Siebzehnter Khaṇḍa.

[113] Der Mensch als Opfer (purusho yajñaḥ) ist das Thema, wie des vorigen, so auch des gegenwärtigen Abschnittes, doch unter wesentlich andern Gesichtspunkten. Dort wurden die drei Kelterungen eines einzigen Sutyâ-Tages mit den drei Lebensaltern gleichgesetzt, hier ist von einer Reihe von Akten die Rede (dîkshâ, upasad, stuta-çastra's, dakshiṇâ, avabhṛitha), die sich von Anfang bis zu Ende der mindestens fünftägigen Somafeier hinziehen und nicht mit Zeiträumen des Lebens, sondern mit den Funktionen des Hungerns, Essens, Zeugens usw. gleichgesetzt werden. Besonders schön ist, wie bei diesem in der Form der ganzen Lebensführung zu feiernden Somaopfer an die Stelle der dakshiṇâ (des den Priestern zu zahlenden Opferlohnes) das moralische Verhalten tritt, wobei eine kleine Ethik in fünf Worten aufgestellt wird; sie sind: tapas (Askese), dânam (Almosenspenden), ârjavam (Rechtschaffenheit), ahiṅsâ (Nichtverletzen) und satyavacanam (Wahrhaftigkeit). – Wer so das ganze Leben wie eine Somafeier, einen Gottesdienst geführt hat, der wird, frei von Begierde (apipâsa = Bṛih. 4,4,6 akâmayamâna), wie Ghora der Lehrer des Kṛishṇa, in der Todesstunde sich unvergänglich, unerschütterlich, als Quintessenz der[113] Lebenshauche (prâṇa-samçitam) fühlen, dem wird der in zwei Ṛigvedaversen geschilderte Sonnenaufgang, symbolisch umgedeutet, zum Aufgange des ewigen Lichtes werden.


1. Wenn einer hungert, dürstet, wenn er sich nicht freut, so ist das seine Dîkskâ [die Weihe vor dem Somaopfer, vgl. S. 8];

2. wenn er hingegen isst, trinkt und sich freut, so entspricht das [wörtlich: geht mit] den Upasad-Zeremonien [einer Vorfeier der Somakelterung, drei oder mehr Tage dauernd];

3. ferner, wenn er scherzt und lacht und Begattung übt, so entspricht das den Stotra's und Çastra's [mit deren Gesang und Rezitation die Priester des Sâma- und Ṛigveda die Kelterung begleiten];

4. aber Askese, Mildtätigkeit, Rechtschaffenheit, Nichtverletzen und Wahrhaftigkeit, – die sind seine Dakshiṇâ [der den Priestern zu spendende Opferlohn].

5. Darum sagt man: »soshyati (er wird keltern, wird zeugen), asoshṭa (er hat gekeltert, hat gezeugt)«; jenes ist seine Neuerzeugung, dieses sein Sterben; nämlich das Sterben ist der Avabhṛitha [das Reinigungsbad, mit dem die Kelterung schliesst].

6. Dieses hat Ghora  girasa dem Kṛishṇa, Sohne der Devakî, so erklärt, und er fügte hinzu – nämlich er war frei von Begierde [wörtlich: Durst] –: »Zur Zeit des Endes soll man dann zu diesen drei Sprüchen seine Zuflucht nehmen:


Du bist das Unzerstörbare,

Du bist das Unerschütterliche,

Du bist der Lebenshauche Spitze!«


Darüber handeln auch diese beiden Ṛigverse:


Dann, altem Samen urentstammt,

[Schaun sie das morgenschöne Licht,

Das jenseits dort vom Himmel flammt.]

(Ṛigv. 8,6,30).


Empor sind wir aus Dunkelheit,

Anschauend das erhabne Licht,

Anschauend den erhabnen Glanz,

Zum gottumgebnen Sonnengott

Gelangt zum allerhöchsten Licht, –

Gelangt zum allerhöchsten Licht.

(Ṛigv. 1,50,10).

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 113-114.
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