Einleitung.

[203] Die kleine, aber gehaltvolle Kena-Upanishad gehört ursprünglich dem Brâhmaṇa-Besitz der Talavakâra's (auch Talvakâra's, Vâcaspatyam s.v). oder Jaiminîya's, einer Schule des Sâmaveda, an.1 Ihr älterer Name, bei Ça kara u.a., ist daher Talavakâra-Upanishad; erst nachdem sie von dem literarischen Bestande ihrer Schule losgetrennt und zu einer allgemeinern Bedeutung erhoben worden war, mochte die Bezeichnung nach dem Anfangsworte Kena (zuerst, unsres Wissens Muktikâ-Up. v. 29) üblich werden. Unter diesem Namen fand sie denn auch, ohne erhebliche Änderungen (Ind. Stud. II, 182), Aufnahme in verschiedenen Sammlungen (Anquetil, Colebrooke) der Atharva-Upanishad's.

Nach Form und Inhalt zerfällt die Kena-Upanishad in zwei wohlgeschiedene Teile, 1-13 und 14-28, deren erster, mit Ausnahme des vielleicht korrupten Absatzes 9, ganz aus Versen besteht, während der zweite, in Prosa, eine Parabel erzählt, woran sich 29-34 ein gleichfalls in Prosa verfasster Epilog schliesst.

[203] Der erste Teil (1-13) weist den Schüler von dem attributhaften Brahman, wie es den Gegenstand der Verehrung bildet (idam, yad idam upâsate) auf das attributlose Brahman hin, welches als das Subjekt des Erkennens die Voraussetzung aller Erkenntnis und Tätigkeit der Organe ist, selbst aber schlechthin unerkennbar und nur dem, in welchem es als sein Âtman erwacht (pratibodha, v. 12), erfassbar ist. Die Lehre von der Unerreichbarkeit des Brahman auf dem Wege der Erkenntnis findet in dem vielzitierten Verse 11 ihren schärfsten Ausdruck. – Dieser Teil stammt aus der Zeit der vollendeten Vedânta-Anschauung, wie sie uns in Kâṭhaka, Îçâ und den Versen Bṛih. 4,4 entgegentritt, mit welchen sich mehrfach Berührungen zeigen.

Einer viel ältern Zeit dürfte der zweite Teil angehören (14-28), welcher in durchsichtiger Allegorie das Verhältnis des Brahman zu den vedischen Göttern darstellt. Alle Götter, d.h. alle Kräfte der Natur, tragen ihre Wirkungskraft von Brahman zum Leben und vermögen nicht das Geringste gegen den Willen des Brahman. – Hier erscheint das Brahman noch als etwas Neues, als ein Wunderding (yaksham, wie in den Skambhahymnen, Atharvav. 10,7-8), welches seine Superiorität über die andern Götter erst noch zu erweisen nötig hat.

Der Epilog (29-34) symbolisiert, wie es scheint, die Zeitlosigkeit des Brahman durch die momentane Dauer des Blitzes und des Gedankens (29-30), bezeichnet dasselbe als das Ziel der Sehnsucht aller Kreaturen (31) und versichert, dass damit alles zu wissen Nötige gelehrt sei (32). Der oft vorkommende Gedanke, dass aller Werkdienst usw. eine Vorübung der Erkenntnis des Brahman sei, und die üblichen Verheissungen bilden den Schluss (33-34).

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 203-204.
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