Drittes Brâhmaṇam = Gop.-B. I, 1,24-30.

[863] 24. Wir stellen Fragen über den Om-Laut:

1. Welches ist seine Wurzel?

2. Welches ist sein Stamm?

3. Welches ist seine Beziehung auf Nomen und Verbum (nâmâkhyâtam)?

4. Welches sein Genus?

5. Welches seine Aussprache?

6. Welches sein Kasus?

7. Welches sein Suffix?

8. Welches sein Akzent?

9. Welches seine Präposition?

10. Welches seine Partikel?

11. Welches seine Analysis?

12. Welches seine Umwandlung?

13. Welches sein wandelbares Element?

14. Wieviele Moren hat er?

15. Wieviele Buchstaben?

[864] 16. Wieviele Silben?

17. Wieviele Worte?

18. Welches ist seine Konsonantenverbindung?

19. Was bewirkt einen Zuwachs seines Nachhalls [lies: nâda]?

20. Seine Phonetiker?

21. Als was sprechen sie ihn aus?

22. Welches ist sein Metrum?

23. Welches ist seine Farbe?

So lauten die ersten Fragen. Nun folgen die weiteren:

24. Sein Spruch?

25. Sein Ritual?

26. Sein Brâhmaṇam?

27. Seine Ṛic?

28. Sein Yajus?

29. Sein Sâman?

30. Warum setzen die Brahmanlehrer den Om-Laut zu Anfang?

31. Was als Gottheit habend?

32. Was sein Lichtprinzip?

[865] 33. Was seine Etymologie?

34. Was sein Ort?

35. Welches sein Ursprung?

36. Welches seine Beziehung auf das Selbst?

Das sind die sechsunddreissig Fragen. Die früheren und späteren bilden drei Gruppen zu je zwölfen; nach diesen wollen wir den Om-Laut erklären.

25. Indra befragte den Prajâpati: O Heiliger, indem ich mich [durch Ergreifen des Brennholzes] weihe, befrage ich dich. – Frage, mein Lieber, so sprach er. – Was ist dieser Om-Laut? wessen Sohn ist er? was ist sein Metrum? was ist seine Farbe? und als was erreicht der Priester jenes Brahman? denn darum hat er ja jenen heilbringenden Om-Laut vorher [gleichsam] geopfert. Mit dem Svarita als Betonung und einsilbig ist der Om-Laut im Ṛigveda; mit den drei Akzenten als Betonung und einsilbig ist der Om-Laut im Yajurveda; mit langgedehnter Betonung und einsilbig ist der Om-Laut im Sâmaveda; mit kurzer Betonung und einsilbig ist der Om-Laut im Atharvaveda; mit dem Udâtta als Betonung ist er zweigliedrig, nämlich als a und u; es sind drei und eine halbe Moren, wofür in dem m-Laute die Andeutung liegt, wie man sagt (?). Was die erste Mora betrifft, so hat sie den Brahmán als Gottheit, ist rot an Farbe, und wer sie beständig meditiert, der gelangt zu der Stätte des Brahmán. Was die zweite Mora betrifft, so hat sie Vishṇu als Gottheit, ist schwarz an Farbe, und wer sie beständig meditiert, der gelangt zu der Stätte des Vishṇu. Was die dritte Mora betrifft, so hat sie den Îçâna (Çiva) als Gottheit, ist braun an Farbe, und wer sie beständig meditiert, der gelangt zu der Stätte des Îçâna. Was die dreieinhalbte Mora betrifft, so ist sie allen Gottheiten geweiht, geht, indem sie sich entfaltet, in den Äther ein und ist an Farbe einem reinen Bergkristall ähnlich; wer diese beständig meditiert, der gelangt zu der namenlosen Stätte, und sie ist der Ursprung des Om-Lautes. Wenn ein Brahmane[866] dies nicht weiss, so ist abermalige Einführung beim Lehrer [erforderlich]; darum ist das Wort unseres Brâhmaṇam in acht zu nehmen wie ein nicht anzurührender Feuerbrand (alâtavyo). Seine Familie? Er ist ein Sohn des Brahmán; sein Metrum die Gâyatrî, seine Farbe weiss. Er ist mit Vorliebe männlich [puṅso vatso?]. Rudra ist seine Gottheit. So ist der Om-Laut der Veden.

