Fünfter Prapâṭhaka.

[131] Die erste Hälfte dieses Prapâṭhaka, Chând. 5,1-10, ist nahezu identisch mit Bṛih. 6,1-3 und behandelt zwei Themata: 1)die Rührtrankzeremonie Chând. 5,1-2 (Bṛih. 6,1 und 6,3), 2) die Fünffeuerlehre, d.h. die Theorie der Seelenwanderung, Chând. 5,3-10 (Bṛih. 6,2). Die Rührtrankzeremonie hat ursprünglich den Zweck, irdische Grösse zu erlangen (mahat, iyaishṭhyam, çraishṭhyam, râjyam, âdhipatyam), indem man nach längern Vorbereitungen einen Trank aus saurer Milch, Honig und allerlei Kräutern mischt, jedem der Lebensorgane (prâṇa, vâc, cakshus, çrotram, manas, – wozu Bṛih. noch prajâti fügt) eine Butterspende ins Feuer giesst, den Rest derselben jedesmal dem Rührtranke beimischt und diesen schliesslich unter Rezitation der Sâvitrî-Strophe austrinkt. Der Sinn der Zeremonie scheint ursprünglich darin zu liegen, dass man (durch Trinken des Restes der den Lebensorganen gespendeten Butter) die eignen Lebensorgane in Beziehung setzt zu den als kosmische Potenzen gedachten Lebensorganen und dadurch an deren Grösse teilnimmt. Soweit wäre das ganze Thema mehr ein brâhmaṇa-artiges als ein upanishad-artiges. Zu letzterm wird es erst dadurch, dass, sekundär und im Widerspruch zu dem ursprünglichen Zwecke, der Wunsch eingeschoben wurde: aham eva idam sarvam asâni (bhûyâsam), Chând. 5,2,6. Bṛih. 6,3,6, was (nach der Stellung der Worte in Bṛih). hier nur heissen kann: »Möge ich zu diesem Weltall werden!« Dem entsprechend werden zu den in Chând. angerufenen fünf Lebensorganen 1. prâṇa, 2. vâc, 3. cakshus, 4. çrotram, 5. manas, in Bṛih. ausser 6. prajâti noch 7. agni, 8. soma, 9. bhûr, 10. bhuvaḥ, 11. svar, 12. bhûr, bhuvaḥ, svar, 13. brahman, 14. kshatram, 15. bhûtam, 16. bhavishyat, 17. viçvam, 18. sarvam und 19. Prajâpati hinzugefügt und, durch Giessen der Neige des ihnen Gespendeten in den Rührtrank, der Wunsch, mit ihnen eins zu werden, zum Ausdrucke gebracht. – Gleichfalls sekundär eingeschoben, weil den Zusammenhang unterbrechend, ist die Legende vom Rangstreite der Lebensorgane, vom Siege des Prâṇa über die andern und von der Ernährung des Prâṇa durch alles ohne Ausnahme und seiner Bekleidung durch das Wasser, mit dem man vor und nach dem Essen den Mund spült, Chând. 5,1,6-5,2,2 entsprechend Bṛih. 6,1,7-6,1,14. Nach diesem Einschiebsel wird dann in Bṛih. der Zusammenhang noch weiter unterbrochen durch Einschiebung der ganzen Fünffeuerlehre Bṛih. 6,2, welcher Chând. 5,3-10 ihre Stelle nach der Rührtrankzeremonie, die Mâdhyandina-Rezension der Bṛih. Up. vor derselben anweist (Çatap. Br. 14,9,1), beides viel passender, da ein Zusammenhang beider Lehren, welcher die Einschiebung rechtfertigte, nicht vorhanden ist.

Hiernach denken wir uns die Geschichte dieses Abschnittes wie folgt. Chând. 5,1-11 und Bṛih. 6,1-3 gehen auf eine gemeinsame, nur mündliche aber im Gedächtnis ziemlich treu fixierte Quelle zurück, welche die Rührtrankzeremonie zur Erreichung irdischer Grösse und die Fünffeuerlehre[132] über die Schicksale der Seele im Jenseits schon verbunden enthielt. Erstere wurde zunächst, durch Bezugnahme auf das Weltall (aham eva idam sarvam asâni) im Widerspruch zu der ursprünglichen, nicht beseitigten Tendenz zu einem Upa nishad-Stück umgewandelt. Zweitens wurde in dieselbe der Rangstreit der Organe (ein häufiges und beliebtes Thema) unter Anpassung an die Attribute derselben als jyeshṭha, vasishṭha usw. eingeschoben. So gelangte das Ganze in die Chând. Up. des Sâmaveda. Der weisse Yajurveda hingegen, um an die Rührtrankzeremonie (çrîmantha) unmittelbar die Zeugungszeremonie (putramantha, Bṛih. 6,4) sich anschliessen zu lassen, hob die Fünffeuerlehre heraus, wobei die eine Zweigschule (Mâdhyandina's) dieselbe vor die Rührtrankzeremonie, die andre (Kâṇva's) sehr unpassend mitten in dieselbe hineinsetzte. – Somit liegt in der Anordnung wie auch in der grössern Einfachheit der Ausführung die Ursprünglichkeit auf seiten von Chând., während die Ausdrucksweise meistens in Bṛih. eine altertümlichere Haltung zeigt. Nur die Stelle von dem dürren Baum, dessen Äste und Blätter wieder wachsen, wenn man den Rührtrank darauf giesst, steht richtig allein in Bṛih.; in Chând. 5,2,3 ist sie hinter den Rangstreit der Organe geraten und, um dort zu passen, durch die Abänderung brûyât ganz verfälscht worden.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 131-133.
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