[80] Als ich in meinem fünften Semester begann, zu den naturwissenschaftlichen und anatomisch-physiologischen Studien der vorangegangenen Jahre die praktischen Fächer hinzuzufügen, hatte ich mir für diese zur Regel gemacht, Theorie und Praxis wo immer möglich zu verbinden. Bei den praktischen Fächern, besonders bei der inneren Medizin, schien mir das um so mehr erforderlich, als Hilfsmittel, wie sie die naturwissenschaftliche Abbildung der Objekte gewährt, hier nicht zu Gebote stehen. Die Beschreibung eines Krankheitsfalles ist kaum imstande, einen auch nur irgend zureichenden Ersatz der Wirklichkeit zu gewähren, denn sie setzt zwei Wirklichkeiten voraus: die Krankheitserscheinungen am lebenden Körper und die pathologischen Veränderungen an den durch sie affizierten Organen. Eine Vorlesung über Pathologie ist also im Grunde eine Anweisung auf Dinge, deren jedes besonderer Objekte und Hilfsmittel bedarf. In meiner Studienzeit pflegte nun meist die Pathologie zuerst in Vorlesungen behandelt zu werden, diesen ließ der Mediziner ein klinisches Semester folgen, in welchem er an das Krankenbett geführt wurde, um das ein Semester vorher Gehörte selbst zu sehen. Daran reihte sich noch ein Semester später ein Kursus an der Leiche, bei dem er Sektionen der verstorbenen Kranken ansehen durfte. Die zu diesen Sektionen gegebenen Erläuterungen bildeten zugleich eine Art Repetitorium zu den vorangegangenen Lehrkursen im Hörsaal und am Krankenbett. Das war eine zeitraubende und für[80] die rein theoretischen Vorträge ziemlich unnütze Zerstückelung des Stoffs. So habe ich sie denn auch für mich selbst von Anfang an abgeschafft, um mindestens die zwei ersten unter diesen drei Kursen sofort zu verbinden, woran sich dann der dritte, der pathologisch-anatomische, von selbst anschloß. Hierdurch war dieselbe Verbindung hergestellt, die meines Wissens seitdem fast überall üblich geworden ist, nur daß gegenwärtig die vorbereitenden Fächer der Anatomie und der Physiologie zu kurz kommen.
Diesem Streben, durch eigene Erfahrung einen Einblick in die verschiedenen hier einander durchkreuzenden Gebiete der Pathologie zu gewinnen, kam nun zunächst ein zufälliges Ereignis zu Hilfe, das mit meinem Eintritt in die praktischen Fächer zusammenfiel. Es bestand in einer Preisaufgabe, welche die Heidelberger medizinische Fakultät für den Herbst 1854 gestellt hatte. Dies war die Zeit, in welcher ich nach dem üblichen Lehrplan eben erst den Anfang der Vorlesung über Pathologie gehört hatte, in welcher mir aber sogar die pathologische Anatomie, vollends die operativen Fächer noch fremd waren. Dennoch reizte mich die Aufgabe, die eine Untersuchung der auf die Durchschneidung der Lungen-Magennerven folgenden Veränderungen der Lungen verlangte, als eine physiologische zu ihrer Bearbeitung, obgleich sie eine gewisse operative Übung an Tieren, namentlich aber pathologisch-anatomische Kenntnisse voraussetzte. Aber ich suchte mir selber zu helfen, indem ich in den geeigneten Lehrbüchern die Schilderung der Anlegung von Luftröhrenfisteln las und dann diese Operation selbst an Kaninchen ausführte, und außerdem ein antiquarisches Exemplar von Rokitanskys pathologischer Anatomie erstand, in welcher ich das Kapitel über Lungenerkrankungen gründlich studierte, um die vortrefflichen Beschreibungen dieses Autors mit meinen Beobachtungen an den operierten Tieren zu[81] vergleichen. Da die Ausführung der Experimente dringend einen Assistenten erforderte, der dem Operierenden beim Aufbinden und Festhalten der Tiere sowie bei den nach der Operation ausgeführten Temperaturmessungen und anderen Manipulationen beistand, so unterstützte mich meine gute Mutter an Stelle eines solchen. Noch schwebt mir in der Erinnerung vor, wie sie bei der Ausführung der Vivisektionen das Gesicht zur Seite wandte, um sich dem Anblick der Operation zu entziehen, dabei aber mit der größten Geduld sich die erforderlichen Fertigkeiten aneignete und schließlich das Manuskript der Arbeit ins Reine schrieb. Da von dem Lungenmagennerven direkte Nervenfasern zur Lunge gehen und außerdem solche weiter unten sich zu einem besonderen Nerven sammeln, der zurückläuft und sich in den Kehlkopfmuskeln ausbreitet, so zerlegte sich die gestellte Aufgabe von selbst in eine doppelte Experimentalreihe, von denen die eine in der Durchschneidung des Vagusstammes am Hals, die andere in der des eng der Luftröhre anliegenden Nervus recurrens bestand. Als Resultat ergab sich, daß die durch die Rekurrenstrennung bewirkte Kehlkopflähmung eine den Eintritt der Bronchien umgebende Lungenentzündung erzeugte, die ihre manifeste Ursache in den durch den gelähmten Kehlkopf eintretenden Speisemassen hatte, wogegen, wenn der Vagusstamm durchschnitten wurde, dazu eine zweite, namentlich bei jugendlichen Tieren über die ganze Lunge verbreitete eigenartige Affektion hinzukam, die ich nach meinem Ratgeber Rokitansky als eine »Atelectasis pulmonum« diagnostizierte, und die beim Menschen, namentlich bei neugeborenen Kindern, infolge mangelhaft zustande gekommener Atmung beobachtet wird.
Die Preisaufgaben der medizinischen Fakultät pflegten damals in der Klinik oder dem Institut des Professors gelöst zu werden, von dem die Aufgabe gestellt war. Der Preisträger[82] war daher in der Regel schon zuvor bekannt, und meine vorschriftsmäßig anonym eingereichte Arbeit setzte deshalb die Fakultät einigermaßen in Erstaunen. War sie doch in meiner Studierstube entstanden, ohne daß jemand außer meinem Hause davon etwas wußte. Aber da ich mit Hilfe meines Rokitansky zu genau denselben Resultaten gelangt war wie mein Konkurrent mit der Unterstützung seines Professors, so war man in einiger Verlegenheit, wer mit dem Preis zu krönen sei. Die Fakultät half sich jedoch dadurch, daß sie ausnahmsweise beiden Bewerbern den Preis erteilte. Das geschah besonders unter Befürwortung des ältesten Ordinarius, der es als ein besonderes Verdienst des unerwarteten Bewerbers ansah, daß dieser seine Schrift sowohl in deutscher wie in lateinischer Sprache eingereicht hatte. Freilich war dies nur infolge eines Mißverständnisses geschehen. Die Fakultät hatte nämlich die alte Sitte beibehalten, die Preisaufgabe in lateinischer Sprache zu stellen, wogegen die andere, sie auch lateinisch zu schreiben, längst aus der Mode gekommen war. Als ich nach Fertigstellung meiner ziemlich mühseligen Übersetzung meiner Arbeit zufällig hörte, man pflege sich schon aus Rücksicht auf die Bequemlichkeit der Fakultät mit dem deutschen Texte zu begnügen, hatte ich beschlossen, beide Versionen einzureichen, um auf alle Fälle den etwaigen Ansprüchen zu genügen.
Daß ein Autor, der in seinem Leben mancherlei Arbeiten zum Druck befördert hat, durch keine spätere mehr in gleichem Grade erfreut wird wie durch die ersten, ist eine bekannte Erfahrung. Von meiner Arbeit über die Durchschneidung des Vagus gilt das aber in besonderem Grade, weil sie zu einem Briefwechsel mit Johannes Müller führte, dem ich mein deutsches Manuskript zur Aufnahme in das von ihm herausgegebene »Archiv für Anatomie und[83] Physiologie«, die angesehenste physiologische Zeitschrift, übersandt hatte, und weil Johannes Müller sie mit einigen anerkennenden Worten in den Jahrgang 1855 dieser Zeitschrift aufnahm.