26. Welches ist seine Wurzel? Die Wurzel ist âp; einige meinen, sie sei av. Aber die Sinngemässheit liegt näher als die Formgemässheit; somit kommt es von âp und bedeutet, dass der Om-Laut alles umfasst [âp-noti]. Dass es ein Wurzelkompositum ist, entspricht der Sache. Ein Nominalthema ist nicht ersichtlich. Der Name Suffix [für m] ist zutreffend, und unter den Ausnah men erwähnen ihn die Grammatiker ausdrücklich. Er ist ein adverbielles Kompositum (avyayîbhûtam); diese Benennung ist sinngemäss und bedeutet, dass ein solches sich niemals ändert. Denn es heisst:


Was gleich sich bleibend in den drei Geschlechtern,

In allen Casibus und Numeris

Unwandelbar beharrt, heisst unflektierbar (avyayam).

(Mahâbhâshyam 1,1,38, p. 96,16).


[867] Welches als wandelbares Element kommt in Wegfall? Es findet Vokalisierung statt. Von der Wurzel âp müssen die Buchstaben â und p gewandelt werden. In seinem Anfange ist der Om-Laut umgewandelt. Das zweite Element ist der Laut m. So kommt als om der aus zwei Buchstaben bestehende einsilbige Om-Laut heraus.

27. Wieviele Moren? Der Anfang enthält drei Moren, denn zu Eingang plutiert er sich; der m-Laut ist die vierte Mora. Welches ist sein Ort? Die beiden Lippen sind sein Ort, und als den Zuwachs des Nachhalls bewirkend sind sie ein zweifacher Ort. Der Diphthong [au] und das schwach nachhallende a kommen aus der Kehle mit der erwähnten [konsonantischen] Ergänzung. Der erstere steht da, um den offenen Laut zu bewirken, der zweite [der m-Laut] steht da, um den Konsonanten zu bewirken. Eine Konsonantenverbindung ist nicht vorhanden. Was weiter Verbalform, Präposition, Gravis, Zirkumflex, Genus, Kasus und Aussprache betrifft, so hat es ehemalige ihre Beschaffenheit studierende Lehrer[868] gegeben, welche sagten: »Nur vom Hören lernt man es, nach einer Ursache fragt man nicht.« Aber der zur Gegenpartei gehörige Weise Pañcâlacaṇḍa befragte sie und sprach: »Jetzt sollt ihr mir einmal der Reihe nach und einzeln (anu u pṛiṭhag?) die Fehler aufzählen, die man beim Udgîtha begehen kann!« Darum soll man bei der Einteilung nach Buchstaben, Silben, Worten und Zeichen acht geben; damit hält man die von den Weisen wertgeschätzte Rede in Ehren. Darum erörtern wir die Ursache, indem wir glauben, dass dies zur Gesundheit der Buchstaben beiträgt, und wir, die wir die sechs Vedâ ga's kennen, studieren es in dieser Weise.

Welches ist sein Metrum? Sein Metrum ist die Gâyatrî, denn die Gâyatrî der Götter wird erklärt als einsilbig und von weisser Farbe. So weit in betreff der zwei Gruppen von je zwölfen. Dieses also ist seine Analysis, die Erklärung des Sinnes seiner Wurzel, seine phonetische Behandlung und die Erklärung seines[869] Metrums. Was nun die beiden letzten Gruppen zu je zwölfen betrifft, so ist die Geheimlehre des Veda [betreffend den Om-Laut] erklärt worden. Spruch, Ritual und heilige Rede findet sich im Ṛig-, Yajur-, Sâma- und Atharvaveda, dieses aber ist der heilige Ausruf, wie er in den vier Veden der Reihe nach gebraucht wird, nämlich die Ausrufe: om, bhûr, bhuvar und svar.

28. Als Mittel, die Nichtumsichtigen auf die Probe zu stellen, wird folgendes überliefert. Zu Anfang des Zeitalters Dvâparam verfiel ein einzelner Ṛishi als Urheber der Schuld hienieden auf den Gedanken, dass der Soma mittels der drei Veden zu trinken und dass es damit genug sei. Infolgedessen geschah es, dass die Ṛig-, Yajur- und Sâmalieder ihren Glanz einbüssten. Da jammerten die grossen Ṛishi's und sprachen: »In grosse Bekümmernis und Furcht sind wir geraten, und das [was zu tun ist] ist von allen [Altvordern] nicht überliefert worden. Wohl an, lasst uns allesamt zu dem verehrungswürdigen [Atharvan] gehen.« [Dieser sprach zu ihnen:] »Ich will euer aller Schutz sein.« – »So sei es«, sprachen[870] sie und standen schweigend. »Nicht, wenn ihr nicht in Unterwürfigkeit naht«, sprach er. – »Wir wollen dir in Unterwürfigkeit nahen«, sprachen sie und warfen sich vor ihm nieder. Aber er, nachdem er sie als Schüler aufgenommen, sprach zu ihnen: »Den mir eigenen Ausruf sollt ihr jedesmal zu Anfang gebrauchen; so rezitieren die, welche meine Schüler sind.

Nicht ohne solche, welche die Bhṛigu- und A giras-Sprüche (den Atharvaveda) kennen, darf der Soma getrunken werden; sonst kommen die Opferpriester um, der Opferherr wird mit Unreinheit bestreut und auch die heilige Schrift bleibt überstäubt. So sollt ihr es in immer fortgesetzter Überlieferung jedem kommenden Geschlechte lehren, dann wird der Glanz nicht verloren gehen.« – »So sei es, so sei es, o Herr«, mit diesen Worten stimmten sie ihm zu, gediehen und wurden frei von Kummer und Furcht. Darum gebrauchen die Brahmanlehrer den Om-Laut am Anfange.

29. Welche Gottheit habend ist er? Für die Ṛic's ist die Gottheit Agni, ebendieselbe das Lichtprinzip, die Gâyatrî das[871] Metrum, die Erde der Standort. Agním îḷe puróhitam yajñásya devám ṛitvíjam, hótâram ratnadhätamam (Ṛigv. 1,1,1), mit diesen Worten beginnend studieren sie den Ṛigveda.

Für die Yajus's ist die Gottheit Vâyu, ebendieselbe das Licht, die Trishṭubh das Metrum, der Luftraum der Standort. Ishe tvâ, ûrje tvâ, vâyava stha devo vaḥ savitâ prârpayatu çreshṭhatamâya karmaṇe (Vâj. Samh. 1,1,1), mit diesen Worten beginnend studieren sie den Yajurveda.

Für die Sâman's ist die Gottheit Âditya, ebendieselbe das Licht, die Jagatî das Metrum, der Himmel der Standort. Agna' âyâhi vîtaye gṛiṇâno havyadâtaye, ni hotâ satsi barhishi (Sâmav. 1,1,1), mit diesen Worten beginnend studieren sie den Sâmaveda.

Für die Atharvalieder ist die Gottheit der Mond, ebendieselbe das Licht, alle Metra das Metrum, das Wasser der Ort. Çám no devïr abhíshṭaye (Atharvav. 1,6,1), mit diesen Worten beginnend studieren sie den Atharvaveda. Aus den Wassern entspringt[872] die bewegliche und unbewegliche Schar der Wesen, darum ist alles aus Wasser geworden, alles aus den Bhṛigu- und A giras-Liedern geworden. Die drei andern Veden sind in die Bhṛigu- und A giras-Lieder eingegangen. Darum heisst das Wasser ap, und der Ursprung der Wasser ist aus dem Om-Laute. Darum hat Vyâsa ehedem gesagt: »Von einem Kenner der Bhṛigu- und A giras-Lieder geweiht soll man die andern Veden studieren, aber auch ohne von einem andern geweiht zu sein, mag man die Bhṛigu- und A giras-Lieder studieren.« Auch im Sâmaveda sagt eine ergänzende Schriftstelle: »Darum auch wer als Brahmanschüler die Atharvan- und A giras-Lieder erlernt, der hat damit alles erlernt.« – So lautet das Brâhmaṇam.

30. In bezug auf das Selbst:

Heilung des Âtman und Erlösung des Âtman ist der Om-Laut. Seinen Âtman in sich verschliessend soll man den nur auf der Einswerdung mit ihm beruhenden Gedanken seines [des Om-Lautes][873] realen Sinnes überdenken; dann erhebt man sich über die Veden und erlangt die volle Frucht der höchsten inneren Seele; das ist der Sinn [des Om-Lautes]. Wer hingegen den mit Reflexion behafteten, erkenntnisartigen [Om-Laut] durch dementsprechende Fragen und Antworten sachgemäss als Wort überdenkt, der ist der Sache kundig, kräftig und bei jeder vedischen Unterredung am Platze. – So lautet das Brâhmaṇam.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 863-874.
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