Wittwentrauer und Wittwentreue.

[205] Das Kŏ wächst über'n Strauch herein,

Die Winde schlingt sich fort im Frei'n.1

Mein Vielgeliebter ist nicht mehr;

Wer ist noch mein? Ich bin allein


Das Kŏ am Dorn wächst kräftiglich,

Die Winde schlingt um Gräber sich.2

Mein Vielgeliebter ist nicht mehr;

Wer noch mein? Allein steh' ich.


Der Pfühl für's Haupt, so schön und fein!

So reich der Decke Stickerei'n!

Mein Vielgeliebter ist nicht mehr,

Wer ist noch mein? Mir tagt's allein.


*


Nach manchem Sommertag,

Nach mancher Winternacht,

Wol hundert Jahre hinterdrein,3

Geh' ich wo er nun Wohnung macht.4


Nach mancher Winternacht,

Nach manchem Sommertag,

Wol hundert Jahre hinterdrein,5

Geh' ich zu ihm im sein Gemach.6

1

Das schwache rankende Kŏ gedeiht nur kräftig, weil man ihm den Strauch, den Dornbusch zur Stütze giebt; die Winde, um die sich niemand kümmert im freien Felde ohne Stütze und kriecht am Boden hin, höchstens um Gräber.

2

Das schwache rankende Kŏ gedeiht nur kräftig, weil man ihm den Strauch, den Dornbusch zur Stütze giebt; die Winde, um die sich niemand kümmert im freien Felde ohne Stütze und kriecht am Boden hin, höchstens um Gräber.

3

So lange däucht ihr die Zeit bis zur Wiedervereinigung mit dem Geliebten.

4

In seiner Gruft wird sie wie eine Neuvermählte ihre Heimath finden (kuēi).

5

So lange däucht ihr die Zeit bis zur Wiedervereinigung mit dem Geliebten.

6

In seiner Gruft wird sie wie eine Neuvermählte ihre Heimath finden (kuēi).

Quelle:
Schī-kīng. Heidelberg 1880, S. 205-206.
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