c. Der Ort und die Bewegung
§ 260

[55] Der Raum ist in sich selbst der Widerspruch des gleichgültigen Auseinanderseins und der unterschiedslosen Kontinuität, die reine Negativität seiner selbst und das Übergehen zunächst in die Zeit. Ebenso ist die Zeit, da deren in eins zusammengehaltene entgegengesetzte Momente sich unmittelbar aufheben, das unmittelbare Zusammenfallen in die Indifferenz, in das ununterschiedene Außereinander oder den Raum. So ist an diesem die negative Bestimmung, der ausschließende Punkt, nicht mehr nur an sich dem Begriffe nach, sondern gesetzt und in sich konkret durch die totale Negativität, welche die Zeit ist; – der so konkrete Punkt ist der Ort (§ 255, 256).
[55]


§ 261

Der Ort, so die gesetzte Identität des Raumes und der Zeit, ist zunächst ebenso der gesetzte Widerspruch, welcher der Raum und die Zeit, jedes an ihm selbst, ist. Der Ort ist die räumliche, somit gleichgültige Einzelheit und ist dies nur als räumliches Jetzt, als Zeit, so daß der Ort unmittelbar gleichgültig gegen sich als diesen, sich äußerlich, die Negation seiner und ein anderer Ort ist. Dies Vergehen und Sichwiedererzeugen des Raums in Zeit und der Zeit in Raum, daß die Zeit sich räumlich als Ort, aber diese gleichgültige Räumlichkeit ebenso unmittelbar zeitlich gesetzt wird, ist die Bewegung. – Dies Werden ist aber selbst ebensosehr das in sich Zusammenfallen seines Widerspruchs, die unmittelbar identische daseiende Einheit beider, die Materie.

Der Übergang von der Idealität zur Realität, von der Abstraktion zum konkreten Dasein, hier von Raum und Zeit zu der Realität, welche als Materie erscheint, ist für den Verstand unbegreiflich und macht sich für ihn daher immer äußerlich und als ein Gegebenes. Die geläufige Vorstellung ist, Raum und Zeit als leer, gleichgültig gegen ihre Erfüllung und doch immer als voll zu betrachten, sie[56] als leer von außen her mit der Materie erfüllen zu lassen, und einerseits auf diese Weise die materiellen Dinge als gleichgültig gegen Raum und Zeit und andererseits zugleich als wesentlich räumlich und zeitlich anzunehmen.

Was von der Materie gesagt wird, ist, α) daß sie zusammengesetzt ist; – dies bezieht sich auf ihr abstraktes Außereinander, den Raum. – Insofern bei ihr von der Zeit und überhaupt von aller Form abstrahiert wird, ist von ihr behauptet worden, daß sie ewig und unveränderlich ist. Dies folgt in der Tat unmittelbar; aber eine solche Materie ist auch nur ein unwahres Abstraktum. β) Die Materie ist undurchdringlich und leistet Widerstand, ist ein Fühlbares, Sichtbares usf. Diese Prädikate sind nichts anderes, als daß die Materie teils für die bestimmte Wahrnehmung, überhaupt für ein Anderes, teils aber ebensosehr für sich ist. Beides sind die Bestimmungen, welche sie eben als die Identität des Raums und der Zeit, des unmittelbaren Außereinander und der Negativität oder der als für sich seienden Einzelheit hat.

Der Übergang der Idealität in die Realität kommt auch auf ausdrückliche Weise in den bekannten mechanischen Erscheinungen vor, daß nämlich die Idealität die Stelle der Realität und umgekehrt vertreten kann; und es ist nur die Gedankenlosigkeit der Vorstellung und des Verstandes daran schuld, wenn für sie aus dieser Vertauschbarkeit beider ihre Identität nicht hervorgeht. Beim Hebel z.B. kann Entfernung an die Stelle der Masse und umgekehrt gesetzt werden, und ein Quantum vom ideellen Moment bringt dieselbe Wirkung hervor als das entsprechende Reelle. – In der Größe der Bewegung vertritt ebenso die Geschwindigkeit, welche das quantitative Verhältnis nur von Raum und Zeit ist, die Masse, und umgekehrt kommt dieselbe reelle Wirkung hervor, wenn die Masse vermehrt und jene verhältnismäßig vermindert wird. Ein Ziegelstein für sich erschlägt einen Menschen nicht, sondern bringt diese Wirkung nur durch die erlangte Geschwindigkeit[57] hervor, d.i. der Mensch wird durch Raum und Zeit totgeschlagen. – Die Reflexionsbestimmung von Kraft ist es hier, was, einmal für den Verstand fixiert, als ein Letztes dasteht und ihn hindert, weiter nach dem Verhältnisse ihrer Bestimmungen zu fragen. Aber dies wenigstens schwebt vor, daß die Wirkung der Kraft etwas Reelles, Sinnfälliges ist und daß in der Kraft dasselbe ist, was in ihrer Äußerung, und daß eben diese Kraft ihrer reellen. Äußerung nach durch das Verhältnis der ideellen Momente, des Raums und der Zeit, erlangt wird.

Es gehört ferner zu dieser begrifflosen Reflexion, die sogenannten Kräfte als der Materie eingepflanzt, d.i. als ihr ursprünglich äußerlich anzusehen, so daß eben diese Identität der Zeit und des Raums, welche bei der Reflexionsbestimmung von Kraft vorschwebt und welche in Wahrheit das Wesen der Materie ausmacht, als etwas ihr Fremdes und Zufälliges, von außen in sie Gebrachtes, gesetzt ist.[58]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 9, Frankfurt a. M. 1979, S. 55-60.
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