IV. Baschkl (Bâshkala-Upanishad).

[837] Der Name dieser, nur im Oupnek'hat als Baschkl oder Baschkel erhaltenen Upanishad wird von Weber, wohl mit Recht, als Bâshkala-Upanishad gedeutet und auf die halbverschollenen Bâshkala's, eine Schule des Ṛigveda (zu dem unsere Upanishad gehören will) bezogen, wiewohl die vorliegende Upanishad keinerlei Beziehung zu dem zeigt, was über die Bâshkala's bekannt ist, auch ihrem Inhalte nach unmöglich in die Zeit zurückgehen kann, in welcher die Upanishad's, als Anhänge der Brâhmaṇa's oder Âraṇyaka's, die dogmatischen Textbücher bestimmter Vedaschulen bildeten.

Eine Shaḍv. Br. 1,1 auftauchende (vielleicht auf dem missverstandenen Verse Ṛigv. 8,2,40 beruhende, vgl. Ind. Stud. IX, 40) Legende berichtet, dass Indra Medhâtithim ha Kâṇvyâyanam mesho bhûtvâ jahâra, »in Gestalt eines Widders den Medhâtithi, Sohn des Kaṇva, entführt habe«. An diese Legende knüpft (ganz ähnlich wie die Kâṭhaka-Upanishad an die Naciketas-Legende) unsere Upanishad an, um durch den sich selbst offenbarenden Indra, welcher (ähnlich wie Kaush. 3) als Vertreter des Âtman erscheint, die wesentlichen Grundgedanken der Upanishadlehre aussprechen zu lassen. Die Form war, vielleicht bis auf die Anfangsstellen, allem Anscheine nach metrisch. Für die Abfassungszeit ist, mehr noch als die Anklänge an Ṛigv., Bṛih., Chând., Kâṭh., Çvet., charakteristisch, dass die Fünffeuerlehre (Chând. 5,10) als bekannt vorausgesetzt wird, dass der Âtman wiederholt als der »Zuschauer« (sâkshin, zuerst Çvet. 6,11) bezeichnet, und dass sogar das im Ozean brennende Feuer (Aurva) erwähnt wird, welches sonst in keiner uns bekannten Upanishad vorkommt. Möglicherweise könnte dies, wie manches andere, Zusatz des von den persischen Übersetzern mehrfach, namentlich wohl zu Anfang, eingeflochtenen Kommentars sein; zu der übergrossen Treue der Anquetil'schen Übersetzung steht in merkwürdigem Kontraste die übergrosse Freiheit, mit welcher sie den Text hier wie anderweit behandelt haben, und welche es, solange der Sanskrittext nicht gefunden sein wird, nicht möglich macht, die vorliegende Upanishad anders als wie durch einen Nebel hindurch zu sehen.


Es begab sich, dass dem Medhâtithi, dem Sohne des Kaṇva, der weise Indra in Gestalt eines Widders sich nahte und denselben wider seinen Willen emporhob und zur Himmelswelt trug. Da sprach Medhâtithi, ungehalten über seine gewaltsame[838] Entführung, zu Indra das erregte Wort: »Du weisst, wer du bist; ich weiss nur, dass du stark bist und schnell dahineilst. Wer dich so sieht, wird nicht glauben, dass du einer der Widder bist, wie sie auf der Erde wandeln, während du, ohne die Erde zu berühren, dahinfährst. Niemand vermag mit einem Körper behaftet zu den oberen Welten zu fliegen, wie du es tust. Allweise bist du, darum sage mir, wer du bist; wo nicht, so werde ich, ein Brahmane, mit meinem Zorne dich treffen.


Der mächt'ge Indra, allschauend,

Wunschgewährend, der Feinde Schar

Besiegend, alles fortraffend,

Um den das Tapas ich geübt,


Der sieht mich, wo es auch sein mag,

Er trägt den Blitz in seiner Hand,

Zu treffen den, der, abweichend

Vom Rechte, krumme Wege geht!


Nachdem ich gegen mein Wollen

In deine Hand geraten bin,

Du Wunderherr, wohin wirst du

Mich führen, und wo ist dein Reich?


Wo weilt mein Vater wohl? schläft er,

Dass er von dir, der du mich raubst,

Und von mir, den du ihm raubtest,

Keine Kunde erhalten hat?


Und die Götter im Lichthimmel,

In West und Süd, in Ost und Nord,

Und die nach oben hin wohnen,

Ob sie wissen, dass du mich raubst?


Wenn ich recht ihren Dienst übte,

Warum befreien sie mich nicht?

Worin mag ich gefehlt haben,

Dass sie jetzt mir nicht helfend nahn?«


Da lächelte Indra, und, um den Zweifel aus seinem Herzen zu verscheuchen, sprach er: »Wer, glaubst du, hält dich jetzt in Schutz und Gewahrsam? Du fühlst dich von mir bedrängt[839] und weisst doch nicht, wer ich bin, und dass ich dich nicht erlösen kann, ohne dich zu meiner Stätte zu bringen.


Ich bin es, der die Opferwerke lohnt,

Der Mantra bin ich, der das Opfer heiligt,

Das Feuer, das verzehrt die Opfergaben,

Bin ich, bin der Zuschauer aller Dinge.


Ich nähre auch die Götter; alle Welten,

Das Brahman-Ei, schuf ich als meine Stätte.

Von allem in der Welt bin ich getrennt,

Und doch auch allem in der Welt verbunden.1


Ich bin die grosse Rede, die, zerteilt,

Als mannigfache Reden sich verbreitet.2

Ich bin es, der den Dämon Vṛitra3 schlug,

Als er als Schlange im Gebirge hauste4.


Mit meinem Donnerkeile schreck' ich alle.

Ich mache Nahrung wachsen, bin der Fittich

Des Fliegenden; die Siege, welche Indra

Mit seiner Schar errang, – ich bin ihr Sieger!


Wer könnte mich erkennen, wer erklären?

Ich schlug die Feinde alle, mich schlug niemand.

Ich spende Nahrung; wer vermöchte wohl

In allen Welten meine Macht zu schauen?


Ich bin der Eine, bin das Licht, erscheine,

Durch Zauberkräfte vielfach mich gestaltend.5

Ich fürchte nichts; bin allem innerlich

Als inn'rer Lenker6, als Zuschauer7 aller.


Mich überragte keiner je an Grösse,

Ich habe Erd' und Himmel ausgebreitet.[840]

Den Weltherrn schaffe Nahrung ich durch Opfer;

Denen, die freudig opfern, spende Lohn ich.


Ich weiss der Erde Mitte, bin Urvater,

Der Vater und die Mutter dieser Welten.

Ich mache, dass es von dem Himmel regnet,

Den Tau, der aus dem Luftraum fällt, ich schaff' ihn.


Ich weiss die Veden, Opfer, die Versmasse,

Und Schätze, bin im Meere jenes Feuer (Aurva),

Das stets brennt; bin das Nâciketa-Feuer,

Das reine, das sie auf dem Altar schichten.


Ich bin die Priester, die beim Opferwerke

Am frühen Morgen, eh' die Vögel fliegen,

Die Opferspenden in das Feuer giessen

Und laut des Feuers Preis ertönen lassen.


Einrädrig ist der Wagen mit zwölf Speichen8,

Der sich im Lauf des Jahrs am Himmel umschwingt;

Die Sonne ist's, die in zwölf Monaten

Die Welt umkreist, – ich bin ihr Wagenlenker.


Und er, der Tag um Tag sein Licht vermehrt,

Anschwillt an Leib und wieder regnen lässt

Die Wasser, die des Lebens Ursprung sind9,

Ich bin auch dieses Wesen, bin der Mond.


Und er, der in der Welt der Lebewesen (jagat)

Dahinfährt zwischen ihnen, über ihnen,

Der durch das ganze Weltall läuternd streicht,

Ich bin auch dieses Wesen, bin der Wind.


