Das Zwölfer-Bruchstück

Sīlavā

[397] 608

Nur Tugend kann uns taugen hier,

Auf Erden tüchtig eingeübt:

Allein die Tugend dauert aus,

Erteilt Gedeihung jedem Ding.


609

Der Weise sei der Tugend Hort!

So glänzt ihm bald ein dreifach Glück:

Der Preis der Edlen, reiche Huld,

Und nach dem Tode himmlisch Heil.


610

Wer Tugend kennt, wer dulden kann

Gewinnt gemach gar manchen Freund:

Doch wer der Tugend frech entsagt,

Der wird von Freunden aufgezehrt.


611

Kein Lob erlangt und keinen Ruhm

Der Mann, der keine Tugend kennt:

Doch Lob erlangt und Ruhm und Preis

Der brave Mann, der tüchtig taugt.


612

Die Tugend ist der Eckstein, Grund

Und Giebel aller Edelart,

Der Anfang aller Wesenheit:

Die Tugend taug' uns immerdar.


613

Gebot ist Tugend und Verbot,

Zum Herzen spricht sie insgeheim,

Ist aller Auferwachten Furt:

Die Tugend taug' uns immerdar.


[398] 614

Der Tugend eignet größte Kraft,

Der Tugend eignet beste Wehr,

Der Tugend eignet hellster Schmuck,

Ein wunderbares Panzerhemd.


615

Die Tugend trägt uns hoch hinauf,

Die Tugend duftet reinsten Duft,

Ist bester Balsam überall,

Durchweht gewaltig diese Welt.


616

Die Tugend reicht zur Reise aus,

Ist beste Zehrung, beste Kost,

Die Tugend ist das rasche Roß,

Das durch die Welt fährt windesgleich.


617

In dieser Welt, in jener Welt

Erlangt ein Tor nur Tadellohn:

Geblendet ist er dort und da,

Der keine Tugend kennen will.


618

In dieser Welt, in jener Welt

Erlangt ein Weiser lichtes Lob:

Gewitzigt ist er dort und da,

Der wohl die Tugend kennen will.


619

Nur Tugend taugt am besten hier,

Der Weise nur ist höchster Held:

Bei Menschen siegt, bei Göttern siegt

Nur Tugendkraft, nur Weisheitkraft.


[399]

Sunīto

620

Geboren unter niederm Dach,

In Armut und in Dürftigkeit,

Fiel mir gemeine Arbeit zu:

Verwelkte Blumen las ich auf.


621

Verachtet, eines jeden Knecht,

Verstoßen, höhnisch weggejagt,

Beugt' ich in Demut meinen Sinn,

Und grüßte hier und grüßte dort.


622

Da sah ich einst den wachen Herrn,

Gefolgt von seiner Jünger Schar,

Hereinziehn als ein Siegerfürst

Zur Königstadt von Magadhā.


623

Das Bündel warf ich ab von mir,

Zu frohem Gruße schritt ich hin:

Aus Mitleid stand der Meister still,

Um meiner gar, der höchste Mann!


624

Ich küßte seiner Füße Staub

Und trat an seine Seite dann

Und flehte: »Nimm mich auf, o Herr,

Du Schützer aller Wesenheit!«


625

Und Er, der keinen von sich stößt,

Erbarmer einer ganzen Welt,

»Willkommen, Jünger!«, sprach der Herr,

Gab also mir den Weihegruß.


[400] 626

Im Walde weilt' ich einsam nun,

Getreu der strengen Ordenszucht,

Dem Meisterworte folgt' ich nach,

Wie mir's der Sieger kundgetan.


627

Im ersten Dämmer einer Nacht

Erkannt' ich Sein und Wiedersein;

Um Mitternacht ward himmlisch hell

Mein Antlitz, innen abgeklärt;

Und als der junge Tag erschien,

Da brach ich alles Wähnen durch.


628

Die nächt'gen Nebel flossen auf,

Im Osten zog das Frührot an,

Die Himmelsgötter neigten sich

In heller Andacht zu mir her:


629

»Heil, Edler, dir, Verehrung dir,

Verehrung als dem höchsten Mann:

Der alles Wähnen hat versiegt,

Gepriesen seist du, lieber Sohn!«


630

Der Meister aber sah den Glanz,

Die Huldigung der Götterschar,

Ein Lächeln spielt' ihm um den Mund,

Und heiter sprach er diesen Spruch:


631

»Ein heißer Ernst, ein keuscher Sinn,

Genugsamkeit und Selbstverzicht,

Das macht den Menschen heilig sein,

Ist allerhöchste Heiligkeit.«

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 397-401.
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