Siebentes Buch

[141] Geboren bin ich unter deinem Licht:

Sie waren günstig, meines Sternes Zeichen,

Der Zukunft Wonnen wollten sie mir reichen –

Du warst der Stern, Herr, meine Zuversicht.

Ich sah den Strahl und seine Freuden nicht:

Da wo er leuchtet, muß die Macht entweichen;

Im Wolkenflug, mit ihrer Stürme Streichen

Umbrauste düster sie mein Angesicht.

Nichts ist die Nacht mit allen ihren Schrecken,

Das Böse nichts mit aller seiner Muth;

Das Leben bist du, Leben kannst du wecken.

Lang lag ich todt, und habe nicht geruht,

Da brachst du Herr, mein Licht, durch alle Decken –

Nun ruh' ich, und dein Leben ist mein Gut.[141]


I.

Sie war dahin, die Zeit des verwerflichen Jünglings, und ich trat in die männliche Jugend ein, je älter an Jahren, desto schändlicher an schnöder Eitelkeit. Ob ich nur Sichtbares zu denken vermochte, Gott, nie dachte ich dich doch in Menschengestalt, floh das, seit ich der Weisheit mein Ohr geliehen, und freute mich, daß ich das auch im Glauben unserer geistlichen Mutter, der katholischen Kirche, so stand. Aber, was ich Anderes dich denken sollte, wußte ich nicht; ich ein Mensch und solch ein Mensch versuchte dich zu denken, den höchsten, alleinigen wahren Gott und an dich, den Unzerstörbaren, Unverletzlichen, Umwandelbaren glaubte ich von Herzensgrund, aber ich wußte nicht woher und auf welche Weise ich meine Gedanken über dich zu ordnen habe; nur so viel sah ich ein, daß das Zerstörbare schlechter sei, als das Unzerstörbare und so zog ich alsbald das Unverletzliche dem Verletzlichen vor und hielt das Unwandelbare. Heftig schrie mein Herz gegen alle meine Truggebilde, und mit einem Streiche meinte ich ihre Schaar von meines Geistes Sehkraft abzutreiben. Aber kaum einen Augenblick zurückgeworfen, war sie vereint wieder da, stürzte gegen mein Angesicht und verdunkelte es, so daß ich dich, mein Gott, wenn auch nicht in der menschlichen Gestalt, doch als etwas Körperliches denken mußte, das den Raum erfülle, sei es nun durch die Welt, oder über die Welt hinaus in's Unendliche ergoßen, wohl selbst auch unvergänglich, unverletzlich und wandellos, und dem Vergänglichen, Verletzlichen und Wandelbaren vorzuziehen. Denn was ich mir nicht räumlich denken konnte, schien mir gar nicht sein zu können, nicht einmal als ein Leeres, wie etwa ein von seinem Körper verlaßener[143] Raum, sei dieser Körper nun von Erde, Wasser, Luft oder himmlischer Art, ein von ihm leerer Ort däuchte mir gleichsam ein räumliches Nichts. Verdickt im Herzen (Psalm 119, 70), ich selbst mir nicht sichtbar, meinte ich, das sei gar nicht, was nicht durch einen Raum ausgedehnt werde, sich ausgießend, oder zusammenballend, oder aufquellend und sonst noch der Raum ausgefüllt wird. Die Formen, die sich meinen Augen vergegenwärtigen, bildete sich mein Herz ein und ich sah nicht ein, daß das Vorstellungsvermögen, durch welches ich jene Einbildungen schuf, selbst nichts ihrer Art sei, und doch hätte es jene sich nicht gebildet, wenn es nicht selbst etwas Großes wäre. So dachte ich auch von dir, du meines Lebens Leben, du durchdringest als eine Größe die ganze Weltmasse durch gränzenlose Räume, und ragest gränzenlos, unendlich über sie hinaus, so daß dich Erde, Himmel und Alles habe und in dir begränzt sei, während du es nirgends seiest. Wie dem Sonnenlichte die, obgleich körperliche Lust, die über der Erde ist, nicht hindernd entgegensteht, so daß es sie nicht durchdringen und durchschneiden könnte – wie es sie ganz erfüllt, so glaubte ich auch von dir, es sei dir nicht nur Aether, Luft und Wasser zugänglich, sondern selbst die feste, undurchsichtige Erde. In allen ihren größten und kleinsten Theilen sei sie durchdringbar, um deine Gegenwart zu erfassen, der du innerlich und äußerlich alles was du erschufest, geheimnißvoll durchwehest. So vermuthete ich, weil ich mir es nicht anders zu denken vermochte. Aber ich irrte, denn nach dieser Vorstellung besäße ein größeres Geschöpf einen größern, ein kleineres einen kleineren Theil von dir und Alles wäre voll von dir dergestalt, daß der Elephant um so mehr von dir enthielte, als der Sperling, um wie viel er größer ist als dieser; und so würdest du stückweise dich den Einzelnwesen der Welt vergegenwärtigen und hätten die großen große,[144] die kleinen kleine Theile von dir inne. Aber so bist du nicht! Und noch hattest du meine Finsternisse nicht erhellt.


II.

Mit diesem Wahne reichte ich aus, o Herr, gegen die Betrogenen und Betrüger, jene nichtssagenden Schwätzer, weil sie nichts dagegen aus deinem Worte vorzubringen wußten; ich reichte aus damit, seit vor langer Zeit solcher Wahn schon von Karthago her durch Nebridius aufgebracht war, und uns Alle durchdrang. Aus der entgegengesetzten, bösen Weltmasse setzten sie dir ein Volk der Finsternis entgegen, mit dem du zu streiten haben solltest. Was konnte dir dies thun, wenn du nicht mit ihm streiten wolltest? Konnt' es dir schaden, so warest du verletzlich, konnt' es das nicht, so war kein Grund zum Streite da, und zwar zu einem solchen Streite, in welchem nach dem Wahn der Manichäer irgend ein Theil, ein Glied von dir, oder ein Ableger deines Wesens mit den feindlichen, von dir nicht geschaffenen Naturen, kampfgemein werden mußte und von ihnen verderbt und elend gemacht wurde, so daß es zu seiner Befreiung und Reinigung der Hilfe bedurfte. Solch ein Theil, solcher Ableger von dir war nach dem manichäischen Irrthum die Seele, der dein Wort zu Hilfe kommen sollte, und zwar der dir dienenden in seiner Klarheit, der befleckten in seiner Reinheit, der verderbten in seiner Unverderbtheit, und doch selbst verderbbar, weil es aus derselben Substanz bestund, wie die Seelen. Wenn sie dich und was du bist, dein Wesen, unverderbbar nannten, so mußte ihnen das Erschaffene falsch und verabscheuungswerth erscheinen vor deinem Angesicht, fanden sie dich aber verderbbar, so warst du selbst das Grundfalsche und Allerabscheulichste. Es war also Veranlassung genug vorhanden, um mein Herz von dem Druck zu befreien, den die Manichäer darauf ausübten, indem[145] ihr Herz und ihr Mund dich schaudervoll lästerten, während sie solches über dich verbrachten und aussprachen.


III.

Ich bekannte dich als den Unbeflecklichen und Unwandelbaren und erkannte dich fest als unsern Herrn, den wahren Gott, der du nicht nur unsere Seelen schufest, sondern auch unsere Leiber, und nicht nur unsere Seelen und Leiber, sondern alle, aber noch war mir die Ursache des Bösen nicht entwirrt und gelöst. Was sie aber auch sein mochte, ich glaubte sie so aufspüren zu müssen, daß ich durch sie nicht genöthigt würde, dich den unveränderlichen Gott für veränderlich zu halten, um nicht selbst das zu werden, was ich suchte. So suchte ich gesicherter des Bösen Ursache, fest überzeugt, unwahr sei, was die Manichäer lehrten, die ich nun mit ganzer Seele floh, weil ich einsah, sie forschten voll Bosheit nach des Bösen Grund, mit der sie erdachten, viel eher sei dein Wesen dem Bösen leidend unterworfen, als daß ihr Wesen das Böse thue. Ich suchte nun die anderswoher vernommene Lehre zu verstehen, nach der unser freier Willen die Ursache unseres bösen Thuns, und dein Gericht gerecht ist, das uns dafür leiden läßt. Aber diese Ursache vermochte ich mir nicht klar zu machen. Während ich meine Gedankenreihen aus der Tiefe heraufzuholen suchte, stürzte ich wieder hinab, und das wiederholte sich, wie oft ich den Versuch auch machte. Zum Lichte deiner Wahrheit half mir, daß ich so gewis wußte, ich habe freien Willen, als ich wußte, daß ich lebe. wenn ich etwas wollte oder nicht wollte, so war ich ja gewis, daß kein Anderer als ich das wollte, und schon begann ich zu bemerken, wie hierin die Ursache meiner Sünde liege. Was ich aber ungerne that, das sah ich eher für mein Leiden, als für meine That an, hielt es nicht für Schuld, hielt es für[146] Strafe, und halb bekannte ich, du, den ich für gerecht hielt, strafest mich damit nicht ungerecht. Aber dagegen sprach ich: wer schuf mich? Nicht mein Gott, der nicht nur gut, der selbst das Gute ist? Woher will ich nun das Böse und nicht das Gute, und will's auf eine Weise, daß ich dafür mit Recht bestraft werde? Wer legte das in mich, wer pflanzte in mich den Setzling der Bitterheit, da ja mein ganzes Wesen von meinem Gott, dem allersüßesten, geschaffen ward? Wenn der Teufel der Urheber ist, woher ist denn selbst ein Teufel? Wenn er durch seinen verkehrten Willen aus einem guten Engel zum Teufel wurde, woher kam in ihn selbst der böse Wille, der ihn zum Teufel machte, da er, der Engel, seinem Wesen nach vom vollkommen guten Urheber geschaffen ist? Durch solche Gedanken wurde ich wieder erdrückt, doch fiel ich nicht mehr in den manichäischen Irrthum zurück, in welchem Niemand dir seine Schuld bekennen kann, weil man da glaubt, du seiest eher der Dulder des Bösen, als der Mensch der Thäter desselben.


IV.

Nun strebte ich Weiteres zu finden und schon fand ich, das Unverletzliche sei besser, als das Verletzliche. Und nun bekannte ich, was du auch sein mögest, du seiest unverletzlich, denn welcher Geist vermöchte etwas Besseres zu denken, als dich, das höchste Gut? Weil aber wahrhaftig und gewis das Unverletzliche dem Verletzlichen vorgezogen wird, wie ich schon vorausgesetzt, so konnte ich mit meinem Forschen so viel erreichen, daß ich wußte, es müßte etwas Besseres als Gott geben, wenn du Gott verletzlich wärest. Sobald ich nur einfach, daß das Unverletzliche dem Verletzlichen vorzuziehen sei, mußte ich dich suchen und von da aus forschen, wo das Böse sei, nämlich jene Verderbniß, durch die dein Wesen nie verletzt werden kann; denn[147] nimmermehr verletzt es unsern Gott, durch keinen Willen, keine Nöthigung, kein Ungefähr; er selbst ist Gott, und was er will, ist gut, er selber ist das Gute; verderbt werden aber, heißt nicht das Gute sein. Noch wirst du wider deinen Willen zu etwas je genöthigt, denn nicht ist dein Willen größer als deine Macht; er wäre größer nur, wenn du selbst größer wärest, als du bist; denn Gottes Wille und Gottes Macht sind Gott selbst. Und was käme dir, der Alles kennt, denn unvermuthet? Ist jegliche Natur ja dadurch nur, daß du sie kennst. Was sollen wir darüber viel sagen, warum unwandelbar das Wesen sei, das Gott ist! Wäre es nicht also, so wäre Gott nicht.


V.

