Sechstes Capitel

[213] Weil aber Bewegung stets sein, und nie aufhören muß, so muß es etwas Ewiges geben, was zuerst bewegt, mag es eines sein, oder mehre, und zwar das zuerst bewegende Unbewegliche. Daß nun alles ewig sei, was unbeweglich ist, aber bewegend, geht die gegenwärtige Untersuchung nichts an. Daß es aber etwas geben muß, was selbst unbeweglich für jede von außen kommende Veränderung, sowohl schlechthin, als beiläufig, geschickt aber, Anderes zu bewegen ist, erhellt, wenn man es folgendergestalt betrachtet. Es mag nun, wenn man[213] will, bei Einigem als möglich gedacht werden, daß es bald sei, bald nicht sei, ohne Entstehung und Untergang. Leicht nämlich könnte es nothwendig sein, dafern etwas Theilloses bald ist, bald nicht ist ohne sich zu verändern, daß Alles dergleichen bald sei, bald nicht sei. Und daß von den unbeweglichen, aber zum Bewegen geschickten Anfängen einige bald seien, bald nicht seien: auch dieses sei als möglich gesetzt. Aber keineswegs können es alle. Denn klar ist, daß etwas Ursache sein muß dem sich selber Bewegenden, bald zu sein, bald nicht zu sein. Alles sich selber Bewegende nämlich muß eine Ausdehnung haben, wenn nichts Theilloses bewegt werden kann; das Bewegende aber braucht dieß auf keine Weise, zufolge des Gesagten. Davon aber, daß Einiges entsteht, Anderes untergeht, und dieß stetig geschieht, kann nicht Ursache sein etwas von dem, was zwar unbeweglich, aber nicht stets ist; noch auch von dem, was zwar stets bewegt, aber so, daß Anderes Anderes bewegt. Von dem nämlich, was immer ist und stetig, sind weder diese einzelnen Dinge Ursache, noch alle. Denn daß dieses sich so verhält, ist ewig und nothwendig: jene Dinge aber sind unbegrenzt viele und nicht zugleich seiend. Es erhellt also, daß, wenn auch zehntausendmal einige unbewegliche aber bewegende Anfänge, und viel von dem, was sich selbst bewegt, untergeht und anderes wieder entsteht, und ein Unbewegliches dieses bewegt, das andere jenes: nichts destoweniger es etwas giebt, was um faßt, und daß dieses ausserhalb des Einzelnen ist: welches Ursache davon ist, daß dieses ist, und jenes nicht ist, und von der stetigen Veränderung; und daß dieses zwar diesem, dieses aber dem Uebrigen Ursache der Bewegung ist. Wenn nun ewiglich die Bewegung ist, so wird ewiglich auch das zuerst Bewegende sein, dafern es Eines ist. Wofern aber mehre, so wird ein Mehres das Unbewegliche sein. Eines aber vielmehr als mehre, und begrenzte, als unbegrenzte, ist[214] anzunehmen. Denn wenn das Nämlich folgt, so muß man lieber das Begrenzte nehmen. Denn in demjenigen, was von Natur ist, muß das Begrenzte und das Bessere, sobald es sich denken läßt, vielmehr statt finden. Es reicht aber auch die Annahme von Einem zu, welches als erstes unter dem Unbeweglichen und ewiges, dem Uebrigen Ursprung der Bewegung sein wird. – Es ist aber offenbar auch hieraus, daß etwas Einiges und Ewiges das zuerst Bewegende ist. Es ist nämlich gezeigt worden, daß immer Bewegung sein muß. Wenn aber immer, so muß sie auch stetig sein: denn was immer ist, ist stetig. Was aber in der Reihe nach einander, ist nicht stetig. Allein wenn sie stetig ist, so auch Eine. Eine aber, wenn in ihr Eines das Bewegende und Eines das Bewegte. Denn wenn Verschiedene bewegen, so ist nicht stetig die ganze Bewegung, sondern der Reihe nachfolgend.


Aus diesem nun könnte man abnehmen, daß es gebe ein erstes Unbewegliches. Und wiederum wenn man blickt auf die Anfänge des Bewegenden. Daß nun gewisse Dinge sind, welche bald sich bewegen, bald ruhen, ist offenbar. Und hiedurch wird klar, daß weder Alles sich bewegt, noch Alles ruht, noch Einiges immer ruht, Anderes immer sich bewegt. Das Wechselnde nämlich und die Möglichkeit in sich tragende, bald sich zu bewegen, bald zu ruhen, setzt hierüber ins Klare. Da aber dergleichen Allen deutlich ist, wir aber auch von diesen beiden die eigenthümliche Natur aufzeigen wollen, daß es einestheils stets Unbewegliches, andererseits stets Bewegtes giebt, so sind wir, fortschreitend zu diesem, und setzend, daß alles sich Bewegende von etwas bewegt werde, und dieses entweder unbeweglich oder bewegt sei, und bewegt entweder von sich selbst oder stets von einem Anderen, bis dahin vorgedrungen, anzunehmen, daß das Bewegte einen Anfang hat, nämlich das Bewegte überhaupt zwar das, was[215] sich selbst bewegt, Alles aber, das Unbewegliche. Wir sehen aber auch ganz klar, daß es dergleichen giebt, was sich selber bewegt: z.B. das Geschlecht des Beseelten und das der Thiere. Dieß nun veranlaßte die Meinung, daß es vielleicht denkbar sei, daß Bewegung enstehe, da sie überhaupt nicht war, weil wir in jenem dieses Geschehen sahen. Denn während sie zu einer Zeit unbeweglich sind, bewegen sie sich wiederum, wie es scheint. Dieß aber muß man bedenken, daß sie nur in Beziehung auf Eine Bewegung bewegen; und auf diese nicht eigentlich: denn nicht aus ihnen selbst kommt die Ursache, sondern es sind andere natürliche Bewegungen in den Thieren, welche sie nicht durch sich selbst erleiden, z.B. Wachstum, Abnahme, Athmen, welche Bewegung jedes Thier erleidet, ruhend und nicht in der von ihm selbst herrührenden Bewegung begriffen. Hievon aber ist Ursache das Umgebende und vieles von dem was hinein geht; z.B. von Einigem die Nahrung. Denn während sie verbaut wird, schlafen sie; indem sie aber vertheilt wird, erwachen sie und bewegen sich selbst; da der erste Anfang von außen kommt. Darum werden sie nicht stets von sich selbst bewegt. Denn ein Anderes ist das Bewegende, welches selbst bewegt wird und sich verändert, gegen jedes von dem sich selbst Bewegenden. In allen diesen aber wird bewegt das zuerst Bewegende und die Ursache des sich selber Bewegens, von sich selbst, jedoch beiläufig. Den nämlich verändert der Körper: also auch das was in dem Körper ist, und das was in dem Heben sich selbst bewegt. Woraus man abnehmen kann, daß, wenn etwas gehört zu dem Unbeweglichen aber Bewegenden und selbst beiläufig Bewegten, dieses nicht auf stetige Art zu bewegen vermag. So daß, wenn nothwendig stetig Bewegung ist, es ein erstes Bewegendes geben muß, welches unbeweglich ist, und nicht bloß beiläufig: dafern, wie wir sagten, sein soll in den Dingen eine unablässige und unsterbliche Bewegung, und[216] den das Seiende in sich selber, und in dem Nämlichen. Denn wenn der Anfang bleibt, so muß das Ganze bleiben, da es stetig zusammenhängt mit dem Anfange. Nicht aber ist es das Nämliche, bewegt zu werden beiläufig von sich, und von einem Anderen. Denn von einem Anderen findet statt auch bei einigen Anfängen der Dinge in dem Himmel, welche verschiedene räumliche Bewegungen erleiden. Das andere aber nur bei den vergänglichen.


Allein wenn es stets so etwas giebt, was bewegt, aber unbeweglich und selbst ewig ist, so muß auch das zuerst von diesem Bewegte ewig sein. Es erhellt dieses auch daraus, daß es auf keine andere Weise Entstehung und Untergang und Veränderung für das Uebrige giebt, wenn nicht etwas, das bewegt wird, bewegt. Denn das Unbewegliche wird stets auf dieselbe Weise bewegen, da es selbst keine Veränderung erfährt in Bezug auf das Bewegte. Das aber, was bewegt wird von dem zuvor Bewegten, aber durch das unbewegliche Bewegte, wird, weil es sich auf verschiedene Weise zu den Dingen verhält, nicht Ursache der nämlichen Bewegung sein, sondern, indem es in entgegengesetzten Orten oder Arten ist, wird es auf entgegengesetzte Art jedes der andern in Bewegung setzen, und bald in Ruhe, bald in Bewegung. – Klar nun ist geworden aus dem Gesagten auch, worüber wir am Anfange zweifelten: warum doch nicht Alles entweder sich bewegt, oder ruht, oder Einiges stets sich bewegt, Anderes stets ruht: sondern Einiges bald so, bald aber nicht. Hievon nämlich ist jetzt die Ursache offenbar, nämlich das Einiges vor dem ewig Unbeweglichen bewegt wird, und darum stets sich verändert; Anderes aber von Bewegten und sich Veränderndem; so daß auch es nothwendig sich verändert. Das Unbewegliche aber, wie gesagt, als ein Einfaches und auf dieselbe Weise, und in dem Nämlichen[217] bleibendes, wird nur Eine und eine einfache Bewegung hervorbringen.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 213-218.
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