Und jene, die in ihren Eingeweiden

Die Welt der Pflanzen wohlgeborgen hält,

Und sie emporschickt zur Befriedigung

Des Opferbringers, ich bin es, die Erde.


Ich bin es, der, zum Lebenshauch geworden,

Eingeht in grosse und in kleine Formen

Und hoch und tief in allen Wesen umläuft.

Wer mich im Herzensraum weiss, wird zu mir.
[841]

Fünffach und zehnfach10 bin ich, eins und tausend,

Unendlichfach in dieser Welt verbreitet.

Wer dieses weiss, wird wie ich ausgebreitet,

Wer es nicht weiss, der kennt sich selber nicht.


Nicht durch die Werke bin ich zu erlangen11,

Nicht durch Schriftwissen, nicht durch vieles Fasten,

Auch nicht durch Wohltun, vielfach ausgeübt, –

Doch alles kommt zu mir auf allen Wegen.


Wer ist's, der tötet und gefangen nimmt?

Wer ist der Widder, der dich führt von dannen?

Ich bin es, der in dieser Form erscheint,

Ich bin es, der erscheint in allen Formen.


Wenn einer fürchtet sich vor was auch immer,

Ich bin's, der fürchtet und der fürchten macht;

Doch in der Grösse ist ein Unterschied:

Ich esse alle, aber mich isst niemand.


Du hast, Medhâtithi, um meinstwillen

Viel Busse und Selbstpeinigung erduldet;

Zur Wahrheit dich, zum reinen Sein zu führen,

Bin ich als Widder zu dir abgestiegen.


Auf jenem Wege, der zur Wahrheit führt,

Auf dem sollst du zur Wahrheit jetzt gelangen:

Lichtartig bin ich, ewig, ohne Fesseln,

Was war und ist und sein wird, – ich bin alles.


Was ich bin und was du bist, ich und du

Und du und ich, das, wisse, bin ich alles!

Nicht zweifle mehr! Vordem warst du nichtwissend,

Jetzt bist erfahren du; nicht zweifle ferner!


Ich bin es, der ernährt, und der Vergeltung

An allen Werken übt, ich bin es, der

Das Weltall hält in seiner Hut beschlossen;

Ich bin zu dieser ganzen Welt gestaltet.


Als Rudra bin ich dieser Welt Zerstörer

Erschütternd alles; ich bin auch der Tod,[842]

Bin der Verhänger aller Not und Plage;

Ich bin der Herr der Welt, bin ihre Seele (haṇsa).


Von Kummer bin ich frei und frei von Alter,

Ich bin der Alte, frei bin ich von allem;

Wahrlich, ich bin das Weltall, bin das Weltall.

Ich bin es auch, der darbringt alle Opfer.


Von allen Seiten bin ich Angesicht (Ṛigv. 10,81,3),

Das All umfassend, Herr, Zuschauer bin ich.

Allgegenwärtig, gütig gegen alle,

Der Eine bin ich; was da ist, ich bin es!«


Fußnoten

1 Als der Âtman, das Subjekt des Erkennens, ist er mit allem Objektiven verbunden und steht ihm doch als ein Anderes getrennt gegenüber.


2 Vgl. Ṛigv. 10,125,3.


3 Occidens τὸν Bratr nomine schaittani.


4 Ṛigv. 1,32,2: ahim parvate çiçriyâṇam.


5 Vgl. Ṛigv. 6,47,18: Indro mâyâbhiḥ pururâpa' îyate.


6 Als antaryâmin, Bṛih. 3,7.


7 Als der sâkshin, Çvet. 6,11.


8 Vgl. Ṛigv. 1,164,2. 11 (Allg. Gesch. d. Phil. I, 108. 111).


9 Vgl. Chând. 5,3-10, oben S. 137 fg.


10 Chând. 7,26,2, oben S. 186.


11 Vgl. Kâṭh. 2,23, oben S. 275.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 837-843.
Lizenz:

Buchempfehlung

Stramm, August

Gedichte

Gedichte

Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.

50 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon