Meissner, Frau Fanny

[30] *Meissner, Frau Fanny, Wien XVIII, Währing, Weinhauserstrasse 47, geboren am 10. Oktober 1841 zu Graz, in Steiermark, als Tochter des Skriptors an der dortigen Johanneumbibliothek, übersiedelte sie im 2. Lebensjahre mit ihren Eltern nach Wien, wo ihr Vater, der durch die Auffindung und Herausgabe der »Deutschen Gedichte des 11. und 12. Jahrhunderts« bekannt gewordene Germanist Dr. Josef Diemer bald zur Leitung der k. k. Wiener Universitätsbibliothek berufen wurde, und als Regierungsrat und Mitglied der Akademie der Wissenschaften 1869 starb. Im Gebäude der Universitätsbibliothek, mitten unter Büchern aufgewachsen, entwickelte sich bei F. M. bald eine grosse Lernlust und früh versuchte sie sich mit kleinen schriftstellerischen Arbeiten, Recensionen etc., die in periodischen Druckschriften erschienen. Ihr Talent wurde von ihrem Vater, dem sie ab und zu bei seinen gelehrten Arbeiten helfen durfte, durch sorgfältig gewählte Lehrer und Lektüre gepflegt. Am 19. September 1863 vermählte sie sich mit Dr. Leopold Florian Meissner, Polizeikommissär, späteren Hof- und Gerichtsadvokaten, welcher im Jahre 1895 als Regierungsrat starb. Diese Ehe war eine äusserst glückliche, blieb aber ohne Kindersegen. Was der Vater zur Ausbildung der Tochter begonnen, setzte der Gatte fort, letzterer war selbst Schriftsteller. Dabei war er aber neben seinem Berufe im öffentlichen Leben, als langjähriger Bürgermeister Stellvertreter des bedeutenden ehemaligen Wiener Vorortes Währing unermüdlich thätig. Infolge dieser Stellung des Mannes musste die Gattin dem Vereinsleben der Reichshauptstadt ihr Interesse zuwenden. Sie gründete im Jahre 1882 den Zweigverein Währing vom roten Kreuze, zu dessen Präsidentin sie gewählt wurde, die Frauenortsgruppe des deutschen Schulvereines in Währing, half die der innern Stadt errichten. Aber auch andere Pflichten hatte sie zu erfüllen. Im Jahre 1889 erkrankte ihr Gatte an einem unheilbaren Rückenmarkleiden, erblindete und erlahmte. Seine Gattin pflegte ihn und wurde seine geistige Mitarbeiterin, da er ihr in diesem Zustande seine Erinnerungen, die gesammelt bei Reclam, unter dem Titel »Aus den Papieren eines Polizeikommissärs« erschienen sind, in die Feder diktierte. Nach dem am 29. April 1895 erfolgten Tode ihres Gatten gab sie dessen in Wien so bekannten »Weihnachtsspiele« heraus und widmete sich mit doppeltem Eifer dem Vereinsleben. Angeregt durch die Bewegung der Frauen im Deutschen Reiche, gelegentlich der Debatten im Reichstage über das neue deutsche bürgerliche Gesetzbuch wandte sie ihr Auge auf die Rechtsverhältnisse der Frauen Österreichs und verfasste den[30] Vortrag: »Frauenrecht in Österreich«, welchen sie in Berlin anlässlich des I. Internationalen Frauenkongresses am 25. September 1896 gehalten hat. Vorher schon hatte sie zu Gunsten der Vereine vom roten Kreuze und des Deutschen Schulvereines Vorträge gehalten, welche der »Deutsche Verein zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse« in Prag veröffentlichte. Sie führen den Titel: Krankenpflege im Kriege und die Hilfeleistung der Frauen, und: Die deutsche Volksschule in ihren Anlangen bis zu Maria Theresia und Friedrich dem Grossen. Ausser diesen Arbeiten erschienen teils politische, teils historische Aufsätze aus ihrer Feder in verschiedenen Tages- und Wochenblättern Wiens. Seit 1896 ist sie auch in den Ausschuss des Wiener Frauenerwerbvereins getreten. Ihre schriftstellerischen Arbeiten sind durch historische Treue, Gründlichkeit und lebhafte Darstellungsweise ausgezeichnet. Sie lebt als Witwe in ihrem kleinen Hause und Garten in Währing.

‒ Die deutsche Volksschule in ihren Anfängen bis zu Maria Theresia u. Friedrich den Grossen. 8. (22) Prag 1887, Deutscher Verlag. –.30

‒ Die Krankenpflege im Kriege u. die Hilfeleistung der Frauen von den ältesten Zeiten bis zum Vertrage von Genf. 8. (19) Ebda. –.30

Quelle:
Pataky, Sophie: Lexikon deutscher Frauen der Feder Bd. 2. Berlin, 1898., S. 30-31.
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