§ 52. Darstellung des Ursprungs des Bösen nach J. B.

[161] Die sichtbare, gegenwärtige, wirkliche, materielle Welt ist der Schauplatz des Bösen, ja sie verdankt sogar nach J. B.s christlich religiöser Vorstellung ihr Dasein dem Abfall von Gott – dem Fall Luzifers und Adams, denn vor dem Fall war der Mensch nicht Mann und Weib, sondern beides in einem, hatte er also keine Geschlechtsorgane, auch keine Zähne, keinen Magen, keine Gedärme, folglich auch natürlich keinen Podex. Alle diese materialistischen Organe, die jetzt selbst in der christlichen Welt eine so einflußreiche[161] Rolle spielen, verdanken wir dem Sündenfall. Es ist daher hier der Ort, J. B.s Begriff vom Bösen und dessen Ursprung noch besonders hervorzuheben und zu erörtern, ob er gleich schon in der ganzen bisherigen Darstellung seiner Gedanken enthalten ist. Die Wichtigkeit und zugleich die Schwierigkeit des Gegenstandes erfordert es.

Das Böse ist nach J. B. überhaupt das Principium der Negativität, d. i. der Aufhebung der Einheit, der Scheidung und Unterscheidung (der Differenzierung) und der mit dieser zugleich gegebenen Entgegensetzung. Der Ursprung der Natur und des Geistes, des Etwas, des Daseins und des Bewußtseins, und der Ursprung des Bösen ist daher ein Akt, ein und derselbe Ursprung. Wenn Gott sich nicht von sich unterschiede, nicht in sich entzweite, so wäre er nicht Geist, nicht Wissen, nicht selbstbewußt, »denn in einem einigen Wesen, darinnen keine Schiedlichkeit ist, das nur eines ist, da ist keine Wissenschaft« (»Clavis«, § 13); nur dem Principium der Negativität, der Scheidung und Unterscheidung entquillt der selbstbewußte Geist. Das Principium der Negativität ist aber das Principium des Bösen die Ursache, daß etwas überhaupt im Unterschiede für sich wird und sein Fürsichsein in dieser Unterscheidung und Abtrennung befestigt. »Denn aller böser Wille ist ein Teufel, als nämlich ein selbstgefaßter Wille zur Eigenheit, ein abtrünniger vom ganzen Wesen, und eine Phantasei.« (»Gnadenwahl«, c. 2, § 12) Gott ist also nur durch den Teufel als das Principium der Verneinung Geist; denn er wird nur dadurch, daß er aus sich herausgeht, ausfleußt, sich von sich unterscheidet und entzweit, dieses Zweite als ein andres, einen Gegensatz sich setzt und aus diesem Herausgehen, diesem Entzweien wieder in sich hineingeht, für sich, sich selbst offenbar, Ichheit. Das Selbstbewußtsein Gottes aber ist als die allerheiligste, allereinigste, allererste Unterscheidung und Entzweiung das Principium aller Differenzen, damit das Prinzip der Natur; »die Weisheit ist Wissenschaft, ein Subjectum oder Gegenwurf der ungründlichen Einheit, sie ist das große Mysterium göttlicher Art, denn in ihr werden die Kräfte, Farben und Tugenden offenbar; in ihr ist die Schiedlichkeit der Kraft als der Verstand, sie ist selber der göttliche Verstand als die göttliche Beschaulichkeit, darin die Einheit offenbar ist.« (»Clavis«, § 18, 19)[162] Das Selbstbewußtsein, in dem der Verstand urständet, ist das Principium aller Differenzen, d.h. das Unterscheidende; der Verstand ist die Ursache, daß etwas ist; ohne den Verstand und den Urzwiespalt des göttlichen Wesens wäre alles eines, denn er ist der Separator, der Scheider und Sonderer und als dieser der Macher des Etwas. Der Verstand als der große Separator ist das Prinzip des Etwas, aber eben damit auch das Prinzip aller Selbstheit, aller Partikularität, alles Eigensinnes Eigenwillens, aller Verstockung und Verhärtung in sich als der Scheider in Dein und Mein, der Vater alles Widerwillens, Kriegs und Streites; das Prinzip des Daseins daher, das Prinzip, daß überhaupt etwas ist, und das Prinzip des Bösen ist ein Prinzip, oder, wie es sich auch aussprechen läßt: Das Prinzip der Qualität und das Prinzip des Bösen ist ein Prinzip, denn das Etwas ist etwas nur als differentes, als eigenschaftliches, eigenwilliges; die Qualität ist ein abtrünniger, egoistischer Partikularwille, ein Hungergeist in J. B.s Sprache, eine Eigenmächtigkeit, eine in sich verstockte und verknorzte Sonderheit, die sich gegen andres als boshafte, es verzehren wollende Begierde, als Haßsucht, Freßgierde äußert. Das Reich des Daseins und Etwas, das Reich der Qualitäten, der Eigenschaften und damit das Reich aller besondern Wesen und Dinge ist aber die Natur; das Prinzip der Natur und das Prinzip des Bösen ist also ein Prinzip. Das Prinzip der Natur, die natura naturans, ist aber der Gegensatz und Gegenstand Gottes in Gott, ist eins in ihm mit dem Prinzip der Negativität, mit dem er sich in sich entzweit und unterscheidet, das Unterschiedene als ein andres sich entgegengesetzt und aus diesem Prozeß der Entzweiung das Licht seines Selbstbewußtseins erzeugt; das Prinzip des Selbstbewußtseins und das Prinzip der Natur, nämlich der Natur in Gott, der ewigen, ursprünglichen Natur, ist also ein und dasselbe Prinzip. »Das Wesen aller Wesen ist nur ein einiges Wesen, aber es scheidet sich in seiner Gebärung (d. i. Selbstbestimmung) in zwei Principia als in Licht und Finsternüs, in Freud und Leid, in Böses und Gutes, in Liebe und Zorn, in Feuer und Licht, und aus diesen zweien ewigen Anfängen in den dritten Anfang als in die Kreation zu seinem eignen Liebespiel nach beider ewigen Begierde Eigenschaft. Das große Mysterium aller Wesen ist in der Ewigkeit in sich selber ein Ding, aber in[163] seiner Auswicklung und Offenbarung (womit J. B. die immanente, in Gott ewig geschehende, mit der Genesis sei nes Selbstbewußtseins identische Offenbarung meint) tritt's von Ewigkeit in Ewigkeit in zwei Wesen als in Böses und Gutes ein.« (»Sign. Rer.«, c. 16, § 11, 26) Der Ursprung, das Prinzip des Bösen liegt daher in Gott selbst86, und da es eins ist mit dem Prinzip der Negativität, der Differenz, hat es sein Dasein in allen Dingen und Wesen; denn das Prinzip des Bösen ist ja überhaupt das, vermöge dessen und in dem ein Etwas sich selbst, seine Besonderheit bejaht, in dieser Bejahung seiner selbst aber ein andres verneint und eben in dieser Negativität ein Selbstwesen, ein Ich ist. »Das ist der Tod und Elend der Menschen und aller Kreaturen, daß die Eigenschaften streitig und eine jede in sich selber erhebend und in eigenem Willen qualifizierend ist, davon Krankheit und Wehe entstehet... eine jede Eigenschaft die Gleichheit begehret als ein Wesen nach und aus sich.« (»Myst. Magn.«, c. 11, 17) »In allen ist Gift und Bosheit; befindet sich auch, daß es also sein muß, sonst wäre kein Leben noch Beweglichkeit, auch wäre weder Farbe, Tugend, Dickes und Dünnes oder einigerlei Empfindnüs, sondern es wäre alles ein Nichts.« (»Drei Prinzip.«, Vorr., § 13) Der Teufel ist daher nach J. B. das Salz der Natur, ohne welches alles nur ein geschmackloser Brei wäre; denn das Prinzip aller Verschiedenheit, Spezies, Art und das Prinzip des Bösen ist ein Prinzip. Aber in Gott ist das Prinzip des Bösen nicht ein Prinzip des Bösen, sondern des Guten. Die Selbstentzweiung und Unterscheidung Gottes zündet wohl in Gott mit dem Selbstbewußtsein das Feuer der Ichheit und Selbstheit an; aber diese Ichheit ist nur die Form, die Einfassung der Einheit, ihr Inhalt ist die selbstlose Fülle aller Wesen. Diese Ichheit ist nur das selige Bewußtsein der reinen Liebe; das Fürsichsein Gottes, das ihm aus seiner Unterscheidung in sich, aus dem Sich-Entgegensetzen eines Gegenwurfs resultiert, ist nicht das Fürsichsein der Differenz, sondern[164] vielmehr die im Unterschiede von der Differenz für sich seiende, sich offenbare Einheit und Freiheit, Gott wird nur an seinem Gegensatze, in der Unterscheidung von ihm sich offenbar; ohne die Widerwärtigkeit eines Gegensatzes in sich zu setzen, wäre Gott nicht sich selbst wissend; aber dieses Selbstbewußtsein ist das Bewußtsein des Guten von sich, der Liebe, und als das Selbstbewußtsein der Liebe eine Quelle der Freude, der Seligkeit; Gott ist die Seligkeit, weil oder wiefern er sich als Gott erkennt. Das Principium der Negativität, der Entgegensetzung, der Entzweiung, das Prinzip des Bösen ist also in Gott eine Ursache zum Guten. Das Negative ist in Gott ein Positives. Das Feuer der Negativität, der Ichheit ist in Gott nur ein wohltuendes liebliches Liebebrennen, das Feuer der Liebe, des Guten; das Prinzip des Bösen ist in Gott nur die Ursache87, daß das Positive, das Gute, in Form und Gestalt, in Selbstheit in Affekt kommt, ein Bewegliches, Wirkendes, Empfindliches, ein Tätiges, sich selbst Erkennendes werde. »Das Böse gehöret zur Bildung und Beweglichkeit und das Gute zur Lüge und das Strenge oder Widerwillige zur Freude.« (»Drei Prinzip.«, Vorr., § 14) Die Einheit, die zuerst bloße, stille, unbewegte Einheit, wird erst durch das Setzen eines Gegenwurfs und die Unterscheidung von ihm eine sich unterscheidende, negative, selbstische, brennende, feurige Einheit und dadurch erst wirkliche lebendige Einheit. Das Feuer der Negativität ist daher in Gott als identisch mit dem Lichte, der Einheit, das Böse ist in Gott (oder an sich) nur Gutes. »In Gottes Reich als in der Lichtwelt wird nicht mehr als ein Principium recht erkannt; denn das Licht hat das Regiment, und sind die andern Qualen und Eigenschaften alle heimlich, als ein Mysterium, denn sie müssen alle dem Lichte dienen und ihren Willen ins Licht geben; daraus wird die Grimme-Essenz im Lichte verwandelt in eine Begierde des Lichts und der Liebe, in Sanftmut. Obwohl die Eigenschaften als Herbe, Bitter, Angst, und das bitter Wehe im Feuer ewig bleiben, auch in der Lichtwelt, so ist derselben[165] doch keine in seiner Eigenschaft offenbar, sondern sie sind allemsambt nur also Ursachen des Lebens der Beweglichkeit und Freuden. Was in der finstern Welt ein Wehe ist, das ist in der Lichtwelt ein Wohltun; und was im Finstern eine Furcht, Schrecken und Zittern ist, das ist im Licht ein Jauchzen der Freuden, ein Klingen und Singen, und das möchte nicht sein, wann im Urstande nicht eine solche ernstliche Qual wäre. Darumb ist die finstere Welt der Lichtwelt Grund und Urstand und muß das ängstliche Böse eine Ursache des Guten sein und ist alles Gottes.« (»Von sechs [theosophischen] Punkten«, c. 3, § 1-5) »Alles das, wessen diese Welt ein irdisch Gleichnüs und Spiegel ist, das ist im göttlichen Reiche in großer Vollkommenheit im geistlichen Wesen. Im Himmel (d. i. in Gott als Gott) ist alles gut; was in der Hölle bös, sowohl Angst und Pein ist, das ist im Himmel gut und eine Freude, denn es stehet alles in der Lichtesqual.« (»Sign. Rer.«, c. 16, § 22 u. 20) »In Gott ist kein Zorn, es ist eitel lauterliche Liebe; allein im Fundament, dadurch die Liebe beweglich wird, ist Zornfeuer, aber in Gott ist's eine Ursache der Freudenreich.« (»Theos. Fr.«, 3. Fr., § 27) »So die Liebe der Einheit nicht in feuerbrennender Art stünde, so wäre sie nicht würklich und wäre keine Freude oder Bewegnüs in der Einheit.« (Ebd., § 18)

