Die individuelle Seele

[174] Sie, die von den guten Eigenschaften erfüllt fruchttragende Werke tut, genießt das, was sie getan hat, sie kleidet sich in allerlei Gestalt, besteht aus den drei Bestandteilen (Gunas) und wandert, je nach ihren Werken, als Herr des Lebens auf dreifachem Pfad1.

Wie ein Daumen groß, wie die Sonne gestaltet, mit Willen und Ichbewußtsein ausgestattet, mit der Eigenschaft der Vernunft und der des Selbst erscheint der andere (das individuelle Selbst) wie die Spitze einer Ahle groß.

Wenn man die Spitze eines Haares hundertfach spaltet und ein Hundertstel in hundert Teile teilt, solch ein Teilchen, wisse, ist die individuelle Seele. Und dieselbige ist zu unendlicher Größe fähig.

Nicht ist sie Frau, noch Mann, noch Sache. Welchen Körper auch immer sie annimmt, mit dem vereint sie sich [dazu wird sie].

Infolge der Verblendung durch Willen, Gefühl, Sehen erlangt die Seele auf dem Wege über Speise, Trank, Regen2 Entfaltung und Geburt3 und geht, entsprechend ihren Werken, in den Stätten der Reihe nach in die Körper ein.

Die Seele wählt nach ihren Eigenschaften viele feine und grobe Körper. Aus den Eigenschaften ihrer Handlungen und ihres Inneren ergibt sich ein neuer Grund der Verkörperung4.


Erlösung


Der wird von allen Banden befreit, der inmitten des Wirrsals den end- und anfanglosen Schöpfer aller Dinge erkannt hat, den allgestaltigen Gott, der allein alles umhüllt.

Die ihn kennen, der vom Herzen zu erfassen ist, der ›der Nestlose‹ heißt, Werden und Vergehen schafft, den Shiva, der die (sechzehn) Bestandteile (des Menschen) schafft, die verlassen den Leib.


(7-14)

1

Röer: ›Tugend, Laster, Kenntnis‹; Deussen: ›Weg der Götter, Manen, Erlösung‹.

2

Siehe oben über die Herabkunft auf dem Wege durch den Regen und Essen der Speise S. 96.

3

Ich lese vermutungsweise âttavivriddhijanmâ statt âtmavivriddhijanma.

4

samyogaḥ.

Quelle:
Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brâhmanas und Upanishaden. Düsseldorf/Köln 1958, S. 174-175.
Lizenz: