Zweite Hälfte.

[547] Dieser Abschnitt unterbricht den Zusammenhang (2,1,1 schliesst an 1,1,7 an) und gibt eine zweite, von der des vorigen Abschnitts verschiedene, Einleitung zur Lehre der Upanishad. Dort war es ein rein intellektuelles Motiv, aus welchem Çaunaka dem A giras die Frage nach dem, mit dessen Erkenntnis alles erkannt sei, vorlegt, – hier ist es der Überdruss an der durch die Werkheiligkeit nicht zur Ruhe kommenden Seelenwanderung,[547] welcher den Schüler mit dem Brennholze in der Hand zum Lehrer gehen heisst. Auch die einzelnen Teile dieses Abschnitts stimmen nicht recht zusammen; zuerst wird der Opferkultus enthusiastisch gepriesen und anempfohlen (1-6), um dann plötzlich (7-10) in der schärfsten Weise verworfen zu werden, wobei Vers 8, infolge der vorherigen Erwähnung des çreyas, aus dem Zusammenhange Kâṭh. 2,5 herübergenommen zu sein scheint; in Vers 9 wird sodann derselbe Gedanke noch weiter ausgesponnen. Vers 10-11 schildert Pitṛiyâna und Devayâna in Anlehnung an Chând. 5,10,1-3 (tapaḥçraddhe), während 3,1,6 vielmehr die Parallelstelle Bṛih. 6,2,15 (satyena) vorschwebt. – Der ganze Abschnitt macht den Eindruck, hinterher in die ursprüngliche Komposition eingeschoben zu sein.


1. Dieses ist die Wahrheit:


Die Werke, die in den Liedern Weise schauten,

Sind vielfach ausgebreitet in der Dreiheit [der Veden];

Die übt ihr stets, Verwirklichung4 begehrend;

Der Pfad führt euch zur Welt der Werkvergeltung.


2. Wenn die Flamme emporzüngelt,

Wenn hell das Opferfeuer flammt,

Dann zwischen den zwei Schmalzspenden

Soll die Trankgüsse opfern man,

mit Glauben sei es dargebracht.


3. Wer dem Feueropfer nicht Neu- und Vollmondsopfer,

Viermonats-, Erstlingsopfer, Gastbewirtung lässt folgen,

Nicht opfert, ohne Allgötterspende, oder falsch, –

Den bringt sein Opfern um alle sieben Welten.5


4. Die Schwarze, Fletschende, Gedankenschnelle,

Hochrote, Funkenstiebende, Rauchfarb'ge,

Und die Allschimmernde, hehre, – das sind, schaukelnd,

Des Opferfeuers sieben Flammenzungen.


5. Wer sich ans Werk macht, während diese funkeln,

Und rechtzeitig die Opfergüsse vornimmt,

Den führen sie als Sonnenstrahlen aufwärts,

Dorthin, wo thront der eine Herr der Götter.


6. ›Komm mit! Komm mit!‹ so sprechen die Spenden glanzreich

Und führen auf Sonnenstrahlen den Opfrer aufwärts;[548]

Mit lieben Worten redend und ihm schmeichelnd:

›Dort winkt euch die heil'ge Brahmanwelt des Frommen‹.


7. Doch schwankend und unstet sind jene Opferhaften,

Die achtzehn, in denen das niedre Werk sich ausdrückt6;

Die Toren, die danach als dem Bessern (Kâṭh. 2,1) trachten,

Verfallen wieder dem Alter und dem Tode.


8.7 In des Nichtwissens Tiefe hin sich windend,

Sich selbst als Weise, als Gelehrte wähnend,

So stossen ziellos sich herum die Toren,

Wie Blinde, die ein selbst auch Blinder anführt.


9. Im Nichtwissen vielfältig hin sich windend,

Am Ziel der Wünsche wähnen sich die Toren;

Vor Werkdienst kommen sie nicht zur Besinnung,

Der Not verfallend, wenn der Lohn verbraucht ist.


10. Opfer und Werke für das Höchste haltend,

Nichts andres, Besseres wissen sie sich, die Betörten.

Auf des Werkhimmels Rücken genossen habend,

Geh'n sie zurück in diese Welt und tiefer.


11. Doch die im Wald Askese und Glauben üben8,

Beruhigt, wissend, nur vom Bettel lebend,

Die gehen staublos durch der Sonne Pforte

Zum ewigen Geiste, zum wandellosen Âtman.


12. Der Weise, prüfend die werkgewirkten Welten,

Abwende sich; nichts wirkt die ungewirkte!9[549]

Sie zu erkennen such' er auf den Lehrer,

Mit Brennholz, der schriftkundig, fest in Brahman.


13. Ihm, der geziemend nahte, stillen Herzens

Und ruhevoll, teilt mit sodann der Weise,

So wie sie ist, die Wissenschaft vom Brahman,

Dem Unvergänglichen, dem Geist, der Wahrheit.


Fußnoten

1 Bhâskarânanda Svâmin (ein mir befreundeter alter Sannyâsin, mit dem ich öfter philosophierte, indem er, völlig nackend, neben mir auf einer Steinplatte des Gartens in Benares sass, welchen er bewohnt) scheint meiner Meinung zu sein, wenn er in einem eben erschienenen, populären Kommentar zu acht Upanishad's zu Eingang von Muṇḍaka bemerkt: asya ca çirovratibhir adhyetavyatvâd Muṇḍaka-iti-âkhyâ; wozu freilich nicht stimmt, dass er nachher bei der Stelle Ça kara's Meinung reproduziert.


2 Der nur hier vorkommende A gir ist wohl aus A giras herausetymologisiert, und Atharvâya dürfte nichts als ein alter Fehler für Atharvaṇe sein.


3 Der nur hier vorkommende A gir ist wohl aus A giras herausetymologisiert, und Atharvâya dürfte nichts als ein alter Fehler für Atharvaṇe sein.


4 D.h. Vergeltung; satyam ist dasselbe wie ṛitam, Kâṭh. 3,1.


5 Die sieben Welten: bhûr, bhuvaḥ, svar, mahar, janas, tapas, satyam, werden, unsers Wissens, zuerst aufgezählt Taitt. Âr. 10,27-28.


6 Nach Ça kara: die sechzehn Priester, der Veranstalter des Opfers und seine Gattin. Der Ausdruck yeshu karma uktam scheint aber vielmehr auf vedische Schriftwerke hinzuweisen. Sollte etwa gar schon an die zwölf Abteilungen des Veda (oben S. 1-2) nebst den vorher (1,1,5) erwähnten sechs Vedâ ga's zu denken sein?


7 Bis auf den Ausdruck ja ghanyamânâḥ = Kâṭh. 2,5.


8 Wie vorher der Pitṛiyâna, so wird hier der Devayâna beschrieben, und zwar nicht nach Bṛih. 6,2,15, sondern nach Chând. 5,10,1, welche Stelle (ye ca ime araṇye »çraddhâ tapa« iti upâsate) schon hier (wie auch in der Parallelstelle Bṛih. 6,2,15) nicht mehr ganz richtig verstanden wird. – Ob unser Autor auch im Devayâna nur die Frucht der niedern Wissenschaft und noch nicht das Höchste sieht, ist aus seiner Darstellung nicht zu erkennen. Vgl. Muṇḍ. 3,1, Einleitung.


9 Die ungewirkte Brahmanwelt, akṛito brahmalokaḥ, Chând. 8,13.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 547-550.
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