Fünfter Gesang.

[44] Arjuna sprach


Du lobst Entsagen jeder Tat und lobst doch ihre Übung auch –

Was ist das Bess're von den zwei'n? Das sage klar entschieden mir.


Der Erhabene sprach


Entsagen sowie Übung auch der Tat, sie bringen beide Heil,

Doch höher als Entsagung noch wird die Übung der Tat geschätzt.

Das ist der stets Entsagende, der nichts hasset und nichts sich wünscht,

Denn von den Gegensätzen frei1, kommt leicht er von der Fessel los.

Denken und Andacht2 scheiden nur die Toren, doch die Weisen nicht;

Wer ganz sich nur dem einen weiht, erlanget aller beider Frucht.

Durch Denken und durch Andacht wird derselbe Standpunkt doch erreicht;

Denken und Andacht sind nur eins, – wer das erkennt, hat recht erkannt.

Doch Entsagung, Großarmiger, wird ohne Andacht3 schwer erreicht;

Der Weise, der in Andacht lebt, erreichet auch die Gottheit4 bald.

Der Andacht lebend, reingesinnt, bezähmend Geist und Sinne ganz,

Mit aller Wesen Seele eins – wird er, auch handelnd, nicht befleckt.

»Ich tu doch nichts!« so denken darf der fromme, wahrheitskund'ge Mann,

Ob er auch sieht, hört, fühlt und riecht, ob er auch ißt, geht, atmet, schläft;

Ob er auch spricht, entleert, ergreift, die Augen öffnet oder schließt,

Er weiß: die Sinne müssen sich bewegen in der Sinnenwelt.

Wer handelt ohne jeden Hang und all sein Tun der Gottheit weiht,

Wird durch das Böse nicht befleckt, wie's Lotusblatt durchs Wasser nicht.[45]

Mit ihrem Leib, Sinn und Verstand, und mit den Sinnen ganz allein,

Tun die Andächt'gen jede Tat, ganz ohne Hang – um rein zu sein.

Wer fromm aufgibt die Frucht der Tat, erlangt die höchste Seelenruh,

Wer unfromm hängt an dem Erfolg, wird durch begehrlich Tun verstrickt.

Bewußt aufgebend alles Tun, sein selber Herr, sitzt glücklich da

In der neuntor'gen Stadt5 der Geist, nichts tuend, nichts veranlassend.

Nicht Täterschaft, noch Taten auch schafft Er, der Herrscher dieser Welt,

Noch den Kontakt von Tat und Frucht, – da waltet vielmehr die Natur.

Nicht irgend jemands böse noch auch gute Tat nimmt an der Herr6, –

Das Wissen liegt in Finsternis, und dadurch wird der Mensch betört.

Doch wem Unwissenheit zerstört durch Erkenntnis des Atman ist,

Des Wissen läßt der Sonne gleich helleuchtend schaun das höchste Heil.

Dies kennend, mit ihm wesensgleich, ruhend auf ihm, ergeben ihm,

Geht man und kommt nicht wieder her, durch Wissen frei von aller Schuld.

Ein Priester, welcher weis' und fromm, ein Elephant und eine Kuh,

Ein Hund, ein Hundeesser selbst – dem Weisen sind sie alle gleich.

Die haben hier den Himmel schon7, die ganz gleichmütig sind gestimmt;

Sündlos, gleichmütig Brahman ist, darum in Brahman ruhen sie.

Nicht freut er über Liebes sich, erschricket vor Unliebem nicht,

Wer starken Geistes, unbetört, das Brahman kennt und ruht in ihm.

Nicht hängend an der Außenwelt, findet er in sich selbst das Glück;

Wer andachtsvoll nach Brahman strebt, erlangt ein unvergänglich Glück.

Denn der Genuß der Außenwelt trägt schon in sich des Schmerzes Keim,

Wie er entsteht, vergeht er auch – der Weise freut daran sich nicht.

Wer, eh er sich vom Körper löst, den Gier- und Zorngebornen Drang

Zu bezwingen imstande ist, der Mann ist fromm und glücklich der.

Wer in sich selbst beglückt, selig, von innrem Licht erleuchtet ist,

Der Fromme wird zum Brahman selbst und wird im Brahman ganz verwehn.

Im Brahman ganz verwehen sie, die Weisen, die, von Sünden rein,

Sich zügelnd, frei von allem Streit, an aller Wesen Heil sich freun.

Asketen, die den Sinn bezähmt, von Gier und Zorn sich ganz befreit,[46]

Des Atman Wesen kennen, die sind dem Verwehn in Brahman nah.

Sich lösend von der Außenwelt, starr auf die Nasenwurzel schau'nd,

Den Hauch und Aushauch regelnd gleich, die durch der Nase Innres gehn;

Zügelnd die Sinne, Herz und Geist, ganz der Erlösung zugewandt,

Befreit von Wünschen, Furcht und Zorn, – so ist für immer er erlöst.

Mich kennend als den Herrn der Welt, dem Opfer und Askese gilt,

Der aller Wesen wahrer Freund, gelangt zum Seelenfrieden er.

1

nirdvanda »ohne die Gegensätze, frei von den Gegensätzen«, vgl. oben Gesang 4, 20. 22 Anm.

2

Denken und Andacht – der Text sagt hier wie auch im folgenden Verse Sânkhya und Yoga, es handelt sich aber nicht um die so benannten späteren Systeme der Philosophie, sondern – wie schon unsere Einleitung zu zeigen suchte – um einen doppelten Weg zu dem gleichen Ziele der Gotteserkenntnis und allendlichen Vereinigung mit der Gottheit, und zwar 1) den Weg der Reflexion, des reflektierenden Denkens, Sânkhya, den ich kurzweg durch »Denken« wiedergebe, und 2) den Weg der andächtigen Verinnerlichung, der Konzentration, Kontemplation, der energisch auf das Höchste gerichteten Andachtsstimmung, Yoga, welche ich ebenso kurzweg als »Andacht« bezeichne. Der gottsuchende Philosoph wie der gottergebene Fromme, der sich in Gott versenkt und alles in Gott tut – sie streben demselben Ziele zu, und in diesem Sinne darf Denken und Andacht für eins gelten.

3

Unsere Sprache versagt hier, wie auch sonst bisweilen bei der Übersetzung und macht eine wirklich genau entsprechende Wiedergabe des Originals unmöglich. Im Sanskrit des Urtextes ist es ein und das selbe Wort – Yoga, eig. die Anspannung –, welches die energische Übung (der Tat), in Vers 1 und 2, und die Andacht, hier und im Folgenden, bezeichnet. Es ist im Grundbegriff eine energische Bemühung, exercitatio, exercitium – etwa wie bei uns Exerzieren, Exerzitien von der Arbeit der Soldaten und Schüler gebraucht wird, aber auch von angestrengten Andachtsübungen, wenigstens bei den Katholiken.

4

Hier, wie auch in Vers 10, habe ich das im Text befindliche Wort Brahman durch »die Gottheit« wiedergegeben.

5

D.h. in dem Leibe.

6

D.h. der Herr der Welt, Gott, Brahman, mit dem im Grunde unser Geist identisch ist. Den ewigen Geist, die Weltseele, berühren weder gute noch böse Taten, die dringen gar nicht bis zu ihm hin, er nimmt sie nicht an oder auf, oder – wie Deussen sagt – erkennt sie nicht als sein an.

7

Ich lese mit Böhtlingk und Garbe svargo.

Quelle:
Bhagavadgita: Des Erhabenen Sang. Jena 1959, S. 44-47.
Lizenz:

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