B. Materie und Bewegung. Endliche Mechanik

[60] § 262


Die Materie hält sich gegen ihre Identität mit sich, durch das Moment ihrer Negativität, ihrer abstrakten Vereinzelung, auseinander; die Repulsion der Materie. Ebenso wesentlich ist, weil diese Verschiedenen ein und dasselbe sind, die negative Einheit dieses außereinanderseienden Fürsichseins; die Materie ist somit kontinuierlich, – ihre Attraktion. Die Materie ist untrennbar beides und negative Einheit dieser Momente, Einzelheit, aber als gegen das unmittelbare Außereinander der Materie noch unterschieden und darum[60] selbst noch nicht als materiell gesetzt, ideelle Einzelheit, Mittelpunkt, – die Schwere.

Kant hat unter anderem auch das Verdienst, durch seinen Versuch einer sogenannten Konstruktion der Materie, in seinen Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, den Anfang zu einem Begriff der Materie gemacht und mit diesem Versuche den Begriff einer Naturphilosophie wiedererweckt zu haben. Er hat aber dabei die Reflexionsbestimmungen von Attraktivkraft und Repulsivkraft als gegeneinander feste angenommen und wieder, indem aus ihnen die Materie hervorgehen sollte, diese als ein Fertiges vorausgesetzt, so daß es schon Materie ist, was attrahiert und repelliert werden soll. Ausführlicher habe ich die in dieser Kantischen Exposition herrschende Verwirrung in meinem System der Logik, 1. Bd., 1. Teil, S. 119 ff., dargestellt. – Übrigens ist erst die schwere Materie die Totalität und das Reelle, an dem Attraktion und Repulsion stattfinden kann; sie hat die ideellen Momente des Begriffs, der Einzelheit oder Subjektivität. Deswegen sind sie nicht als selbständig oder als Kräfte für sich zu nehmen; die Materie resultiert aus ihnen nur als Begriffsmomenten, aber ist das Vorausgesetzte für ihre Erscheinung.

Die Schwere ist von der bloßen Attraktion wesentlich zu unterscheiden. Diese ist nur überhaupt das Aufheben des Außereinanderseins und gibt bloße Kontinuität. Hingegen die Schwere ist die Reduktion der auseinanderseienden, ebenso kontinuierlichen Besonderheit zur Einheit, als negativer Beziehung auf sich, der Einzelheit, einer (jedoch noch ganz abstrakten) Subjektivität. In der Sphäre der ersten Unmittelbarkeit der Natur ist aber die außersichseiende Kontinuität noch als das Bestehende gesetzt; es[61] ist erst in der physischen, in welcher die materielle Reflexion-in-sich beginnt. Die Einzelheit ist daher als Bestimmung der Idee zwar vorhanden, aber hier außer dem Materiellen. Die Materie ist daher erstens wesentlich selbst schwer, es ist dies nicht eine äußerliche, von ihr auch trennbare Eigenschaft. Die Schwere macht die Substantialität der Materie aus, diese selbst ist das Streben nach dem – aber (dies ist die andere wesentliche Bestimmung) außer ihr fallenden – Mittelpunkt. Man kann sagen, die Materie werde vom Mittelpunkte attrahiert, d.h. ihr außereinanderseiendes kontinuierliches Bestehen negiert; aber wenn der Mittelpunkt selbst materiell vorgestellt wird, so ist das Attrahieren nur gegenseitig, zugleich ein Attrahiertwerden, und der Mittelpunkt wieder ein von ihnen Verschiedenes. Der Mittelpunkt ist aber nicht als materiell zu nehmen; denn das Materielle ist eben dies, seinen Mittelpunkt außer sich zu setzen. Nicht dieser, sondern dies Streben nach demselben ist der Materie immanent. Die Schwere ist sozusagen das Bekenntnis der Nichtigkeit des Außersichseins der Materie in ihrem Fürsichsein, ihrer Unselbständigkeit, ihres Widerspruchs.

Man kann auch sagen, die Schwere ist das Insichsein der Materie, in diesem Sinne, daß, eben sofern sie noch nicht Mittelpunkt, Subjektivität an ihr selbst ist, sie noch unbestimmt, unentwickelt, unaufgeschlossen ist, die Form noch nicht materiell ist.

Wo der Mittelpunkt liege, ist durch die schwere Materie, deren Mittelpunkt er ist, determiniert; insofern sie Masse ist, ist sie bestimmt, und damit ihr Streben, welches das und somit ein bestimmtes Setzen des Mittelpunktes ist.[62]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 9, Frankfurt a. M. 1979, S. 60-64.
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