Ich suchte, woher das Böse sei und suchte böse, und in meiner Untersuchung selbst sah ich das Böse nicht. Vor meinen Geist stellte ich die ganze Schöpfung, und was nur in ihr zu sehen ist, die Erde, das Meer und die Luft, die Gestirne, die Bäume und die sterblichen, lebenden Geschöpfe; eben so was nicht an ihr zu sehen ist, den Himmel droben, mit seinen Engeln allen und geistigen Kräften. Doch auch dieß ordnete meine Phantasie in Räume zusammen, als ob es aus Körpern bestünde, wie diese Erde. Nun machte ich mir deine Schöpfung zu einer großen Körpermasse, die sich theilte, in die Gattungen der Körperwesen, mochten sie nun wahre Körper sein, oder mochte ich mir die Geister als Körper vorstellen. Groß machte ich diese Masse mir, nicht wie sie wirklich war, was ich nicht wissen konnte, sondern nach meiner Willkühr, und begränzt von allen Zeiten, dich aber, Herr, bildete ich mir ein, als den sie überall Umfaßenden und Durchdringenden, aber allenthalben Unbegränzten. Gesetzt, allenthalben durch die unermeßlichen Räume wäre nur allein das Meer, und das enthielte in sich einen[148] Schwamm von möglicher, doch begränzter Größe, so wäre dieser Schwamm ganz und in allen seinen Theilen voll von diesem gränzenlosen Meere. Auf diese Weise stellte ich mir die Schöpfung in ihrem Erfülltsein von dir, dem Gränzenlosen, vor und behauptete: »Siehe, so ist Gott, und so ist, was Gott schuf, und gut ist Gott, viel beßer als Jenes, doch hat der Gute Gutes erschaffen, und siehe, wie er's umfaßt und erfüllt! Wo wohnt das Böse nun, und woher, und auf welchem Wege hat es sich hier eingeschlichen? Was ist seine Wurzel und sein Saamen? Ist es denn etwa nicht in Wirklichkeit? Für was dann fürchteten wir, und hüteten uns vor dem, was nicht ist? Oder aber, wenn wir ganz ohne Noth es fürchten, ist denn die Furcht selbst das Böse, von der das Herz somit vergeblich gemartert wird? Und um so schwerer ist das Böse, je weniger wirklich da ist, was wir zu fürchten haben, während wir uns doch wirklich fürchten; denn alsdann ist die Furcht unergründlich und ein Theil unseres Wesens. So besteht nun das Böse entweder in dem, das wir fürchten, oder in der Furcht selbst. Woher ist es doch, da Gott alles schuf, der Gute Gutes? Das größere, das höchste Gut schuf kleineres Gute, doch sind der Schöpfer und seine Erschaffenen gut zusammt. Woher das Böse? War es ein böser Stoff, aus dem er seine Kreaturen schuf, hat er dieselben gebildet und geordnet, und blieb etwas zurück in diesem Stoff, das er nicht wandeln konnte in's Gute? Fehlte die Macht ihm, den ganzen Stoff zu wandeln, bis nichts Böses mehr darin blieb, da er doch Alles kann? Ja warum wollte er aus solcher Masse etwas machen, warum hat er sie mit seiner Allmacht nicht gänzlich vernichtet? Oder konnte sie gegen seinen Willen da sein? Wenn sie ewig war, warum doch ließ er sie so lange vor[149] der gränzenlosen Dehnung der Zeiten sein, und wollte erst so lang hernach etwas aus ihr machen? Und wenn er nun plötzlich etwas mit ihr vornehmen wollte, warum hat der Allmächtige sie nicht vernichtet, damit er selbst allein das ganze, wahre, höchste, unbeschränkte Gute wäre? Und wenn nichts gut vorhanden war, aus dem er, der gut war, Gutes bilden und schaffen konnte, warum hat er nicht, die böse Masse aufhebend, eine gute bereitet, aus der er Alles schaffen mochte? Nicht der Allmachtvolle wäre er ja, wenn er nichts Gutes schaffen könnte, er würde dann von einer Masse unterstützt, die er nicht selber schuf.« Derlei bewegte ich im jämmerlichen Herzen, beschwert von nagendem Kummer und von der Furcht, mich möchte der Tod treffen, ehe ich die Wahrheit fände. Doch schon fest hielt sich in meinem Herzen der Mutterkirche Glauben an deinen Besalbten, unsern Herrn und Erlöser, in Vielem freilich noch gestaltlos. Aber auch über die Richtschnur des wahren Glaubens springend, ließ ihn doch meine Seele nicht, und täglich sog sie mehr von ihm ein.


VI.

Schon hatte ich auch die trüglichen Verkündigungen und Albernheiten der Sterndeuter verworfen. Auch das, mein Gott, dankt mein Herz nur deinen Erbarmungen. Denn du, nur du, wer Anders ruft uns weg von aller tödlichen Verirrung, als das Leben, das nicht zu sterben weiß, als die Wahrheit, die den bedürftigen Verstand erhellt und keines Lichts bedarf, die ihre Welt erhellt, bis zu der Bäume fliegenden Blättern? Du nahmst dich meiner Verkehrtheit, ihr zum Lichte helfend, an, mit der ich dem Vindician widerstund, dem weisen[150] Greise und dem Nebridius, dem Jüngling mit der wunderbaren Seele; von welchen Jener mit eifriger Wahrheitskraft behauptete, dieser mit etwas Zweifel noch, doch beredt sprach: es sei das nicht die Kunst, Künftiges vorher zu sagen. Die Berechnungen der Menschen hätten oft die Macht des Zufalls für sich, und wenn man so viel spreche, so werde zufällig auch Manches gesagt, das künftig komme, ohne daß es diejenigen wüßten, die es sagen, während sie durch nicht Schweigen auf dasselbe gestoßen seien.

Da sorgtest du mir für einen männlichen Freund, der kein läßiger Frager der Sterndeuter war, doch ihre Schriften nicht gründlich verstund, sondern sie nur aus Vorwitz fragte und Einiges daraus wußte, das er von seinem Vater gehört haben wollte. Er wußte nicht, wie viel er beitrug, mir meine Meinung von dieser Kunst zu nehmen. Dieser Mann, mit Namen Firminus, in der Beredtsamkeit wohlbewandert, fragte mich mit Freundesvertrauen über Einiges, auf das er seine zeitlichen Hoffnungen baute, und wollte dabei wißen, was ich von der Constellation halte, unter der er geboren sei. Ich aber, der ich mich schon der Ansicht des Nebridius zu fügen begonnen, versagte ihm zwar nicht, mich auf das Verlangte einzulaßen, wendete ihm jedoch ein, ich sei beinahe von der Lächerlichkeit und Thorheit dieser Künste überzeugt. Da erzählte er mir: sein Vater sei auf derlei Bücher sehr erpicht gewesen und habe einen Freund von gleicher Neigung beseßen. Beide hätten sich mit wahrem Feuereifer auf diese Thorheiten gelegt, so daß sie selbst die Stunden beobachteten, in welchen ihre Hausthiere Junge gebaren, und die dabei erscheinenden Stellungen der Gestirne sich bemerkten, um Versuche für ihre Kunst zu sammeln. Als nun seine Mutter mit ihm, dem Firminus, guter Hoffnung war, befand sich eben eine Sclavin des väterlichen Freundes in gleichen[151] Umständen, und konnte das ihrem Herrn um so weniger verbergen, als er es selbst an seinen Hausthieren mit größtem Fleiße beobachtete. Nun zählte Jener für die Gattin, dieser für die Sclavin Tage, Stunden und Minuten ganz genau. Die Weiber beide gebaren zugleich, und die Constellation wurde auf die Minute hin übereinstimmend und ganz gleich gefunden für den Sohn und für den kleinen Sclaven. Durch wechselseitige Boten konnten sie einander in ihrem kleinen Reiche die Nachricht von der Geburt auf's Genaueste mittheilen; und es kam, daß beide Boten, jeder in gleicher Entfernung von dem Hause, das ihn entsandte, zusammentrafen, so daß keiner der Herrn einen andern Augenblick und eine andere Stellung der Gestirne sich bemerken konnte. Aber Firminus, in vornehmen Umständen geboren, ging den glänzenden Weg der Welt, überkam Reichthümer und wurde zu Ehren erhoben; der Andere dagegen wurde nie von seinem Sclavenjoche los und mußte seinem Herrn dienen. Da ich das hörte und glaubte, denn glaubwürdig war der Erzähler, sanken vollends alle meine Einwendungen gegen die Freunde. Und nun war ich der Erste, der den Firminus von seinem Vorwitze zurückzubringen suchte, indem ich ihm betheuerte, wenn ich nach der Einsicht seiner Constellation die Wahrheit sprechen wollte, so müßte ich durchaus aus ihr ersehen haben, daß seine Eltern vornehmen Standes, eine angesehene Familie in ihrer Stadt seien, daß er frei geboren sei, von feinerer Erziehung und höherem Unterrichte. Wenn mich aber jener Sclave über seine Constellation gefragt hätte, die ja bei ihm ganz dieselbe sei, so müßte ich in ihr der Wahrheit nach seine geringe Familie, seinen Sclavenstand und alles Uebrige, dem Vorigen so ganz Unähnliche, gesehen haben. Wie sollte es nur gekommen sein, daß ich dasselbe sah und doch sich Entgegengesetztes aussprach, oder Falsches aussagte, wenn ich[152] beiden Gleiches zusprach? Daraus schloß ich mit Bestimmtheit, was durch jene Constellationen Wahres verkündet werde, sei nicht Sache der Kunst, sondern des Zufalls, ihr falsch Verkündigtes beruhe nicht auf Mangel an Kunstfertigkeit, sondern sei so zufällig falsch, als Jenes zufällig wahr gewesen. So war mir der rechte Weg aufgethan, und ich spann mir, zur Widerlegung jener Betrüger, die mit dieser heillosen Kunst Gewinn suchten, die Sache noch weiter aus, und wendete meine Betrachtung auf Diejenigen, welche als Zwillinge geboren werden, von welchen die meisten einander so schnell in's Leben folgen, daß die Zwischenzeit nicht beachtet und in jenen Schriften aufgezeichnet werden kann, von denen der Sterndeuter zu seiner Vorherverkündigung Einsicht nehmen muß. Wollte er aber aus der gleichlautenden Schrift Gleichlautendes verkündigen, so verkündigte er falsch, denn da müßte er von Esau und Jakob ganz dasselbe sagen, was ihnen doch wahrlich nicht begegnet ist. Falsch also wäre sein Ausspruch, oder wenn er hie und da auch Wahres sagte, so dankte er das nicht seiner Kunst, sondern hätte es nur zufällig errathen. Aber du gerechter Herr, des Weltalls Lenker, handelst an den Fragenden, die selbst keinen Rath wißen, durch nur dir offenbare Lenkung also, daß jeder Frager das hört, was ihm, gemäß dem dir offenbaren Verdienst der Seelen, nach der Tiefe deines gerechten Urtheils zu hören ziemt,[153] von dem der Mensch nicht sagen soll? Was ist das? Wie so das? Nicht sage er so, der kurzsichtige Mensch.


VII.

Aus diesen Banden hattest du mich losgemacht, aber noch fand ich kein Ziel meiner Forschungen nach der Ursache des Bösen. Doch hieltest du treu mich im Glauben an dich, dein unveränderlich Wesen, an dein Gericht über die Menschen und an Christus, deinen Sohn, unsern Herrn, so wie an deine heiligen Schriften, welche deine katholische Kirche den Seelen vertraut, daß sie den Weg zu seinem Leben, das da folgen wird diesem Tode. Das war gerettet und unerschütterlich in meiner Seele, und mit Sehnsucht fragte ich, woher das Böse sei. Welche Qualen meines kreisenden Herzens, o mein Gott, welche Seufzer! Und nahe war mir da dein Ohr, doch wußte ich nicht davon. Aber da ich also schweigend suchte, war der stille Gram meiner Seele eine laute Stimme vor deinem Erbarmen: nur du, der Menschen keiner, wußtest, was ich litt. Denn was war es, daß ich davon mit Worten meinen Trautesten vertraute? Brauste vor ihnen der ganze Aufruhr meiner Seele, für den weder die Zeit zureichte, noch mein Mund? Nur vor dein Ohr kam Alles, von meines Herzens stillem Seufzen bis zu seinem lauten Schreien, vor dir war all' mein brennendes Sehnen! Doch meiner Augen Licht war nicht mit mir, denn es war in mir, ich aber war draußen. Nicht war es da an irgend einem Ort; ich lenkte meine Gedanken auf das, was der Raum einschließt, und fand dort die Stätte nicht, auf der ich ruhen konnte; nicht nahm es mich auf, daß ich zu sagen vermocht hätte: es ist genug und hier ist's gut; nicht ließ es mich an einem Ort zurück, wo mir genugsam wohl gewesen wäre, denn ich war mehr als das, und weniger als du. Aber du bist[154] meine wahre Freude, seit ich dir unterthan bin, und hast mir unterthan gemacht, was du geringer schufft als mich. Das war das rechte Maß und die sichere Gegend meines Heils, daß ich nach deinem Bilde blieb und in deinem Dienst den Leib beherrschte. Aber als ich mich übermüthig wider dich erhob und wider den Herrn anlief mit halsstarrigem Trotz, da wurde jenes Niedrige über mich gesetzt und presste mich, und nirgends war Linderung und Erholung. Haufenweise liefen jene Trugbilder von Körperwesen auf den Schauenden zu und stemmten sich dem in seine Gedanken Zurückkehrenden entgegen, als sagten sie: wohin du Unwürdiger, du Befleckter? Das wuchs heraus aus meiner Seelenwunde, weil du den Stolzen niederwirfst, gleich einem Verwundeten. Dann trennte mich meines Gemüthes Aufgedunsenheit von dir, und meines Geistes Licht wurde verschloßen, wie es die Augen werden, wenn das Angesicht allzusehr aufschwillt.


VIII.

Du aber, Herr, bleibst in Ewigkeit und zürnst uns nicht in Ewigkeit. Weil du erbarmt dich hast des Staubes und der Asche, so wolltest du, erbarmend mir nahend, meine Misgestalt wieder umbilden, und mit dem innern Stachel mich treiben, daß ich nimmer ruhen konnte, bis du mir gewis wurdest durch inneres Schauen. Da wich meine Aufgedunsenheit deiner verborgenen, heilenden Hand und die verletzte und verdunkelte Sehkraft meines Geistes wurde mit dem scharfen Augenbalsam der Schmerzen von Tag zu Tag mehr geheilt.


IX.

Vor Allem wolltest du mir zeigen, wie du den Stolzen widerstehest, den Demüthigen aber Gnade gebest, und wie groß[155] sich dein Erbarmen den Menschen auf dem Pfade der Demuth erwiesen habe, da dein Wort Fleisch wurde und unter den Menschen wohnte. Du schafftest mir durch einen gewissen, von unbändigem Stolze aufgeblasenen Menschen einige aus der griechischen Sprache in die lateinische übersetzte Bücher der Platoniker, und darin las ich, daß sie zwar nicht mit diesen Worten, aber dem Sinn nach mit den vielfachsten Redewendungen dein Wort aufführten (Joh. 1): »Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Dasselbige war im Anfang bei Gott, alle Dinge sind durch dasselbige gemacht und ohne dasselbige ist nichts gemacht, das gemacht ist, in ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheinet in die Finsterniß, aber die Finsternisse habens nicht ergriffen.« Aber das las ich nicht in ihnen, daß die Menschenseele, obgleich sie Zeugnis vom Lichte ablegt, doch nicht selbst das Licht, daß nur Gottes Wort, Gott selbst, das Licht[156] ist, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen; daß er in sein Eigenthum kam und die Seinen ihn nicht aufnahmen, und daß er denen, die ihn aufnahmen, Macht gab, Kinder Gottes zu heißen, die an seinen Namen glauben. – Auch las ich dort nicht, daß sich das ewige Wort zur Knechtsgestalt erniedrigte und gehorsam war bis zum Tode am Kreuz; daß er für uns Gottlose starb, und du deines eingeborenen Sohnes nicht verschontest, sondern ihn für uns Alle dahingabst. Denn das hast du den Weisen verborgen und hast es den Unmündigen geoffenbart, auf daß die Mühseligen und Beladenen zu ihm kämen und er sie erquicke, weil er sanft ist und von Herzen demüthig, und leitet die Sanftmüthigen mit Gerechtigkeit und lehrt die Gelaßenen seine Wege, indem er ansieht unsere Niedrigkeit und Mühsal, und vergibt uns alle unsere Sünden. Die sich aber, mit einer für höher sich ausgebenden Weisheit, groß machen, die hören ihn nicht, wenn er spricht: lernet von mir, denn ich bin sanftmüthig und von Herzen demüthig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Und wenn sie auch Gott erkennen, so ehren sie ihn nicht als Gott, und danken ihm nicht, sondern werden eitel in ihren Gedanken und ihr unverständiges Herz wird verfinstert, und indem sie sich für weise halten, werden sie Thoren. Daher sah ich auch in diesen platonischen Schriften, wie im übrigen Heidenthum, die Herrlichkeit deines unvergänglichen Wesens verwandelt in Bilder der Menschen, der Vögel, der vierfüßigen und der kriechenden Thiere (Röm. 1, 22). Mir kam dies Verlieren des Christlichen an heidnische Weisheit vor, wie Esau's Linsengericht, um das er seine Erstgeburt verkaufte, oder wie dein erstgeboren Volk, das einst an deiner Statt eines Thieres Haupt angebetet, da es sein Herz nach Aegypten wandte, und dein Bild, seine Seele, beugte vor dem Bilde eines Gras kauenden Kalbes. Das fand ich[157] dort, doch kaute ich nicht davon, denn du wolltest des Jüngern Entbehrung und Niedrigkeit von Jakob nehmen, daß der Größere dem Kleineren diene, und die Heiden riefest du in dein Erbe. Auch ich war von den Heiden zu dir gekommen und streckte die Hand nach dem Golde aus, das du von Aegypten dein Volk mitnehmen ließest, weil es dein Gold war, wo es auch war. Und zu den Athenern sprachst du durch deinen Apostel: »in ihm leben, weben und sind wir, wie auch Einige von den Euren sagen.« (Apostelgesch. 17, 28.) Von dieser Art waren jene Bücher, sie hatten sich aus dem lauteren Golde der evangelischen Wahrheit, mit ihren selbstsüchtigen Zuthaten, ein ägyptisches Götzenbild gemacht, das sie anbeteten und hatten so die Herrlichkeit in Lüge verwandelt.


X.

Dadurch gemahnt, zurückzukehren zu mir selbst, gieng ich unter deiner Führung ein in mein Innerstes, und ich vermochte es, denn du warest mein Helfer. Ein gieng ich mit dem Auge meiner Seele, wie schwach es auch war. Und siehe, ich schaute erhoben über meines Geistes Auge, erhoben über meinen Geist, das wandellose Licht; nicht dieß gemeine, jedem Fleische sichtbare, nicht auch, als ob es dieser Art, nur größer wäre, und weit, weit heller noch erglänzend über Alles schiene. Nicht war es dieß, es war hoch, hoch verschieden von dem Allen. Auch war es nicht so über meinem Geist, wie das Oel ist über dem Wasser, noch wie der Himmel ist über der Erde; es war erhabener, weil es mich selber schuf, und tiefer ich, weil ich geschaffen bin von ihm. Wer die Wahrheit kennt, der kennt es, und wer sie kennt, der kennt die Ewigkeit. Die Liebe kennt es. Die ewige Wahrheit und wahre Liebe und liebe Ewigkeit! Du bist mein Gott, und Tag und Nacht seufze ich zu dir! Sobald ich dich[158] kannte, nahmst du mich auf, damit ich sähe, es sei da in Wahrheit, was ich sehe, und doch noch sei ich der nicht, der da sehe. Du schlugest weg die Schwäche meiner Sehkraft, da du strahltest über mir in deiner Kraft. Und beben mußte ich in Lieb und Schreck, und finden mußte ich, ich sei fern von dir in weiten Abstand meiner Unähnlichkeit mit dir; da war mir, als hörte ich aus der Höhe deine Stimme: »Ich bin die Speise der zur Mannheit Erstarkten; wachse, und genießen wirst du mein. Nicht wirst du mich in dich wandeln, gleich der Speise deines Fleisches, du wirst gewandelt werden in mich.« – Und ich erkannte, wie du den Menschen züchtigst um der Sünde willen, und wie du, gleich einem zerstörten Spinngewebe, meine Seele verschrumpfen ließest. Da rief ich: ist denn die Wahrheit nichts, da sie weder im endlichen, noch im unendlichen Raume verbreitet ist? Und du riefst aus der Ferne: »Ja sie ist, denn ich bin, der ich bin!« Da hörte ich, wie man hört im Herzen, und nimmer war, woran ich zweifeln sollte. Eher hatte ich daran gezweifelt, daß ich lebe, als daß nicht Wahrheit sei, die ich erkannte, an dem, das erschaffen ist.


XI.

Nun wendete ich mich zur Betrachtung dessen, das unter dir ist und bemerkte, daß es weder durchaus ist, noch durchaus nicht ist. Es ist zwar, weil es von dir ist, aber es ist nicht, weil es das nicht ist, was du bist. Denn nur das ist wahrhaft, was ohne Wandel bleibt. Mir aber ist mein Anhangen an Gott mein Gut, weil ich nicht in mir kann bleiben, wenn ich nicht in ihm bleibe. Er aber bleibt in sich und erneuert Alles. Und Herr, mein Gott bist du, der meines Gutes nicht bedarf.


XII.

[159] Ich erkenne die verderbbaren Güter, welche weder, wenn sie die höchsten Güter wären, noch wenn sie keine Güter wären, verderbt werden können, weil sie als die höchsten unverderbbar wären, und wenn keine, sie nichts hätten, das an ihnen zu verderben wäre; denn die Verderbnis kann nur dem schaden, was gut ist. Also entweder schadet die Verderbnis nicht, was doch unmöglich ist, oder, was ganz wahr ist, alles was verderbt wird, wird eines Gutes beraubt. Wenn es aber alles Guten beraubt wird, so kann es gar nicht mehr da sein. Wenn es aber sein wird, und schon nicht mehr verderbt werden kann, so wird es etwas Besseres geworden sein, weil es unverderbbar bleiben wird. Und was wäre wahnsinniger, als die Behauptung: Besser sei geworden, was all sein Gutes verloren habe? Was alles Guten beraubt wurde, ist gar nichts mehr. So lange etwas ist, ist es gut, also ist Alles gut, was da ist. Und so kann das Böse, nach dessen Ursprung ich forschte, kein Wesen an sich sein, denn wenn es das wäre, so wäre es gut, weil ohne Gutes gar nichts ist. Entweder wäre es ein unverderbbares Wesen, also ein hohes Gut, oder es wäre ein verderbbares, das dann nicht verderbt werden könnte, wenn es nicht gut wäre. Und weil du, Gott, Alles Gute machtest, so ist kein Wesen, das du nicht gemacht hast. Aber weil du nicht Alles gleich gemacht, und alles Einzelne gut ist, so ist Alles zusammen sehr gut, denn unser Gott machte Alles sehr gut.


XIII.

An dir ist kein Böses; nicht an dir nur, auch nicht an deiner Schöpfung, wie du sie schufest, und lenkest; denn nichts ist außer ihr, das in sie einbräche und die Ordnung zerstörte,[160] die du ihr gabest. Um Einzelnen aber hält man das für böse, was ihm nicht angemessen ist und ebendasselbe ist einem Andern angemessen und darum ist es in sich selber gut. Und alle diejenigen Dinge, welche mit einander nicht übereinstimmen, sind einem Niedrigeren angemessen, das wir die Erde nennen. So stehet der Erde selbst ihr wolkichter und stürmischer Himmel an. Fern sei der Wunsch von mir, daß dies Niedrige lieber gar nicht sein möchte, denn wenn ich es allein schaute, so würde ich Höheres suchen und doch dich schon über Jenem zu loben haben (Psalm 148): »weil dich in deiner Preiswürdigkeit offenbaren des Meeres Ungeheuer und alle seine Tiefen; des Feuers Flammen, Hagel und der Schnee; das Eis, des Sturmes Geister, deines Wortes Boten; die Berge und die Hügel alle, die fruchtbaren Bäume und die Cedern alle; die Thiere all zusammen; was kriecht und was befiedert fliegt. – Der Erde Könige und alle Völker; die Fürsten und die Richter all auf Erden; die Jünglinge und Jungfrauen; die Alten mit den Jungen loben deinen Namen.« – Und da sie dich auch vom Himmel zu loben haben, so sollen unsern Gott dich loben alle deine Engel in der Höhe; alle deine Kräfte, Sonne und Mond; die Sterne alle in ihrem Licht; der Himmel und die Wasser, die droben sind am Himmel, sie sollen loben deinen Namen. – Was gibt Besseres mir, der ich aller Dinge gedachte, und das Höhere zwar für besser als das Niedere hielt, aber mit noch besserem Urtheil erwog, daß das Weltall zusammengedacht noch besser und herrlicher sei, als seine einzelnen herrlichsten Theile für sich es sind.


XIV.

Der Vernunft entbehren, denen etwas in deiner Schöpfung misfällt, wie auch ich keine hatte, so lange mir so Vieles, das[161] du schufest, nicht gefallen wollte. Und weil sich meine Seele nicht so weit wagte, daß du, mein Gott, ihr misfällig geworden wärest, so wollte ich das, was ihr misfiel, nicht für das Deine halten. So kam ich auf die Meinung von zwei Grundwesen, auf ein gutes und auf ein böses, fand keine Ruhe und sprach Widersprechendes. Davon zurückkommend machte sie sich einen Gott, der allenthalben durch die unendlichen Räume verbreitet sein sollte, den hielt sie für dich und stellte ihn im Herzen auf, sich selbst zum Tempel deines falschen Bildes machend, der abscheulich war vor deinen Augen. Doch darauf nahmst du, ohne daß ich es wußte, mein Haupt in deinen Schooß, schloßest meine Augen, damit sie nicht sähen, was eitel ist, ich nickte ein und meine Thorheit entschlief: da wachte ich auf in dir und sah dich unendlich anders, doch dieß Schauen kam nicht von meinem Fleische.


XV.

Ich betrachtete die andern Wesen, und fand, daß sie dir ihr Dasein schulden und in dich ausgehen, aber auf andere nicht räumliche Weise, sondern indem du Alles hältst mit der Hand deiner allmächtigen Vorsehung, der du allein enthältst das wahrhaftige Leben, das wandellos in sich und aus sich selbst und das Leben aller Leben ist. Alles ist so weit wahr, als es ist, und nichts ist Falschheit, als das, was nicht ist, während man glaubt, es sei; und nicht ist, was nicht ist aus dir. Und ich sah, daß Alles seinem Ort und seiner Zeit gemäß ist, da du, der allein Ewige, nicht erst nach unzählbaren Zeiträumen zu wirken angefangen, weil du von Ewigkeit an vor allen Zeiten wirkst und weil alle Zeitenreihen, die vergiengen und vergehen werden, weder giengen noch kämen, wenn du nicht wirktest und bliebest.


XVI.

[162] Ich weiß es aus Erfahrung, daß man sich nicht verwundern darf, wenn dem kranken Gaumen das Brot zur Pein wird, das dem gesunden lieblich mundet, und daß dem kranken Auge das Licht zuwider ist, welches die hellen Augen lieben. Und eben so mißfällt deine Gerechtigkeit den Ungerechten. Aber nicht nur die Natter und der Wurm, welche du schufest, sind für die niedersten Reihen deiner Schöpfung passend, auch die Ungerechten passen für diese, je unähnlicher sie dir sind, sie werden aber für die höheren Reihen passen, je ähnlicher sie dir werden. Ich fragte, was die Ungerechtigkeit wäre, und fand sie nicht als ein wirkliches Wesen, nur als eine, von Gott dem höchsten Wesen zum Niedrigsten gewendete Verkehrtheit des Willens, der sein innerstes Heiligthum hinausstößt und sich fern von ihm in Stolz aufbläht.


XVII.

Ich wunderte mich, daß ich dich schon liebte und nicht ein Trugbild an deiner Statt. Aber nicht bestand ich fest darin, meines Gottes zu werden; ich wurde zu dir hingerißen von deiner Schöne und bald von dir hinweggezogen durch meine Last, so daß ich in's Alte wieder mit Seufzen sank; und diese Last war meine fleischliche Gewohnheit. Doch noch war mit mir das Andenken an dich; nicht mehr zweifelte ich, daß der in Wahrheit sei, dem ich anhängen möchte, aber ich war der noch nicht, der anzuhöngen vermochte, weil der Leib, der verderbliche, das Gemüth beschwert, und was uns von der Erde anklebt, den vielsinnenden Geist niederdrückt. Und gewis war ich, daß dein unsichtbares Wesen, deine ewige Kraft und Gottheit, von der Schöpfung der Welt an durch das, was geschaffen ist, ersehen[163] und erkannt werde. Denn als ich fragte, woher ich die Schönheit der Erd- und Himmelskörper zu fassen vermöge, und was sich mir vergegenwärtige, wenn ich richtig über die veränderlichen Dinge urtheile, und sprach: Das muß so sein und Jenes nicht so! da fand ich eine unveränderliche und wahre Ewigkeit der Wahrheit über meinem veränderlichen Geist. Nun stieg ich stufenweise vom Körperlichen zu der das Körperliche empfindenden Seele, von da zu ihrem tiefern Vorstellungsvermögen, durch das ihr die leiblichen Sinne, wie einem innern Sinn, die Außenwelt verkünden. So weit reichen auch die Vermögen der Thiere. Jetzt aber stieg ich zu dem Vermögen der Schlüße, vor deren Urtheil gebracht wird, was man mit den leiblichen Sinnen vernahm. Dieses erkannte sich selbst in mir als ein veränderliches und erhob sich damit zur Erkenntniß seiner selbst; entzog seine Gedanken der bisher gewöhnten Denkweise, entschlug sich der verworrenen, ihr widersprechenden Trugbilder, damit es das finde, das ihm Licht zuwerfe, da es ja selbst, von allen Zweifeln frei, behauptete, das Wandellose sei dem Wandellose sei dem Wandelbaren vorzuziehen. So suchte es das Wandellose selbst zu erkennen, das es nie mit Sicherheit dem Wandelbaren vorzuziehen vermochte, so lange es das Wandellose nicht irgendwo an sich selbst erkannte. Da gelangte es, plötzlich im heiligen Schauer schauend, zu dem, das ist. Nun sah und erkannte ich dein unsichtbares Wesen in deiner Schöpfung; aber ich vermochte meine geschärfte Erkenntnis nicht daran festzuhalten, mit meiner wieder über mich kommenden geistigen Schwäche wurde ich ins Altgewöhnte zurückgestürzt, und behielt nichts mehr in mir, als die liebende Erinnerung, die nach der Speise Duft begehrte, die selbst zu kosten ich noch nicht fähig war.
[164]


XVIII.

Jetzt suchte ich mir die Mittel zur beharrlichen Stärke, die da fähig wäre, dein zu genießen, und fand sie nicht, bis ich umfaßte den Mittler Gottes und der Menschen, den Menschen Christus Jesus, welcher ist über Alles, der in Ewigkeit hochgelobte Gott, der uns zuruft: ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; welcher jene Speise, für die ich zu schwach war, mit dem Fleisch vereinte; denn das Wort ward Fleisch, daß es unsere Kindheit stille mit der Milch deiner Weisheit, durch die du Alles geschaffen hast. So lange mir selbst die Demuth fehlte, hatte ich Jesum, meinen Herrn, in seiner Demuth nicht erhalten, hatte nicht erkannt, welche Dinge seine Niedrigkeit lehre. Denn dein Wort ist die ewige Wahrheit, das ist erhoben auch über die höheren Glieder deiner Schöpfung, und erhebt sie zu sich, indem es sie sich unterwirft. Aber unter den Niedrigen deiner Schöpfung hat es sich aus der Erde, von der wir gemacht sind, ein demuthvolles Haus erbaut, durch das es Alle, die es sich unterwerfen wollte, aus ihnen selbst heraustrieb und zu sich überführte, vom Stolz sie heilend, ihre Liebe nährend, damit sie nicht im eitlen Selbstvertrauen noch weiter verirrten, sondern ihr Trotz breche, wenn sie zu ihren Füßen sähen (Joh. 13, 5.) die Gottheit, ihnen dienend, da sie Theil nahm an unserer Schwachheit und sich theilhaftig machte unseres Pilgerkleides, und wir in unserer Ermattung uns vor Dem niederwürfen, der uns emporhebt in Kraft.


XIX.

Ich aber meinte anders und hielt nur so viel von meinem Herrn, als ich von einem Manne, voll unvergleichbarer Weisheit, gehalten hätte. Durch Gottes Fürsorge uns gegeben,[165] schien er und seine Lehre mir ein solches Ansehen zu verdienen, mit seiner wunderbaren Geburt durch eine Jungfrau und mit seiner Verachtung des Zeitlichen aus Liebe zum Unsterblichen; nicht ahnen konnte ich das Gnadenzeichen des fleischgewordenen Wortes. Nur so viel erkannte ich aus den Schriften, die von ihm erzählen, weil er aß und trank, schlief, wandelte, sich freute, betrübt war und redete, so könne das Fleisch sich nur mit deinem Wort verbunden haben, wenn sich auch eine menschliche Seele und ein menschlicher Geist mit ihm verband, denn das erkennt Jeder, der die Umwandelbarkeit deines Wortes erkennt, die ich nun erkannte, soweit ich vermochte, ohne noch daran zu zweifeln. Und da ist Menschenseele und Menschengeist, wo sich nach dem Willen des Leibes Glieder bald bewegen, bald nicht bewegen, wo man bald von etwas gereizt wird, bald nicht, bald der Weisheit Gedanken ausspricht, bald stille schweigt. Wahrhaftig, denn redete die Schrift in diesen Aussagen nicht Wahres über ihn, so wäre Alles in Gefahr, nur Lüge zu sein, und bliebe der Schrift kein Glaubenstrost mehr für die Menschheit. Aber was von ihm geschrieben steht, ist Wahrheit. So erkannte ich ihn als einen wirklichen, völligen Menschen, doch hielt ich ihn nicht für die persönlich gewordene, wahrhaftige Gottheit, ich zog ihn nur den andern Menschen vor, weil ich ihm eine ausgezeichnete Menschennatur und höhere Weisheit zuschrieb. – Alypius war der Meinung, der Gott im Fleische werde von den Kirchlichen so geglaubt, daß neben Gott und dem Fleische in Christus keine menschliche Seele und kein menschlicher Geist sei; und weil er überzeugt war, das was von Christus uns erzählt ist, sei nur einem wirklichen, mit Seele und Vernunft begabten Menschen möglich, so hielt ihn dieß vom eifrigern Ergreifen des Christenthums ab. Später erkannte er in seiner Ansicht die Irrlehre der Apollinaristen und freute nun fügsam[166] sich des ächten Glaubens; und später noch erkannte ich in meiner Meinung die Irrlehre des Photinus, von welcher die katholische Wahrheit verfälscht wird. Denn die Misbilligung der Häretiker stellt ans Licht, was deine Kirche denkt und an gesunder Lehre hat. Rotten müßen ja sein, auf daß die Bewährten unter den Schwachgläubigen offenbar werden.


XX.

Jene platonischen Bücher lehrten mich nun wohl deine unkörperliche Wahrheit und dein unsichtbares Wesen an den Werken der Schöpfung erkennen, ich fand, was mich meiner Seele Verfinsterung früher nicht hatte erkennen laßen, und ich wußte gewiß, du seiest, seiest unendlich gränzenlos, und werdest doch nicht in des Weltalls Räume ausgegoßen, so daß du nur durch[167] sie zerstreut, und nicht in dir selbst wärest; gewiß war ich, du seiest in dir ewig unveränderlich und alles Andere sei aus dir, aus keinem andern Grunde, als weil es sei. Des war ich wohl gewis, doch weit zu schwach, um dein auch zu genießen und mich dein zu freuen. Wie ein Erfahrener that ich mich auf in meinen Reden, aber nicht erfahren, sondern in des Untergangs Gefahren war ich, so lange ich deinen Weg nicht in Christus, unserm Heiland, suchte. Schon hielt ich mich für weise, und war noch gestraft mit Thorheit, und, statt zu weinen unter des Strafenden Hand, erhob ich mich in meiner Weisheit, die vor dir Thorheit war. Wo war jene Liebe, die auf Christus Jesus, den Grund der Demuth, baut? Wie hätten jene Bücher vermocht, mich diese zu lehren? Doch glaube ich du wolltest mich, ehe ich deine heilige Schrift betrachtete, auf jene Bücher kommen laßen, damit ich nie vergeße, wie sie mich mehr zur stolzen Thorheit, als zur liebenden Demuth anregten, und damit ich, gezähmt von deiner Schrift, von deiner pflegenden Hand geheilt, erkennen lernte, welch ein Unterschied sei zwischen philosophischer Anmaßung und dem glaubigen Bekenntnis, zwischen denen, die da sehen, wohin zu sehen ist, und denen, die da sehen, auf welche Weise zu gehen ist, und den Weg erblicken zum seligmachenden Vaterland, das sie nicht schauen nur, das sie auch bewohnen sollen. Denn wäre ich zuerst von deinem Wort unterrichtet worden, hätte, vertraut mit ihm, deine Wonnen geschmeckt, und wäre nachher erst auf jene platonischen Bücher gekommen, so hätten sie mich leicht dem Grund der wahren Gottseligkeit entrißen; oder wenn ich auch festgeblieben wäre am dürstend eingesogenen Heil, so wäre ich wohl auf die Meinung gerathen, es könne auch allein aus jenen Schriften geschöpft werden. So aber fühlte ich, was sie gaben und was du gibst.
[168]

XXI.

Mit heißer Begierde griff ich nun zum heiligen Worte deines Geistes, besonders zu dem, das der Apostel Paulus schrieb; und der Irrthum schwand, mit dem ich gewähnt, Paulus widerspreche sich selbst und den Schriften des alten Bundes. Ein einziger Geist nur that sich kund in den reinen Reden; des lernte ich mich freuen mit Zittern. Nun fand ich, das was ich dort bei den Platonikern Wahres gelesen hatte, werde hier bei Paulus durch die Herrlichkeit deiner Gnade ausgesprochen, damit der es erkennt, sich nicht rühme, als hätte er es nicht empfangen. Er hat ja empfangen, nicht nur daß er es erkennt, sondern auch wie er es erkennt. Denn wer hat etwas, das er nicht empfangen hätte? Nicht nur wird er von dir an dich gemahnt, damit er dich sehe, er wird geheilt von dir, damit er dich halte und nimmer laße. Und wer dich auch in seiner Entfernung noch nicht vermag, er gehe nur den Gnadenweg, auf dem er hingelangt, dich zu schauen und zu halten; denn wenn auch sein inneres Vernunftgesetz Gefallen fand an Gottes Gesetz, was will er thun, da er ein anderes Gesetz in seinen Gliedern hat, das gegen das Gesetz seines Geistes ist und ihn gefangen nimmt in der Sünde Gesetz, welches ist in seinen Gliedern? Nur du Herr bist gerecht und wir sind Sünder, wir thaten Unrecht, führten Böses aus, und schwer liegt deine Hand auf uns, und zu Rechte sind wir dem alten Sünder, dem Fürsten, hingegeben, denn er hat unsern Willen überredet, daß er ähnlich ward dem seinen, mit dem er nicht bestanden ist in deiner Wahrheit. Was soll er thun, womit sich helfen, der Mensch des Elends? Wer wird ihn befreien von dem Leibe dieses Todes, als deine Gnade durch Jesus Christus, unsern Herrn, den du dir gleich ewig zeugtest und ließest ihn[169] hervortreten im Anfang deiner schaffenden Liebeswege, an dem der Fürst dieser Welt nichts des Todes Würdiges fand; den er erschlug, wodurch vertilget ward die Handschrift, die wider uns zeugte. – Das enthalten jene Menschenschriften nicht; nicht haben sie die Züge dieser Gottseligkeit, nicht die Thränen des Bekenntnisses, nicht sein Opfer, nicht den zerknirschten Geist, nicht das zerschlagene und gedemüthigte Herz, des Volkes Heil, die Braut, die Gottesstadt, des heiligen Geistes Unterpfand, nicht den Kelch unserer Erlösung. Dort singet Keiner: »Meine Seele ist Stille zu Gott, der mir hilft. Denn er ist mein Hort, meine Hilfe, mein Schutz, daß mich kein Fall stürzen wird, wie groß er ist!« Keiner hört dort die Stimme des Rufenden: »Kommt her zu mir, alle die ihr mühselig und beladen seid!« – Und sie verschmähen, von ihm zu lernen, weil er sanftmütig ist und von Herzen demüthig. Denn das hast du den Weisen und Klugen verborgen, und hast es den Unmündigen geoffenbart. Wohl viel ein Anderes ist es, von des wilden Waldgebirges Gipfel das Friedensland zu schauen und doch den Pfad zu ihm nicht zu finden, dahin zu streben auf vergeblichen Umwegen, wo sie ringsum lauern und nachstellen, die Flüchtlinge und Ueberläufer, mit dem Löwen und Drachen, ihrem Anführer – und ein Anderes ist's, zu halten den sicher dahin führenden Weg, der da geschirmt ist durch die Fürsorge des himmlischen Königs, wo die nicht rauben, welche verlaßen haben die himmlische Kämpferschaar, denn sie meiden ihn wie eine Marter. – Dieß Alles drang mir wundertief in's Herz, da ich den geringsten deiner Apostel las, da ich betrachtete dein Werke und zitterte.[170]

Quelle:
Augustinus: Die Bekenntnisse. Stuttgart 41863, S. 141-171.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Bekenntnisse
Universal-Bibliothek Nr. 2792: Bekenntnisse
Confessiones /Bekenntnisse: Liber X et XI /10. und 11. Buch
Bekenntnisse
Bekenntnisse / Confessiones. Lateinisch und deutsch
Was ist Zeit?: Confessiones XI / Bekenntnisse 11

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

»Ein ganz vergebliches Mühen würd' es sein, wenn du, o lieber Leser, es unternehmen solltest, zu den Bildern, die einer längst vergangenen Zeit entnommen, die Originale in der neuesten nächsten Umgebung ausspähen zu wollen. Alle Harmlosigkeit, auf die vorzüglich gerechnet, würde über diesem Mühen zugrunde gehen müssen.« E. T. A. Hoffmann im Oktober 1818

88 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon