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An den Urmenschen (púruṣa). Das Lied gehört zu denen, die am spätesten in die ursprüngliche Sammlung des Rig-Veda eingeschoben sind. Entscheidend dafür ist besonders Vers 9, welcher schon die drei ältesten Veden (ṙg-, sāma-, yajur-veda) als bekannt voraussetzt und sie mit den üblichen Namen benennt, ja auch wol durch den vierten Namen chándáṅsi (Zauberlieder) auf die Anfänge des Atharva-Veda hinweist. Ausserdem zeugen für ein sehr spätes Alter die Erwähnung und Benennung der vier Kasten (in V. 12), ebenso die Sprache und die wunderlichen kosmogonischen Phantasien. Das ganze Lied hat den Charakter der spätern Lieder des Atharva-Veda.


1. Tausendköpfig war der Urmensch, tausendäugig, tausendfüssig; nachdem er die Erde von allen Seiten überdeckt hatte, ragte er noch zehn Finger lang darüber hinaus.

2. Der Urmensch ist alles dies, was gewesen ist, und was sein wird; er gebietet über das Unsterbliche, was durch Speise [Opferspeise] noch höher wächst [herrlicher wird].

3.24 So bedeutend ist seine Grösse, und noch grösser ist der Urmensch; ein Viertel von ihm sind alle Geschöpfe, und drei Viertel von ihm die Welt der Unsterblichen im Himmel.

4. Mit drei Vierteln ging der Urmensch oben hinauf, ein Viertel von ihm erschien wieder hier, dann verbreitete er sich über alles, was Speise geniesst, und was sie nicht geniesst.

5. Von ihm ward der Allherrscher [virâj] geboren und vom Allherrscher der Urmensch. Als er geboren war überragte er die Erde von hinten und von vorn.

6. Als die Götter ihr Opfer mit dem Urmenschen als dem Opfertrank kunstvoll bereiteten, da war der Frühling sein Opferschmalz, der Sommer sein Brennholz, der Herbst sein Opfertrank.

7. Diesen zuerst geborenen Urmenschen benetzten sie als ihr Opfer auf der heiligen Streu; durch ihn opferten die Götter die Sādhja's [die zu gewinnenden] und die Rischi's.

8. Aus diesem vollständig dargebrachten Opfer sammelte sich das triefende Opferschmalz; er schuf die Thiere der Luft, der Wälder und der Dörfer [die Hausthiere].

9. Aus diesem vollständig dargebrachten Opfer entsprangen die Hymnen [des Rig-Veda ŕcas], die Gesänge [des Sāma-Veda sâmāni], aus ihm entsprangen die Zauberlieder [chándānsi siehe oben], aus ihm die Opfersprüche [des Jadschur-Veda yájus].

10. Aus ihm entsprangen die Rosse und alle mit zwei Zahnreihen versehenen Thiere; aus ihm entsprangen die Rinder, aus ihm die Ziegen und Schafe.

11. Als sie den Urmenschen umgestalteten, wie vielfach wandelten sie ihn um? Was ward sein Mund? was seine Arme? was seine Schenkel? wie wurden seine Füsse genannt?

12. Sein Mund ward zum Brahmanen, seine Arme zum Rādschanja, seine Schenkel zum Vaiçja, aus seinen Füssen entsprang der Çūdra.

13. Aus seinem Geiste entsprang der Mond, aus seinem Auge[486] die Sonne, aus seinem Munde Indra und Agni, aus seinem Athem der Wind.

14. Aus seinem Nabel ward die Luft, aus seinem Kopf entstand der Himmel, aus seinen Füssen die Erde, aus seinem Ohr die Weltgegenden; so bildeten sie die Welten.

15. Sieben Umschlusshölzer waren ihm, dreimal sieben Schichten des Brennholzes wurden bereitet, als die Götter, das Opfer ausrüstend, den Urmenschen als Opferthier anbanden.

16. = 164, 50. Durch Opfer opferten die Götter das Opfer; das waren die ersten Bräuche; sie, die erhabenen, gelangten zum Gipfel des Himmels, wo die alten zu gewinnenden [sādhyās] Götter sind.

Quelle:
Rig-Veda. 2 Teile, Leipzig 1877, [Nachdruck 1990], Teil 2, S. 486-487.
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