Das Böse ist also ein absolutes, ewiges Moment, ein Moment im göttlichen Leben selbst; aber in Gott ist das Böse nur die Kraft, die Energie, die Strengigkeit, die Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit, d. i. die Subjektivität oder Selbstheit, die Form des Guten. Es verhält sich hier mit dem Bösen ebenso wie in der untergeordneteren Sphäre des menschlichen Lebens mit der Leidenschaft. Die Leidenschaft ist hier das Prinzip des Bösen, aber Prinzip des Bösen und selbst böse wird sie erst, wenn und sofern sie, sich abtrennend vom Guten, ein eignes Leben wird; an sich ist die Leidenschaft der Motor, die Energie, das Feuer, die Form, der Geist des Guten. Eine Güte, die sozusagen nicht den Teufel im Leib hat, die nicht das Prinzip und Moment des Bösen, das Feuer der Ichheit, Lebendigkeit und Leidenschaftlichkeit in sich hat, ist nicht die Güte des Geistes, sondern eine simpelhafte Güte.

Erst in dem großen Scheidungsprozesse der Offenbarung in der Natur, wo alles in selbständige Eigenhaftigkeit und in[166] schiedliche Existenz tritt, um offenbar zu werden, erst da wird das Prinzip des Bösen ein Prinzip des Bösen; erst da, wo das Böse sich abtrennt vom Guten, in eigne besondre Existenz tritt, wo die Form sich selbst zum Inhalte, die Ichheit sich selbst zum Wesen und Gegenstand macht, wo das Feuer, als abgetrennt von der Liebe, nicht mehr ein Feuer der Liebe, sondern ein verzehrendes Zornfeuer, Feuer des Egoismus wird, erst da, wo das Böse also für sich selber wird, wird das Böse Böses und ist es als Böses offenbar und wirklich.88 Dieser Akt der Scheidung ist aber ein von dem ursprünglichen Akt der Entzweiung und Unterscheidung Gottes unzertrennlicher Akt; er ist schon in Gott, aber in Gott nur insofern, als er das Zentrum, das Prinzip der Natur ist, in ihm als der ewigen Natur, die sich wieder produziert und vergegenständlicht zu dieser, der zeitlichen, sinnlichen Natur, in und an der jene ihre ausgeprägte, ausgebildete Existenz und Erscheinung hat; und insofern daher auch das Böse seine bestimmte, ausgebildete Existenz erst in der Kreation hat, findet jener an sich mit der ewigen Entzweiung des Bewußtseins identische Akt seine bestimmte Wirklichkeit in der Kreatur oder ist erst in ihr ein bestimmt, wahrhaft wirklicher Prozeß und Akt. »Wenn man nun allhie redet vom Willen Gottes Zornes, daß er sich habe von der Liebe abgebrochen und wollen bildlich sein, so muß man's nicht außer der Kreatur verstehen. Man muß nicht Gott die Schuld des Falls geben, sondern nur der gebildeten Kraft in der Kreatur nach dem Nein, diese hat's verscherzt und ist zur Lügen worden, nicht Gott, sondern die Kreatur, nicht die ungebildete Kraft des Zornes, darinnen die Liebe brennet.« (»Theos. Fr.«, 9. Fr., § 7, 8) Zugleich muß aber, weil das Zornfeuer in Gott das Prinzip der Kreatur ist, das[167] Prinzip dieses Prozesses wieder in Gott insofern gesetzt werden, als nur an dem Gegenwurf der ewigen Natur, in der Gutes und Böses, Licht und Finsternüs innestehet, Gott das Bewußtsein seiner als des Lichtes, der Einheit anzündet.

Das Böse ist also nach J. B. ein absolut Notwendiges, die Bestimmung der Negativität eine absolut wirkliche Bestimmung. Denn das Böse ist das Prinzip alles Geistes und Lebens, wie sich deutlich genug aus dem bisher Entwickelten ergibt.

»So keine Widerwärtigkeit im Leben wäre, so wäre auch keine Empfindlichkeit noch Wollen noch Würken, auch weder Verstand noch Wissenschaft darinnen; dann ein Ding, das nur einen Willen hat, das hat keine Schiedlichkeit, so es nicht einen Widerwillen empfindet, der es zum Treiben der Bewegnüs ursachet, so stehet's stille.« (»Von göttl. Beschaul.«, c. 1, § 9) »Das Leben stehet in viel Willen: Eine jede Essenz mag einen Willen führen und führet ihn auch. Es feindet je eine Gestalt die andere an, und nicht allein im Menschen, sondern in allen Kreaturen.« (»Von sechs [theosophischen] Punkten«, III, c. 4, § 2, 3)

Der Ursprung des Lebens ist der Ursprung des Bösen, dieses kann nicht von jenem abgetrennt und abgesondert von ihm betrachtet werden, so daß man das Leben zuerst setzen könnte und dann hintendrein noch besonders fragen: Wie kam Böses hinein oder wie entwickelt sich Böses aus ihm? Obgleich aber das Böse als ein mit dem Leben und Geiste Identisches ein absolut Notwendiges, Ursprüngliches ist, nach dessen Ursprung man ebensowenig fragen kann als nach dem des Lebens, weil in ihm an und für sich der Begriff der Ursprünglichkeit liegt, so hat doch das Böse, wo es als Böses, in vom Guten abgeschiedener, eigener Existenz auftritt und offenbar wird, nicht etwa bei J. B. die Bedeutung eines absolut Notwendigen oder eines selbständigen Wesens wie etwa im Dualismus der alten Welt. Das Böse ist vielmehr, selbst wo es als Böses wirkt, eine Ursache, ein Mittel, ein Antrieb zum Guten, das Mittel zur Offenbarung, Empfindung und Erkenntnis des Guten: Das Negative ist das Negative seiner selbst oder negativ gegen sich selbst, der Teufel ist Teufel nur gegen sich selbst, das Böse der größte Feind und Gegner seiner selbst, d.h., in J. B.s Sprache, eine[168] erschreckliche Qual, ein höllisches Feuer, eine ewig aufsteigende peinliche Qual und darum selbst eine Begierde nach Ruhe und Friede, nach dem Guten, nach dem Rückgang in den Urstand, wo es eins mit dem Guten nur die Belebung Begeistigung und Befeuerung desselben ist. »So keine Pein wäre, so wäre ihr die Freude nicht offenbar. Das Böse muß eine Ursache sein, daß das Gute ihm selber offenbar sei, und das Gute muß eine Ursache sein, daß ihme das Böse in seiner Arglistigkeit und Bosheit offenbar werde, auf daß alle Dinge in ihre Beschaulichkeit kämen.« (»Myst. Magn.«, c. 28, § 68, 69) »Das Böseste muß des Besten Ursache sein.« (Ebd., c. 10, § 62) Dieser Begriff des Bösen erläutert auch zugleich die schon angeführte Bestimmung, in der von J. B. die Einheit und der Geist gefaßt sind. Die wahre und wirkliche Einheit ist nicht die erste, anfängliche, der wahre Geist ist nicht der zwiespaltlos mit sich einige, sondern der in die Höllenpein des Bösen, in die schmerzliche Qual der Differenz ausgehende und durch die Aufhebung der Differenz als solcher, durch die Einigung derselben mit sich wieder in sich ein- und zurückgehende Geist; denn nur so, als in sich wieder ein- und zurückgehender, ist er ein sich empfindlicher, offenbarer, wirklicher und lebendiger Geist. »Die Lust der Freiheit« (die J. B. an andern Stellen den Geist nennt) »begehret wieder in das Stille als ins Nichts und dringet wieder aus der Finsternüs der Strengheit der Begierde in sich selbst als in die Freiheit außer dem Grimme der Feindschaft und hat sich nur also im strengen Impressen geschärfet, daß sie ein bewegend fühlend Leben ist und daß ihre Freiheit geschärfet (ichheitlich, selbstisch, begeistert) ist, daß sie ein Glanz ist, welches in der Freiheit ein Freudenreich ist und gibt.« (»Sign. Rer.«, c. 3, § 18) Derselbe Prozeß findet aber auch im Menschen statt. Die Unruhe, Pein und Qual des Bösen ursachet, daß der Mensch sich wieder aus der Differenz seiner Ichheit in seinen Urstand und Ursprung zurücksehnet und in die Form seiner Ichheit den Willen der ewigen Einheit einfasset, die jetzt erst an dem Gegensatze des schmerzlichen Bösen als Einheit, als süße Milde, als Wohltat empfunden und erkannt ist. »Das Böse oder Widerwillen ursachet das Gute als den Willen, daß er wieder nach seinen Urstand als nach Gott dringe und daß das Gute als der gute Wille begehrend werde. Dann ein Ding, das in sich[169] nur gut ist und keine Qual hat, das begehret nichts, dann es weiß nichts Beßres in sich oder für sich, darnach es könnte lüstern.« (»Von göttl. Beschaul.«, c. 1, 13)

86

»Wann ich«, sagt J. B. (in seiner »Zweiten Apologie wider B. Tilken«, § 140), »auf eure Weise soll reden, daß Gott in allem alles mächtig ist, wie es denn wahr ist, so muß ich sagen, daß Gott alles ist; er ist Gott, er ist Himmel und Hölle und ist auch die äußere Welt; denn von ihm und in ihm urständet alles.«

87

»Das Gute hat das Böse oder Widerwärtige in sich verschlungen und hält's im Guten in Zwang gleichsam als gefangen, da das Böse eine Ursache des Lebens und Lichtes sein muß.« (»Sechs Punkte«, III, § 2)

88

Gerade aber dieser Punkt, wo es erst zum Treffen kommt, ist auch der Punkt, wo J. B. sich gänzlich in theologische Phantastik und Willkür verliert, ohne daß er doch – freilich eine, übrigens sehr begreifliche, Unmöglichkeit – die Schwierigkeit löst. Und diese Schwierigkeit bietet sich ihm unglücklicherweise zweimal dar – erstlich bei dem Fall Luzifers, dann bei dem Fall Adams. Er hilft sich mit dem freien Willen. Aber es bleibt eben absolut unbegreiflich und sinnlos, wie der freie Wille aus der göttlichen Konkordanz heraustreten konnte. Es gibt eben keinen Übergang von der phantastischen Welt der Theologie in die wirkliche Welt.

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 161-170.
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