Die Erhöhung der Tschēu-Dynastie.

[401] Erhaben ist der Höchste HErr,

Und schaut herab in hehrer Macht.

Er blickte forschend auf das Reich,

Ob Ruh' den Völkern sei gebracht;

Doch diese beiden Herrscherhäuser,1

Ihr Walten fand er ungeschlacht.

Und durch die andern Länder alle,

Da sucht' er um, da nahm er Acht.

Der Höchste HErr, als er gefunden,

Verwarf er die sich groß gemacht;

Und blickte gnädig auf den Westen,

Den er als Wohnsitz zugedacht.2


Da rodet' er, zernichtet' er3

Das todte Holz, das umgestürzte;

Da ordnet' er, da richtet er

Das Dickicht und das Wildverschürzte;

Da öffnet' er, da trieb er ab

Das Weidicht und das harte Rohr;

Da lichtet' er, da hieb er ab

Waldmaulbeerbaum und Sykomor.

Der HErr bracht' her die lichte Tugend:

Die wilden Kuán, sie mußten flieh'n.

Der Himmel setzt' ihm die Genossin,

Fest stand das Amt schon, ihm verlieh'n.
[402]

Der HErr sah nieder auf's Gebirg:

Und Eich' und Dorn, fort waren sie,

Pfad ließ Cypress' und Fichte hie.

Da hub der HErr das Land, hub, dem er's lieh,4

Vom Fürsten Thái an und vom König Kí.5

Es war ja dieser König Kí

Voll Herz, darum auch bruderhold;

Drum hold dem ältern Bruder sein,

Drum mehrt' er seines Glücks Gedeih'n;

So wußt' er Glanz ihm zu verleih'n.

Ihm ward der Rang; nichts büßt' er ein;

Bald waren alle Lande sein.6


Es war ja diesem König Kí

Vom HErrn ein weises Herz verlieh'n,

Daß still sein Tugendruhm gedieh'n.

Denn seine Tugend war Erkennen,

Sie war Erkennen, war Entscheiden,

Sie war Regieren, war Verwalten,

Beherrschen dieses große Lehn,

Und Zucht und Einigkeit Erhalten.

Und es gelangt' an König Wên,

Deß Tugend niemals Reu beschwert;

Dem Segen ward vom HErrn beschert,

Der bis auf Enkel fortgewährt.


Der HErr, der sprach zu König Wên:

»Fern sei dir Abfall, Gegenwehr,7[403]

Und fern Gelüsten und Begehr!« –

Da stieg er über Alle hoch und hehr.

Das Mĭ-Volk wagte frech genung

Des großen Lands Beschädigung,

Fiel ein in Juàn und drang bis Kūng.

Der König, zürnend aufgefahren,

In Ordnung stellt' er seine Schaaren,

Zu wehren eingedrung'nen Schaaren,

Tschēu' Wol zu sichern vor Gefahren,

Und allem Reich entsprechend zu gebaren.


Nicht aus der Stadt war er gegangen,

Als wir in Juàn's Gemarkung drangen

Und uns'rer Gipfel Höh'n ersprangen.

Kein Schaaren mehr auf unsern Bergen,

Und uns die Berge, uns die Höhen!

Kein Trinken mehr aus unsern Quellen,

Und uns die Quellen, uns die Seeen!

Da wählt' er jene schöne Fläche,

Wohnt' an des Khî-Bergs Mittagswand

Und an des Wéi-Gewässers Strand,

Wo er als Merkziel jedem Land,

Dem niedern Volk als Zuflucht stand.


Der HErr, der sprach zu König Wên:

»Die lichte Tugend halt' ich werth,

Die groß Getön und Färbung gern entbehrt,

Die niemals Leidenschaft noch Laune nährt,

Die unerkannt und unverstanden

Nur nach des HErrn Gebot verfährt.« –

Der HErr, der sprach zu König Wên:

»In's Land des Feindes sollst du geh'n,

Sollst deine Brüder dir gesellen;

Sollst deine Hakenleitern nehmen,[404]

Sammt Sturmgeräth und Wagenthurmen,

Die Mauern Ts'hûng's damit zu stürmen.«8


Sturmzeug und Thurme rückten an;

Ts'hûng's Mauern stiegen hoch hinan;

Man sing die Schuld'gen, Mann bei Mann,

Und beim Entohren schonte man.9

Das war ein Weih'n, ein Opferbringen,

Das ein Gelingen, ein Bezwingen,

Daß aller Welt Gespött und Hohn vergingen.

Vor drangen Sturmzeug, Thürmewagen

An Ts'hûng's gewalt'gen Mauerkragen.

Das war ein Draufgeh'n, das ein Jagen,

Das ein Zernichten, ein Zerschlagen,

Daß aller Welt verging das Widersagen.

1

Die zwei Dynastieen Hià und Schāng waren beide gegen ihr Ende aus der Art geschlagen.

2

Nehmlich dem als Würdigen gefundenen Altfürsten Thái, der III. 1, 3 Tàn-fù heißt.

3

Dieß wird von dem Fürsten Thái gesagt, dessen Name nicht erwähnt ist, weil das Erwähnte sein allbekanntes Verdienst war.

4

Wörtlich: den »Entsprechenden«.

5

Dieser Fürst Thái war des vorigen Thái ältester Sohn, die Nachfolge aber wurde auf Kí übertragen, da dessen Sohn, der nachherige König Wên, schon damals durch seine großen Eigenschaften hervorragte.

6

Durch seinen Enkel König Wù. Die storbenen wurden so sehr als Fortlebende gedacht, daß man die Erwerbnisse ihrer Nachkommen noch als die ihrigen betrachtete. Vergl. auch Gen. 13, 15.

7

Dieß dürfte wol in Bezug auf den letzten König der Schāng-Dynastie gesagt sein, von dessen Tyrannei auch Wên schwer zu leiden hatte, den er aber deßungeachtet weder verließ noch bekämpfte.

8

Der Fürst von Ts'hûng war Wên's persönlicher Feind und hatte durch Verläumdungen dessen mehrjährige Gefangenschaft veranlaßt.

9

Den Feinden, die sich nicht ergeben wollten und deßhalb erschlagen wurden, wurde nach dem Tode das linke Ohr abgeschnitten.

Quelle:
Schī-kīng. Heidelberg 1880, S. 401-405.
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