[665] Die Yoga-çikhâ, von der diese Upanishad den Namen trägt, ist entweder als »die Spitze, das höchste Resultat der Yogameditation« oder von der »Spitzflamme« im Herzen zu verstehen, in welcher nach v. 6 der Yogin das höchste Wesen anschaut.
Nach einem einleitenden Verse (v. 1) wird zunächst (v. 2-3) ein kurzes und klares Bild von der Yogameditation gegeben. Mystischer ist der folgende Teil (v. 4-7), welcher symbolisch eine im Leibe, sei es (wie Brahmavidyâ 8 fg., oben S. 631) im Kopfe, oder, richtiger wohl, im Herzen (Nârâyaṇa) befindliche Sonne annimmt; in ihrer Mitte ist ein Feuer, welches in einer Spitzflamme (çikhâ) ausläuft, in der für die Anschauung das höchste Wesen gegeben ist; eine Vorstellung, die sich wahrscheinlich aus älteren Stellen, wie namentlich Kâṭh. 4,12-13. Mahânâr. 11,9-12. Maitr. 6,38 entwickelt hat. Auf den Auszug der Seele des Yogin bei dem Tode muss es sich wohl beziehen, wenn weiter geschildert wird, wie der Yogin die erwähnte Sonnenscheibe durchbricht, um durch die Sushumnâ (der Sache nach schon Chând. 8,6,6 = Kâṭh. 6,16) und die Schädelnaht (Ait. 1,3,12) zur Vereinigung mit dem Höchsten zu gelangen. – Seltsam aber und an der Richtigkeit der Lesart Zweifel erregend ist es, wenn dann weiter, ähnlich wie von den Âraṇyaka's der Opferkultus durch ein geistiges Schauen desselben ersetzt wird, so hier (v. 8-9) der Yogapraxis für solche, die sie nicht üben können oder wollen, ein viel einfacheres Mittel, nämlich die täglich dreimalige Lesung der gegenwärtigen kleinen Upanishad substituiert wird, welche zu demselben Ziele führt. – Dieses Ziel ist, wie der Schlussvers (v. 10) sagt, die durch Tausende von Neugeburten nicht erreichbare Tilgung der Sünde und Aufhebung des Samsâra. Eine ganz andere als diese schon dem Kommentare des Nârâyaṇa zugrunde liegende Auffassung der Verse 8-9 bekunden die Varianten des Telugudruckes (s.u)., in welchem die Yogaçikhâ-Upanishad etwa das Vierzigfache des Umfangs unserer Rezension hat und aus sechs Adhyâya's besteht, deren erstem (p. 589-590) die zehn Verse unserer Rezension mit manchen, zum Teil recht guten Änderungen einverleibt sind.
[666] Vers 1. Ankündigung.
1. Des Yoga Spitze will kund tun
Als Gipfel alles Wissens ich,
Wer diesem heil'gen Wort1 nachdenkt,
Dessen Glieder erzittern nicht.2
Vers 2-3. Kurze Schilderung der Yoga-Meditation.
2. Den Sitz nach Lotosart wählend,
Oder wie es ihm sonst beliebt,
Die Nasenspitze fixierend,
Hände und Füsse angeschmiegt,
3. Das Manas allerwärts zügelnd,
Soll der Weise die Silbe Om
Ohn' Unterlass überdenken,
Herz-umschliessend den höchsten Gott.
Vers 4-7. Durchdringen zu Gott und Aufschwung zu ihm nach dem Tode.
4. Auf einer Säule3, drei Pfosten4,
Mit neun Toren5, fünfgötterhaft6,
Steht ein Tempel, der Leib ist es,
In ihm suche den Höchsten man.
5. Darin erglüht eine Sonne,
Von Strahlenflammen ganz erfüllt,
Mitten in der ist ein Feuer,
Das flammt wie einer Fackel Docht;
6. So gross wie ihre Spitzflamme,
So gross ist dort der höchste Gott.
Den Yoga übend oftmalig,
Der Yogin durch die Sonne dringt,
[667]
7. Sodann schlängelt er sich aufwärts
Durch der Sushumnâ glänzend Tor;
Die Schädelwölbung durchbrechend,
Schaut er schliesslich das Höchste an.
Vers 8-9. Ein Ersatzmittel für den Yoga.7
8. Doch wer, unachtsam und träge,
Nicht kommt zur Meditation,
Kann durchdringen zur Hochstätte,
Wenn hersagt dreimal täglich er
9. Die reine Rede, die, teilhaft
Des Yoga, ich verkünde hier,
Erreicht habend, was zu wissen,
Den gnädigen, den höchsten Gott.
Vers 10. Schluss.
10. Durch Tausende von Geburten
Wer nicht verzehrt der Sünde Schuld,
Erblickt endlich durch den Yoga
Des Samsâra Vernichtung hier.
1 Entweder ist der Laut Om oder die vorliegende Upanishad gemeint.
2 Nach der Lesart des Telugudrucks gâtrakampo na jâyate. Vgl. Kaush. 3,1 Schluss, oben S. 44.
3 Die Wirbelsäule.
4 Die drei Arterien iḍâ, pi galâ und sushumnâ oder die drei Guṇa's sattvam, rajas und tamas (Schol.).
5 Die neun Öffnungen des Leibes, oben S. 281, Anm.
6 Die fünf Sinne.
7 Nach den Lesarten des Telugudrucks ist der Gedanke vielmehr: »Wer dies dreimal täglich meditierend durchgeht, der gelangt, von Trägheit und Unachtsamkeit aus, zur reinen Seligkeit«.
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