Prâṇâgnihotra-Upanishad.

[610] Der dieser Upanishad zugrunde liegende Gedanke des Prâṇa-agnihotram, »des dem Prâṇa dargebrachten Feueropfers« (oder des im Prâṇafeuer dargebrachten Opfers) hat sich durch folgende Vorstufen entwickelt.

1. Nachdem man die allbefassende Weltseele im eignen Selbst wiedergefunden hatte, lag es nahe, die altvedischen Naturgötter im eignen Leibe verkörpert zu sehen, die Sonne als Auge, den Wind als Odem usw., wozu die ältern Upanishad's zahlreiche Beispiele bieten.

2. Eine Konsequenz dieser Anschauung (vgl. schon Bṛih. 1,5,2, oben S. 401) war es, wenn man das den Göttern täglich darzubringende Agnihotram ersetzte durch eine in dem Verdauungsfeuer des eignen Leibes (dem Feuer Vaiçvânara, Bṛih. 5,9) darzubringende Spende, d.h. durch eine unter gewissen Zeremonien erfolgende Ernährung. Dieses dem Prâṇa (Leben) dargebrachte Opfer wird, im Anschlusse an die Lehre vom Âtman Vaiçvânara Chând. 5,11-18, geschildert Chând. 5,19-24; indem die Lebenshauche satt werden, werden zugleich die Sinnesorgane, die entsprechenden Götter und die zugehörigen Weltteile gesättigt. – An einer benachbarten Stelle Chând. 5,2,2 (Bṛih. 6,1,14) wird das vor und nach dem Essen gebotene Mundausspülen als eine Bekleidung des Prâṇa allegorisch aufgefasst.

3. Eine Verknüpfung beider Vorstellungen, der Speisung und der Bekleidung des Prâṇa, nebst einigen bei der Zeremonie anzuwendenden Sprüchen liegt vor Maitr. 6,9. Die dort zu Eingang sich findende Berufung auf die Weisen, welche dieses Opfer gepriesen haben, kann sich wohl nur auf Chând. 5 beziehen. Um den Vorgang dem gewöhnlichen Feueropfer noch ähnlicher zu machen, wird auch für die zweite, schweigend darzubringende, Spende desselben (vgl. oben S. 146) ein Analogen darin gefunden, dass man nach den fünf Spenden die übrige Mahlzeit yatavâg açnâti, schweigend verzehrt.

4. Die Wiederholung dieses letzten Zuges sowie die Wiederkehr der (variierten) Verse prâṇo 'gnir und viçvo 'si in der Prâṇâgnihotra-Upanishad machen es wahrscheinlich, dass dieselbe nicht nur auf Chând. 5,19-24, sondern auch auf Maitr. 6,9 beruht und eine weitere Ausschmückung der dort vorgeschriebenen Zeremonie ist. Dort gehen freilich die beiden Verse[611] der Zeremonie vorher, während sie hier nach derselben folgen und vorher eine Dreiheit und Zweiheit von Versen zu rezitieren vorgeschrieben werden, welche sich in diesem Zusammenhange weder im Ṛigveda noch Atharvaveda vorfinden und somit eine andre Sammlung als diese beiden vorauszusetzen scheinen. Die dann folgende Preisung der Wasser bezieht sich ohne Zweifel auf das dem Essen vorhergehende Mundausspülen. Weiter folgen die fünf Spenden an die Prâṇa's mit speziellen Vorschriften über die Anwendung bestimmter Finger, worauf die schweigende Spende erscheint, ausgesponnen zu fünf Spenden in den fünf Feuern des Leibes. Das Mundausspülen nach der Mahlzeit und die Erklärung der fünf erwähnten Leibesfeuer (in Kopf, Mund, Herz, Nabel, Unterleib) bildet den Inhalt des zweiten Teiles.

Wie der erste und zweite Teil auf Chând. 5 und Maitr. 6,9 beruhen, so enthalten der dritte und vierte Teil unserer Upanishad eine weitere Ausmalung der Chând. 3,17 und Mahânar. 64 (oben S. 113 fg., 259 fg). vorkommenden Idee, den Menschen als Opfer allegorisch zu deuten. Mit den beiden ersten Teilen stimmt dies wenig zusammen; dort empfangen die fünf Prâṇa's die Spenden, hier sind sie die Opferpriester. Auch hat der ursprünglich schöne und sinnige Gedanke (vgl. oben S. 113) durch die Ausdeutung im kleinen nicht eben gewonnen. – Bemerkenswert ist, dass Ça kara ad Brahmas. 3,3,24 (meine Übersetzung S. 582 fg)., wo er die Stellen Chând. 3,16-17 und Taitt. Âr. 10,64 bespricht, unsere Upanishad nicht erwähnt, sei es, dass er dieselbe nicht kennt oder nicht anerkennt.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 610-612.
Lizenz: