quellen uns zu laben. Doch der Buchhändler Schöll erklärte, selbst im Falle diese Bücher erlaubt würden, könne er sie vor einem halben Jahre nicht liefern; er bot uns dafür alten Plunder an und selbst französischen, den er die Dreistigkeit hatte, weit über alles zu stellen, was Deutschland hervorbrächte. Wir verwünschten ihn und den Kaiser und betraten seinen Buchladen nie wieder.

Es hatten mich während meines ganzen Aufenthalts immerfort eine Unruhe und Sorge bedrängt, die endlich zur wahren Angst wurde. Seit Prag war ich ohne Nachrichten von Rahel, meine Briefe waren ohne Antwort geblieben. Alle Briefe waren unsicher, teuer, sogar gefahrvoll, man schrieb ungern und selten; auch hatte Rahel nach Teplitz[400] reisen wollen, vielleicht wurden ihr dahin keine Briefe nachgeschickt, vielleicht wollte sie von dort nicht antworten und meiner stets nah verkündigten Rückkehr harren; dies alles bedacht ich mir und suchte meine Besorgnisse zu beschwichtigen, allein es gelang mir keineswegs. Von den Freunden Neumann und Fouqué empfing ich Nachricht, und endlich gleichzeitig mit der, daß Rahel schwer erkrankt gewesen und zwar jetzt wieder in voller Besserung, aber noch des Schreibens kaum fähig sei, kam dennoch ein Brief von ihr selbst. Aber was für ein Brief! Ein Brief, im Frühjahr geschrieben, den ich in Kassel hätte finden sollen und der nun im Anfange des Septembers mich in Paris erreichte! Wäre sein Inhalt mir noch in Prag oder Wien bekannt geworden, so hätte mein Sommer wohl eine ganz andre Gestalt angenommen. Das Verhängnisvolle in dieser Zufälligkeit drückte mich schwer, und ich konnte mich nicht zufriedengeben.

Jetzt wurde mir Paris völlig zuwider, ich harrte mit Ungeduld der Abreise, die einigemal angesetzt war, aber sich wieder verzögerte. Der Tag erschien endlich, und ich wähnte mich berechtigt, mit Rousseau zum Abschied auszurufen: »Adieu donc, Paris, ville célèbre, ville de bruit, de fumée et de boue; où les femmes ne croient plus à l'honneur ni les hommes à la vertu. Adieu Paris; nous cherchons l'amour, le bonheur, l'innocence; nous ne serons jamais assez loin de toi.«

Quelle:
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. Berlin 1971, S. 389-401.
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