[351] Weit streckt das schöne Feld sich dar,
Das tausend Zehnten bringt im Jahr.
Ich nehme was deß übrig war2
Und speise meine Bauernschaar.
Hier gab's von je ein gutes Jahr.
Zur Südflur schreit' ich nun hinan;
Da gäten sie und häufeln an.
Die Hirse wuchs, so dicht sie kann;
Und wo man weilt, wo Rast begann,
Treib' ich die Vorarbeiter an.
Mein Opferkorn hab' ich geweiht
Sammt Widdern von Untadligkeit
Der Erd' und jeder Himmelsseit';3
Mein Äcker steh'n in Üppigkeit,
Daß sich der Landmann ihrer freut.
Mit Harfen, Lauten, Paukenschlägen
Geh'n wir des Feldbau's Ahn entgegen,4
Um zu erbitten füßen Regen,
Zu mehren unsern Hirsensegen,
Des Wolergehn's von Mann und Weib zu pflegen.
[352]
Und der Urenkel kommt daher,5
Indeß der Frau'n und Kinder Heer
Zum Südfeld bringt die Speise her.
Froh naht der Vogt der Ackerer,
Nimmt links von der und rechts von der
Und kostet, ob sie schmackhaft wär'.
Der Fruchtanbau im Feld umher
Ist trefflich und ergiebig sehr.
Deß zürnet der Urenkel nicht;
Das reizt des Landmanns Fleiß noch mehr.
Steh'n dichte des Urenkels Saaten
Wie Strohdach, wie Verdeck' am Wagen,
So ragen des Urenkels Schober,
Wie Inseln und wie Hügel ragen.
Dann wird er wol nach tausend Speichern fragen,
Dann wird er suchen nach zehntausend Wagen.
Was Hirsen, Reis und Mais getragen,
Erfüllt den Landmann mit Behagen: –
»Nun sei belohnt mit großem Heil,
Mit gränzenlosen Lebenstagen!«6
1 | Der Sänger war wol ein hoher Beamter in der Landwirthschaft. |
2 | Von der vorjährigen Ernte. |
3 | Den Genien der Erde und der vier Weltgegenden. |
4 | Der Ahnherr des Feldbau's ist der fabelhafte Kaiser Schîn-nûng, dem die Erfindung des Ackerbaues zugeschrieben wird. |
5 | Der Urenkel ist der regierende Nachkomme der großen Könige. |
6 | Zuruf der Ackerleute an den König. |
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