In Heidelberg trat ich nach dieser privaten vivisektorischen Vorbereitung als Schüler in den gesamten Lehrumfang des zu seiner Zeit hauptsächlich als pathologischer Anatom geschätzten Klinikers Ewald Hasse ein. Seine Vorträge zeichneten sich durch große Klarheit aus. Besonders aber seine Sektionen und Demonstrationen an der Leiche waren mustergültig, und ihr Wert erhöhte sich dadurch, daß jeder dieser Vorträge ein in sich zusammenhängendes Ganzes bildete, was die Nachteile der in dem damaligen Lehrplan liegenden Zersplitterung der Fächer wieder einigermaßen aufhob. Instruktiv für den späteren Arzt war es auch, daß er die ambulatorische Klinik selbst abhielt, so daß sein Unterricht durch die Einführung in jenen Wechsel zwischen verschiedenen Formen der Krankenbehandlung, genau wie sie im täglichen Leben vorkommt, weit mehr ein Bild der Wirklichkeit bot, als es bei der Verteilung der inneren Medizin auf mehrere Personen der Fall zu sein pflegt.
Einen vollen Gegensatz zu dieser der Wirklichkeit angepaßten vielseitigen Lehrweise Hasses bildete die gewissermaßen dem Lebensalter dieser Kliniker entsprechende des Professors der Chirurgie. Hasse gehörte zu den jüngeren Ordinarien. Ein geborener Sachse, war er ein Jahr vorher von Zürich, dieser Anfangsprofessur so vieler deutscher Gelehrter, nach Heidelberg berufen worden, und er stand besonders in der Therapie noch inmitten der jüngeren Generation. Diese war aber eine vorwiegend skeptische. Bei den inneren Krankheiten überließ man diese womöglich sich selbst oder begnügte sich mit der Anwendung von äußeren Mitteln, namentlich von Gegenreizen. Die »Moxa«, ein auf die Haut[84] gesetzter brennender Zylinder, der sich tief bis in das Unterhautgewebe einbrannte, war ein Gegenreiz, mit dem Hasse selbst bei verschiedenen Leiden sich quälte. Die inneren Mittel, die er beim Patienten anwandte, waren großenteils bloße Scheinmittel, die er zum Zweck der Beruhigung desselben verschrieb. Ein »Decoctum Salep«, ein Aufguß der Salepwurzel, der an Heilwirkung ungefähr einer Wassersuppe gleichkommt, war bei ihm beinahe zum Universalmittel geworden. Das Wesentliche der Medizin bestand ihm aus Diagnose und pathologischer Anatomie, die eigentlich wissenschaftliche Grundlage allein aus dieser. Der Chirurg Chelius dagegen, der sich bereits den Achtzig näherte, war der älteste aktive Lehrer der Universität. Er vertrat aber nicht bloß die eigentliche Chirurgie, sondern auch die Augenheilkunde nebst den übrigen heute als Dependenzen der Chirurgie von ihr gesonderten Pathologien der Ohren, der Nase sowie der noch jetzt ein schwankendes Dasein zwischen Spezialfach und Teil der gesamten inneren Medizin führenden Sondergebieten der Haut, des Magens, der Kinderkrankheiten usw. Alles das war noch zu einem einzigen großen Gebiet verbunden, wobei dann freilich die älteren Ärzte von den damals bereits üblichen diagnostischen und zum Teil auch therapeutischen Hilfsmitteln meist keinen Gebrauch machten. Chelius nahm vielleicht sogar darin eine Ausnahmestellung ein, daß er erklärte, ein einzelner Fall würde sich zur Untersuchung mit dem Augenspiegel eignen, wenn nicht dieser eine zu gefährliche Reizung des Auges verursachte. Einen Augenspiegel zu sehen bekamen wir Schüler aber niemals. Um so reicher war der Vorrat an Arzneimitteln, teils vegetabilischer, teils mineralischer Abstammung, über den er verfügte, die übrigens meist seit alter Zeit unter einem einheitlichen Namen in den Apotheken vorrätig waren. So war ein besonders beliebtes Mittel ein gewisses »Pulvis antiscrophulosus«, das[85] aus einigen zwanzig Stoffen, großenteils Kräutern, zusammengesetzt war, als einen wesentlichen Bestandteil aber außerdem die Asche alter verbrannter Schuhsohlen enthielt.
Auch Chelius trug die Chirurgie teils rein theoretisch in einer sechsstündigen Vorlesung vor, teils demonstrierte er sie am Krankenbett, wobei jedoch die Operationen sein ihm assistierender Sohn ausführte. Charakteristisch waren dabei die Krankenbesuche, bei denen sich ihm eine Schar studentischer Schüler als Zuhörer anschloß. Freilich verhielt sich Chelius bei diesen in der Regel vollkommen schweigend, daher denn auch seit Jahren die chirurgische Klinik den Namen der »Stillen Klinik« bei den Studierenden führte. Etwas anders ging es allerdings in der meist von Landleuten der Heidelberger Umgebung besuchten ambulatorischen Klinik zu. Hier bot die Unterhaltung zwischen Chelius und dem ländlichen Patienten einen eigenartigen Genuß, man könnte sagen, sie war eine Abart des Sokratischen Gesprächs, die auch der Sokratischen Ironie nicht entbehrte. Diese ergötzlichen Bestandteile des Unterrichts zeigten, daß diese Klinik dereinst einmal bessere Tage gesehen hatte, aber sie zeigten auch deutlich die Folgen, die das Altwerden im Beruf mit sich führt, und die beim Arzt nur vielleicht auffallender zutage treten als sonst, weil der ärztliche Beruf als Nebenbestandteil eine vulgäre Konversation zwischen Arzt und Patient mit sich führt, die bei allmählich erlahmender Energie schließlich als der einzige Bestandteil übrig blieb. Dieselbe Alterserscheinung findet sich natürlich im Grunde ebenso innerhalb anderer Berufe, aber sie ist wegen der aus Wissenschaft, Kunst und Leben zusammengesetzten Beschaffenheit des ärztlichen bei ihm wohl auffälliger als bei irgendeinem anderen. Er fordert teils eine Schärfe der Sinne, teils technische Fertigkeiten, denen im allgemeinen der Mensch nur in der Jugend vollkommen gewachsen ist,[86] und die er sich bis zu einem gewissen Alter erhalten kann, wenn er sie einmal erworben hat, aber nicht mehr erwerben kann, wenn er sie verloren hat. Dies bringt es mit sich, daß der Wandel der Wissenschaft hier im allgemeinen die ältere Generation schneller als anderwärts hinter ihrem Fortschritt zurückbleiben oder auch von ihr der Untauglichkeit der neuen Hilfsmittel zuschreiben läßt, was in dem Versagen der eigenen Kräfte seinen Grund hat. Daneben gehen dann aber noch Wandlungen der allgemein verbreiteten Anschauungen einher, an denen alt und jung teilnehmen. So ist dem skeptischen Charakter, den die innere Medizin in meiner Jugend besaß, ein Zeitalter verschwenderischer Therapie vorangegangen und, soweit ich es aus einiger Ferne beobachten kann, nicht minder nachgefolgt. Beidemal jedoch unter verschiedenen Bedingungen, zwischen denen eben die skeptische Therapie eine Art Übergang bildete. Der Arzt der alten Schule mußte sich aus den in der Natur vorkommenden Stoffen als echter Pharmazeut seine Heilmittel selbst zusammensetzen, und er griff daher zu möglichst vielen auf einmal. Nachdem die Pharmazie zu einem bloßen Anwendungsgebiet der Chemie geworden ist, bietet ihm das chemische Laboratorium Präparate dar, die in konzentrierter Form und womöglich als rationell zusammengesetzte chemische Verbindungen sofort komplizierte therapeutische Wirkungen hervorbringen, so daß der Reichtum, mit dem der pharmazeutische Markt mit neuen und immer neuen Mitteln überschwemmt wird, zu einem Experimentieren mit den Produkten dieses Marktes anspornt. So traten die beiden Perioden jenseits und diesseits jener skeptischen Zwischenzeit nach ihren Mitteln in einen scheinbaren Gegensatz zu einander, während sie in ihren Zwecken zusammengingen.
Erscheinungen dieser Art sind, wie gesagt, typisch, aber das ärztliche Gewerbe bietet sie in einer durch die Gebundenheit[87] der Hilfsmittel und Methoden an bestimmte äußere Bedingungen besonders augenfälligen Form dar. Diese Bedingungen konzentrieren sich in der vollendeten Anpassung der Behandlung an die Persönlichkeit des Patienten, die in erster Linie in dem äußeren, von den eigentlich medizinischen Hilfsmitteln unabhängigen Verkehr mit demselben zum Ausdruck kommt. Sie sind es, die dem Arzt den Ruf des »großen Arztes« zu verschaffen pflegen und die dieser Bezeichnung ein gewisses Recht verleihen, denn es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die der Seite des sozialen Verkehrs zugehörige rein humane Behandlung, die den Menschen nach seinen persönlichen Eigenschaften abschätzt, ungefähr ebenso einen wichtigen Teil des ärztlichen Berufs bildet, wie etwa der Erziehungsberuf nicht bloß im Unterrichten des Schülers, sondern in den mannigfaltigsten Beziehungen des Zusammenlebens mit ihm seinen Ausdruck findet. In diesem Sinne konnte man von dem alten Chelius sagen: er war ein vollendeter ärztlicher Pädagoge, und wenn seine Schüler in dieser Richtung seinem Vorbild einigermaßen nahezukommen vermochten, so hatten sie mehr erreicht, als was ihnen ein noch so vortrefflicher medizinischer Unterricht zu bieten vermochte. In dieser Beziehung bildeten aber gerade Hasse als Typus des modernen Arztes, der die ländlichen Patienten durch seine rauhe, die städtischen durch seine ironische Behandlung mehr abzuschrecken als ihr Vertrauen zu erwecken wußte, und Chelius als Typus des alten welterfahrenen Arztes, der durch seine vortrefflich dem Charakter angepaßte Behandlung das Vertrauen des Patienten, welcher Klasse von Menschen dieser auch angehörte, zu gewinnen verstand, vollendete Gegensätze. Für die Nachteile und die Vorzüge, die das Alter und die Jugend im Verhältnis zueinander bieten und die sich bis zu einem gewissen Grade ausschließen, waren sie glänzende Beispiele.[88]
Der Vertreter des dritten medizinischen Hauptfachs war ein aus Prag berufener Dozent, der ohne besondere wissenschaftliche Verdienste, aber durch diejenige Eigenschaft sich auszeichnete, die in jenen Tagen zahlreiche Deutsche auf einige Semester als Studierende nach der deutschen Universität in Prag wandern ließ: durch die vortreffliche Schulung, die die Prager Fakultät ihren Zöglingen gewährte. Was mehr als diese im wesentlichen noch heute bestehende Teilung in diese drei Hauptfächer die medizinische Fakultät vor 70 bis 50 Jahren von der heutigen unterschied, das waren jedoch die Nebenfächer, die sich nicht bloß durch die Gebundenheit an bloße Privatdozenten oder Extraordinarien, sondern auch durch ihren Inhalt von den heutigen entfernten, obgleich leise Anfänge zu dem gegenwärtigen Zustand bereits im Entstehen begriffen waren. Damals trugen die Nebenfächer der Hauptsache nach den durch diesen Namen ausgedrückten Charakter mit Recht auch insofern, als sie jedem der drei Hauptfächer als Hilfsgebiete beigeordnet waren, die die Bildung des Arztes in ihrem ganzen Umfang vervollständigten. Das waren Geschichte der Medizin, gerichtliche Medizin, Kinderheilkunde, Tierheilkunde, medizinische Botanik und ähnliche. Der Vorrang, den sich schon in jenen Tagen die österreichische Schule errang, beruhte zu einem wesentlichen Teile darauf, daß in Prag und Wien zuerst der Übergang zu dem heutigen System in der selbständigen Abzweigung einzelner Gebiete, wie der Augen-, der Ohrenheilkunde, der Hautkrankheiten usw., hervortrat, ein System, welches in seiner konsequenten Durchführung schließlich die ganze Medizin in eine Reihe von Spezialitäten zu sondern droht, wie das in den großen amerikanischen Städten zum Teil bereits eingetreten ist. In meiner Jugend war das ältere Prinzip noch das vorwaltende, das neue ist erst allmählich hinzugekommen. Jenes hatte dazu geführt, daß die[89] älteren Nebenfächer zu einem großen Teil in den Händen von praktischen Ärzten blieben, die eine Nebenstellung als Dozenten für die betreffenden Gebiete erhielten. Erst der Übergang der Nebenfächer aus den Allgemeingebieten in Teilgebiete hat die wichtigeren unter ihnen meist im Anschluß an gewisse spezifische Methoden, wie die Augenheilkunde an den Augenspiegel, in selbständige Ordinariate verwandelt und dadurch das alte System zum Wanken gebracht.
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