Sechzehnter Khaṇḍa.

[111] Wir sahen schon öfter, wie für den Vânaprastha und Samnyâsin an die Stelle der von ihnen nicht mehr vollziehbaren Opfer ein geistiges Schauen derselben oder auch ein Umdeuten der Zeremonien auf natürliche Verhältnisse und Verrichtungen tritt (vgl. Kaush. 2,5, oben S. 31). So wird namentlich wiederholt das Opfer auf Verhältnisse des menschlichen Leibes und Lebens umgedeutet, und mit Recht wird schon Brahmasûtra 3,3,24 auseinandergesetzt, dass derartige Stellen der verschiedenen Upanishad's, da die Gesichtspunkte der allegorischen Umdeutung im einzelnen verschieden sind, nicht zur Einheit einer Vidyâ (Lehre) zusammengefasst werden müssen. Nur hätte Ça kara dort und im Kommentar zu unsrer Stelle weiter gehen und auch Chând. 3,16 von Chând. 3,17 trennen sollen, da das beiden gemeinsame Thema »Der Mensch als Opfer« von zwei verschiedenen und nicht vereinbaren Standpunkten aus durchgeführt wird.

[111] Im gegenwärtigen Khaṇḍa zunächst treten an Stelle der drei Hauptakte an einem Sutyâ-Tage des Somaopfers, der Frühkelterung, Mittagskelterung und Abendkelterung das Frühalter, Mittelalter und Spätalter des menschlichen Lebens, denen (entsprechend der Silbenzahl der drei dominierenden Metra) 24, 44 und 48 Jahre, im ganzen 116 Jahre zugeteilt werden (während sonst in der Regel das volle Leben auf 100 Jahre veranschlagt wird). Die Götter, denen die drei Kelterungen vornehmlich gelten (Vasu's, Rudra's, Âditya's) werden dabei umgedeutet in die Lebenshauche (prâṇa's), deren richtige Verehrung die volle Lebensdauer so sicher bewirkt, dass man eine etwa eintretende Krankheit, wie Mahidâsa, der angebliche Autor des Aitareya-Brâhmaṇam und -Âraṇyakam, mit spöttischem Mitleid über die Vergeblichkeit ihres Unternehmens betrachten kann. – Da die Prâṇa's hier wie oft ein Symbol des über alle Naturgötter erhabenen Brahman oder Âtman sind, so läuft die ganze Umdeutung auf eine Ersetzung der drei Hauptklassen der Götter, Vasu's, Rudra's, Âditya's durch den Prâṇa, d.h. den Âtman hinaus.


1. Wahrlich, das Opfer ist der Mensch.

Seine [ersten] vierundzwanzig Jahre sind die Frühkelterung; denn die Gâyatrî hat vierundzwanzig Silben, und die Frühkelterung ist gâyatrî-haft. An diesem [Teile] desselben [des Opfers] sind die Vasu's beteiligt; die Vasu's aber sind die Lebenshauche; denn sie sind es, welche alles dieses [Gewordene] wohnen machen (vâsayanti). – 2. Wenn ihn in diesem Lebensalter irgend eine Krankheit quält, so soll er sprechen: »Ihr Lebenshauche, ihr Vasu's, möget ihr diese meine Frühkelterung bis zu der Mittagskelterung hin fortspinnen; möge ich nicht ein Opfer sein, welches mitten in den Lebenshauchen, den Vasu's, abgebrochen wird!« Wenn er so spricht, so ersteht er von ihr und wird wieder gesund.

3. Seine [folgenden] vierundvierzig Jahre sind die Mittagskelterung; denn die Trishṭubh hat vierundvierzig Silben, und die Mittagskelterung ist trishṭubh-haft. An diesem [Teile] desselben sind die Rudra's beteiligt; die Rudra's aber sind die Lebenshauche, denn sie sind es, welche [ausziehend] alles dieses weinen machen (rodayanti). – 4. Wenn ihn in diesem Lebensalter irgend eine Krankheit quält, so soll er sprechen: »Ihr Lebenshauche, ihr Rudra's, möget ihr diese meine Mittagskelterung bis zu der Abendkelterung hin fortspinnen; möge ich nicht ein Opfer sein, welches mitten in den Lebenshauchen,[112] den Rudra's, abgebrochen wird!« Wenn er so spricht, so ersteht er von ihr und wird wieder gesund.


5. Seine [folgenden] achtundvierzig Jahre sind die Abendkelterung; denn die Jagatî hat achtundvierzig Silben, und die Abendkelterung ist jagatî-haft. An diesem [Teile] desselben sind die Âditya's beteiligt; die Âditya's aber sind die Lebenshauche, denn sie sind es, welche [ausziehend] alles dieses mit sich fortnehmen (âdadate). – 6. Wenn ihn in diesem Lebensalter irgend eine Krankheit quält, so soll er sprechen: »Ihr Lebenshauche, ihr Âditya's, möget ihr diese meine Abendkelterung bis zur vollen Lebenslänge fortspinnen; möge ich nicht ein Opfer sein, welches mitten in den Lebenshauchen, den Âditya's, abgebrochen wird!« Wenn er so spricht, so ersteht er von ihr und wird wieder gesund.


7. Dieses war es, was Mahidâsa, Sohn der Itarâ [vgl. über ihn oben S. 7], wusste, als er sprach: »Wozu quälst du mir diesen [Leib], da ich doch nicht daran zugrunde gehen werde?« Und er lebte ein um sechzehn vermehrtes Hundert von Jahren. – Ein um sechzehn vermehrtes Hundert von Jahren lebt, wer solches weiss.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 111-113.
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